Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
3. März.
Das Schreiben hat entschieden sein Gutes. Ich gewinne dem Hefte von Jean Nicolas mehr Geschmack ab, als ich für möglich gehalten hätte, und wenn ich mit der Feder in der Hand davor sitze, vergesse ich alles übrige und es kommt mir vor, als ob ich mein Herzeleid einer fühlenden, verständnisvollen Seele ausschütte. Ich stelle mir dann vor, daß ich einen Taubstummen bei mir habe, daß Schreibtafel und Griffel die unerläßlichen Hilfsmittel unsers Verkehrs seien, und ich kritzle, kritzle und kritzle.
Bin ich nicht bei ihm, so stapele ich alle Einfälle und Gedanken, die mir so zufällig kommen, für ihn auf, und wenn ich dann, kaum in mein Zimmer zurückgekehrt, mit ihm zu plaudern anfange, so zieht immer eins das andre nach sich; nun merke ich, daß ich ihm dies, und gleich darauf, daß ich ihm jenes sagen muß, damit er alles verstehen und meine Angelegenheiten in ihrer ganzen Tragweite erfassen kann.
Da muß ich dann immer tiefer in die Vergangenheit zurückgreifen, muß Blatt um Blatt umschlagen, meine Tinte anfeuchten, und wenn dies Wetter nur noch ein paar Tage anhält, so muß die großmütige Gans sich abermals zum Opferaltar führen lassen.
Ich bin also bei den ersten Tagen voll Verzweiflung stehen geblieben. Von den kurzen Worten, mit denen mir meine Tante im Sprechzimmer des Klosters mein Schicksal verkündet hatte, war mir eine Bemerkung als besonders auffallend und befremdlich im Gedächtnis geblieben.
»Da du es nicht fertig gebracht hast, dir in den zwei Jahren eine anständige Versorgung zu schaffen,« hatte sie gesagt …
Ja, war ich denn ins Kloster geschickt worden, um mir einen Mann zu suchen, und hatte sie sich etwa eingebildet, daß die frommen Schwestern die Sorge für ihre Zöglinge so weit trieben, daß man uns am Donnerstag und Sonntag junge Herren aus guter Familie und in geeignetem Alter eingeladen hätte, um mit uns Ball und Reifen zu spielen und uns zu unterhalten?
Dies anzunehmen, hätte doch eine unerhörte Naivetät erfordert, und dieser Charakterzug schien mir dem Wesen dieser Frau wenig zu entsprechen. Allein die Sache war entschieden einer Aufklärung wert und bedürftig, und wenn die Idee auch nur äußerst langsam bei mir zum Durchbruch kam und ich große Schwierigkeiten hatte, die mir seit den Windeln anhaftende etwas feige Angst vor meiner Tante zu überwinden, so habe ich doch vor zwei Monaten den Entschluß, sie über diesen Punkt zu befragen, tapfer ausgeführt.
Von der sehr kurzen Auseinandersetzung, die wir über den Gegenstand gehabt, schreibe ich meine vollständige Kenntnis ihres Charakters her, sowie auch einige im Fluge erhaschte Andeutungen über ihre Jugend, von der sie nie spricht und die ihr entschieden keine lieblichen Erinnerungen hinterlassen zu haben scheint. Bei diesem Einblick durch die mir höchst unfreiwillig aufgethane Thürspalte ihres Herzens habe ich dann außerdem noch nette Dinge in Bezug auf die Zukunft, die sie für mich plant und vorbereitet und die meinen persönlichen Wünschen vollständig entgegenläuft, zu sehen bekommen, worüber ich mir jedoch keine grauen Haare wachsen lasse, wie ich auch keinerlei Eingriffe in ihre Anstalten unternehme; kommt die Zeit heran, so fühle ich mich sehr wohl im stande, mit gleichen Füßen über alle diese aufgebauten Schranken hinwegzusetzen.
Aurora Raymonda Edmée von Dorn ist nicht nur jetzt gründlich häßlich, sondern muß es auch in früheren Lebensepochen gewesen sein; wenn ich sie auch wieder und wieder ansehe, Falten, Schnurrbart, die Kupferfarbe der Nase und alles, was die Jahre mit sich gebracht haben, in Gedanken wegnehme, so sind die Züge eben doch derart, daß die allmächtige Herrscherin Zeit nicht im stande gewesen ist, viel daran zu ändern.
Ueberdies ist Benedikta eine glaubwürdige Zeugin, deren Aussage dahin lautet, daß diese kaum je dagewesene Häßlichkeit von der Wiege ab berühmt gewesen und daß dieses Wickelkind es schon im ersten Häubchen fertig gebracht hat, keinem andern seiner Art irgendwie zu gleichen. Das Traurigste an der Sache ist, daß die Mißbildung sich nicht auf den äußeren Menschen beschränkte, sondern daß Charakter und Temperament alles, was diese Züge verraten oder andeuten mochten, noch weit übertrafen.
Ob diese verdrießliche, mürrische Art vom Bewußtsein der Häßlichkeit herrührt, oder ob nicht im Gegenteil das weitaus Verletzendste an dieser Häßlichkeit der stehende Ausdruck von Verstimmung und Groll ist? Die Frage ist genau so schwierig zu lösen, wie die von den schlechten Zähnen und vom schlechten Magen, bei welchen man auch nie weiß, welcher Teil den andern geschädigt hat.
Schließlich kann man auch nicht alles und jedes mit dieser stiefmütterlichen Behandlung von seiten der Natur entschuldigen, denn daß häßliche Menschen dabei recht liebenswürdig sein können, ist eine alte Erfahrung, welche durch das Märchen von Allerleirauh nur bestätigt wird. Benedikta hat mir auch erzählt, daß die Altersgenossen meiner Tante öfters versichert haben, daß ihr garstiger Mund ihnen weit weniger widerlich sei, als die giftigen Worte, die aus demselben hervorkamen und Verwandte, Freunde und Fremde mit gleicher Schonungslosigkeit trafen, und es ist anzunehmen, daß ihr Name »Dorn« sehr häufig symbolisch aufgefaßt und zu nicht sehr schmeichelhaften Scherzen und Vergleichen verwendet wurde.
Es wird niemand in Erstaunen setzen, daß für eine Dame, die so bedeutende Mängel und Untugenden zu vereinen wußte, auch der Mai des Lebens nicht allzu viel des Süßen brachte. Sie machte allerorten einen abstoßenden Eindruck und meine um mehrere Jahre jüngere Mutter war längst verheiratet, als meine Tante noch immer eines todesmutigen Recken harrte, der sie dem Jungfrauenstande entreißen sollte. Daß diese Hoffnung, die von ihr über alle Gebühr lange und zähe festgehalten worden war, sich nicht erfüllte, hat ihr eine große Bitterkeit und ein unerträgliches Gefühl der Demütigung hinterlassen, und Groll und Rachsucht sind seither die wärmsten Empfindungen, die ihr Herz bewegen.
Tod und Zeit sind an ihr vorübergezogen, aber ihr Groll ist geblieben, und sie hegt und pflegt denselben mit einer zärtlichen Sorgfalt, die sie nichts anderm auf der Welt je zukommen ließ. Ihr Groll ist ihr Liebling, ihr Herzblatt, ihr Zeitvertreib, das Schoßkind, das sie verhätschelt und verzärtelt, und ich würde an dieser allerdings nicht gerade christlichen Beschäftigung nichts weiter auszusetzen haben, wenn der an ihrem Herzen genährte Tiger nicht zuweilen sich seiner Tatzen und Klauen bediente.
Das Merkwürdigste daran scheint mir zu sein, daß dieser Rachedurst, dieser bittre Haß sich keineswegs gegen die Urheber des Wehes kehrt, denen er mit Fug und Recht gebührte, sondern im Gegenteil gegen die glücklicheren unter den Frauen, welchen die Gabe verliehen ist, die im stillen geliebten Wesen an sich zu fesseln, ja daß er sich bis auf die hinaus erstreckt, denen sie anfühlt, daß sie eines Tages in den Besitz dieser beneideten Zauberkraft kommen werden.
Ob sie davon ausgeht, daß die Veranlassung zur Sünde schlimmer sei, als diese selbst, und ob sie den Bengel, der seine Hand nach einer verbotenen Frucht ausstreckt, weniger strafbar findet, als den Apfel oder die Birne, die ihn durch ihre herausfordernde Schönheit in Versuchung geführt, oder ob diese Milde nicht noch die letzte Spur einer schlecht belohnten Vorliebe ist, kann ich nicht entscheiden, da ich dies wunderliche System der Vergeltung immer nur in seinen Wirkungen und nicht in seinen Ursachen kennen gelernt habe.
Allerdings ist diese Rachsucht für alle, gegen die sie sich kehrt, in gewissem Sinne schmeichelhaft, aber es gibt eine Art von Huldigung, deren Form und Ausdauer sie durchaus zu keinem wünschenswerten Besitze machen, und ich glaube, daß meine Mutter, so wenig ich von ihrem Leben auch weiß oder vielmehr ahne, von Herzen gern manchen ihrer Reize geopfert hätte, um Frieden zu erlangen.
Nebenbei erstreckt sich dieser leidenschaftliche Abscheu meiner Tante auf alle Klassen der Gesellschaft wie auf alle Lebensalter. Findet im Dorfe eine Hochzeit statt und dringt der fröhliche Festjubel bis zu uns herauf, so ist sie außer sich, und führt ihr bei ihren seltenen Ausgängen der Zufall ein glücklich liebend Pärchen in den Weg, so ist darauf zu rechnen, daß die jungen Gatten oder Verlobten in ihrem ganzen Leben den Blick nicht mehr vergessen, der sie gestreift hat.
Wenn es nach ihr ginge, so müßten ihr Schicksal und ihr Leid allen gemeinsam werden, und mit sehr richtiger Logik fühlt sie Zuneigung, ja Zärtlichkeit und sogar aufopfernde Fürsorge nur für die Häßlichen, Mißbildeten, Vergessenen, in welchen dereinst Schicksalsgenossen zu finden sie alle Aussicht hat; unterfängt sich aber eine von ihnen, dennoch zu heiraten, so ist der Zauber gebrochen.
Solcherart ist meine Tante und solcherart sind die Gründe, aus welchen ich an ihrer Seite ein so eigentümliches Leben führen muß; was aber die Ereignisse betrifft, infolge deren ich diesem wenig liebevollen Herzen übergeben worden bin, so weiß ich herzlich wenig darüber. Soviel ich vermuten kann, hat der äußerst plötzlich erfolgte Tod meines Vaters meine arme Mutter kurze Zeit darauf ins Grab gebracht.
Da in der Familie niemand übrig war, als meine Tante Aurora – seltsame Ironie, daß man von ihren drei Taufnamen gerade diesem den Vorzug gegeben hat – so war es naturgemäß ihre Pflicht, sich der Waise anzunehmen, was jedoch bei der Art und Weise, wie sie die Erziehung auffaßte, keine allzuschwere Last für sie sein konnte. Sie kümmerte sich einfach gar nicht um mich, bis zu der Stunde, in der sie, ich weiß nicht durch was für eine Erleuchtung, die Entdeckung machte, daß in meiner kleinen Person die Erbfeindin ihre Schwelle überschritten hatte, und daß aus dem Kinde eines Tages ein weibliches Wesen werden würde. Wenn diese Erkenntnis auch vielleicht nicht der einzige Grund unsers plötzlichen Aufbruchs nach Erlan war, so müssen doch beide Motive so ziemlich in einer Stunde zum Aufblühen gekommen sein, und ich war kaum zehn Jahre alt, als ich eines schönen Morgens in diese Wildnis verpflanzt wurde, die mich, nebenbei bemerkt, damals ganz entzückte, und in der alles und jedes nach meinem Herzen war.
Hier verfloß also die nebelverhüllte Periode meiner Flegeljahre, ein Lebensabschnitt, in welchem das Auge meiner Tante mit einem Ausdruck auf mir ruhte, den man Wohlwollen zu nennen versucht wäre, wenn nicht eine gewisse ängstliche Spannung in demselben diesen Eindruck getrübt hätte. Was konnte denn auch aus dieser unreinen Haut, diesen wilden schwarzen Augen und diesen Füßen und Händen, deren Wachstum sich ins Unendliche auszudehnen schien, schließlich hervorgehen? Die Sache war entschieden fraglich.
Unglücklicherweise war das Resultat derart, wie ich angedeutet habe, und an dem Tage, da ich die letzte Schlangenhaut abgestreift, führte meine Tante mich schnurstracks ins Kloster.
Meine arme Mutter, die meine Zukunft so ziemlich vorausgesehen haben mag, hatte sich von ihrer Schwester das Versprechen geben lassen, daß ich mindestens zwei Jahre meiner Mädchenzeit in Paris verleben sollte, und die Tante hatte nun, scharfsinnig genug, diesen Ausweg entdeckt, um das der Toten gegebene Wort zu erfüllen, ohne aus ihrer Rolle zu fallen. Wortbrüchig hätte sie um keinen Preis werden mögen, davon bin ich überzeugt, aber die buchstäbliche Erfüllung ihres Gelöbnisses in eine Zwangsjacke zu kleiden, nahm sie nicht den geringsten Anstand, und bei ihr steht fest, daß ich in Paris gewesen bin und Paris gesehen habe.
Sobald die Zeit um war, erschien sie, um mich diesem weltlichen Treiben zu entreißen, und schleppte die Nichte, die keiner gewollt und die mit Gottes Hilfe in ihre Fußstapfen treten wird, nach Erlan zurück.
Dies alles vorausgeschickt, kann man sich ja denken, wie ihr mein Einfall, den Schleier zu nehmen, gepaßt hätte. Nonne, das wäre die tröstlichste Lösung aller Schwierigkeiten gewesen, da wäre ihrer kitzlichen, kratzbürstigen Eigenliebe auch kein Härchen gekrümmt worden.
Zwischen Braut- und Nonnenschleier ist kein so gar bedeutender Unterschied, und fromme Schwester und alte Jungfer stehen ganz nahe bei einander, wenn man Blumenorakel abzupft, ganz abgesehen davon, daß jedem freisteht, sich dieses Los zu wählen; denn weit anspruchsloser als ein Mann, fragt das Kloster nicht danach, wie das Lärvchen, das es der Welt verhüllt, beschaffen ist, und ich habe in den vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit das Herz meiner Tante jedenfalls inniger bewegt, als es mir in meinem ganzen bisherigen Dasein gelungen war.
Da sich aber in der Zwischenzeit, wie bekannt, mein »Beruf« als ziemlich hinfälliger und vorübergehender Natur erwiesen hatte, so war Fräulein von Dorn wohl oder übel gezwungen, meine achtzehn Jahre an ihrer Seite zu dulden, eine Nachbarschaft, die ihr so schwer zu werden scheint, daß ich unwillkürlich denken muß, sie werde von einem dämonischen zweiten Gesicht in die Vergangenheit gequält und müsse, wenn sie sich und mich nebeneinander sieht, immer an die eleganten Herrchen von Anno dazumal denken, die so gar gern mit geistreichen Worten spielten, und sich vorstellen, wie diese sich die Gelegenheit zu Vergleichen zu nutze gemacht und in ihrer bilderreichen Sprache die frische Knospe aus dem dürren, stachligen Dornbusch hätten hervorbrechen lassen.
Wenn ich auch nicht behaupten will, daß ich mich bei allem, was ich von ihr erzählt, streng an den Wortlaut gehalten habe – wenig Menschen würden sich mit solcher unbefangenen Oeffentlichkeit selbst Peitschenhiebe versetzen – so ist doch der Sinn überall ganz gewissenhaft wiedergegeben, und ich bin ehrlich überzeugt, daß ich mit Hilfe von Benediktas und meinen eignen Erinnerungen ihre Persönlichkeit in Vergangenheit, Gegenwart und, leider Gottes, sogar Zukunft ins rechte Licht gesetzt habe.
Seit unsrer Rückkehr hat das Leben hier seinen alten Gang oder vielmehr seinen alten Stillstand wieder aufgenommen, und meine Tante macht sich's zur Pflicht, jeden Tag regelmäßig Worte auszustoßen, die auf mein schuldiges Haupt fallen, wie Erdschollen auf einen Sarg, und vermittelst deren sie mir zu beweisen hofft, daß Colette eine Abgeschiedene ist und von der Mitwelt nichts mehr zu erwarten hat, als ein barmherziges de profundis!
Ich lasse ihr diesen schönen Glauben, aber » Vive Dieu«, wie unser liebenswürdiger König gesagt hat, sie soll sich vorsehen: ich bin noch lange nicht eingesargt und werde ihr davon eines schönen Tages deutliche Beweise geben.