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Eines Abends erzählte uns die alte Frau Berry, eine Indianerin aus dem Stamm der Mandanen, folgende Geschichte: Zu meines Großvaters Zeiten, ja noch früher, denn er berichtete, daß die alten Leute, von denen er diese Geschichte gehört hatte, sie ihrerseits von ihren Großvätern übernommen hätten, trug sich folgende Begebenheit zu.
Der Frühling war ins Land gekommen. Eines Tages waren alle Bewohner des Mandanendorfes auf der Ebene verstreut, um weiße Wurzeln auszugraben, als ein furchtbares Gewitter heraufzog. Die Hütten lagen weitab, so setzten sich die Leute einfach nieder und hüllten sich in ihre Decken, bis das Unwetter vorbei war; denn naß wurden sie doch, ob sie nun saßen oder liefen.
Eine Familie war zufällig zusammen, als der Regen einsetzte, so hockten sie so nah wie möglich beieinander, um sich gegenseitig etwas zu schützen.
»Ein kalter Regen,« sagte die Mutter, »mich friert.«
»Ja,« sagte der Vater, »er ist sehr kalt, rückt dichter zusammen.«
So saßen sie da, als der Donner über ihnen tobte und plötzlich mitten unter sie ein Blitz niederfuhr und sie alle leblos auf den Erdboden warf. Der Vater, die Mutter und eine Tochter, und niemand wagte, ihnen zu Hilfe zu eilen, aus Angst, die Gottheit würde auch sie töten. Aber als der Sturm ausgetobt hatte, rannten die Leute, so schnell sie vermochten, zur Unglücksstätte, um zu helfen. Zuerst glaubten sie, daß alle tot seien, und vier waren auch wirklich vom Blitz erschlagen, nur das Mädchen atmete noch. Nach einer Weile richtete sie sich auf, und als sie das Unglück, das sie betroffen hatte, gewahr wurde, fing sie so bitterlich an zu weinen, daß alle Weiber um sie herum mitweinten, obwohl keine mit ihr verwandt war. Ihr Vater war von Jugend auf Waise gewesen, die Mutter desgleichen, so war das arme Kind nun ganz allein; denn sie hatte im ganzen Dorf keinen einzigen Verwandten.
Treue Freunde bestatteten die Toten, und viele fragten das Mädchen sofort, ob sie kommen und bei ihnen wohnen wolle. Aber sie schlug die Bitte allen ab. »Du mußt zu irgend jemand gehen,« sagte der Häuptling. »Noch nie hat man gehört, daß so ein junges Mädchen ganz für sich allein wohnt, das kannst du nicht. Wo willst du zu essen herbekommen? und denke daran, was die Leute dazu sagen würden, du kämst bald in schlechten Ruf.«
»Wenn die Leute schlecht von mir sprechen, so kann ich nichts dafür,« sagte das Mädchen. »Sie werden dann schon einmal ihre bösen Worte zurücknehmen müssen. Ich habe meinen Entschluß gefaßt und werde schon sorgen, daß ich nicht umkomme.«
So lebte das Mädchen ganz allein in ihrer elterlichen Hütte und hatte nur ihre Hunde bei sich. Die Frauen des Lagers besuchten sie häufig und brachten ihr Fleisch und andere Nahrung, aber kein Mann, weder ein alter noch ein junger, kam an ihren Feuerplatz. Ein oder zwei hatten es versucht, aber nur ein einziges Mal; denn sie hatte ihnen unzweideutig zu verstehen gegeben, daß sie keinen Männerbesuch wünsche. So schauten die Jünglinge sie nur von fern an und beteten zu den höheren Mächten, daß sie ihr Herz erweichen möchten. Das Mädchen war lieblich anzusehen und arbeitete unablässig. Kein Wunder, daß die Männer sie liebten und sie »Kein Herz« nannten.
Ein Jüngling, Langer Hirsch, der Sohn eines angesehenen Häuptlings, liebte das Mädchen so, daß er beinah über diese Liebe den Verstand verlor. Er hatte nie mit ihr gesprochen; denn er wußte nur zu gut, daß ihm dieselbe Antwort wie den anderen zuteil werden würde. Aber er konnte sich nicht enthalten, ihr Tag für Tag zu begegnen. Wenn sie in ihrem kleinen Bohnen- und Korngarten arbeitete, saß er in der Nähe am Fluß. Ging sie in den Wald, um Holz zu sammeln, so schlug er denselben Weg ein, aber sie tat immer so, als sähe sie ihn nicht. Langer Hirsch stahl sich in der Nacht, wenn alles schlief, oft aus seines Vaters Zelt, nahm einen Wasserbehälter, füllte ihn wieder und wieder am Fluß, schlich sich in den Garten der Liebsten und begoß dort mit rührender Sorgfalt jedes Pflänzlein. Mit Lebensgefahr zog er allein in die Prärie hinaus, um zu jagen; denn dort lauerten die Sioux auf Beute. Wenn Kein Herz dann am Morgen aufstand, fand sie in der dunklen Ecke des Eingangs ihrer Hütte die zartesten Fleischstücke und die prächtigsten Büffel- und Hirschfelle. Die Leute redeten darüber und wunderten sich, wie die Sache einmal ausgehen werde. Das Mädchen gab nie auch nur das allergeringste Zeichen, daß der junge Mann ihr etwas bedeute, sie tat stets, als sei er nicht vorhanden.
Drei Sommer waren seit dem Tode der Angehörigen des Mädchens verstrichen. Da brach zwischen Mandanen und Arickaree Streit aus, und damit fing das Unglück an. Fortwährend zogen Kriegsbanden aus, um Pferde zu stehlen und jedweden zu töten, dessen sie habhaft werden konnten, und der sich nicht im Schutz seiner Hütte befand. Die beiden Stämme waren lange befreundet gewesen. Mandanenmänner hatten Arickareeweiber geheiratet, und umgekehrt hatten die Mädchen der Mandanen mit Arickareejünglingen Ehen geschlossen. Es war entsetzlich, wenn die Skalpe der allernächsten Verwandten ins Lager gebracht wurden. Aber was konnten die Weiber daran ändern? Sie hatten keine Stimme im Rat und wagten nicht, laut zu sagen, was sie dachten. Anders Kein Herz. Jeden Tag ging sie im Lager umher und schalt die Männer mit lauter Stimme ob ihrer Bosheit. Sie sprach die Wahrheit aus, daß, wenn sie fortfuhren, sich weiterhin so gegenseitig zu zerfleischen, sie bald zu schwach sein würden, um sich gegen ihren gemeinsamen Feind, die Sioux, zu wehren. Ja, Kein Herz scheute sich nicht, stracks auf einen Häuptling zuzugehen und ihn auszuschelten, so daß er sich schweigend wegwenden mußte; denn mit einem Weibe konnte er nicht streiten. Dieses konnte er auch nicht einmal zwingen, ihren Mund zu halten; denn sie war ihr eigener Herr.
Eines Nachts brachen die Arickaree ein großes Loch in den Palisadenzaun des Mandanendorfes, schlüpften hindurch und begannen, Pferde fortzuführen. Es dauerte natürlich nicht lange, so wurden sie entdeckt. Man schlug Lärm, und alsbald entbrannte ein heftiger Kampf. Die Mandanen trieben den Feind hinaus in die Ebene und hinab in den nahen Wald. Auf beiden Seiten gab es ein paar Tote, und Freudengeschrei und Wehklagen hallten durchs Lager.
Die Arickaree zogen sich in ihr Dorf zurück. Gegen Abend ging Kein Herz hinab in den Wald, um Holz zu holen. Da fand sie im dichten Weidengestrüpp einen jungen, schwer verwundeten Feind. Ein Pfeil war ihm zwischen die Rippen gedrungen, und er hatte starken Blutverlust gehabt. Er war so schwach, daß er sich kaum bewegen und sprechen konnte. Kein Herz steckte dicke Weidenzweige um ihn herum in den Erdboden, um ihn so gut wie möglich zu verbergen. »Fürchte dich nicht,« sagte sie zu ihm, »ich bringe dir Essen und Trinken.«
Sie eilte in ihre Hütte zurück, nahm etwas getrocknetes Fleisch, füllte einen Behälter mit Wasser, versteckte beides unter ihrer Decke und kehrte zu dem Verwundeten zurück. Er trank viel und aß auch etwas von dem Fleisch. Kein Herz wusch und verband die Wunde. Dann verließ sie ihn wieder und empfahl ihm, ruhig liegen zu bleiben, sie wolle in der Nacht wiederkommen und ihn in ihre Hütte holen und dort ihn pflegen, bis er wieder gesund sei. In ihrer Hütte bereitete sie ein Lager für ihn, deckte ein großes Büffelkuhfell über eines der Betten und verhängte das Rauchloch und den Eingang, so daß es im Raum ganz dämmerig war. Die Weiber, die manchmal kamen, würden keinen Verdacht hegen, daß dort jemand versteckt liege. An einen Feind würde sicher kein Mensch denken, da doch in drei Jahren kein Mann die Hütte betreten hatte.
Es war eine sehr dunkle Nacht. Im Wald drunten war es erst recht finster. Kein Herz mußte im Gehen ihre Arme vorstrecken, um nicht gegen die Bäume anzustoßen, aber sie kannte den Wald so genau, daß sie keine Schwierigkeiten hatte, das Weidendickicht und den, den sie suchte, aufzufinden. »Steh auf«, flüsterte sie, »und folge mir!«
Der junge Mann versuchte aufzustehen, sank aber schwerfällig auf die Erde zurück. »Ich kann nicht stehen,« sagte er, »ich habe keine Kraft in den Beinen.«
»O, du kannst nicht gehen? ich glaubte, du könntest gehen,« rief Kein Herz. »Was fangen wir nun an?«
»Du wirst mir erlauben, ihn für dich zu tragen,« sagte eine Stimme dicht hinter ihr. »Ich werde ihn dorthin tragen, wo du hinführst.«
Kein Herz wandte sich mit einem leisen Schrei des Staunens um. Sie konnte das Gesicht des Mannes in der Dunkelheit nicht erkennen, sondern nahm nur undeutliche Umrisse seiner Gestalt wahr. Aber die Stimme kannte sie. Sie war nicht bange. »Nimm ihn denn«, sagte sie, und folge mir.«
Sie selbst richtete den Verwundeten auf und hob ihn auf des Hinzugekommenen Rücken. Dann führte sie hinaus aus dem Wald, über die Ebene und durch den Dorfzaun, in dem sie einen Pfahl ausgehoben hatte, in ihre Hütte. Kein Mensch war zu sehen, und niemand hatte sie entdeckt. In der Hütte brannte ein Feuer, aber es bedurfte dessen nicht, um dem Mädchen zu zeigen, wer ihr geholfen hatte. Es war Langer Hirsch. »Wir wollen ihn hier niederlegen,« sagte sie und nahm die Decke, die sie über das Ruhebett gebreitet hatte, herunter. Vorsichtig betteten sie den Kranken. Langer Hirsch stand noch eine Weile still und schaute auf Kein Herz, aber sie schwieg und erwiderte keinen seiner Blicke. »Jetzt gehe ich,« sagte er endlich, »aber ich komme jede Nacht wieder und bringe Fleisch für dich und deinen Liebsten.«
Das Mädchen antwortete nicht, und er ging. Aber kaum war er fort, da setzte sie sich nieder und fing an zu weinen. Der Kranke richtete sich ein wenig auf und fragte: »Warum weinst du? was beunruhigt dich?«
»Hörtest du denn nicht?« erwiderte sie. »Er sagte doch, du seiest mein Liebster.«
»Ich kenne dich wohl,« fuhr der Fremde fort. »Sie nennen dich Kein Herz, aber sie lügen. Du hast ein Herz, und ich wünschte, es wäre mein.«
»Sag das nicht noch einmal,« schluchzte das Mädchen. »Ich will dich pflegen und dich ernähren. Wie deine Mutter will ich sein.«
In der nächsten Nacht trat Kein Herz oftmals in den Eingang, wartete dort länger und länger und kam schließlich nur wieder zurück in die Hütte, um dem Kranken einen Schluck Wasser und einen Bissen Fleisch zu reichen. Endlich, als sie dort draußen im Finstern saß, kam Langer Hirsch, tappte an die gewohnte Stelle, und hängte dort vorsichtig ein Stück Fleisch auf, so daß die Hunde es nicht erreichen konnten. »Komm herein,« redete ihn das Mädchen an, »komm herein und sprich mit dem Verwundeten.«
Von da ab saß Langer Hirsch Nacht für Nacht bei dem Arickaree und unterhielt sich mit ihm über Dinge, die Männer interessieren. Während er im Zelt saß, sprach Kein Herz kein Wort, nur wenn sie Essen reichte, zwang sie sich zu der Aufforderung: »Iß.«
Von Tag zu Tag besserte sich der Kranke. Eines Nachts, als Langer Hirsch eben fort war, sagte er: »Nun kann ich reisen. Morgen abend will ich heim. Ich möchte wissen, warum du Barmherzigkeit an mir geübt hast, warum du mir mein Leben rettetest?«
»Höre!« antwortete das Mädchen. »Der Krieg ist etwas Böses, darum bemitleidete ich dich. Viele, viele Weiber in unserem Dorf wehklagen und trauern, weil sie ihr Liebstes in diesem unseligen Kampf verloren haben. Von allen Weibern besaß ich allein den Mut, zu reden und die Häuptlinge zu bitten, daß sie Frieden schließen sollten. Alle Weiber waren glücklich über das, was ich sagte, aber sie wagten nicht, für sich selbst zu reden. Ich fürchtete mich nicht; denn mir konnte niemand den Mund verbieten. Ich habe dir geholfen, hilf du jetzt mir, hilf euren Weibern, hilf uns allen. Wenn du jetzt heimkommst, erzähle, was man hier an dir getan hat, und tue, was du kannst, damit Frieden wird.«
»Das will ich,« erwiderte der Mann. »Wenn man daheim bei mir erfährt, was du alles für mich getan hast, dann werden die Häuptlinge aufhorchen. Ich bin sicher, daß alle glücklich sein werden, wenn dieser unselige Krieg ein Ende nimmt.«
In der nächsten Nacht, als Langer Hirsch das Zelt betrat, fand er den Arickaree aufsitzend. Neben ihm lagen seine Waffen und ein Päckchen mit Mundvorrat. »Ich wartete auf dich,« sagte er. »Jetzt bin ich gesund und will nach Hause. Willst du mich aus eurem Lager hinausgeleiten? Wenn uns jemand anredet, so antwortest du, und es wird niemand Verdacht hegen, daß ein Feind entweicht.«
»Natürlich will ich dich begleiten,« sagte Langer Hirsch. Darauf erhob sich der Arickaree, hängte Bogen und Köcher um und ergriff den Schild. Kein Herz saß still an der gegenüberliegenden Seite der Hütte und starrte ins Feuer. Langer Hirsch wandte sich an sie: »und du?« fragte er, »bist du auch reisefertig?«
Sie antwortete nicht, sondern zog die Decke über das Gesicht.
»Ich gehe allein,« sagte der Arickaree, »komm!«
Sie gingen durch das Dorf, schlüpften durch den Zaun und wanderten über die Ebene zum Wald hinunter. Dort machten sie Halt.
»Du bist weit genug mitgegangen,« sagte der Arickaree, »nun kann ich allein weiterkommen. Du hast mir Gutes erwiesen. Wenn ich heimkomme, werde ich alles aufbieten, um Frieden zu schaffen zwischen unseren Stämmen, so hoffe ich, daß wir uns bald in Freundschaft wiedersehen.«
»Warte!« sagte Langer Hirsch, als der andere sich umwandte, um zu gehen, »ich möchte dich noch etwas fragen. Warum hast du Kein Herz nicht mitgenommen?«
»Das würde ich getan haben, wenn sie gewollt hätte. Aber sie konnte niemals mein sein. Ich sage dir die Wahrheit. Sie ist wie eine Mutter zu mir gewesen. Nicht mehr, nicht weniger. Und du?« fuhr er fort, »hast du sie jemals gefragt, ob sie dein Weib werden wolle? – nein? – dann geh jetzt, jetzt auf der Stelle hin und frage sie.«
»Das wäre zwecklos,« erwiderte Langer Hirsch traurig. »Wie viele haben diese Frage schon an sie gerichtet. Sie hat alle abgewiesen.«
»Ich habe, während ich krank in ihrer Hütte lag, viel beobachtet,« begann der Arickaree wieder. »Ich sah, wie sie dich anschaute, wenn du mir alles erzähltest, sah, wie ihre Augen dann glänzten. Und wie unruhig wurde sie, wenn du spät kamst, und ging immer wieder aus und ein. Das tut nur ein Weib, das liebt. Geh! frage sie!«
Sie trennten sich, und Langer Hirsch ging in das Dorf zurück. »Der Jüngling kann nicht recht haben, es kann ja nicht sein,« sagte er zu sich selbst. Hatte er nicht alle die Jahre in ihrer nächsten Nähe gelebt? Nie hatte sie ihn angeschaut oder nur gelächelt. So denkend, ging er heim und sah sich plötzlich vor ihrer Hütte stehen. Aus dem Innern klang leises Weinen. Geräuschlos trat er näher und lüftete die Decke, die den Eingang schützte. Kein Herz saß noch an derselben Stelle am verlöschenden Feuer, wie er sie verlassen hatte, die Decke über den Kopf gezogen, leise vor sich hinweinend. Leise setzte er sich dicht neben sie, wagte aber nicht, sie zu berühren. »Gutes Herz,« sagte er, »Herrliches Herz, weine nicht.«
Aber sie schluchzte nur noch heftiger, als sie seine Worte hörte, so daß er ganz unsicher wurde und nicht wußte, was er tun sollte. Nach einer kleinen Weile rückte er näher an sie heran und schlang seinen Arm um sie. Sie duldete es. Da wurde er kühner und zog ihr die Decke vom Gesicht:
»Sag mir,« flüsterte er, »warum weinst du?«
»Weil ich so einsam bin,« kam es leise über ihre Lippen.
»Ach, du liebst ihn also doch,« erwiderte Langer Hirsch. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät, daß ich ihn einholen kann. Soll ich ihn dir zurückholen?« –
»Was meinst du?« rief Kein Herz und starrte ihn an.
»Nun, von dem, der dich gerade verließ, dem Arickaree,« sagte der Jüngling. Trotzdem war er noch näher an sie herangerückt und hielt sie fest umschlungen. Sie schmiegte sich dicht an ihn.
»Gibt es wohl noch einmal auf der Welt einen so blinden Mann?« begann sie nun. »Ich will dich in mein Herz schauen lassen, jetzt schäme oder fürchte ich mich nicht mehr. Ich weinte, weil ich mich ängstigte, daß du nicht mehr zu mir zurückkehren würdest. Alle diese Jahre habe ich nun gewartet und gehofft, daß du reden würdest, aber du hast nichts gesagt.«
»Wie konnte ich denn?« fragte er. »Du hast mich nie angeschaut, mir nicht das geringste Zeichen gegeben.«
»Du mußtest reden,« sagte sie, »selbst jetzt hast du es noch nicht einmal getan.«
»Wohlan! willst du mich zum Manne haben?« kam es von seinen Lippen.
Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Das war Antwort genug.
Am anderen Morgen ging Langer Hirsch hinaus und stand, wie andere verheiratete Männer, am Eingang der Hütte, die nun sein war, und lud seinen Vater und seine Freunde zur Hochzeit.
Alle kamen und freuten sich, daß er ein so gutes Weib bekommen hatte. Einige scherzten über die Neuvermählten, so daß das junge Weib ihre Decke über den Kopf zog. Aber sie war so glücklich, daß sie sie bald wieder zurückwarf und mit den andern lachte und sich freute.
Nach wenig Tagen erschien eine Abordnung von den Arickaree. Der junge Krieger war mit dabei und bat um Frieden. Nun wurde es öffentlich bekannt, wie Kein Herz ihn aufgenommen und gepflegt hatte, und die Weiber im Lager baten die geheimnisvollen Mächte, ihr Gutes zu tun und ihr und ihrem Gatten ein langes, glückliches Leben zu schenken.
Zwischen den beiden Stämmen wurde alsdann Frieden geschlossen, und es war eitel Jubel und Freude in beiden Lagern.