Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Einundzwanzigstes Kapitel

Beilagen und Dokumente

Wir stehen am Schlusse unserer Erzählung, aber wir beabsichtigen nicht, diese mit so viel Fleiß und Forschertreue ausgearbeitete Geschichte ohne die urkundlichen Belege und Beilagen herauszugeben, die zu einem historischen Werke gehören und mit diplomatischer Gewißheit alle Behauptungen des Historikers rechtfertigen.

Das erste dieser Aktenstücke ist eine Urkunde, worin Gebharde Reichsfreifrau von Averdonk, geborene Freiin von Stovelar zu Dudenrode, »wol bedachten Muths und Selbstwillkürlichen Willens, ganz ungetrungen und ungezwungen« ihre sämtlichen Güter auf ihren Neffen Franz von Ardey überträgt, zedieret und transponiert, mit Vorbehalt jedoch des Nießbrauchs für sich und ihren Gatten Lactantius von Averdonk, solange einer von ihnen lebt, von Haus und Herrschaft Dudenrode mit sämtlichem Zubehör – »alles ohne Arglist und sonder Gefährde«.

Das zweite Aktenstück ist ebenfalls von der Hand Gebhardens und ihres gutmütigen Gatten Lactantius gezeichnet. Es überträgt ein großes Haus mit Garten und Nebengebäuden, liegend hinter St. Georg binnen Köln, erb- und eigentümlich, auch unwiderruflich an den Herrn von Ripperda, Jägermeister außer Diensten des Grafen von Ruppenstein.

Beide Urkunden sind geschrieben von einer und derselben etwas unbehilflichen Hand, deren grobe auseinander fahrende Züge darauf zu deuten scheinen, daß der Mann, der sie geführt, sich dabei ein wenig ratlos gefühlt, wohin mit ihnen, so daß der eine Buchstabe hierhin, der andere dorthin geschossen ist, der eine auf dem Rücken, der andere auf der Nase zu liegen scheint. Dieses Phänomen wird sich auf der Stelle aufhellen, wenn wir erfahren, daß es niemand anders ist als der wackere, nach unparteiischer Gerechtigkeitpflege dürstende Vogt von Elsen, welcher die Schriften aufgesetzt hat. Sollte dabei etwas verfehlt und nicht ganz dem Kurialstil gemäß sein, so wird uns auch dieses nicht befremden; denn der Vogt hat leider die Arbeit anfertigen müssen, ohne seinen getreuen Schilling dabei zu Rate ziehen zu können. Denn Schilling ist nach wie vor vielgeplagter Vogteidiener und Amtsbote zu Elsen. Sein Vorgesetzter aber ist auf Franz von Ardeys Veranlassung allen seinen Drangsalen dadurch entzogen, daß er zum Justitiar oder Patrimonialrichter auf Dudenrode bestellt ist, wo er äußerst wenig Arbeit und ein reichliches Auskommen hat, so daß er nicht mehr genötigt ist, eine Gerechtigkeit zu handhaben, wie sie, das Jahresquantum mit zweihundert Talern berechnet, nun einmal nicht besser verabfolgt werden kann.

Ganz anders als die vorherigen nimmt sich unser drittes Dokument aus. Es ist ein allmächtig großes Blatt mit einer höchst feierlichen Überschrift, höchst feierlichem Inhalt und höchst feierlichem großen Siegel darunter. Der Inhalt besteht fast nur aus lauter Reihen von ganz groß gedruckten und, wie auf lateinisch dabei versichert wird, außerordentlich berühmten und gloriosen, uns freilich doch unbekannten Namen! Ziemlich tief unten nur findet sich ein Name, den wir desto besser kennen: er lautet Christophorus Hubertus Bender; und was dann noch folgt, besagt, in ehrliches Deutsch übertragen, daß dieser ausgezeichnet talentvolle Jüngling nach glänzend bestandenem Examen zu der unvergleichlichen Würde eines Doktors der Medizin, Chirurgie und der obstetrizischen Kunst promoviert sei zu Bonn, am 17. August des Jahres 1796.

Dieses feierliche Dokument lag eines schönen Morgens aufgerollt auf dem Tische in dem Studierstüblein des würdigen Professors Bracht, den auch die bösen Zeitläufe mit der ganzen alma und tricoronata mater, der ehrwürdigen, einst so großen und glänzenden kölnischen Universität, außer Dienst gesetzt haben, und der nie wieder als »Dominus Promotor« oder gar als »Ordinis Medicorum pro tempore Decanus« auf einem so feierlichen Blatte prangen wird! Trotzdem hat Professor Bracht seine herzliche Freude an dem saubern Diplom und gibt sich nebenbei alle Mühe zu verhüten, daß Drickeschen und Billchen, welche in seinem Zimmer ihre kindlichen Spiele treiben, mit ihren Händen darauf herumfahren und so seine fleckenlose Reinheit gefährden, wozu sie eine unwiderstehliche Lust an den Tag legen. Aber nicht allein die beiden lärmenden Sprossen des Professors, auch sein ältestes, jetzt bereits hoch aufgeschossenes und in voller Entwickelung ihrer schon so früh sich ankündigenden Verständigkeit stehendes Töchterchen Nieschen ist da, sich mit Zärtlichkeit anschmiegend an eine andere junge Dame, eine schöne, vollblühende Gestalt, die wir doch im ersten Augenblicke nicht erkennen, weil ihr Kostüm so ganz verschieden ist von dem, in welchem wir sie zuletzt erblickten. Es ist Traudchen Gymnich, und Traudchen Gymnichs Anzug verrät, daß sie in tiefer Trauer sei. Die Sache ist jedoch nicht gerade zum Erschrecken. Es ist niemand anders, um den sie trauert, als der Ohm Gymnich, der vor zwei Monaten zu seinen Vätern heimgegangen ist, mit schwerem Haupt und lallender Zunge, und über die Bedeutung dieses Schrittes nicht mehr im klaren, wie er denn überhaupt in seinem letzten Lebensjahre nicht recht mehr imstande war, von dem Zusammenhange der Verhältnisse hier auf Erden sich eine genaue und zutreffende Vorstellung zu machen; und deshalb hat denn auch unter seinen Mitbürgern sich keine einzige bedauernde Stimme gefunden, die es dem Manne verdacht, daß er gegangen, die ewige Klarheit aufzusuchen. Darum ist Traudchen in dem schwarzen Traueranzuge, in welchem, nebenbei gesagt, Hubert sie mit Entzücken sieht, weil er so vorteilhaft ihre schöne Gestalt heraushebt; denn Ohm Gymnich war doch ihr nächster Verwandter, der sie aufgezogen hat, so gut er's verstand, und der ehrlich ihr kleines Vermögen verwaltete, ohne es zu beeinträchtigen und zu schädigen. »Und nun, Traudchen,« sagte der Professor Bracht, indem er das Papier zusammenrollte und es Traudchen, die es ihm gebracht, wieder übergab – »nun hoffe ich bald zu einer fröhlichen kleinen Feier im größten Saale eures alten Hauses geladen zu werden!«

»Freilich wirst du eingeladen, Papa,« fiel hier Nieschen, wie um den alten Heim über diesen Punkt freundlich zu beruhigen, ein – »denn ich, ich werde ja Traudchens Brautjungfer – nicht wahr, Traudchen, ich werd's?«

Traudchen nickte errötend ihr die Bejahung zu, und zu dem Professor gewandt, sagte sie: »Ich weiß nicht, ob es in dem großen Saale sein wird – ich mag das alte Haus nicht leiden, es ist mir so unheimlich darin! Aber Hubert wird darüber entscheiden, wenn er in diesen Tagen von Bonn zurückkehrt. Wenn's nach meinem Sinn geht, werden wir auch gar nicht darin wohnen. Ripperda hütet's schon, und dem behagt es in den großen Gemächern vortrefflich – die zwei obern Stockwerke aber sollen vermietet bleiben, wie sie jetzt sind, der Herr von Ardey mit seiner jungen Frau wird das eine beziehen, wenn sie den Winter in die Stadt kommen – und Hubert und ich, wir werden schon Platz finden in dem Vorbau, den ich aufs schönste und freundlichste habe herrichten lassen. Kommen Sie nur und sehen Sie sich's an, Professor ... und nun, nun muß ich machen, daß ich fortkomme, sonst werde ich gescholten!«

»Gescholten? Von wem?« fragte Bracht.

»Nun, von Herrn Stevenberg, dem Maler – wissen Sie nicht, daß er verlangt hat, uns beide als Brautleute zu malen, den Hubert und mich? Der Hubert ist wunderschön getroffen, der ist schon fertig, und mich malt er jetzt, in meiner Marketenderinnentracht.«

»Ei, das ist ja prächtig, Traudchen,« sagte der Professor – »der treffliche Stevenberg!«

Der treffliche Stevenberg – lieber Leser, wir wollten, wir könnten dies mit derselben Aufrichtigkeit von dem Manne und seiner Malerei sagen, wie Professor Bracht es ausrief. Wir hätten dann die Freude, außer unsern drei Aktenstücken dir noch in sauberer Lithographie nachgebildet die Porträts unseres Helden und unserer Heldin als Titelkupfer übergeben zu können. Allein so groß unser Wunsch war, diese großmütige Idee auszuführen, so mußten wir doch bei näherer Prüfung der beiden auf uns gekommenen Meisterwerke des Herrn Stevenberg Anstand nehmen den Gedanken ins Werk zu setzen. Wir befürchteten nämlich, beim Anblicke von Traudchens Porträt würde in dir unvermeidlich die Vorstellung einer heraldischen Seejungfrau mit grünen Augen und Schilfhaar, und beim Anblicke von Hubert Benders Konterfei ebenso, unvermeidlich der Gedanke an einen richtigen mähnesträubenden Wappenlöwen erweckt werden. Und solche Bilder entsprechen doch hoffentlich nicht den Idealen, welche wir so beflissen gewesen sind, in deiner Phantasie wachzurufen von dem tapfern Studenten und der entschlossenen Marketenderin von Köln.


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