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11. Der Kriegszug des Närrischen Kauzes.

Im ganzen Arickareedorf, am oberen Missouri, war keiner ärmer als Weißer Vogel und ihr junger Enkel. Ihr Mann war schon lange tot; ihr Schwiegersohn war von den Sioux erschlagen, und ihre Tochter fiel, als sie gerade in ihrem kleinen Gärtchen arbeitete, tot um. Der Bub war noch zu klein, um auf Jagd zu gehen, so lebten sie von dem wenigen, was sie an Gemüse und Beeren ernten und sammeln konnten, und von dem Fleisch, das ihnen aus Güte von den Wohlhabenden gespendet wurde. Manchen Abend gingen sie hungrig zu Bett; denn selbst ihre besten Freunde vergaßen manchmal, für sie zu sorgen, und Weißer Vogel war zu stolz, um zu bitten. Wenn das vorkam, sagte der Knabe zur Großmutter: »Das macht nichts. Wart nur, bis ich groß bin, dann erjage ich dir mehr Fleisch, als du brauchen kannst.«

Der Junge hieß Schwarzseher. Ein alter Medizinmann hatte ihm den Namen bei seiner Geburt gegeben, aber nur seine Großmutter nannte ihn so, alle anderen riefen ihn »Närrischer Kauz«; denn er war in allem, was er tat, völlig anders, als sonst Knaben sind. Er spielte nie mit anderen Kindern, lachte nicht, weinte nicht und sprach kaum je mit irgend einem, außer mit seiner Großmutter. Es schien, als träumte er von irgend etwas. Halbe Tage lang konnte er am Flußufer oder auf dem Hügel, oberhalb des Dorfes, sitzen und unentwegt in die Ferne schauen, als sähe er dort die merkwürdigsten Dinge. Er merkte dann nichts von den Menschen, die an ihm vorübergingen. Verbotene und wunderliche Dinge schleppte er oft heim ins Zelt. Einmal kam er an mit einem Menschenschädel, den er unter seinem Lager verbarg. Als die Großmutter eines Tages sein Bett machte, fand sie ihn und erschrak so, daß sie wie tot hinfiel und eine Weile so liegen blieb. Als sie wieder zu sich kam, bat sie den Jungen, den Schädel wieder dorthin zu tragen, wo er ihn gefunden hatte. Er tat es sofort; denn er war ein gutmütiges Kind und gehorchte aufs Wort. Als sie ihn fragte, warum er den Schädel mitgebracht habe, antwortete er: »Ich suche einen starken Zauber. Ich glaubte, wenn ich den Schädel unter meinem Lager versteckte, würde ich einen merkwürdigen Traum haben.«

Manchmal verließ er das Dorf und blieb die ganze Nacht fort. Fragte seine Großmutter, wo er gewesen sei, dann berichtete er, daß er in die Prärie oder in den Wald oder auf eine Sandbank gegangen wäre, um dort zu schlafen, in der Hoffnung, daß irgend ein Geist oder Tier, die in der Dunkelheit umherwanderten, Mitleid mit ihm haben würde, und ihm zu dem Zauber verhelfen, den er suche.

Während andere Knaben seines Alters noch spielten, fertigte er Bogen und Pfeile. Er beobachtete die Pfeilmacher und tat es ihnen an Geschicklichkeit, scharfe Pfeilspitzen zu verfertigen, bald gleich. Früh ging er auf Jagd. Zuerst lauerte er den Kaninchen in den Rosendickichten auf, dann aber brachte er einen großen Hirsch heim, den er auf dem Pfad, den die Tiere zu ihrem Tränkplatz nahmen, erlegt hatte. Von da ab begnügte er sich nur im Notfall mit Kaninchen, brachte aber häufig Wild und einmal sogar Fleisch und Fell eines Büffels nach Hause. Er war auf das mächtige Tier hinaufgeklettert und hatte es am Fluß, wo es im Schlamm stecken geblieben war, getötet.

Immerhin waren Großmutter und Enkel noch sehr, sehr arm. Der ganze Pferdebesitz war an die Aerzte gewandert, die versucht hatten, den Großvater wieder gesund zu machen. Ohne Pferd aber konnte der kleine Närrische Kauz keine größere Jagd unternehmen und genügend Fleisch für die schlechte Jahreszeit oder die Dauer feindlicher Belagerungen hereinbringen. Im Sommer erschienen des öfteren die Sioux in großen Banden und schlossen das Dorf über einen Monat und länger ein, in der Hoffnung, die Bewohner auszuhungern und sie zu überfallen, wenn sie auf Jagd gehen würden.

Winter und Sommer flossen dahin. Der Knabe wuchs heran und wurde stark und kräftig, ein hübscher Bursche. Nun war er alt genug, mit in den Krieg zu ziehen, zu kämpfen und dem Feinde Pferde fortzutreiben. Aber keine Kriegsbande wollte ihn mitnehmen. »Jemand, der mit Menschenschädeln schläft, der Nachtruhe hält, wo die Geister wandern, mit dem ist etwas nicht in Ordnung, der könnte uns ins Unglück stürzen!«

Natürlich war der Jüngling sehr unglücklich über diesen Bescheid, und die Großmutter litt mit ihm. Dann aber wurden beide böse. »Sie sollen ihre Worte noch bereuen,« sagte er zu der Alten. »Ich will allein gegen den Feind ziehen, und die Zeit kommt, wo sie mich bitten werden, mit ihnen zu kommen. Mach mir ein Boot. Ich will flußabwärts zu den Sioux fahren.«

Die Großmutter ging und schnitt Weiden, band sie kreuzweis zusammen und bog und streckte sie in die gewünschte Form. Dann spannte sie die frische Haut eines großen Büffelbullen darüber, und das Fahrzeug war fertig. Nein, das war kein Boot, wie es die Weißen brauchen! Der Boden war flach und hatte einen kreisrunden Rand, gleich den Zubern, die die Kulturmenschen zur Wäsche brauchen. Wer das Fahren in einem solchen Schiffchen nicht gewohnt war, war hilflos; denn, wenn man nicht richtig ruderte, dann drehte sich das Boot wie ein Kreisel und ging mit Wind und Strömung auf und davon.

Eines Abends, bei aufgehendem Mond – es war Vollmond –, bestieg Närrischer Kauz sein Fahrzeug und stieß vom Ufer ab. Niemand außer seiner Großmutter sah ihn, keiner im Dorf wußte, daß er fortging. »O! nimm dich in acht! sei vorsichtig,« mahnte die Alte. »Unternimm nichts, was du nicht sicher ausführen kannst.«

»Sei guten Muts,« rief er zurück. »Ich komme wieder, ich komme gewiß zu dir zurück. Mein Traum hat mir gesagt, daß ich heimkommen werde.«

Das arme alte Weib setzte sich ans Ufer, zog ihre Decke über den Kopf und weinte bitterlich. Sie weinte um ihre geliebten Toten und um den Jüngling, der nun vielleicht hinauszog, um sich mit ihnen zu vereinen. Sie war sehr traurig.

Vorwärts trieb der Jüngling in der klaren Mondnacht auf dem breiten, tiefen Strom. Er fuhr still dahin und paddelte nur, wenn es galt, Richtung zu halten und Sandbänken und Stromschnellen auszuweichen. Um ihn herum spielten und planschten die Biber. »Helft mir,« bat er sie, »schenkt mir von eurer Geschicklichkeit, damit ich der Gefahr entrinne.«

Unter dem strudelnden Wasser im Schatten einer Sandbank sichtete er die Umrisse eines dunklen Gegenstandes, der alsbald in der Tiefe verschwand. Er konnte ihn nicht genau erkennen. Vielleicht war es eines jener geheimnisvollen Wesen, die in der Dunkelheit und Tiefe leben. Er betete auch zu diesen und ließ eine kleine Opfergabe in die Tiefe gleiten. »Tut mir nichts Böses,« bat er, »laßt mich ungefährdet eure Gewässer durchschiffen.«

Alle Tiere aus Tälern und Wäldern schienen am Flußufer grasend und trinkend versammelt zu sein. Die jungen Hirsche und Wapiti tummelten sich spielend auf den Sandbänken. Große Bären schnüffelten und schlugen mit den Tatzen das Wasser, und Wölfe äugten zu ihm hinüber, als er mit leisen Paddelschlägen vorüberfuhr.

Da aber Windstille war und sie den Feind nicht wittern konnten, kümmerten sie sich nicht weiter um ihn. So verging die Nacht. Bei Tagesanbruch legte er am Ufer an, zog sein Boot in ein Weidengebüsch und verwischte sorgsam die Spur hinter sich.

So bei Nacht reisend und tagsüber ruhend, näherte er sich dem Lande der Sioux. Jeden Morgen wanderte er zum Waldrand und hielt sorgsam Umschau. Erst am fünften Morgen seiner Abreise kamen ihm Menschen zu Gesichte. Er schaute ein großes Lager gerade gegenüber am jenseitigen Ufer, hinter einem Pappelwald gelegen. Die Zelte standen in offener Ebene. Eine Menge Pferde waren im Lager angekoppelt, und die Leute waren gerade dabei, sie auf die Weide zu treiben. »Mein Zauber ist gut,« sagte er zu sich selbst. »Ich bin ohne Unfall den Fluß herunter geschifft, und hier finde ich, was ich suche.«

Tagsüber schlief der Jüngling eine Weile; denn er fühlte sich ganz sicher. Der Feind hatte keine Boote, und das Ufer war steil. Dann schmiedete er Pläne für die Nacht. »Ich fahre hinüber, wenn das Feuer in ihren Zelten aus ist, dann hole ich mir ein paar Pferde und reite so schnell wie möglich heim.« Den ganzen Nachmittag erwog er diesen Plan. Dann fiel ihm etwas Neues ein. Sich in ein Lager schleichen, Pferde holen und davonreiten, das konnte jeder, das war leicht. Seine Volksgenossen wollten ihn nicht auf ihre Kriegszüge mitnehmen, er mußte also irgend eine Heldentat ausführen, die ihnen klar machte, daß er mehr leisten könne als sie. Was tun? er plante bald dies, bald das und konnte zu keinem Entschluß kommen. Gegen Abend schlief er wieder ein, und da zeigte ihm ein Traum den Weg. Er setzte in der Nacht mit seinem Boot über und brachte es dann mit ein paar Steinen zum Sinken. Dann ging er in den Wald und vergrub seine Habseligkeiten, Waffen, Kleider und Schuhe, unter einem großen Baum. Er behielt nur seinen Gürtel und Lendenschurz um. Sein langes Haar löste er auf, wusch es und streute Sand darauf. Seinen Körper beschmierte er mit Erde, das Lendentuch beschmutzte er, und die Beine zerriß er mit Dornen. So sah er wirklich sehr verwildert und jämmerlich arm aus. Dann verließ er den Wald, ging ans Ufer hinunter und blieb dort den Rest der Nacht.

Als die Sonne aufging und die Menschen lebendig wurden, stand Närrischer Kauz auf und ging zum Lager. Erst lief er, dann stand er still, schaute umher, ging wieder ganz langsam und heftete dabei die Augen auf den Boden. So näherte er sich den Zelten und den Leuten im Lager, die still standen und ihn anstarrten. Er tat so, als sähe er niemand und ging unentwegt vorwärts. Man ließ ihn gehen und folgte ihm. Bei einem Feuer, das neben einem Zelt brannte, auf dem Fleisch gebraten wurde, stand er still und setzte sich nieder. Die Frauen, die dort arbeiteten, flohen entsetzt. Um ihn herum sammelte sich das Volk und schwatzte. Natürlich, man hielt ihn für verrückt. Da trat ein Mann herzu und fragte ihn in der Zeichensprache vielerlei. Der Jüngling erwiderte nichts und zeigte nur zum Fluß hinunter. Der Mann hatte auf der linken Backe eine große Narbe, und unser Held wußte, daß es ein Häuptling war. Er hatte daheim von ihm als einem gefürchteten und gewaltigen Krieger erzählen hören. Nach einer Weile kam eine alte Frau und brachte ihm etwas Fleisch. Er aß es mit solcher Gier, als ob er tagelang gehungert hätte, und machte sich lange mit seiner Mahlzeit zu schaffen. Dem Volk wurde die Sache langweilig, es zerstreute sich zum großen Teil und ging in seine Zelte. Wieder versuchte der Häuptling, sich durch Zeichen mit ihm zu verständigen, und als das nicht glückte, packte er Närrischer Kauz am Arm und zog ihn mit sich in sein Zelt. Dort wies er ihm ein Lager an, bedeutete ihm, daß er das haben solle, und daß er fortan im Zelt leben könne. Immer noch tat der Jüngling so, als ob er nichts verstünde, aber er blieb, ging wohl ab und zu aus, kehrte aber jedesmal ins Zelt zurück. Die Leute brachten ihm Geschenke: Mokassins, Beinkleider, ein Lederhemd und ein Büffelfell. Er zog alles an. Nach ein paar Tagen konnte er sich völlig unbehindert im Lager bewegen. Die Menschen hatten sich an ihn gewöhnt und beachteten ihn kaum noch.

Unser Held merkte bald, daß der Häuptling grausam war. Er hatte fünf Weiber, deren älteste älter als er und sehr häßlich war. Die anderen waren jung und ansehnlich, eine sogar sehr hübsch. Die Alte quälte die anderen Weiber und ließ sie den ganzen Tag schwer arbeiten. Manchmal schlug sie sie. Oft genug verklagte sie diese oder jene beim Häuptling, dann sprang er auf und hieb auf die Frauen ein, ergriff auch wohl zwei und stieß sie mit den Köpfen gegeneinander. Die Weiber waren sehr unglücklich. Der Jüngling konnte es nicht lassen, die Jüngste oft anzuschauen. Sie war so hübsch und so traurig. Er ging immer dorthin, wo er sie bei der Arbeit wußte, und begegnete ihr oft im Walde, wenn sie Holz sammelte. Dann lächelten sie einander an. Nach längerer Zeit traf er sie eines Abends allein im Walde. Er hatte seinen Entschluß gefaßt. Schnell machte er ihr durch Zeichen klar, daß er nicht verrückt sei, sondern daß er ganz allein ausgezogen wäre, um sich als Krieger Ruhm und Ehre zu erwerben. Dann gestand er ihr seine Liebe, und wie traurig es ihn mache, sie so gequält und leiden zu sehen. Er fragte sie, ob sie mit ihm kommen und sein Weib werden wolle. Sie antwortete nicht, sondern fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Da hörten sie Schritte nahen und trennten sich schnell.

Am folgenden Tag trafen sie sich wieder im Walde, versteckten sich im dichtesten Weidengebüsch und berieten ihre Flucht. Kaum konnten sie vor Aufregung die Nacht erwarten.

Als das Feuer erloschen war und der Häuptling und seine Alte schnarchten, krochen Närrischer Kauz und das junge Weib aus dem Zelt und gingen zum Fluß hinunter. Dort banden sie zwei kurze Holzklötze zusammen und packten ihre Kleider darauf. Seine Waffen und Habseligkeiten, die er damals vergraben hatte, legte der Jüngling ebenfalls dazu. Dann ging er, nur mit seinem Messer bewaffnet, zurück zum Zelt, das junge Weib blieb beim Floß zurück. Er kroch ins Zelt zum Lager des Häuptlings und bohrte ihm das Messer dreimal tief ins Herz. Der Mann schrie nicht, ächzte nur ein wenig, so daß die Alte neben ihm erwachte. Mit schnellem Griff packte sie Närrischer Kauz und würgte sie, bis sie still und tot war. Dann nahm er Skalp und Waffen und rannte zurück zum Fluß. Schnell wateten und schwammen beide durch das Wasser, ihr Floß mit großer Vorsicht mitführend. Am Ufer angekommen, kleideten sie sich an und wanderten zu Fuß den weiten Weg zum Arickareedorf zurück. Hinter ihnen blieb alles ruhig; denn man entdeckte erst am Morgen, was geschehen war.

Wie stolz aber war die Großmutter, als ihr Enkel heimkehrte mit einem so reizenden Weibe und im Besitz des Skalps und der Waffen des weit und breit gefürchteten und gehaßten Häuptlings der Sioux.

Der Jüngling war mit einem Schlage ein angesehener Mann und wurde mit der Zeit selbst Häuptling, und zwar der höchste seines Stammes. Nie rief ihn jemand wieder »Närrischer Kauz«. Er hieß fortan: »Drei Dolchstiche«, und alle waren stolz, ihn so zu nennen. Er und sein Weib erreichten ein hohes Alter und erfreuten sich einer blühenden Kinder- und Enkelschar.

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