Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Achtes Kapitel

Katharina war während der ersten Stunden ihrer Reise in einer Aufregung, die sie wenig zu besonnener Ueberlegung ihres Schrittes kommen ließ. Endlich hatte sie wenigstens einen sichern Faden aus dem Gewebe in ihre Hand bekommen, das sie irgendwo geschlungen und verborgen ahnte, ohne bis jetzt die geringste sicher leitende Spur entdecken zu können. Daß Bernhard ein geretteter Erbe der Schemmeys sein könne, hatte ihr eine Art innerer Eingebung gesagt, in derselben Stunde, in der sie das Geschick dieser Familie ihm selbst erzählt hatte. Die alte Margret war plötzlich mit ihm von Bechenburg abgezogen, nachdem Herr von Driesch Verbindungen derselben mit dem jetzigen Besitzer der Schemmeyschen Güter – einem Menschen, der in dem Rufe stand, zu allem fähig zu sein – entdeckt hatte. Dies hatte Katharina durch das Gerücht erfahren; ihre geheimen Nachforschungen, wohin sie sich gewandt habe, waren ohne Erfolg geblieben. Bei diesem Verschwinden Bernhards hatte Katharina zu ihrer Bestürzung wahrgenommen, welche leidenschaftliche Kraft ihre Neigung zu ihm genommen; eine Neigung, die so unglücklich war, daß sie sich schuldig zu sein glaubte, mit aller Macht ihrer Seele dagegen anzukämpfen. Diese Macht war groß genug gewesen, um ein Frauenherz mit dem Gefühle bodenlosen Betrübtseins niederzuhalten, aber nicht es zu besiegen. Sie hatte eine unglückliche Zeit durchlebt; eine Zeit der unglückseligsten Halt- und Ratlosigkeit, wie sie einem Hauptabschnitt der inneren Geschichte so mancher Menschenbrust sein Gepräge gibt. Es ist immer dieselbe Geschichte, welche nichts Ungewöhnliches, aber desto mehr Trauriges hat; sie hatte das Gefühl innerer Berechtigung ihrer Liebe nicht ersticken können; es forderte ungestüm, daß ihm öffentlich und vor aller Welt dies sein Recht geschehe; aber eine Unzahl Verhältnisse trat dem in den Weg, welche, als Katharina sie näher prüfte, nichts für sich hatten als ihre Existenz und ihre Gewalt. Sie fühlte, daß sie ihrem eignen Dasein und der von der Natur tief in ihr Herz gepflanzten Ueberzeugung es wie eine heilige Pflicht schulde, einer Liebe zu folgen, deren Befriedigung sie glücklich und dadurch auch gut mache, und allein imstande sei, sie zu der harmonischen, schönen, wie ein Kunstwerk seinen Kern und Mittelpunkt in sich tragenden Lebensgestaltung sich ausbilden zu lassen, welche die eigentliche Aufgabe des irdischen Daseins ist. Und was trat ihr in den Weg, um sie für ihr Leben zu einem unglücklichen, nutzlosen, ihre Bestimmung verfehlenden Geschöpfe zu machen? Prinzipien der herrschenden Meinung, die wie weise Propheten mit ihren erlogenen göttlichen Offenbarungen das gesalbte Königtum ihres Geistes schulmeistern wollten; die den Ysopzweig voll Essig, mit dem sie tränkten, für die Palme himmlischer Weisheit ausgaben.

Aber sie hatten die Ansicht der Menge für sich, diese Propheten; die Weisheit aller der gepuderten Perücken, die herzlose Ueberzeugung aller der brokatenen Reifröcke, in deren Kreise Katharina durch ihre Geburt gebracht war. Wohl hatten die meisten dieser Menschen, die Frauen insbesondere, ein ähnliches Geschick einmal in ihrem Leben gehabt; sie hatten sich fügen, sich opfern müssen – und hauptsächlich daher mochte ein Teil der völligen Nutz- und Ersprießlosigkeit, der Verschrobenheit und des Unverstandes rühren, die in ihrer Gesellschaft herrschten. Aber wehe jetzt dem, der sich herausnehmen wollte, seinem Schicksal eine glücklichere Wendung zu geben, als jene vermocht hatten! Sie hatten das Vorurteil zu teuer besiegeln müssen, ihm mit ihrem besten Herzblut ein Opfer gebracht; wehe dem, der durch die Tat beweisen wollte, daß es ein Vorurteil sei!

Katharina hatte in der Residenz Zerstreuung gesucht; der Aufenthalt in derselben hatte nur ein stärkeres Zurückdrängen in ihr eigenes Innere für sie zur Folge haben können. Die Menschen waren ihr wie ein kopfnickendes, zungenschwellendes Pagodengeschlecht vorgekommen. Der Reichtum ihres Gefühls und ihres ganzen eignen Seins, in dem die Liebe wie ein die höchsten Mysterien der Existenz, halb in klaren Deutungen, halb in traumhaften Ahnungen verkündender Engel der Offenbarung waltete, hatte sie daran gewöhnt, in jeder menschlichen Gestalt, die neu vor ihr auftauchte, etwas Unendliches vorauszusetzen, eine eigentümliche, von irgendeiner besonderen Brechung des ewigen Lichtstrahls erfüllte Welt. Aber als sie immer mehr inne ward, wie sehr diese Voraussetzung ins Reich der Dichtung gehöre, wie flach und hohl fast alle diese auf der großen Wiese der Gemeinplätze grasenden Gestalten seien, schlug ihre Empfindung bei dem Anblick derselben in ein Gegenteil der früheren um, das ebensoweit von der rechten Wahrheit entfernt war. Sie verachtete sie; sie verachtete alles, was sie trieben und was um ihr Sein sich bewegte; endlich auch das, was sie beherrschte, was von ihnen für heilig gehalten wurde, ihre Ansichten, ihre Institute.

Sie war auf einem schlüpfrigen und gefährlichen Wege für ein geistreiches und lebhaft fühlendes Weib, das immer nur Extreme kennt; das nur Kälte oder völlige Hingabe, nur eisige Sittenstrenge zeigt oder, einmal besiegt, in rücksichtsloses Selbstvergessen sich wirft, ja oft das innigste, treueste und reinste Gefühl mit einer fast das Maß überschreitenden Üngebundenheit vereinigen kann; das endlich nur demütige Ehrfurcht und Scheu im Glauben oder völligen Unglauben kennt, das sanktionierte Verhältnisse nicht einmal zu prüfen wagt, oder sie samt und sonders über den Haufen stürzen möchte.

Früher hätte Katharina nicht vermocht, was ihr jetzt bei ihrer veränderten Lebensansicht, wenn auch schwer, aber doch möglich wurde, seitdem das Schicksal oder viel mehr die eigne Leitung ihres Lebenslaufes, die wir so gern das Schicksal nennen, ihr etwas von der höhnischen Philosophie eingetränkt hatte, die endlich auf die Spitze ihres Systems als Gottheit das Ich setzt. Sie hätte nicht vermocht, durch eine Art Heuchelei und gefühlloser Koketterie Josina von Katterbach ihren Geliebten zu nehmen und mit dem Herzen desselben ein gefährliches Spiel zu treiben, um ihre eignen Pläne auszuführen; früher hatten sie Gewissenhaftigkeit gegen Josina und Stolz gegen den Bräutigam, dessen Erscheinung etwas Verdächtiges für sie hatte, abgehalten, sich in sein Vertrauen zu drängen, um ihn verderben zu können – mochte er immerhin sein Verderben durch irgendeine Betrügerei verdienen, die sie ahnte, aber doch nicht gewiß wußte, und die ebensogut nur in einer Einbildung da sein konnte, welche aus ihrer eignen Leidenschaft herfloß. Was wußte sie denn Sicheres? Daß eine nächtliche Erscheinung Papiere aus Bernhards früherer Wohnung entwendet, hatte ihr Herr von Driesch erzählt; kurz nachher war ein Herr von Schemmey ganz plötzlich als anerkannter Erbe und Besitzer der Güter jener ausgestorbenen Familie aufgetreten, und wenn etwas gegen ihn sprach, so war es nur die ziemlich widersprechende Art, womit man sein erstes Erscheinen in der Gegend und seine früheren Lebensschicksale erzählte. Er sollte nach einigen von einer Milchhändlerin aus der Umgegend von Paris, nach andern als Findelkind in einem Pariser Findelhause unter dem Namen Saint-Pond auferzogen sein; früh gereift, war er sehr jung in Militärdienste gegangen und hatte es bis zum Leutnant gebracht. An seinem einundzwanzigsten Geburtstage sollte ihm nun der Vorsteher jener Anstalt in Paris, oder der Sohn jener Milchhändlerin, die Beweise für seine Herkunft und Ansprüche übersandt haben, die von seinen Eltern zugleich mit ihm deponiert seien und nach deren Bestimmung nicht eher hätten eröffnet werden dürfen. Konnte es nicht möglich sein, daß seine Eltern wirklich auf diese Weise ihn zu sichern gesucht hatten vor dem rätselhaften Geschicke, welches ihre übrige Nachkommenschaft betroffen?

Man glaubte wenigstens in der Residenz an diesen Hergang; andere erzählten freilich, ein Herr von O., der in Paris sich aufhielt und dem die Neuigkeit von dem Erscheinen des jungen Schemmey mitgeteilt worden, habe sich bei allen Findelhäusern jener Stadt nach einem früher Saint-Pond genannten Zögling erkundigt; in einem derselben habe man ihm den Namen wirklich in den Büchern aufgeschlagen, und die Zeit seiner Deposition treffe mit dem angeblichen Alter des Herrn von Schemmey zusammen. Von den Papieren aber, die ihm eingehändigt worden seien, wolle der Vorsteher nichts wissen. Katharina hatte beschlossen, diese Andeutung weiter zu verfolgen. Sie hatte deshalb an den Geschäftsträger einer Bekannten, die ihre Moden aus Paris kommen ließ, geschrieben; aber noch war keine Antwort eingetroffen, als sie die wichtige und entscheidende Mitteilung erhielt, welche Lene sich gedrungen fühlte ihr zu machen.

In der ersten Aufregung der Freude hierüber hatte sie die Maßregeln, die jetzt zu ergreifen seien, nicht klar überdenken können; sie mußte Bernhard wiedersehen, der krank war, der ihrer Pflege bedurfte, den vielleicht die Trennung von ihr gewaltsam genug ergriffen hatte, um sein Leben in Gefahr zu bringen. Schon vor dem Ende der ersten Tagereise aber sah sie ein, daß sie als Siegerin und mit vollgültigen Beweisen zurückkommen müsse, wenn sie nicht für immer in der Achtung der Welt verloren sein wollte. Es kam darauf an, außer Lenes Zeugnis das der alten Margret zu erlangen; ihr Ruf und ihr Glück hing von der Geschicklichkeit ab, womit sie dieser Frau ihre Geheimnisse entlocken würde;

Es war ein unfreundlicher und stürmischer Abend, als ihr bespritzter Reisewagen mühsam von vier Postkleppern dem Dorfe Kraneck zugeschleppt wurde. Katharinas Herz schlug krampfhaft, als sie die Mauerzinnen des Schlosses links auf dem Bergvorsprung aus den Baumwipfeln hervorschauen sah, die sich mit dem ersten Grünanflug des Frühlings überkleidet hatten, aber noch nicht wagten, ihm volle Blätter und Blüten zu bieten. Im Dorfe sammelte sich hinter ihrem Wagen, durcheinanderrennend, ein Haufen jauchzender Buben und bellender Hunde, der sich von Schritt zu Schritt vermehrte und die ungewohnte Erscheinung verfolgte, um sich endlich einem ungemessenen Jubel und respektive wütenden Ausbrüchen hinzugeben, als der Postillon die schmetternden Töne seines Hornes an den grauen Mauern der alten Kirche hinaufklingen ließ. Ueber den Türen, deren obere Hälften geöffnet waren, blickten neugierige Bewohner; auch Frau Margret blickte über die ihrige, als der Wagen das obere Ende des Ortes erreicht hatte, was sich sehr glücklich traf, weil der Bediente auf dem Bocke den schreienden Buben in seinem roten Livreerock als eine so imponierende Gestalt erschien, daß seine Erkundigungen bei ihnen nur ein ehrfurchtsvolles Verstummen und ein augenblickliches Zusammenbringen des Daumens und des Mundes zur Folge hatten.

Katharina ließ halten, stieg aus und befahl, den Wagen weiterzuführen, um einen Auflauf vor Margrets Hause zu vermeiden. Dann öffnete sie das kleine Gittertor vor dem Gärtchen, aus dem ihr der eigentümliche Duft der hoch aufgeschossenen Buchselnfassungen entgegendrang. Seit Lenens Verschwinden war der kleine Raum vernachlässigt; Laub und dürre Reiser lagen an den Pfaden. Die Beete waren voll modernder Ueberbleibsel der vorjährigen Blütezeit, eine dürre Flora von gelbbraunem, vom Wind zerfetzten Rittersporn und Eisenhut neben wackelnden, ausgelöschten Königskerzen. Katharinen wehte eine unendlich traurige Empfindung daraus entgegen. Hier wohnte er, allein, krank, verlassen, nur das welke Laub und die zerstörten Blüten seiner Lebenshoffnungen vor sich, die ausgeflammten Königskerzen seiner reich aufgeschossenen Gedankensaat, die einst den Mut grünender Jugend zum Gärtner gehabt und nun von ihm verwaist gelassen war! Sie ging mit wankenden Schritten zur Haustür. Margret war nicht wenig überrascht, als sie sah, daß der vornehme Besuch ihr gelte; sie zog sich von der Tür zurück und nahm ihren Platz am Herde ein, um leichter den Anschein der Ruhe beibehalten zu können, den sie bei allen außergewöhnlichen Ereignissen besser zu erheucheln als innerlich zu behaupten wußte. Katharina trat freundlich grüßend zu ihr; Margret wollte ihr den Saum des Kleides küssen, aber Katharina litt es nicht und reichte ihr die Hand. Dann setzte sie sich ihr gegenüber.

»Ihr seid eine kluge Frau, Margret«, begann sie zu sprechen, als sie sah, daß jene stumm blieb; »das hab' ich immer die Leute sagen hören, und da ich gerade hier durchreise und Euch an der Tür stehen sah, dachte ich, es sei gut, wenn ich Euch besuchte und Euch in einer Sache um Rat fragte, in der Ihr die beste Auskunft geben könnt, wie ich denke.«

»Ihr reiset hier durch?« versetzte Frau Fahrstein gedehnt; »wohin könnte das Fräulein von Plassenstein reisen, daß ihr Weg sie durch dies Dorf führte? Wollt Ihr nicht meinen Sohn sprechen?«

»Ist er zu Hause?«

»Er ist im Schlosse oben; ich will ihn rufen lassen.«

»Er ist also genesen?«

»Ja – so so; der Frühling wird ihm wohltun.«

Margret wollte sich erheben und das Kind eines ihrer Nachbarn hinaufschicken, um ihn rufen zu lassen, als Katharina sie am Arme ergriff und heftig sagte: »Nein, nein, laßt nur, ich habe mit Euch allein zu reden. Setzt Euch wieder.«

Margret erwartete schweigend, daß das Fräulein fortfahre; der Besuch begann einen angenehmen Eindruck auf sie zu machen, denn außer der Ehre, die er ihr vor den Dörflern gab, war es Margret sehr recht, daß einmal wieder von ihrer Klugheit die Rede gekommen; in der Gegend von Bechenburg hatte sie etwas gegolten, hier in Kraneck aber wußte niemand von ihr, und man ließ sie hinter ihrem Küchenfeuer hocken. Sie fühlte sich wie ein berühmter Mann in der Fremde; auch dämmerte wie eine leise Ahnung in ihr auf, daß Katharina Bernhards wegen gekommen sei, was ihr ebenfalls angenehm war und sie nicht weniger stolz machte.

»Ich komme in einer Sache mit Euch zu reden,« sagte Katharina, »die unangenehme Erinnerungen in Euch erwecken muß; aber ich hoffe, daß Ihr es verzeihen werdet, weil ich mir sonst keinen Rat zu holen weiß und auch den Euren gern belohnen will mit allem, was Ihr fordert. Ich stehe im Begriffe, mich zu verloben, Frau Fahrstein, und zwar mit einem Herrn von Schemmey in M.«

»Ha! Was?« schrie Margret und fuhr von ihrem Sitz in die Höhe; sie war kreideweiß geworden, und ihre Augen stierten die Sprechende an; gleich darauf setzte sie sich und sagte mit etwas gebrochener, aber tonlos kalter Stimme: »Und nun weiter?«

»Wenn einer über die Schemmeys etwas Sicheres zu sagen weiß, so seid Ihr es, Margret,« fuhr Katharina fort; »darum komme ich zu Euch. Der Herr von Schemmey in M. will in Paris im Findelhause aufgezogen sein und an seinem einundzwanzigsten Geburtstage die Beweise für seine Abstammung erhalten haben. Gegen diese läßt sich nun auch nichts sagen, und es ist alles ganz erklärlich, wie er es angibt. Aber es ist ein wichtiger Schritt, den ich zu tun im Begriffe stehe, und deshalb hab' ich es für gut gehalten, zuerst mit Euch darüber zu reden, ob Ihr meint, daß wirklich eins von jenen Kindern, bei denen Ihr Wärterin wäret, und die so geheimnisvoll alle nacheinander umgebracht sein sollen, dem Tode entgangen sein mag.«

»Wennn ein junges Mädchen vor ihrer Heirat für nötig findet, erst ein fremdes, altes Weib um Rat zu fragen, so bleibt sie besser wie sie ist«, versetzte Margret. »Freilich,« sagte sie nach einer Weile, wie für sich, »Ihr vornehmen Leute denkt an etwas andres bei Euren Heiraten als wir geringen; ein Herr von Schemmey ist ein vornehmer und reicher Herr!«

»So meint Ihr also, ich mag ohne Bedenken mein Jawort geben?« fragte Katharina.

»Ohne Bedenken?« wiederholte die Alte gedehnt.

Die beiden Frauen sahen sich mit gespannten Blicken an; sie bildeten eine merkwürdige Gruppe, wie sie beide einander gegenübersaßen und über den Qualm des Herdfeuers hin die Blicke ihrer forschenden Augen aufeinander gerichtet hielten. Die eine mit dem lauernden Ausdruck in den wasserblauen, ins Graue übergehenden Nixenaugen, voll anscheinender Sicherheit, Kälte, wie vom Bewußtsein alles beherrschender und durchschauender Klugheit mit einem Zauberkreis umsponnen, den keine feindliche Macht durchdringen zu können schien, um ihr etwas anzuhaben; großartig, stark, aus den stillen Regionen ihrer Beschaulichkeit teilnahmlos auf das irdische Treiben blickend. Die andre mit lebhafterem Funkeln in ihren dunkler gefärbten Augensternen, aber dem Seheine nach ebenso ruhig, nur der Stimme der Vernunft Gehör zu geben entschlossen, kalt und bedächtig ihre Worte setzend, als berate sie mit einem Advokaten den Ankauf eines Gutes. Und doch, welcher Sturm von Gemütsbewegungen in beiden! Welch' schmerzhaft zuckendes Drängen und Wirbeln von peinigenden Gedanken in der Tiefe ihrer ängstlich gespannten Frauenseelen! – Raunt der einen ein Wort ins Ohr – und mitten in ihrem Zauberkreise krümmt sich diese stolze Sicherheit ächzend zu euren Füßen; der andern ein andres – und die kalte, vernünftig sprechende, große Dame, die eine Heirat eingehen will, wie einen vorteilhaften Handel, wird von der Leidenschaft emporgeschnellt, daß sie »ein Schauspiel für Götter« abgibt. Eine unnennbare Angst schnürte Katharinen die Brust zusammmen; sie verzagte, aus der Alten etwas herauszubringen; diese lauerte durch ihre grauen Wimpern mit derselben innern Angst, daß man darauf ausgehe, sie zu fangen, daß man Dingen auf die Spur kommen wolle, die sie verderben würden.

»Ihr glaubt also auch, daß sich gegen die Angabe des Herrn von Schemmey nichts einwenden lasse, Mutter Fahrstein?« hob Katharina wieder an.

Margret rückte den Schemel, worauf sie ihre Füße gestellt hatte, zur Seite, schlug mit einem Tuche den Staub herunter und sagte: »Ihr seid eine vornehme Dame, aber ich hoffe, daß Ihr einer alten Frau einen Gefallen tut; ich sehe nicht gut mehr und mit dem Hören geht es noch schlechter! Ja, ich bin alt und grau geworden, aber in Ehren; am letzten Palmsonntag sind es dreiundsechzig Jahre gewesen, seit ich zum erstenmal zur Kommunion ging.«

Ihre letzten Worte schienen eine Gedankenreihe in ihr zu erwecken, welcher sie für eine Weile zerstreut nachging. Dann fuhr sie auf und sagte: »Tut mir den Gefallen und kniet hier nieder, daß ich Euch besser verstehen kann.«

Katharina war es nichts weniger als angenehm, den forschenden Blicken der Alten sich so nahe auszusetzen; aber sie willfahrte ihr, um sie in guter Laune zu erhalten. Sie kniete auf den Schemel neben dem Stuhle Margrets nieder und stützte ihre Ellbogen auf die Armlehne desselben.

»Jetzt sitz' ich neben Euch, als ob ich Euch beichten wollte,« sagte sie.

»Ja, so sitzt Ihr; beichtet Ihr oft?«

»Alle Monat, Margret.«

»Alle Monat«, versetzte Mutter Fahrstein nachdenklich; »ja, das ist oft; Ihr könnt nicht viel zu beichten haben! Weshalb tut Ihr es?«

Katharina wär' in der letzten Zeit vielleicht nicht so eifrig gewesen, die Gebote ihrer Kirche zu erfüllen, hätte nicht ihre Präbende als Stiftsdame ihr es zur Pflicht gemacht; aber in der Hoffnung, die Alte zu erweichen, von der sie wußte, daß sie nie die Sakramente empfange, versetzte sie: »Wir sind schwache Menschen und zudem können wir über Nacht abgerufen werden. Niemand weiß, wann die Stunde kommt.«

»Was haltet Ihr von jemand, der gar nicht beichten geht?«

»Gott ist barmherzig; aber, wenn es seine eigene Schuld ist, die Kirche sagt, daß er ewig verdammt sei. Doch lassen wir das. Wollt Ihr mir nicht Eure Meinung sagen, Mutter Fahrstein?«

Margret antwortete nicht, sondern blickte eine Zeitlang stier in die Flamme vor ihr; dann ging ein leises Zucken durch ihre Gestalt, sie fuhr mit der zitternden Hand über ihre Brauen, legte sie auf Katharinens Haar und schaute ihr angestrengt ins Gesicht.

»Soll ich nicht meinen Sohn rufen lassen?« fragte sie leise und sanft. »Ihr seid ihm immer so freundlich gewesen, wie er mir gesagt hat, und es würde dem armen Blut eine Freude sein, wenn er Euch wiedersähe und Ihr ihn so gütig einmal wieder anredetet, wie er früher von Euch gewohnt gewesen; er ist so allein und verlassen hier!«

Es war Katharina nicht wohl möglich, ihr: nein, nein, noch nicht! mit so viel Ruhe auszusprechen, wie sie sich bestrebte; ihre Worte stockten, wie vom Schluchzen unterbrochen.

»Wenn Ihr eine Frau wie Margret Fahrstein fangen wollt, so steht nächstens früher auf, Kind!« rief die Alte mit einem heiseren Lachen. »Bleibt nur sitzen, ich weiß genug«, fuhr sie darauf fort. »Mit Eurer Durchreise durch Kraneck ist es nichts, auch mit Eurer Verlobung nichts, denn Ihr liebt meinen Sohn. Ihr tut recht daran, er verdient es, und Euer Herr von Schemmey ist ein Betrüger; was hat er für Beweise? Sie sind falsch! Ihr aber seid hierher gekommen, um meinen Sohn zu sehen. Und um einen Vorwand zu haben, habt Ihr Euch eine Geschichte erdacht, als sei jemand in M., der sich für einen Sohn der Familie ausgebe, in der ich so lange diente und deren Kinder alle dahin sind, wo ihre Eltern. Es lautete ganz gut, daß ihr gekommen seid, die alte Fahrstein um Auskunft anzugehen! Es ist kein Herr von Schemmey in M.« Die Alte lachte wieder und blickte triumphierend auf Katharine herab.

»Das kann ich beschwören«, rief diese aufspringend.

»So? Dann ist er ein Schuft!«

Margret wurde wieder still und murmelte eine Weile unverständliche Worte vor sich hin. »Mein Junge hat Euch im Herzen,« sagte sie dann lauter, »und deshalb siecht er. Ihr liebt ihn auch, ich will Euch die Papiere geben, denn er soll am Leben bleiben, und ich will nicht auch noch schuld sein, daß Ihr auf schlechte Wege kommt, Kind. Wir sind schwache Menschen, und niemand weiß, wann seine Stunde kommt. Ich will wieder beichten gehen. Ich will Euch die Papiere geben; sagt auch nur – aber, wollt Ihr meinen Sohn heiraten?«

»Margret, wie denkt Ihr daran?«

»Wenn mein Sohn ein Kavalier ist, so adlig wie Ihr, und noch reicher?«

»Ihr scherzt!«

»Seh' ich aus, als ob ich scherze? Einfältige Ziererei! Sagt ja, und gebt mir die Hand!«

Katharina reichte ihr in freudigster Angst und Spannung auf ihre weiteren Worte die Hand, ohne einen Laut hervorbringen zu können.

»Ich will Euch die Beweise geben, aber laßt mich mit Fragen ungeschoren. Sagt nur, ich hätte Bernhard gerettet, daß ihm nicht auch der Hals umgedreht würde; ich habe ihn aufziehen lassen auf einem Dorfe bei Paris – es war eine kleine Meierei, die Frau ging in die Stadt, Milch zu verkaufen, und kam auch in unser Haus damit. Es war um diese Zeit, im Frühling, und eine dunkle, regnerische Nacht, als ich hinausging. Am Tore zündeten sie die Laternen wieder an, die der Wind ausgelöscht hatte, und deshalb sahen sie mich nicht. Das Kind wimmerte, ja, ja, ich weiß es noch, als ob es gestern geschehen wäre. Es war ein saurer Gang, aber ich hatte schon schlimmere Nächte durchwacht!« Sie schwieg wieder.

Das Stück Bekenntnis, das Margret abgelegt hatte, gewährte ihr eine Erleichterung, daß sie immer heftiger den Drang fühlte, sich ganz auszuschütten. Der Gedanke an den Tod erschütterte sie, nachdem jemand anderes sie daran gemahnt hatte, mehr wie je vorher, wie uns immer das, was ein dritter sagt, tief ergreift, und haben wir es uns auch hundertmal vorher selbst gesagt. Die frühe Angewöhnung, in den Heilmitteln ihrer Kirche die Beruhigung zu suchen, die sie jetzt so lange von sich gewiesen hatte, ward mit einer unbezwinglichen Gewalt in ihr rege. »Ja, ich will beichten,« sagte sie flüsternd, »wir können über Nacht sterben; ich will Euch beichten, kniet da wieder auf den Schemel. Wenn ich's einen Pfaffen sage, der versteht mich nicht und weiß nichts von dem, was ein junges Mädchen für Leid haben kann. Deshalb hab' ich's so lange nicht getan; allein deshalb; glaubt Ihr mir nicht?«

»Ja, Margret, ich glaube Euch.«

»Das wüßt' ich wohl. Ihr seid ein Weib, und Ihr liebt ihn; Ihr könnt nicht so lieben, wie ich es getan habe, aber Ihr werdet mich verstehen. Wollt Ihr sagen, daß ich die Schuld habe? Nein, ich habe die Schuld nicht –«

»Und wer hat sie denn?«

»Er hat sie, Bernhards Vater hat sie. Er war ein schöner Mann, groß und schlank, und seine Augen waren dunkel wie Kohlen; er konnte auch sprechen, wie ich es von keinem Manne gehört habe. Ich stand einmal im Garten, in der Dämmerung war es; er ritt an der anderen Seite der Hecke vorüber, und da fiel mir zuerst ein, daß er so schön sei, obwohl seine Mutter mir es schon oft gesagt hatte. Gleich nachher kam er zu mir; er schwor, daß er mich lieber habe als alle adligen Damen im Lande zusammengenommen. Damals hatte er es auch, und auch später hat er mich immer angesehen, als wolle er sagen, es tu' ihm nicht leid, daß er mich so lieb gehabt. Er hatte mir versprochen, mich zu seiner rechten Frau zu machen; seine Mutter, das falsche Weib, hatte es mir auch versprochen, daß ich ihre Schwiegertochter werden sollte, was ich vor Gott schon war. Er müsse nur erst majorenn werden, sagte sie, um seiner Vormünder willen. Jawohl, als er majorenn war – die alte Frau von Schemmey war unterdes gestorben –, da ging er hin und nahm eine andere, eine einfältige, dumme Gans, die ins Haus zog und anfing zu regieren, als sei ich mit allen anderen ihre Leibeigene. Konnte ich das dulden, ich, die seine Frau war, der er es geschworen hatte, daß ich es sei? Nein, ich hatte ein heißes Blut damals; ich schwur auch und habe meinen Schwur besser gehalten! Ich schwur, daß sie keine Freude mehr auf Erden haben sollten, daß ich ihre Brut vertilgen wollte. Zwei Kinder sind gestorben; sie glaubten, die Alte gehe spuken und drehe ihnen den Hals um. Das dritte Kind – es war in Paris –, da konnte ich's nicht mehr; ich habe es fortgeschafft, und die Milchfrau hat es aufgezogen. Die Eltern starben beide bald nacheinander; ich ging nach Diependahl zurück und diente dort bei dem neuen Herrn, der sich von Katterbach schreibt. Das ist ein rauher, gewalttätiger Mann; wir bekamen Streit zusammen, und ich gab ihm zu verstehen, was ich wisse, daß noch ein Schemmey am Leben sei und daß ich ihn von seinen Gütern vertreiben lassen könne, wenn ich reden wollte. Seitdem konnte ich ihn um den kleinen Finger wickeln. Doch mochte ich endlich nicht mehr auf dem Hofe sein, obwohl ich's gut genug bei ihm hatte. Es wurde so schauerlich öde und verfallen dort. Ich heiratete, um ein gutes Werk zu tun, wonach ich ruhiger wurde. Den Knaben hatte ich mir von Paris abgeholt, und Katterbach gab mir zu bestimmter Zeit Geld für ihn, weil ich ihm drohte, ich wolle sonst beichten gehen; er traute den Geistlichen nicht. Das Geld habe ich ganz für Bernhard verwendet; ich habe ihn liebgewonnen wie mein eigenes Kind. Er ist ein guter Mensch, und er wird Euch keinen falschen Eid schwören wie sein Vater. Katterbach und ich kamen überein, wir wollten, wenn es sein müsse, sagen, das Kind sei von ihm und mir erzeugt; aber geschworen hab' ich's ihm nicht, das immer zu sagen, nein, Gott behüte mich, daß ich's dann jemals verriete. Nein, ich habe niemals einen Eid gebrochen; das ist die schlimmste Sünde auf der Welt, ist es nicht?«

»Ich glaube, Margret, aber die Beweise, daß es so ist, wie Ihr sagt?«

»Die Beweise? Ich habe sie in meinem Koffer. Ich habe den Geburts- und Taufschein Bernhards, den ich mir von dem Pfarrer holte, als hätten mich die Eltern des Kindes danach geschickt. Als die Eltern tot waren und ich nach Paris ging, den Knaben mit mir zu nehmen, bin ich mit der Milchfrau, die ihn von mir bekam, zu einem Notar gegangen und habe ihm gesagt, daß ich im Auftrage des Herrn und der Frau von Schemmey das Kind, worauf der Taufschein laute, bei der Frau geborgen habe, damit es gesichert werde vor der sonderbaren und unerklärlichen Todesart, die seine älteren Geschwister betroffen. Das hat die Frau bezeugt und beschworen, und der Notar hat ein Protokoll darüber aufgesetzt. Mit dem Kinde und den Papieren bin ich nun eines Tages zu Katterbach gegangen und habe mir eine Schrift von ihm geben lassen, daß er um das Dasein von einem rechtmäßigen Kinde der Schemmeys wisse und es anerkenne, auch ihm, wenn es sich mit seinem Tauf- und Geburtsschein melde, seine Güter abtreten wolle; denn ich drohte ihm, zu sprechen, wenn er es nicht tue. Hätte ich nicht gleich auftreten können und sagen, diesem Kinde gehören die Güter? Ja, ich hätte es können, denn die Frau bei Paris lebte damals auch noch und hätte für mich gezeugt, wenn man den Papieren nicht geglaubt hätte. Katterbach fürchtete mich deshalb; er mußte tun, was ich haben wollte. Ich sehe noch, wie er schäumte und wütete, als er sich so in meine Hände geben sollte; aber ich hatte ihn am Strick. Auch gelobte ich ihm, keinen Gebrauch von seiner Schrift zu machen, es sei denn, er wolle mit späterhin das bestimmte Geld nicht mehr bezahlen. Aber geschworen hab' ich es ihm nicht. Ich wollte nur Sicherheit, daß ich mit dem Knaben nicht zu darben brauchte.«

Katharina durchschaute nun das ganze Gewebe. Die Alte war schlau genug gewesen, den jetzigen Besitzer der Schemmeyschen Güter ganz in ihre Gewalt zu ziehen; die Bescheinigung, durch die er sich so bloßgestellt hatte, war in die Hände eines Werbeoffiziers gefallen, und als dieser damit auftrat, mußte Katterbach jede Forderung desselben zugestehen, denn hätte jener die Sache anhängig gemacht, so wäre dieser zu einer schweren Rechenschaft gefordert, wie er sich habe in Besitz von Gütern setzen können, deren rechten Eigentümer er am Leben gewußt! Nur zwei Umstände blieben Katharinen rätselhaft: die Fähigkeit des alten Weibes zu einer so schlau verheimlichten Reihe schrecklicher Verbrechen und die unentschuldbare Handlungsweise des falschen Herrn von Schemmey, den sie wohl für im höchsten Grade leichtsinnig, aber nicht für schlecht halten konnte.

»Jetzt«, fuhr Margret fort, »will ich Euch die Papiere geben; aber schwört mir erst, daß Ihr nicht sagen wollt, wo ich sei, wenn ihr damit hervortretet und man nach mir fragt: ich möchte ruhig hier mein Ende finden, nun ich es vom Gewissen abgewälzt habe. Herr Gerhards soll mir auch die Kommunion bringen. Ihr mögt nun tun, was Ihr wollt; aber laßt mich weiter ungefragt. Schwört mir das!« Sie streckte die Rechte aus, um Katharinens Gelöbnis zu empfangen.

Diese wich einen Schritt von ihr zurück. »Nein, Margret,« sagte sie, »das kann ich nicht; Euer gerichtliches Zeugnis ist uns nötig, denn Eure Papiere sind fort!«

»Fort?« rief die Alte erschrocken und sprang auf; »nein,« sagte sie dann ruhig, »die liegen wohlverwahrt in meinem verschlossenen Koffer, und der Schlüssel ist nicht aus meiner Tasche gekommen! Sie zog den Schlüssel hervor. »Da ist er«, sagte sie.

Margret ging in ihre Schlafkammer. Katharina folgte ihr und stellte sich auf die Schwelle der geöffneten Tür; es war ein kleines Gemach. Der Tür gegenüber stand das Bett; die Gardinen aus rot- und weißgestreiftem Kattun waren zurückgeschlagen und aus den Kissen starrte die Maske mit den Glasaugen, das wunderliche Surrogat für einen Bettgesellen, von dem Katharina schon früher gehört hatte. »Ich mag nicht gern allein sein, wenn es dunkel ist,« sagte Margret mit einem Blick darauf. An der Wand über dem Bette hing ein aus Zinn gegossenes Heiligenbild mit einem kleinen Weihwassergefäß darunter, daneben ein Rosenkranz; ein zerlesenes Gebetbuch lag auf dem Stuhle vor dem Bette und gemalte Heiligenbilder waren mit Stecknadeln an die Gardinen befestigt, auch an den Wänden umher zwischen aufgehängten Kleidungsstücken und Flachsbündeln oder Garnvorräten hingen Bilder aus der Lebensgeschichte der Heiligen, Rosenkränze, Agnus Dei, Skapuliere, geweihte Kerzen und Palmbüschel, mit Papierchen daran, auf denen geschrieben stand, von welchen berühmten Wallfahrtsorten der Christenheit Margret diese Erinnerungszeichen mitgebracht hatte. Katharinen quoll ein Dunst aus der Kammer entgegen, der sie betäubend anwehte, wie die unheimliche und grauenhafte Gedankenatmosphäre der alten Sünderin, die so manche schlaflose Nacht krampfhaft die Beeren dieser Rosenkränze in den Fingern gedrückt haben mochte, wie um den Trost herauszupressen, den sie nicht geben konnten, welche so manches Mal ihre stieren Augen auf diese Wände geheftet haben mochte, wirre Blicke, stumme und unerwiderte Hilferufe der innern Gedankenqual, die jene weichen Kissen des Bettes zu einer Folterbank machte, bei deren Anblick Katharinen grauste.

Die Alte schloß bedächtig den Koffer auf, der hinter dem Bette in einem Winkel stand. Zuerst zog sie ein braunes Pilgerkleid heraus, welches sie abstäubte, daß die Muscheln, mit denen der Kragen besetzt war, aneinander klapperten, und hing es dann über die Lehne eines Stuhles, Darauf kamen mehrere Kleider ans Tageslicht, die aus feineren Stoffen waren, als Margret sie jetzt trug, von der Zeit ausgebleicht, aber sorgfältig zusammengelegt; eines, das Margret auseinanderschlug, um es am Fenster zu betrachten, schien Katharinen den Schnitt eines Damenkleides nach einer jetzt veralteten Mode zu haben; auch der Schnürleib, der dazu gehört haben mochte, kam hervor; dann einige verknitterte, gelb gewordene Häubchen aus gesticktem Weißzeuge, wie keine Bäuerin sie trug. Mit einem trat Margret wieder an das Fenster und spannte es über ihren Fingern auf; es war mir zu weit, murmelte sie, die Alte hatte einen dicken Kopf; aber sie sah mich gern geputzt. Er sagte auch, eine Haube stehe mir gut; – ja, die Papiere. Sie fuhr fort auszupacken. Allerhand kleine Schmucksachen, ein alter, zerstäubender Blumenstrauß, dann ein kleines Paket kamen zum Vorschein. Margret öffnete das letztere; es lagen zwei Ringe und eine schwarze Haarlocke darin. Alles wurde nacheinander von ihr gemustert, ehe sie es auf einen Stuhl oder Tisch legte. Endlich war sie fast bis auf den Boden des Koffers gekommen; sie warf den Rest heftig durcheinander und rief erschrocken: »Die Papiere sind fort!«

»Ich sagte es Euch,« versetzte Katharina.

»So hat Katterbach sie stehlen lassen! Sollte er Lene bestochen haben? Und was wißt Ihr davon?«

»Man hat sie Euch genommen, Margret; wir wollen sehen, sie wiederzubekommen. Ich hoffe, daß es gelingen wird, wenn Ihr Euer Zeugnis gebt. Haltet Gott vor Augen und denkt, daß es nur eine Art für Euch gibt, von der schweren Schuld, die Ihr auf Euch geladen habt, etwas zu sühnen. Denkt an Euren Tod und an Eure Rechenschaft.«

Katharina ging. Die Alte eilte ihr nach. »Um Gottes willen, ich habe Euch gebeichtet, Fräulein«, rief sie, »Ihr müßt das Beichtsiegel achten«; sie ergriff Katharinen am Arme.

»Laßt mich, Mutter Fahrstein; wir wollen beide nur unsre Pflicht achten. Denkt nicht mehr an das Urteil und die Strafe, die man hier für Euch haben kann; Ihr steht einem andern Urteile zu nahe.«

Katharina ging, ohne daß Margret sie hindern konnte. Als sie ihren Wagen erreicht hatte, befahl sie, zum Schlosse Hohenkraneck hinaufzufahren.


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