Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Viertes Kapitel

Es war eine wunderliche Frau, die Verwalterin von Bechenburg, Margret Fahrstein oder auch die Römische Margret genannt. Einige sagten gerade heraus, sie sei nicht besser als eine Hexe, und der Pfarrer schüttelte bloß den Kopf und zuckte die Achseln, wenn man das sagte, aber gar nicht so, als wolle er mit dem Kopf schütteln die Behauptung in Abrede stellen. Sie saß immer auf dem alten Kastell und kam nicht einmal in der österlichen Zeit herunter, um in ihrer Pfarrkirche, wie es doch deutlich in den fünf Geboten der heiligen Kirche geschrieben steht und eines jeden Christenmenschen Pflicht ist, zur Beichte und zur Kommunion zu gehen. Sie könne die Kirchenluft nicht vertragen, sagte sie. Das war aber nur ein leerer Vorwand, denn wäre sie in der Tat so kränklich gewesen, dann hätte sie's nur sagen dürfen, und der Pfarrer wäre gern zu ihr gekommen und hätte ihr das Sakrament ins Haus gebracht. Nun wäre kein altes Weib männlichen oder weiblichen Geschlechtes, von jungen oder alten Jahren, in dem Städtchen L. gewesen, das nicht dreist behauptet hätte, der Teufel habe es ihr verboten in Gottes Kirchen zu gehen, wenn nicht ein merkwürdiger Umstand laut dagegen gesprochen: Frau Margret war nämlich vor vielen Jahren, als sie noch kräftig und gesund und blühend gewesen, einmal nach Sankt Jago di Compostella in dem fernen Lande Galicia, das noch hinter den Spaniolen liegt, einmal sogar nach Jerusalem und zweimal nach Rom gewallfahrtet; das letztemal, nach Rom, mit nackten Füßen; auf dem Wege hatte sie zur Ehre Gottes gebettelt und nachts ein Obdach in den Klöstern erhalten, da man damals noch gar keine lange Tagereise zu machen brauchte, um von einem Kloster zu dem andern zu kommen. Später war sie noch jedes Jahr um Pfingsten zu dem wundertätigen Christus nach Coesfeld gepilgert. Freilich sagten die Leute, das habe sie nur getan, um ihren Mann tot zu beten. Aber das sei dummes Zeug, meinte die Küsterin, die sich immer ihrer anzunehmen pflegte; dann hätte sie nach Werl zu der heiligen Mutter Gottes gehen müssen, denn die Mannsleute ständen immer einander bei.

So viel war gewiß, daß die Römische Margret – diesen Namen hatten ihre Pilgerfahrten ihr eingebracht – aus einer Familie war, auf der kein Segen lag. Dies verhielt sich so: Ihr Vater, ein wohlhabender Schulze in einem mehrere Stunden entfernten Dorfe und ein sehr stolzer, hartnäckiger Mann, dessen Nacken so steif schien wie das Holz seiner hohen Eichen, stand eines schönen Nachmittags auf dem Anger vor seinem Hause. Es war ein warmer Tag, auf Kreuzerhöhung, wenn die Gemeinde jährlich einen feierlichen Umzug mit dem Sakramente und den Fahnen hielt, daß der liebe Gott eine gesegnete Ernte verleihe. Die Prozession zog dann um die sämtlichen Getreidefelder des Dorfes und auch über ein Kornstück des Schulzen, durch das ein schmaler Fußpfad von seinem Hofe nach der Kirche und dem Mittelpunkt des Dorfes lief. Eigentlich brauchte der Schulze den Fußpfad nicht zu leiden, denn niemand konnte sagen, daß er dies als Servitut auf seinem Grundstücke habe; aber da es zur Bequemlichkeit seines eignen Hofes war, hatte er es so einreißen lassen und auch geduldet, daß andre Kirchengänger sich des Richtweges bedienten. Seit einigen Jahren war nun auch die Prozession denselben Pfad gezogen. Das war aber ein andres; das war eine ganze Flut von Leuten, die ihm seine Saat zwei Ellen breit an jeder Seite niederstampften. Der Schulze wollte das nicht ferner dulden und war jetzt da, um seine Protestation einzulegen. Er hatte das Wams abgeworfen und ging, eine lange Tabakspfeife im Munde, unter den Eichen seines Kampes auf und,ab, aus deren Schatten er die üppig aufgeschossenen Saaten seiner Felder überschauen konnte. Aus der Ferne hörte er das Singen; helle, etwas kreischende Stimmen der Frauenzimmer und dann als Chor den tieferen Gesang der ganzen Gemeinde; von seinen Leuten war niemand dabei, er hatte sie alle zu Hause gehalten, und sie kamen jetzt heraus und stellten sich auf die Wallhecke des Kampes, um zuzuschauen. Die Prozession kam näher; zuerst ein Chorknabe mit dem Kreuz, nach ihm zwei andre mit den beiden Kirchenfahnen und nun die Weiber zuerst, alle in buntem Sonntagsstaat. Dann schritt der Pfarrer heran, unter dem Baldachin, und die Männer schlossen mit der Bruderschaftsfahne den Zug. So gingen sie eine Strecke zwischen den Eichen und dem Ackerfelde den grünen Rain entlang; als die vordersten nun da angekommen waren, wo der Weg links abbog und über des Schulzen Grundstück lief, entstand ein Gedränge; die Fahnen- und Kreuzträger hielten still, die Mädchen drängten sich aufeinander, und der ihnen folgende Pfarrer begann zu schelten, weshalb sie den Zug in Unordnung brächten.

»Herr Ohm,« sagte eines der Mädchen, indem sie so den Pfarrer nach der Sitte des Landes zum Verwandten machte, »Schulze Wellmeyer hat einen Schlag vor den Pfad machen lassen.«

Das war in der Tat so; es war ein breiter Schlag quer über den Weg gezogen; an beiden Seiten war ein Wall aufgeworfen und Dorngestrüpp darüber gelegt.

Hierüber ward der Pfarrer erzürnt, denn wenn der Schulze eine solche Neuerung anfangen wollte und Recht dazu zu haben glaubte, so hätte er's den Tag vorher ja anzeigen können.

»Oeffnet den Schlag, Schulze!« sagte der Pfarrer laut, indem er sich nach dem Eichkamp wandte. Da stand der lange Schlingel – er hatte nicht so viel getan, sein Wams wieder anzuziehen – und schüttelte den Kopf, denn laut zu antworten wagte er doch nicht, und drohte mit geballter Faust ein paar Buben, die von seinem Wall die Dornsträucher wegzureißen im Begriff waren. Der Pfarrer aber besann sich, was in seinen Händen ruhte, und daß es sich deshalb für ihn nicht zieme, einen Streit anzufangen. Darum ließ er die vordersten sich wieder ordnen und befahl, daß sie auf demselben Wege zurückziehen sollten; bevor er aber selbst umkehrte, sagte er: »Wellmeyer, Wellmeyer, du verschließest nicht mir deine Wege, sondern unserm Herrgott!«

»Ei, ob der Pfaffe was schwatzt!« sagte Wellmeyer; innerlich schien er aber betroffen; er räsonierte wenigstens den ganzen Tag über aufs grimmigste. Endlich ward es Zeit zum Schlafengehen; Wellmeyer, der zumeist der letzte im Hause auf war, hatte auch schon die Mütze über die Ohren gezogen und drückte sie müde in die Kissen. Auf einmal hob er den Kopf wieder. »Das ist doch wunderbarlich,« sagte er langsam, fuhr mit der flachen Hand über die Augen und machte seine Ohren von der Schlafmütze frei; dann schüttelte er heftig den Kopf und horchte nun wieder: »Ja, immer noch – immerzu,« sagte er leise; »ei, mein Gott, sollte das einem so ins Geblüt fahren können? – Aber es ist ja deutlich draußen!« – Er sprang auf und trat ans Fenster. Draußen war heller Mondschein; das war alles, was Wellmeyer sah. Er legte sich wieder hin, aber schlafen konnte er die Nacht nicht; er mußte immerzu horchen, bis nach drei Uhr, wo es aufhörte.

Als er des Morgens aufstand und in die Küche ging, standen seine beiden Töchter und der Großknecht am Herd und flüsterten mit verstörten Gesichtern untereinander. Er fragte mürrisch, was sie hätten. »Vater,« sagte Thekla, »wir haben die ganze Nacht draußen laut die Prozession singen gehört. Hermann ist auch aufgestanden, aber er hat nichts sehen können; nur Margret hat etwas gesehen, aber sie will nicht mit der Sprache heraus.« Der Schulze ward blaß, er wendete ihnen schnell den Rücken zu und sagte: »Dummes Zeug! – Wollt ihrs Maul halten!?« Dann ging er, ohne das Frühstück anzusehen, auf den Eichkamp hinaus. Es war nicht viel Gutes, was Schulze Wellmeyer sah, als er auf dem Eichkamp stand: drüben auf dem Grundstücke, worüber der Fußweg lief, war rechts und links den Pfad entlang alle Saat niedergetreten, als ob nun doch eine Menge Menschen sich hinübergedrängt hätte; sein Schlagbaum und der Wall, den er aufgeworfen, mit dem Dorngestrüpp, die waren unbeschädigt, aber alle Frucht am Wege war verdorben.

Von nun an ging es dem Schulzen schlecht. Es schien, als ob Hagelschlag und Gewitter es allein auf des Schulzen Acker abgesehen hätten; drei Jahre nachher – es war just in der Oktave von Kreuzerhöhung – brannte sein Haus und der Speicher ab; seine Frau bekam die fallende Sucht, und, was das Merkwürdigste, noch bis auf diese Stunde ist auf dem Wellmeyershofe nie ein männlicher Anerbe geboren, ebensowenig wie jetzt seit über tausend Jahren auf dem Mordhofe zu Apierbeck, wo man in heidnischen Zeiten die heiligen Brüder Ewaldi erschlagen hat.

So war der reiche Schulze nach und nach heruntergekommen, daß seine Töchter, von denen nur die jüngste, die ihrem Mann den Hof zubrachte, heiraten konnte, bei fremden Leuten dienen mußten. Margret kam als Magd nach Diependahl, zu der Familie von Schemmey, die dort wohnte und aus einer alten Dame und ihrem Stiefsohne bestand. Sie wohnte lange dort; sie war schön, bildschön, sagten die Leute, die sie damals gesehen hatten, aber auch hoffärtig, eigensinnig und verschlossen, gerade so wie ihr Vater, der alte Wellmeyer. Nun, es ist auch eine harte Sache, fremder Leute Brot essen zu müssen, für die Tochter eines freien Schulzen, der vielleicht über Karls des Großen Schwert gesetzt ist, damit zu richten über alles, was Femwroege, und der jedenfalls weiß, daß seine Vorfahren seit uranfänglichen Zeiten auf seinem Hofe gesessen haben und die eigentlichen Herren des Landes sind, so daß der heutige Adel nur braucht auszusterben, und es kann dann nicht fehlen, daß alle seine Güter und Grundstücke wieder den Schulzen zufallen. Wer kann es der schönen Margret also verargen, daß sie sich nichts wollte bieten lassen? Die von Schemmey behandelten sie auch gut; denn als der letzte Baron geheiratet hatte, ward sie Wärterin bei seinen Kindern. Und doch hatten sie so viel Not mit den Kindern und ließen von allen Domestiken keinen ihnen nahe kommen als nur die schöne Margret, die auch mit nach Paris mußte, als die Herrschaft dahin zog.

Die Schemmeys waren gestorben. Nach ihrem Tode war sie noch eine Zeitlang auf dem Gute gewesen, bei dem neuen Herrn von Katterbach, der als Lehnsfolger die Besitzungen der erloschenen Familie angetreten hatte. Darauf folgten ihre weiten Pilgerfahrten und nach diesen ihre Heirat. Mit der war es auch sonderbar zugegangen. Als sie das letztemal wieder nach Hause gekommen, hörte sie, daß es dem Schulmeister ihres Dorfes so erbärmlich gehe. Der arme Mann hatte die Gicht so stark in allen Gliedern, daß man ihm seine Stelle hatte nehmen müssen; zu gleicher Zeit waren ihm zwei Kühe, sein einziger Reichtum, innerhalb dreier Wochen nacheinander gefallen; und nun lag der arme Mensch kontrakt in seiner Hütte, ohne daß sieh jemand um ihn kümmerte und ihn pflegte; seine Frau war lange tot, und seinen Sohn, einen baumlangen Menschen, hatten die Preußen für die Potsdamer Wachtparade gestohlen. Der Mann hätte durchaus wieder eine Frau haben müssen, die Tag und Nacht um ihn wäre; aber wer wollte den kranken Schulmeister nehmen, um mit ihm auf dem blanken Stroh zu liegen und sich was vorstöhnen zu lassen?

Margret ging zu ihm und sagte ihm, daß sie es wolle. Der arme Schelm traute seinen Ohren nicht, aber als sie damit anfing, ihn zu pflegen und einen Doktor herbeizuholen, der nur aufschreiben durfte – Margret bezahlte alles – brachte sie ihn bald so weit, daß er mit ihr den Kirchgang machen konnte. Und weil sie so gut angeschrieben stand bei den vornehmen Leuten auf Diependahl und da herum, kostete es ihr nur eine oder zwei kleine Fußreisen – und der arme Schulmeister ward plötzlich als Verwalter auf Bechenburg angestellt, wo freilich nicht viel zu verwalten war denn die Grundstücke des Gutes waren alle verpachtet. Endlich starb er ihr ab; Margret schien sich aber so an ihn gewöhnt zu haben, daß sie auch nach dem Tode nicht von ihm lassen konnte; wer ihn sehen wollte, dem zeigte sie ihn, wie er in ihrem Bette lag, das heißt seine Schlafmütze und sein Nachtwams mit einer Maske dazwischen.

Nur zwei Umstände blieben geheimnisvoll an ihr. Ich meine nicht den, daß Margret für eine Vorgeschichtenseherin galt, denn das ist nichts Verwunderliches in Westfalen, daß es einzelne Leute gibt, die es nachts heraustreibt – zumeist wenn der Vollmond am Himmel steht – um Dinge zu sehen, die sich erst später wirklich zutragen sollen und die aus ihrer Zukunft herauf einen Schatten werfen, der ihnen oft um lange Zeit vorausgeht. Das hab' ich selber schon erlebt. Es sind meistens Leute mit hellblonden Haaren und nixhaften Augen, aus denen eigentümlich bohrende Blicke kommen, diese Seher; und sie klagen sehr über diese Gabe, als ob Gott sie damit strafen wolle; aber jeder Mensch hat seine Gaben, und was einem auferlegt ist, das muß man tragen. Nein, Margret besaß zwei Dinge, von denen niemand recht wußte, woher sie kamen; das eine war viel Geld und das zweite ein Sohn.

Die Leute wußten nur, daß sie den Sohn als Knaben von drei Jahren zu sich genommen, als sie Haushälterin bei dem von Katterbach auf Diependahl war, und daß sie ihm eine außerordentliche Sorgfalt widmete; auch nannte sie ihn »junger Herr« und »Ihr«, was darauf hindeutete, daß er wohl einen vornehmen Vater haben mußte; doch konnte man darauf keine Schlüsse bauen, denn Margret war in allen Dingen wunderlich. Woher sie aber das Geld bekam, ihn studieren zu lassen, das wußte und begriff anfangs keiner. Zuerst war er in M*** auf dem Gymnasium gewesen; dann hatte sie ihn zu Altdorf und Helmstedt studieren lassen, als wär er weiß Gott welcher vornehme Junker gewesen, und nachdem er nun zurückgekommen, sollte er, wie es hieß, noch nach Harderwyk gehen, um sich dort zum Doktor beider Rechte machen zu lassen, was doch, wie der Pfarrer sagte, nur für hundert holländische Dukaten zu haben war. Er war übrigens ein stiller und sanfter, aber etwas grillenhafter Mensch, den jeder lieb hatte, obwohl man selten eigentlich verstand, was er sagen wollte, wenn er sprach; er sah alles mit andern Augen an als andre Leute, und es hätte keinen gewundert, wenn Bernhard Fahrstein – er hatte den Namen mitbekommen in Ermangelung eines andern – behauptet hätte, der aufgehängte Buntekuh sei ein braver Mensch gewesen und er selbst sei ein Galgenstrick. Er hatte ein etwas blasses Gesicht, das zart und fein geschnitten war, und sehr weiche Züge. Weil er so zart gebaut war, schien er auch nicht groß; doch war er über mittlere Größe. Sein Auge war so blau und treu wie das einer zahmen Taube, sein ganzes Wesen aber jungfräulich und sanft; ich glaube, er war so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.


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