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Drittes Kapitel

Die Herren von Huckarde

In dem Gemache, in welches der Spielmann eingetreten war, saßen also nach einer kleinen Weile, nicht eine Viertelstunde später, vier seltsame Gesellen zusammen.

Es war ein weiter und hoher Raum, dessen Fenster auf einen verwilderten Garten hinausgingen. Der Boden war mit alten Eichenholzdielen belegt, die sich an vielen Stellen geworfen hatten, wie man es nennt, und klaffende Risse zeigten. Die Wände waren unten bis zu einem Drittel ihrer Höhe hinauf mit glänzenden Fliesen oder mit Estrich bedeckt, darüber aber geweißt oder gelb oder braunrot angestrichen – es ließ sich in der Tat nicht mehr entscheiden, was ursprünglich mit ihnen geschehen war, denn der Rauch vieler Jahre, der aus dem großen Kamin geschlagen, so oft der Wind aus Südwesten dahergekommen, hatte allem, was da war, dieselbe Tünche gegeben, dem Holzwerk, den Wänden, den alten Schränken und dem Angesicht des Bewohners dieser alten Kammer oder Küche, dem ehrlichen Claus Fettzünsler, Hausverwalter der Rheider Burg.

Claus Fettzünsler war ehemals Laienbruder in der Abtei Altenberge gewesen. Er hatte das Kleid des heiligen Robert von Zisterz, das weiße Habit mit dem schwarzen Skapulier und schwarzen Gürtel getragen. Was ihn aus diesem gottseligen Berufe und aus dem stillen Klosterfrieden hinaus in die stürmische Welt getrieben, darüber hatte niemand offizielle Kunde; es war ein Geheimnis geblieben zwischen ihm und dem Herrn Prior, der ihm eines schönen Tages den Laufpaß gegeben. Nachdem Claus auf diese Weise nicht ganz verheißungsvoll und befriedigend die erste Lebensperiode beschlossen, hatte er eine zweite begonnen, über deren Einzelheiten und Wendungen ebenfalls ein gewisses Dunkel lag, welches, da Claus selber es nicht aufzuhellen Veranlassung genommen hat, bis auf diese heutige Stunde unenträtselt geblieben ist; es ist nur gewiß, daß diese zweite Lebensperiode in einer angenehmern Weise als die erste ihr Ende erreichte, dadurch nämlich, daß Claus auf vielfältiges Anhalten und nach mancherlei Gängen um Fürsprache und Empfehlung zum Hausverwalter unsers Edelhofs bestellt wurde, ein Dienst, der, wie die Dinge gegenwärtig in der Rheider Burg standen, eine vollkommene Sinekure darstellte.

Claus Fettzünsler also hatte ein verräuchertes Gesicht mit einem Paar blinzelnder Schelmenaugen darin, eine kleine Gestalt mit einem respektierlichen Bäuchlein und von besondern Kennzeichen ein Bein, das durch irgend ein bedauerliches Ereignis um die volle Beweglichkeit der Muskulatur gekommen war ... mit andern Worten, er hinkte.

In dem Augenblicke, in welchem wir die Kammer betreten, war der Hausverwalter damit beschäftigt, ein frugales Abendmahl – wenig aber gut, und das reichlich, wie er sich ausdrückte – für seine Gäste zu bereiten.

Von diesen saßen zwei, nämlich Spielberend und der Deserteur Johannes, an einem runden Klapptisch, der oben im Gemache zwischen zwei Fenstern stand. Johannes war im obern Teile des Schlosses von dem jungen Mädchen, das ihm die Anweisung eines Zufluchtsortes versprochen, zu einem solchen geführt worden, zu einem Versteck, wie er es nicht besser wünschen konnte. Sie hatte sich dann entfernt, nachdem sie ihm die Tür zum Wohngemache des Verwalters gezeigt, wo er, wie sie ihm gesagt, mit Claus Fettzünslers vorauszusetzender Genehmigung sich aufhalten könne, solange nicht außergewöhnliche Ereignisse einträten, die ihn zur Vorsicht und zur Flucht in sein Asyl oben in dem weitläufigen Gebäude mahnten.

Seitwärts unter dem Fenster, an einem mit Schusterwerkzeug bedeckten Tische, saß noch ein vierter Gast. Es war ein Mann von untersetzter Figur, einem breiten Gesicht mit auffallend großem Munde, der, wenn er lachte, sich bis an die Ohren zog, flacher Nase und Augen, die an pfiffiger Schelmhaftigkeit nichts denen nachgaben, die aus Claus Fettzünslers Antlitz leuchteten. Er saß in Hemdärmeln und war mit Nadel und Pechdraht beschäftigt, an einem Paar riesiger Schuhe die Havarien langen Gebrauchs zu beseitigen.

Der Deserteur hatte dieser Gesellschaft eben seine Geschichte erzählen müssen. Er hatte es getan in einzelnen abgebrochenen Sätzen, mit einem gewissen mürrischen Humor.

»Und nun wisset ihr alles, was euch zu wissen not tut,« schloß Johannes seinen Bericht.

»Und das ist just nicht das größte Stück von Eurer Geschichte,« sagte der Schuster lachend. »Wir sind aber nicht neugierig, Herr Sergeant. Für unsereins ist es gut, wenn er nicht zu viel weiß. Seht nur den Spielberend an. Der weiß zu viel, der arme Teufel. Nicht so viel gerade, wie er den Leuten weismacht, aber doch mehr als ihm gut ist. Darüber ist er ganz vom Fleisch gefallen und sieht ordentlich hohlwangig aus.«

»Nun, Lügenschuster,« versetzte der Spielmann, »ich habe mir sagen lassen, du seiest auch nicht immer dumm gewesen. Dazumal, als sie dich aus dem Kloster zu Altenberge fortjagten, da soll's auch nur darum gewesen sein, weil du zu viel wußtest!«

Der Lügenschuster, wie ihn Spielberend nannte, lachte wieder und diesmal hell auf, wie vor innerm Vergnügen.

»Ja, ja,« sagte er augenzwinkernd, »wir wußten allerlei, ich, der bloß Küchenjunge war dazumal, und der Claus, der heilige Mann, der einen ehrwürdigen weißen Rock anhatte und in jeder Tasche desselben ein Stück von unserm lieben Herrgott. Wir hatten dazumal ein kleines Kompaniegeschäft, bei dem sich Klaus aber besser stand als ich. Er stahl die Weinflaschen aus dem Keller und machte andere Streiche, und hernach, wenn's auskam, mußte ich die Ausreden erfinden.«

»Also Ihr wart dazumal schon der Lügenlieferant, Matthis?« warf Spielberend dazwischen.

»Jugend hat keine Tugend,« fiel lächelnd Claus Fettzünsler ein.

»Nun, das Alter auch nicht immer,« sagte hier der Deserteur, »das werdet ihr wohl bei euern Klosterherren gemerkt haben!«

»Ja, wir merkten so allerlei,« versetzte Fettzünsler kopfnickend.

»Weißt du noch, Claus, wie wir die leeren Tonnen über den Hof rollen mußten?« fragte Matthis, der Schuster.

Claus Fettzünslers Lächeln ging in ein stilles Kichern über.

»Und was war mit den leeren Tonnen?« fragte Spielberend.

»Nun, sie waren leer und' es war doch etwas darin ...«

»So erzähl' einmal die Geschichte, Matthis, aber lüg' nichts hinzu!«

»Es war einmal ein Abt,« begann der Lügenschuster, »der war ein fröhlicher, lebenslustiger Herr, aber darum nicht minder immer in Span und Händeln mit den Herren vom Konvent, wie das nun einmal für ein rechtschaffenes Kloster ehemals so herkömmlich und gebräuchlich war, wenn es auch nicht immer so scharf herging wie dazumal unter dem Abt Johann von Schlebusch, der von den Mönchen wegen seiner Ueppigkeit abgesetzt und zum Nonnenbeichtvater am Kloster Liebesberg gemacht wurde, wo er sich nachmals durch treue Pflichterfüllung ausgezeichnet haben soll. Unser besagter hochwürdiger Herr Abt hatte nun eines Tags einen Besuch von einem Paar recht hübschen jungen Damen; was sie bei ihm wollten, das weiß ich nicht, wenn Fettzünsler es nicht etwa weiß, der hatte dazumal die Aufwartung im Abteihaus und stand sehr in Gnade bei dem Herrn und mag mehr darüber sagen können. Ich denke, es waren ein Paar reuige Sünderinnen, die gekommen, dem frommen Herrn ihre kleinen unschuldigen Uebeltaten zu beichten. Muß auch wohl so sein, daß sie sich dabei auch ein wenig schämten, und daß sie darum so still und behutsam bei Nacht und Nebel gekommen waren. Denn es wußte niemand, daß sie da waren, bis auf ein paar schlaue Herren im Konvent; die erfuhren es – weiß unser Herrgott, wie sie's ausspioniert hatten. Nun wußte es aber auch bald der ganze Konvent und der Konvent fing alsbald an, den Abteibau mit spähenden Augen zu belagern Tag und Nacht. Sie wollten durchaus die Freude haben, die beiden jungen Damen mit ihren erleichterten Gewissen abziehen zu sehen. Se. Hochwürden, der Herr Abt, bekamen aber auch bald Wind von der Sache, und wer nun nicht erschien, um sich den schadenfrohen Herren Konventualen zu zeigen, das waren die schönen Sünderinnen. Das dauert eine Weile so, bis den zweiten Tag gegen die Abendzeit, wo es zu dämmern beginnt. Da öffnen sich sänftiglich die beiden Klappen über der Kellertreppe an der Abtei, und herauskommen der gute Fettzünsler und meine Wenigkeit, der fromme Matthis, und wir rollen ganz sacht und lässig jeder eine Tonne herauf und dann vor uns her über den Klosterhof, dem Tore zu.

»Eine Weile geht das nun gut, und wir sind schon dicht an der Brücke, die vor dem Klostertore über den Bach führt. Siehe, da kommt der gottselige Mann, der Pater Kellner daher und fragt uns ganz demütiglich: Wohin wollt ihr denn mit den Tonnen, lieben Leute?

»Ehrwürdiger, sag' ich, wir sollen die Tonnen nach dem Vorbau bringen, wohin alsbald der Fuhrmann sie abzuholen kommen wird. Der Herr Abt hat es uns also befohlen

.

»So, sagt der Pater Kellner, sollen sie abgeholt und wieder gebraucht werden? Es ist recht, Matthis, aber sie werden leck geworden sein. Sie müssen erst ins Wasser, damit sie quellen, die trocknen alten Fässer; sonst werden sie lecken. Rollt sie mir einmal da in den Bach hinein, lieber Matthis.

»Um Gottes willen, Ehrwürden, sagte nun Claus Fettzünsler erschrocken, in den Bach dürfen wir sie nicht werfen – dann, dann ...

»Nun, was dann, guter Bruder Nikolaus?

»Dann schwimmen sie weg, sag' ich, da ich sehe, daß Fettzünsler nichts Besseres einfällt.

»Die schwimmen nicht weg, sagt der Pater Kellner, und indem legt er selbst Hand an die eine Tonne und gibt ihr einen derben Stoß, das Bachufer herunter.

»In demselben Augenblick aber läßt sich ein wundersames Gekreische aus dem Innern der Tonne hören und gleich darauf zetert und schreit es auch aus der zweiten Tonne heraus – ganz kläglich und erbärmlich. Ich springe der Tonne nach und halte sie an, noch ehe sie ins Wasser geplumpst ist, und der Pater Kellner sagt ganz stille lächelnd: Ei, ei, es will mich bedünken, als ob aliquid vivum in den Tonnen stäke. Unser hochwürdiger Vater und Abt hat vielleicht ein Wunder getan und in seinen leeren Fässern ein Paar Schutzengelchen verspunnt, daß sie sie ihm hüten!

»Und dabei schlägt er mit der Faust den obern Deckel der Tonnen ein, der nur ganz lose eingesetzt war, und heraussteigen mit blutrotem Gesicht und wütenden Mienen die beiden verspunnten Schutzengel des Abts.

»Richtig, so ist es! sagt der Pater Kellner ganz ruhig. Daß aber die andern Konventsherren auch nicht weit waren, könnt ihr euch denken, und wie sie herbeistürzten und welchen Skandal es gab!«

Spielberend lachte, auch der Deserteur ließ ein Lächeln über seine ernsten Züge gleiten.

»War es dazumal, daß ihr beiden aus dem Kloster weggejagt wurdet?« fragte der Spielmann dann.

»O noch lange nicht,« versetzte der Lügenschuster. »Wir sind noch lange dageblieben und haben noch lange in der Klosterschule gelernt, bis wir endlich eben zuviel wußten und um die Ecke gebracht wurden. Nicht wahr, Fettzünsler, wir haben noch mehr erfahren?« setzte er lachend hinzu.

Claus Fettzünsler bestätigte des Lügenschusters Versicherung mit einem wiederholten lebhaften Kopfnicken, und während er an seinen Töpfen tätig blieb, ließ er allerlei einzelne Worte fallen, welche ebensoviele Andeutungen an alte gemeinsam erlebte Geschichten waren und jedesmal den Schuster hell auflachen machten. Weniger anziehend war diese hieroglyphische Art der Unterhaltung für den Spielmann und den Deserteur, welcher letztere namentlich es bedeutend vorgezogen haben würde, wenn das Gespräch eine Wendung genommen hätte, die ihm erlaubte, sich über den Ort, wo er sich befand und über die Verhältnisse der jungen Dame zu unterrichten, welche seine Helferin geworden.

»Und seit Euch um all der Späße wegen, davon Ihr redet, die Mönche weggeschickt haben,« sagte er endlich zu dem Schuster gewendet, »seid Ihr hier in diesem alten Kastell Hofschuster geworden?«

»So etwas,« antwortete Matthis. »Ich komme alle Vierteljahr einmal, um zu sehen, was bei Freund Claus neu zu besohlen ist.«

»Ihr wandert also aufs Handwerk?«

»Nach Landesbrauch.«

»Und wenn das der Matthis nicht könnte, wie hielt er's dann aus,« fiel der Spielmann ein, »wenn er nicht seine Geschichten von Haus zu Haus tragen könnte, so wüßte er ja nicht zu bleiben damit!«

»Weiß er denn, wenn er solch ein Geschichtenerzähler ist, nicht auch eine Geschichte von diesem Hause hier?« fragte Johannes. »Es sieht wohl danach aus, als ob etwas drin vorgefallen sein könnte!«

»Es ist auch schon mancherlei drin vorgefallen,« versetzte der Schuster, »aber das gehört in Spielberends Fach mehr als in meins. Ich habe die lustigen Geschichten lieber, und er die, wobei's einem die Gänsehaut zusammenzieht.«

»Und solche Geschichten sind hier vorgefallen?«

»Er lügt wieder, der Schuster,« versetzte der Spielmann, »er lügt eben alles, was er sagt. Er hat noch von der Pfalzgrafenzeit her ein Privilegium darauf.«

»Wem aber gehört es denn, das alte Kastell hier, und weshalb ist's so verfallen und verlassen?« fuhr der Deserteur fort.

»Ja, wem gehört's! Claus Fettzünsler, weißt du's?«

Claus Fettzünsler schüttelte den Kopf.

»Den Herren Franzosen wird's wohl gehören,« sagte er, »denen gehört ja jetzt alles, was sie gebrauchen können.«

»Soviel ist wenigstens gewiß, wenn's denen nicht gehörte, so würde es dem Herrn Ritterhausen oder der Mamsell Sibylle gehören,« sagte der Schuster, »Sie sollen gewaltig darüber ausgewesen sein, es zu kaufen, als der alte Herr von Huckarde den Hals gebrochen hatte und sein Sohn so plötzlich verschwunden war.«

»Den Hals gebrochen – plötzlich verschwunden,« fiel der Deserteur ein, »könnt Ihr denn nicht erzählen, wie das zugegangen ist? Mir deucht, es ist ebenso unterhaltend, wie Eure alten Klostergeschichten.«

»Wie es zugegangen ist – ja, Kamerad, um das zu erzählen, müßte man's eben wissen,« sagte Fettzünsler.

»Und wißt Ihr's auch nicht?« wandte sich Johannes an den Spielmann.

»Was ich davon weiß, will ich Euch sagen,« antwortete dieser. »Seht, es war ein alter Herr von Huckarde hier im Lande, der hatte hübsche Güter gehabt, und es waren immer angesehene, vornehme Leute gewesen, die Huckarde. Aber sie hatten wohl in alten Zeiten, schon zu Kurfürst Johann Wilhelms Tagen, immer mehr Geld gebraucht, als sie einnahmen, und waren auf diese Art in ihrem Wesen zurückgekommen. Unser Herr von Huckarde hatte dazu auch schlechte Zeiten erlebt, viel Mißwachs und Hagelschlag auf seinen Feldern und eine kränkliche Frau, die sich der Wirtschaft nicht annehmen konnte, und so war er immer tiefer hineingeraten und hatte endlich alle seine andern Güter verkauft, um herauszukommen, und nur die Rheider Burg, wo seine Voreltern seit undenklichen Jahren darauf gesessen, die hatte er behalten. Da wohnte er nun still und ruhig, wie er denn ein in sich gekehrter Mann war, der von Welt und Menschen nicht viel hielt und zufrieden war, wenn man ihn in Frieden ließ. Seine Frau starb hier in der Burg, und er war nun ganz allein mit seinem einzigen Sohne Robert, der ein wilder, kecker Junge war und ihm viel Geld kostete, solange er ihn auf Schulen und auf Reisen draußen hatte. Das ging aber nicht lange so fort! der Robert mußte heimkehren und schlug nun unserm Herrgott die liebe Zeit tot, hier bei dem Alten auf der Burg.

»Nun liegt dort unten am Wasser der Hammer, den Ihr wohl gesehen habt, der Rheider Hammer, der dem Herrn Ritterhausen gehört, und der Hammer ist gebaut auf Grund und Boden der Burg, in alten Zeiten schon. Der Hammer mußte auch alljährlich an den Herrn von Huckarde einen Kanon zahlen oder Grundgeld, wie man auch sagt, zehn Taler bergisch Geld.

»Als nun der Ritterhausen einmal hier oben bei dem alten Herrn ist, um seinen Kanon zu bezahlen, sagt ihm der von Huckarde: Mein lieber Ritterhausen, wie werden wir es nun halten, wenn die Hammerbesitzung, die Sie von uns in Erbpacht haben, mit Ablauf der nächsten Jahre pachtlos wird und an mich zurückfällt?

»Pachtlos wird? Zurückfällt? antwortet Ritterhausen verwundert. Sie irren sich, Herr von Huckarde, der Hammer ist mein und hat seit undenklichen Jahren meiner Familie gehört. Aber weil er in Olims Zeiten auf herrschaftlichem Grund und Boden erbaut ist, so zahlt er ein Grundgeld an die Burg, das ist alles.

»Der alte Herr aber schüttelt den Kopf und sagt: Nicht also, mein lieber Nachbar, ich kann Ihnen aus meinen Papieren beweisen, daß vor nunmehr beinahe hundert Jahren der Hammer den Ritterhausen in Pacht auf hundert Jahre gegeben ist. Ist die Zeit abgelaufen, so trete ich wieder in meine vollen Eigentumsrechte ein. Es versteht sich, daß ich Ihnen nicht die Besitzung zu entziehen gedenke, wir werden uns schon einigen darüber. Nur gedenke ich eine Pacht auf kurze Zeit eintreten zu lassen, und zehn Taler bergisch sind heutzutage kein billiger Satz für eine solche Besitzung mehr; dem werden Sie nicht widersprechen.

»Ueber diese Worte des Herrn aber wird mein Ritterhausen ganz rot vor Zorn im Gesicht und wehrt sich aus Leibeskräften dawider, daß sein Haus und Hof und Hammerwerk nicht sein eigen sein solle; und endlich gehen beide in Zorn auseinander. Ritterhausen geht sogleich zum Advokaten und nun beginnen beide einen Prozeß, einen schweren, langen Prozeß, der Geld und Verdruß vollauf kostet und lange Zeit nicht weiter rückt. Endlich gewinnt der alte Herr auf der Burg den Prozeß. Er bekommt ein Urteil heraus, gegen das Ritterhausen nichts mehr machen kann. Und was nun das Schlimmste ist für Ritterhausen, der alte Herr hat bei all dem Aerger und all den Kosten, die ihm der Mann vom Hammer gemacht, den Koller gekriegt und hat geschworen und gelobt, nun solle der Ritterhausen herunter von dem Hammer, sobald seine Zeit um sei, und solle nicht darauf bleiben, wenn er auch zehnmal mehr Pacht biete als jeder andere; lieber wegschenken wolle er das ganze Anwesen, als den Ritterhausen darauf lassen!«

»Der arme Herr,« fiel hier Claus ein, »der hatte schon damals nicht viel mehr wegzuschenken, aber genug zu tun, um sich die Juden vom Hals zu halten. Der Prozeß hatte ihm arg viel Geld gekostet!«

»So war es,« fuhr der Spielmann fort, »und so standen die Dinge, und die Zeit war nahezu da, daß der Ritterhausen den Hammer hätte räumen müssen. Wer aber keine Anstalt dazu machte, das war der Mann vom Hammer. Er ließ sein Geschäft fortgehen nach wie vor, er hielt die Gebäude in Ordnung, wie er immer getan, reparierte, wo etwas schadhaft war und kaufte Vorräte von Kohlen und Erz und was er sonst brauchte, als ob er nicht daran dächte, den Hammer zu verlassen. Auch soll er wohl manchmal, wenn ein guter und vertrauter Freund bei ihm von der Sache zu reden angefangen – denn ein anderer hätte darüber nicht das Maul aufzutun gewagt, es war niemals gut Kirschenessen mit dem Ritterhausen, auch vorzeiten nicht, wo er noch nicht wie ein verdrießlich Häufchen Unglück, von der Gicht geplagt, vom Morgen bis zum Abend in seinem Sessel lag – also, wenn einer davon angefangen, soll er wohl gesagt haben: Meine Voreltern sind geboren und gestorben auf dem Rheider Hammer und gerade so gedenke auch ich zu tun, zu sterben darauf, wie ich darauf geboren bin!

»Nun wohl, eines Abends – es ist im Novembermonat gewesen und es hat bereits angefangen zu dunkeln, so zwischen drei und vier, wo man an nebligen Tagen schon daran denken muß, daß man heimkommt, wenn man draußen einem Gewerbe nachgegangen ist; da kommt ganz unvermutet der Ritterhausen den Bergweg dahergestiegen, geht in die Burg und fragt nach dem Herrn. Der Herr ist wohl verwundert ob dem Besuch, er läßt erst zusehen, ob der junge Herr, der Robert, daheim ist, und den läßt er zu sich rufen, und dann mag der Ritterhausen zu ihm in seine Wohnstube da oben kommen.

»Was die nun zusammen geredet haben, das weiß der liebe Gott. Lange haben sie gesprochen, oft still und ruhig, oft laut und hitzig – so viel weiß Claus Fettzünsler; denn der hat sicherlich, darauf könnt Ihr Euch verlassen, hinter irgendeiner Ecke gestanden und zugehört. Was sie aber eigentlich gesprochen haben, davon weiß er doch nichts Rechtes ...«

Claus verzog hier seinen Mund zu einem bedeutungsvollen Lächeln und nickte ganz eigentümlich mit dem Kopfe.

»Ihr habt doch etwas gehört, Claus?« fragte Spielberend. »Nun so rückt damit heraus, alter Fettzünsler, ehe Ihr damit in die Grube fahrt, was nicht lange dauern kann, wenn Ihr fortfahrt, so schwere fette Pfannkuchen zu essen, wie Ihr da just einen vom Feuer nehmt!«

»Verstört Claus in seiner Bäckerei nicht, der hat einen Klostermagen und davon versteht ein herumstrolchender Spielmann, wie Ihr, nichts,« fiel der Lügenschuster ein. »Aber nun sag', wie es denn war, Claus!«

»Sie sprachen anfangs trutzig von Geld,« versetzte Claus, »und dann kam es mir vor, als hätte der Ritterhausen einen sehr höflichen Ton gegen den alten Herrn angenommen und ihm zu etwas zugeredet; von Verkaufen fielen dabei Worte! aber ob er ihm die ganze Rheider Burg oder nur den Hammer verkaufen sollte, das weiß ich nicht. Endlich sprachen sie wieder hitzig und laut, und nach einer Pause mischte sich Robert hinein und sprach lange und dann endlich ging die Tür auf und der Ritterhausen kam heraus und der junge Herr begleitete ihn höflich bis an die Treppe, und da schieden sie voneinander, als wenn alles in Richtigkeit wäre. Das ist, was ich von der Sache weiß, nicht mehr und nicht minder.«

»Ist der Ritterhausen reich?« fragte Johannes.

»Er hat wenigstens mehr als der alte Herr von Huckarde jemals besessen hat,« antwortete der Spielmann.

»Nun, dann könnte ich mir schon einen Vers darauf machen, was die drei untereinander gesprochen haben,« bemerkte der Deserteur.

»Und was denn?« fragte Claus.

»Der Ritterhausen hat entweder dem Baron vorgeschlagen, er solle ihm den Hammer verkaufen. Oder er solle ihm seine ganze Rheider Burg verkaufen. Oder er ist so schlau gewesen und hat einen hübschen Posten von des Barons Schulden an sich gebracht und ihm eröffnet: Nun nimm dich in acht, daß du mich nicht von dem Hammer treibst, denn alsdann fordere ich Bezahlung meiner Schuldforderung von dir!«

»Es mag wohl so sein, Kamerad, es mag so gewesen sein,« versetzte der Spielmann. »Aber nun hört, wie es weiter gegangen ist. Noch an demselben Abend kommt der Baron in seinen Mantel gewickelt aus seinem Zimmer heraus und geht, mit einer Laterne in der Hand, ganz mutterseelenallein, der alte Mann, hinten zur Burg hinaus und den Burgweg hinab, als wenn er zum Hammer wolle. Der junge Herr ist auf seinem Zimmer gewesen, die Leute sind hier in der Gesindestube, und nur einem Knecht ist er draußen vor der Turmtür begegnet, der hat ihm die Laterne abnehmen und ihm leuchten wollen, aber er hat ihn zurückgeschickt, er finde den Weg schon allein. Der ist aber stehengeblieben, um zu sehen, wohin der alte Herr ginge, und so hat er gesehen, daß er den Bergweg nach dem Hammer eingeschlagen hat. Wohin hätte er auch sonst gehen können! Nun ist er aber auf dem Hammer niemals angekommen. Er hätte auch den Ritterhausen dort gar nicht gefunden; der ist erst viel, viel später heimgekommen, und kein Mensch weiß, was er draußen in der Nacht getrieben hat ...« »Der alte Huckarde ist niemals wieder heimgekommen,« fuhr Spielberend fort, »weder die Nacht noch den andern Morgen; und am Nachmittage hat man ihn gefunden zwei Stunden von hier unterhalb in der Wupper, eine große Wunde hinten am Kopf.«

»Kuriose Geschichte,« sagte der Deserteur nach der stummen Pause, die beim Schlusse von des Spielmanns Geschichte entstanden war, »er hatte eine Wunde am Kopf? Und wie sah die aus?«

»Blutig und schrecklich genug,« fiel Claus ein, »Ich habe sie gesehen, als man die Leiche herauf, hier ins Haus brachte. Auf dem großen Saale oben hat sie gestanden.«

»Aber,« fuhr Johannes fort, »konnte man denn nichts daran sehen, an der Wunde, wie sie wohl entstanden war?«

»Die gutmütigen Leute,« versetzte Claus, »sagten, der alte Herr sei ins Wasser gestürzt in der Dunkelheit und dabei sei er mit dem Hinterkopf auf einen Stein oder eine Felskante aufgeschlagen.«

»Und die nicht gutmütigen meinten wohl, er habe sich selber hineingestürzt ins Wasser?« fragte der Deserteur, indem er Claus und Spielberend, einen nach dem andern, bedeutsam anblickte.

»So war es, Kamerad,« sagte der Spielmann.

»Und die bösen – die sagten wohl noch etwas anderes?«

»Kann sein,« erwiderte Claus Fettzünsler, »aber,« fügte er mit seinem schlauen Blinzeln hinzu, »wer wollte nachsagen, was böse Leute sagen?«

»Und die Gerichte,« fuhr der Deserteur fort, »sagten die nichts?«

»Die Gerichte? Nun, dazumal waren wir noch in der guten bergischen Zeit und die Gerichte waren nicht wie heute. Man ließ noch Gottes Wasser über Gottes Land laufen. Auch rief sie keiner herbei. Der Mann ist verunglückt, hieß es eben. Der junge Herr Robert beweinte und begrub seinen Vater stattlich und mit allen Ehren, und als das geschehen war, ging er zum Hammer hinunter und dort verlangte er Mamsell Sibylle Ritterhausen zu sprechen. Die beiden haben dann eine lange Unterredung miteinander, gehabt, zwei, drei Stunden lang, und dann ist er heimgekehrt mit düsterer Stirn und einem Gesicht, daß niemand gewagt hat, ihn anzureden; und so hat er sich seine Sachen zusammengepackt und hat sein Pferd satteln lassen und ist denselbigen Abend noch fortgeritten der Wupper nach und in die Welt hinein, und es hat niemals jemand wieder etwas von ihm gehört.«

»Was ist denn nun hernach aus der Sache geworden, aus dem Hammer, den Ritterhausen und der Burg?«

»Was die Burg angeht,« nahm Claus das Wort, »so ist sogleich ein Konkurs ausgebrochen über des alten Huckarde Nachlaß; und die Rheider Burg hat schon in dem Amtsblatt gestanden, wie daß sie sollte öffentlich meistbietend bei brennendem Licht verkauft werden, und der Herr Ritterhausen hat sie kaufen wollen und schon sein Geld dazu parat gemacht, als könnte sie ihm nicht entgehen; da ist auf einmal die kurpfälzische Regierung dazwischen gekommen und hat gesagt, die Rheider Burg sei ein landesfürstliches Lehn, und weil kein Erbe sie zu muten gekommen, so werde sie als heimgefallen betrachtet, und so hat die Regierung über die Schulden, die darauf hafteten, mit den Gläubigern sich in Verhandlungen begeben und ihnen fürs erste die Einkünfte zugewiesen, aber die Burg ist kurfürstlich geworden. Und den Herrn Ritterhausen hat der Kurfürst ruhig auf seinem Hammer gelassen gegen den alten Kanon, und das hat gedauert bis die Franzosen gekommen sind. Da ist die Rheider Burg großherzogliche Domäne geworden und der Ritterhausen hat nach den neuen Gesetzen das Erbpachtswesen von seinem Hammer ganz ablösen und abkaufen können und nun ist der Hammer sein und ich denke, der Teufel selber bringt ihn nicht herunter.«

»Wenn er ihn nicht holt!« fiel hier lachend der Lügenschuster ein, »anders wohl nicht!«

»Nun wißt Ihr die ganze Geschichte, Kamerad,« sagte Spielberend.

»Ich danke Euch für Eure Geschichten,« versetzte Johannes; »um einem die Zeit vom Einrühren des Pfannkuchens bis daß er gar ist, zu vertreiben, sind sie nicht schlecht.«

»Und gar ist er,« sagte Claus Fettzünsler, »und jetzt, Mannen, langt zu und laßt ihn nicht kalt werden.«

Der würdige Hausvater hatte, während der Erzählung in der Küche hin und her hinkend, den Tisch, an welchem Spielberend und Johannes der Deserteur saßen, gedeckt, mit zinnernen Tellern und einer reichlich gefüllten Salatschüssel besetzt, Schwarzbrot und Butter dazugestellt und nun das Ganze mit seinem duftenden, noch zischenden Eierkuchen gekrönt. Der Deserteur wartete keine zweite Einladung ab, namentlich da er auch den Schuster Matthis in kriegerischer Stimmung zum Angriff anrücken sah. Spielberend aß wenig und zwischen Johannes und Matthis schwankte die Palme der umfassendsten und erfolgreichsten Leistung, zu deren Unterstützung Claus Fettzünsler wesentlich durch einen rundbäuchigen Krug voll guten Gerstensaftes, den er aus einem Wandschrank hervorholte, beitrug.


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