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Die grobe Sünd.

Tief drin im Dornauberg, dort, wo das Bergtal am engsten, steilsten und wildesten ist, liegt auf einem trotzigen Bergeck ein Hof. Hoch droben an der Lehne steht das Haus gegen Wind und Wetter. Die paar Felder drum herum, damit kann der Bauer, der Kralinger, wahrhaftig wenig Ehr einlegen. Sie sind arm und winzig, dazu steil, schrecklich steil. Einen magern Roggenacker und etli Erdäpfel sieht einer, das andere sind alles Egartwiesen, auf denen jetzt die Blüh ganz wunderherrliche Blümel zaubert. Blau, gelb, rot und schneeweiß leuchtet es überall auf, und meinen könntest, der Herrgott hab die vielen Blümel nur werden lassen, damit eins nit gar zu früh merkt, wie wenig Gras dasteht. –

Ober dem Feld zieht sich der Heimwald gegen das Joch.

Und der Wald, das ist was besonderes. Es ist wunderherrlicher Tannwald, wenn er auch steil und hart gegen den Berg hinaufzieht. Vom Tal aus ist der Wald das Prächtigste, das Allerschönste in der ganzen engen, hohen Welt. Geschlossen stehen die Edeltannen Wipfel an Wipfel, und meinen könnt einer, nit die Hand hätt noch dazwischen Platz. Das kraftvolle, stille Grün ist geruhsam, und wenn der Wind darüberstreicht, ist ringsum ein stolz-ruhiges, gewichtiges Wiegen und Neigen, ein heimlich-ernstes Rauschen. Die Nadeln duften harzig und das Moos am Boden atmet so kräftig …

Dazu das Düstere und Schwerfrohe!

Lärchen sind eing'sprengt, Bäume wohl weit über 150 Jahre alt, dann und wann eine kümmerliche Bergbuche, deren Laub hellauf glänzt, und wieder große, alte Zirmbäume und Eiben …

Das alles ist, als ob seit Jahrhunderten keine Hackn durch den schönen, stillfrohen Wald getragen worden wär. Darum schleicht sich auch jedem, der unter diesen Bäumen geht, ein fast inbrünstiges Gefühl ins Herz. Und ist er endlich drunt im Tal, bei der wilden Achn, und schaut zurück, dann fallt ihm, er mag wollen oder nit, ein Brocken Sonn in die Seel …

O, ein Stück unberührter, alter Wald droben in der Bergeinsamkeit, das ist was Großes, was Ehrfurchtsvolles wie ein Heiliges, was Stolzes wie ein Geier und was Frohes wie ein lachendes Kindlein …

Das hölzerne Haus beim Kralinger ist armselig, und es ist, als ob es unter der Last des Seins stumm zusammenbrechen sollt und – nit mag. Wenn die Sonn mit den kleinen Fensterscheiben spielt, so vergoldet sie das bißl Glas voll Feuer und tiefer Lust. Aus dem Kamin steigt der Rauch kerzengrad gegen Himmel, und wenn der Jochwind die Stämme und Balken zittern macht, ist das ein herrlich schöner Klang. –

Der Bauer, ein starker, ungeschlachter Mensch, so in den ersten Vierzigern, kommt grad von Zell. Ganz zerdrückt und zermürbt kommt er daher, fast möcht einer glauben, er hätt schwer zu tragen. Seine Augen schauen stumpf, halb inwendig hinein, halb hinaus ins Leere, wie's oft bei Bauern ist, die grad der Föhn recht beutelt …

In der Stub springt ihm die Vev, sein Diendl, ein dreizehnjähriges Schulermädel, entgegen und halst ihn. Die Bäuerin ist auch gleich um die Weg und geht jetzt mit fragenden, hoffenden, schüchternen Augen auf ihn zu.

»Bist wieder da, Sepp«, meint sie und ihre Augen hängen an den seinigen mit einer Spannung wie selten. Je länger sie aber hängen, desto mehr sinkt ihr Hoffen und Glauben, desto deutlicher wird ihr, daß all ihr Fragen umsonst ist.

»Mei, Stine,« tut der Bauer nach langem, – »verloren ist der ganze Teixl … Sauber verspielt haben wir. Die gottverfluchten Gerichter! …« Und dann ist ein Toben und Schelten, ganz aus der Weis'. Ob er sich wohl die eigenen Finger zerbrechen will, der Kralinger? Minutenlang ist's heilig zum Fürchten …

Und das treibt der Bäuerin, der abgearbeiteten Haut, das Wasser in die Augen:

»Ja, mein Sepp,« seufzt sie …, »dann ist der Hof hin und … alles … gelt?«

Weh ist das geredet und gerade das wilde Weh hat den Bauern im Nu wieder zum Menschen gemacht. Aufspringt er und schreit fast: »Solang i Hand und Aug hab, gibt's das nit, Stine. Solang nit … wirst sehen …!«

Ganz ungewollt hebt er seine Hände gen Himmel, und es ist, als ob er schwören wollt.

Sechs Jahre hat der Prozeß jetzt gedauert. Ganz unmöglich kann er ihn verlieren, alle, der Advokat, die Bauern und alle haben ihm das gesagt. Und jetzt ist er doch sauber verspielt.

Er denkt drüber nach, wie er wieder mit dem Zeiserl allein in der kleinen Stub war. Der Kralinger wird's wohl nie finden, wo's hängt. Nie! War's doch ein Prozeß, wie's bei unseren Bauern oft ist. Ein Brosen gutes Recht, eine Handvoll Gescheiterseinwollen, ein Löffel Geiz und ein Schuß Standhaftigkeit auf ein Recht, das sein kann und auch wieder nit. Das Ganze muß sich einer denken in einem großen Kübel voll Bauerneigensinn gut verrührt …, dann hat er die Brennsupp … Wie's oft geht bei so langen Streitereien, hat der Kralinger die Kosten, die zitzerlweis' ganz unschuldig daherkommen und ungehofft armdick anschwellen, alleweil bei guten Bekannten geliehen, und jetzt soll er zahlen … Alles zusammen so gegen Dreitausend und gleich auf einen Ruck … So was ist öd, verhöllt öd. Das zersorgt einen Menschen, voraus, wenn er jeden Tag Plag genug um sich zieht.

Lang ummerspintisieren, das vergeht einem Bergbauern, weil die Arbeit draußt schreit wie ein nasses Kindl, und von den ganzen Sorgen bleibt eine dumpfe, finstere Kraft, die ungewollt in die Sens' geht. Es ist, als ob einer, solang er sein Arbeitszeug in der Hand hat, all das Z'widere los und ledig wär. Wenn er aber einen Augenblick aussetzt, ist alles wieder da … wie die frechen Spatzen. Und so kommt einer ganz von selber dadrauf, ja nit aussetzen, grad, damit was g'schaffen wird, wie er sich selber vorlügt. Daß er auf die Weis' seinen bohrenden Gedanken davonlaufen will, das wird doch ein Bauer nit wahrhaben wollen. So dumm …

Müd und zerschlagen kommt der Kralinger unterm Eindunkeln heim. Der Knecht und die Dirn wollen an der Schüssel lachen. Aber schrei du in einen Wald, bald er zu faul ist zum Antworten. Dann laßt es galing halt bleiben. So sind die beiden schlafen.

Der Bauer aber unterm Herrgottseck murmelt ein übers andere Mal: »Aufhausen werd i müssen … Aufhausen …« Seine Augen leuchten wie rauchiges Feuer, und die Faust fallt schwer auf die Tannplatte. Jetzt in der stillen Stub kommt ihm fast das Verzagtwerden.

Erst wie die Stine bei ihm hockt, verliert sich das.

»Ih geh morgen auf Innsbruck!« fangt er langsam an. »Leicht krieg i auf der Hypothekenbank Geld …«

»Schon,« nickt die Bäuerin, »aber das denkst nit, wiedergeben müssen wir's und von was, möcht i fragen. Ein, zwei schlechte Jahr, und die Sach ist ärger wie heut …«

Dadrin muß ihr der Kralinger recht geben. Und voller Wehmut meint er endlich: »Wenn doch zu uns auch einmal ein bißl Glück käm!«

»Ist kein Verlaß aufs Glück, Sepp!« ist die Bäuerin auf.

Da wird er zornig, springt auf und schlagt hinter seiner Tür zu. – –

Das Innsbruckfahren hätt sich der Bauer sparen können. Nit grad an einem, nein, an fünf, sechs Örtern hat er um Geld g'fragt, aber kriegt hat er keinen Kreuzer. Auf der Bahn in Jenbach hat ihn noch dazu einer angredet, daß er sein Geld, es sind über zwei Tausender, jetzt haben müßt. Das war das ganze.

Ganz aufg'wühlt ist der Bauer heimkommen.

»Nix war's, Stine,« berichtet er, »nix, rein gar nix!«

»Ah was!« ist die Stine fast übermütig. »Sei nit lappet. Der Kaiser ißt Brot, wenn er nix anders hat. Verkauf den Wald. Zu was wir wohl so einen großen Heimwald brauchen!«

Grad aufschaut der Kralinger.

»Verkaufen?« lacht er voller Zorn. »Was das wohl nutzen könnt! Die Schlagbewilligung kriegen wir doch nit. Hast es ja g'hört, was der Forstkommissär g'sagt hat. Ja gut auf den Wald schauen; wenn der nimmer stand, wär's arg wegen der Lahnen …«

»Patschjaggele du!« meint die Bäuerin lustig, »was wohl die Lahn soll, uns trifft sie nit. Höchstens einen Stadel drunt beim Nachbarn kriegt sie. Sonst nix. Und dessentwegen sollen wir aufhausen. Bist nimmer gescheit!«

»Du redest, wie du's verstehst«, redet der Bauer gegen an. »Auf unsern Wald bin i stolz. Mein Vater hat ihn schon g'halten wie sein bestes Kind.«

»Schon, aber hilf dir … Was nutzt uns das alles? Merkst nit, daß Vater mit dem Wald eine Sparkasse hat bauen wollen?« überredet die Bäuerin.

Und der Bauer schüttelt den Kopf. Das letzte, kommt ihm vor, wär's, seinen schönen Wald aufgeben …

Dann kommen Tage und Tage, die schwer, so unsagbar schwer auf dem Gemüt liegen. Und je näher die Zeit kommt, wo der Bauer zahlen soll, desto trüber steigt es ihm auf.

Es gibt um und um keinen Weg mehr, und das zerdrückt alles in ihm. Seine Stine, die es mit ansieht, zermartert sich nach einem Ausweg, und endlich ist sie soweit, die Bäuerin.

Sie fährt auf zwei Tag fort nach Innsbruck oder Hall, wie sie sagt, und wie sie wieder kommt, ist der Pinelli bei ihr, ein großer, großer Holzhändler, einer der größten in Tirol. Der Bauer aber will nit, um keinen Preis.

»Kauf ich einfach das Ganze …«, protzt der Wälsche voll Hohn.

»Was!« schreit der Bauer. Und dann ist es geworden. Der Handel hat den ganzen Nachmittag gedauert. Zäh und hart war jedes Wort. Ganz unmöglich kommen die beiden auf eins. Noch zur Marend waren sie um Zweitausend voneinander. Wie er sich auch bemüht, der Pinelli, gegen Eindunkeln muß er richtig nachgeben. Alles Holz, das steht, ist um 9000 Gulden sein. Schlagen muß er's sich aber selber und dem Kralinger geht's nix an, wie er das richtet.

Die Woch drauf hat der Bauer alles zahlt und einen Haufen Geld auf der Sparkasse. Völlig frisch leben fangt er an, und ein starkes Gefühl ist in seinem Herzen, wie nie noch. Grundglücklich kommt er sich vor, und alles wär recht und gut, wenn nur nit immer was in ihm bohren und beißen möcht. Wenn er so vor seinem Haus hinüberschaut auf seine lieben, alten Bäum, die jetzt dann nimmer sein werden. Er kann sich ja seine enge Welt gar nit denken ohne das stille stumme Grüßen und Winken der Gipfel.

Gegen Herbst kommen die Holzknecht, und es geht ein Schaffen und Werken an, das einem völlig aus'n Denken drausbringen könnt.

Im Wirtshaus hockt der Bauer einen Sonntag vormittag.

»Ho, Kralinger, ist's wahr,« schreit einer vom Ofen her, »hast deinen Wald verkauft?«

»Das Holz halt«, tut der Bauer.

Meint der Ferstl: »An deiner Stell hätt i das nit tan.«

»Du brauchst auch an meiner Stell nit zu zahlen«, ist der andere spitzig.

»Ja, ja,« antwortet der Bauer, »wenn schon. Aber die Lahnen, die da abfahren werden.«

Hellauf muß der Kralinger lachen. »Laß sie abfahren, sie treffen ja doch nix. Steht ja kein Haus weitum.«

Der Pfarrer mischt sich auch drein.

»Wird wohl sein, daß du dir anders hart helfen hast können, Kralinger«, sagt er in seiner einfachen Weis'. »Aber laß dir's g'sagt sein, eine Sünd ist's doch. Eine grobe Sünd. Wir müssen in Tirol mit'n Wald besser umgehen. Sonst frißt uns die Hauskatz.«

Grob hätt der Kralinger werden mögen. Aber weil's nit geht, schupft er halt die Achseln. Mein Gott, so ein Geweihter redet ihm lang gut. Hätt er ein anderes Mittel g'wußt, hätt er's grad sagen mögen und niemand wär drum froher als er.

»Siggst, Bauer,« meint der Pfarrer wieder, »ein Wald, das ist was ganz schrecklich Ehrfürchtiges. Da stehn Bäum, die dein Ähndl, andere, die dein Vaterl, und solche, die du hast werden sehen, und ein Haufen Jungholz ist da, das mit deinem Diendl aufwachst. Bald einer so durch einen stillen Wald geht, schleicht ihm oft genug was Inniges durch das Herz. Ein Feld, einen Acker, den bringt jede Blüh unter ein anderes Hütel. Aber ein Wald, siggst, das ist was für die halbe Ewigkeit. Das Größte, was ein Tiroler Bauer seinen Kindern erben lassen kann, ist ein großer, starker Wald … I hätt anders 'tan, Bauer …«

»In der Welt, Pfarrer, geht's alleweil: hilf dir, wie du kannst«, trotzt der Kralinger. »Hab i die G'setz g'macht, die dummen? Greifen kannst du's, daß du recht hast, wenn's einen Herrgott gibt … Einen Dreck. Da habens Hintertürln, Fenstersprisseln und Sachen, du hast gar keinen Begriff nit, Pfarrer. Rein dumm machens di im Namen des Gesetzes.«

»Ja glaubst denn du, dir allein geht's so?« tut der Pfarrer mild und stillruhig. »Wie viel Bauern haben sich schon an solchen Dingen den Fuß gebrochen.«

»Nachher kann eins aber nit uns bei den Ohren nehmen, wenn's frisch kein anders Mittel mehr gibt, dunkt mi«, redet der Kralinger und haut auf den Tisch, daß die Glaseln scheppern. »Was soll denn ein dummer Bauer? Kann der wissen, daß es nach der G'schrift geht und nicht nach'n Herzen? …«

»Itzt da hat der Kralinger recht«, schreien gleich etli Bauern am Tisch. »Aufg'legt gewinnen muß er, wenn's doch geht, wie's gehen soll.«

In aller Augen kann man's lesen, daß die Sach so ist. Keiner in der Stub, der anders denkt. Keiner!

»Ja Leut,« meint der Pfarrer wieder, »itzt ist's, wie's ist. Kannst nix mehr machen. An deiner Stell tät ich mir Bäum aussetzen. In zehn, zwanzig Jahren steht dann wieder ein junger Wald, und wenn's auch weit über hundert Jahr dauert, bis er auf ein neues schlagreif wird, etwas wär's doch. Meinst nit?«

»Hm,« tut der Bauer, »es kostet Arbeit und Geld …«

»Itzt ein bißl magst schon aufwenden. Wer weiß, ob nit deine Kinder noch Gutes davon haben.«

»Du redest, wie du's verstehst, Pfarrer«, ist der Kralinger auf. »I, wo i eh nur ein Diendl hab …«, klingt's müd.

»Weil lassen, Bauer. Es kann alles noch kommen.«

Da muß der Bauer lachen. »Gut Pfarrer, wenn's so weit ist, werd ih aufforsten. Da hast meine Hand«, redet er fast ein bißl übermütig.

Es war eine besondere Zeit. Beim Kralinger haben sie's gar doppelt gespürt.

Seit der Wald nimmer war, ist Glück ins Haus kommen, alle im Dorf haben es gesagt. Alle. Hört die Stine so ein Reden einmal, so macht sie das grad lachen. Der Bauer mufft dagegen. »Mei,« tut er alleweil, »die Leut reden halt, weil sie der Geiz verbrennt und der Neid vertrocknet. Möcht sehen, wie viel Glück dabei ist. Zum lachen …«

Sogar die Bäuerin gibt ihm dadrin recht, denn niemand weiß es so gut, wie er sich plagt, Tag und Nacht, ihr Bauer.

Jetzt, so viel muß eins schon gelten lassen, seit dem Waldverkauf ist der Kralinger ein anderer Mensch worden. Fürs erste, er hat Geld in der Hand, er kann sich rühren. Kann kaufen, wenn's ihm gut dünkt, und beim Verkaufen braucht er nit so eilen wie andere. Dazu ein zäher Mensch, der weiß, was er will, das war er immer. Handeln kann er wie nit bald einer, und jetzt, wo ihn der leere Geldbeutel nimmer müht, hat ihm der Handel Freud gemacht. Aber oft und oft erwischt er sich bei dem Gedanken, daß ihm der verlorne Prozeß zum Nutzen war. Zuerst schießt ihm das grad so auf und weit wirft er so was Dummes hinter sich. Langsam fangt er an, mit dem Gedanken zu spielen, und gar nit lang dauert's, bis er's einsieht, daß er nit einmal dumm ist. Hundert Dinge gehen an seinem Herzen vorüber, die ihn erst jetzt denken machen. Ding, auf die er nie früher was geben hat, sind ihm jetzt von einer Bedeutung, nit zum glauben wie. Wohl ein Brett vorn Kopf muß i g'habt haben, denkt er so für sich. Mein Gott, wenn einer mit seinem standhaften, kindlich-ehrlichen Herzen durch die heutige Welt will, hat er's nit leicht. Überall kann so einer zu kurz kommen …

Und wieder einmal muß er denken. Für einen, wie er einmal ist, gibt's grad zwei Ding. Entweder nimmt sich einer das in der Weis' zu Herzen, daß er hart wird und tut, als ob's drin in der Brust nix gäb, und probiert alles, was das Gesetz nit verbietet, oder aber … Ja, was aber …

Die Sonn will einmal wieder untergehen und vor der Hausbank sieht der Kralinger das schöne Goldigrote. Es zittert ihm bis zutiefst ins Herz hinein. Wie ein winziges Glöckl klingt's und singt's in ihm. Seine Augen werden fester und heller und im Nichtsdenken kommt so was Weiches, unheimlich Großes über ihn.

Da fällt ihm wieder sein Prozeß ein, und mit eins sieht er's deutlicher, wer nur das tut, was das Gesetz vorschreibt, ist ein armseliger Mensch. Was lernen muß der Bauer, was lernen, damit er seinen Weg gehen kann und an den Steinen nit wund wird. Ums Rechthaben geht's nit auf der Welt, wie der Bauer alleweil meint. Recht behalten ist Trumpf.

Nix anderes. Und wie einer wohl recht behalten könnt auf die Dauer, wenn er nit was Ordentliches gelernt hat? … O mein Gott, die kleinwinzigen Schlich und Sachen, die nur grad er gesehen hat beim Gericht … Ja, was lernen muß heut der Bauer, sonst frißt ihn die Hauskatz. Sonst kann er nie und nirgend trauen …

Und völlig heilig ist's dem Bauern aufgestiegen, sein Prozeß soll ihm die Lehr sein. – –

Und weil das so war, ja mit jedem Tag fester wurd, ist der Mensch allmählich gewachsen und ist größer und größer geworden. Zuerst sind die nächsten Nachbarn kommen, eine Sach abreden, dann die weiteren und endlich ist im Dorf nix Extras mehr getan worden, wo nit die Leut gefragt haben: Kralinger, wie meinst du?

Es war ihm eigentlich ganz gar nit recht, aber Na sagen kann einer auch nit. Und immer weiter und tiefer hat er so sehen lernen. Dazu der gesunde Erwerbssinn des tüchtigen Bauern, der zähe Fleiß, das ehrliche, immerwährende Schaffen und Schanzen … Ja, ja, der Pfarrer muß es selber sagen, wenn nur alle Bauern so einen Prozeß hätten, freilich, so viel drausnehmen müßten sie sich können … Wär wohl ein Glück fürs ganze Dorf. – –

Es ist ein Fleiß, ein ganz glühniges Wollen über den Menschen gekommen. Die Leut haben sich rein verwundert. Weil s' dumm sind, die Leut, wo's überall das gleiche ist. Wenn erst das Brett vorn Kopf weg ist, wenn einer nimmer alleweil glaubt, grad so, wie i tu, wie i bin, so ist's am besten und die andern Leut gehn mih einen Schmarrn an, dann ist die Sach schon auch im Werden. Ein bißl Herz, Verstand und ein fester, fleißiger Wille, dann wachst einer jeden Tag und jede Stund. Wenn's Brett mal nimmer vorn Kopf ist, dann kriegt's durstige Kalbl Wasser und alles, gar alles ist gut. Jede Kuh sucht sich das Gras selber, itzt warum sollt ein Mensch nit so g'scheit wie eine Kuh sein …

Und ein Bauer hat's viel, viel leichter wie ein Stadtlinger. Er ist aufgewachsen mitten in der Natur, und von klein auf ist die Natur sein Kamerad. So viel wie so ein Bauer grad von der Natur lernen kann, lernt keiner nit. Gar keiner …

Die Stine hat langsam aufgeblüht. Das Glück guckt ihr aus den Augen, meinen die Leut, die's wissen müssen, versteht sich, und eins ist ja wohl g'wiß wahr: Sie hat den Ihrigen geholfen, wo's einmal geht. Und weil zwei Roß alleweil mehr ziehen wie eins, sind sie beim Kralinger heilig schneller vorwärtskommen. – –

Vier Jahr ist der Wald schon verschwunden, da muß der Kralinger aus einem kleinen Heiden einen Christen machen lassen. Das ist ein b'sunderes Geschäft. Den einen freut's halb zu tod, aber es gibt auch Leut, die sagen, ein gutes Kalbl wär ihnen lieber. Für den Bauern war's helle Freud. Diesmal ist's ein Bua. Jahrelang hat er sich einen gewünscht, und nit, unmöglich nit, hat's sein wollen. Jetzt, wo keiner mehr was denkt, kommt er daher, der Loter …

In einem Heukorb hat ihn der Bauer zur Kirch g'tragen. Das hätt er sich ja nit nehmen lassen, um alles nit.

In der Sakristei, wie's aus war und gar, schreibt der Pfarrer die Sach ins Taufbuch.

Der Bauer steht neben ihm, und wie das Buch zugeklappt ist, meint der Geistliche lustig:

»Alsdann, Kralinger, itzt wird aufgeforstet. Hast es versprochen …« Und mit den Finger gedroht hat der Herr, weil er's deutlich sieht, daß der Bauer längst drauf vergessen hat. Ein Versprechen soll einer aber nit vergessen.

So kam's, daß der Kralinger so an die 4000 junge Bäumerln ausgesetzt hat. Und schön haben die Wurzeln gefaßt, stolz sind sie dir im nächsten Frühjahr hergestanden.

Grad, daß es nit zu lang dauert, das Glück …

Im Herbst muß er sehen, wie die Goaß gewirtschaftet haben. Nit zum glauben, die halben Bäumerln sind hin oder Krüppel. Den ganzen Fleck geht der Kralinger aus und vor jedem Bäumerl macht er seine zornige Reverenz. Aber ist nix zu machen. Es ist so.

Eine ganz vermaledeite Wut ist dem Bauern aufgestiegen. Jetzt, wo's so schön herschaut, haben die miserabeln Goaß das alles zernichtet. Ist ihm rein nix übriggeblieben, wie zum Langis einen Haufen neue Bäumerln zu kaufen.

Und wie die dann stehen, wollen sie dem Bauern eine Freud machen und wachsen rein wie narrisch. Oft ist der Kralinger itzt hinauf ins Nachschauen. Und nix ist geschehen, gut steht's. Er hat sie wohl auch g'hütet wie seine Augen.

Im Herbst ist sein Vieh von der Alm und geht die letzten Wochen noch auf den Feldern.

Wie der Bauer etli Tag danach durch seinen werdenden Wald geht, es ist der reine Zufall, sieht er wieder Baumbiß. Da flucht er rein sündhaft und andern Tags paßt er extra auf.

Stundenlang ist er am Boden gelegen. »Die Vieher, wenn i erwisch!« ein übers andere Mal droht er.

Und gegen Abend hat er sie erwischt … seine eignen Goaß. Mein Gott, eine ordentliche Goaß und so ein Bauernzaun, wär ja zum Lachen, wenn so ein Vieh nit drüber könnt, voraus, wo der Zaun an einem Orte hin ist.

Und wieder hat ihm die Sach etli hundert Bäumerln kostet.

Den Oberförster hat er es einmal geklagt.

»Ja, Bauer,« meint der bestimmt, »da hilft dir gar nix, wie weg mit die Goaß oder einzäunen. Und daß es einen guten und hohen Zaun braucht, das weißt selber.«

Das Zäunen, das kostet zu viel, und so hat er seine Goaß abgeschafft.

Der Winter hat extra viel Schnee gebracht, und der drückt ihm einen Teil der Bäumerln kaput. Ist also mehr dieselbe Geschicht. In der Zeit zwischen Bau und Mahd darf er wieder im Wald arbeiten. Es war eine unlustige, unfrohe Arbeit, weil er jetzt den Eigensinn als Vorspann genommen hat. »Extra! Das möcht i sehen!« meint er ein übers andere Mal.

Auf die Weis' aber hat er nit, wie er wollen hat, den ganzen Wald langsam anpflanzen können, weil er sein Ganzes auf das eine größere Fleckl sparen muß.

Und jetzt geht's auch ganz gut. Es wächst und wird groß und stark.

Der reinste Triumph blitzt ihm aus seinen eigensinnigen Augen, wenn er so ein bißl Jungwald sieht.

Da, jetzt stehen die Jungbäume, was die ältesten sind, schon gegen das sechste Jahr, da reißt ihm eine Lahn in einem Husch mehr als die Hälft fort.

Eine ordentliche Lahnhex meint ja, grad Zündhölzel sind's, so kleine Bäumerln … Das braucht einen Tusch, und gegen den Berg an liegen sie, wenn sie nit lieber in die Luft auffliegen. Dann kommt die Lahn selber, und die schabt das letzte Bißl auch fort. Was jahrlang gebraucht hat, in einer halben Minut ist der ganze Teuxl hin … Der Strich, wo sie talab ist, die Lahn, kein Rasiermesser hätt so Halm und Stein wegschaben können. Eine Schüssel, wenn's die Katz ausleckt, ist um kein bißl sauberer wie jetzt der Lahnstrich.

Dem Kralinger ist taglang ein Zorn und ein Verzagtsein aufgestiegen wie nie in seinem ganzen Leben. Heinen wär leicht, aber das kann nit helfen.

Beim Stern in Zell hockt er einmal nach Kirchzeit. Da redet der Oberförster übern Tisch hin:

»Gelt, Kralinger, eine feine Arbeit ist das Aufforsten.« Und völlig was Boshaftes, was Schadenfrohes, meint er in seinem Gesicht zu sehen.

»Z'wegen was?« tut er mürrisch.

Lacht der grausliche Mensch die längste Zeit vor sich hin. Dann guckt er dem Rauch aus seiner Pfeif nach, und lang dauert's, bis er redet.

Inzwischen zerbohren ihn die Augen des andern, weil der heilig glaubt, sein Unglück gönnt ihm der Mensch. Schließlich sagt er's ihm auch ins Gesicht.

»Itzt gönnen, das ist zu viel gesagt, Kralinger«, wehrt der Oberförster.

»Gönnen tut eins einen braven Menschen nichts Schlechtes. Aber, wenn ich ehrlich sein soll, freuen tut's mi doch auf der oan Seit …«

Der Kralinger will auffahren.

Aber dazu laßt ihn der Herr gar nit kommen. Gleich redet er wieder: »Den Wald niederschlagen, das ist eure größte Kunst. Aber dadran denkt keiner von euch G'scherten, wie schrecklich hart daß es ist, im Hochgebirg neuen Wald zu kriegen. I, weißt, freu mi, daß es endlich einer von euch einmal spüren muß, wie das alles grad kein Kinderg'spiel nit ist … Da möchtest dir ja die Lungl herausreden, alles nutzt nix … So … itzt siggst es einmal selber …«

Jedes Wörtl ist dem Bauern eine Nadel, eine heiße, glühnige. Im Herzen ganz tief drin muß er jedes Wörtl stehen lassen, weil's wahr ist, heilig wahr. Keiner weiß das itzt besser wie er, der Kralinger.

»Weißt Bauer,« tut der Oberförster wieder, »aufforsten, das tun wenig Bauern, deswegen können sie's wohl auch nit wissen, wie hart daß es ist. Wenn aber einmal einer aufforstet, so muß unsereins auch helfen. Und das will i dir auch, so gut i grad kann. Neue Bäumerln sollst kriegen … Es bleibt dir schon noch gnua, daß du's nimmer leicht vergißt.«

Das eine weiß der Oberförster einmal g'wiß, der Kralinger wird keinen Bergwald mehr ganz niederhacken, bloß die besten Bäum ausschlagen.

Wie er gegen Herbst einmal selber zum Kralinger ist wegen der Sach, sind die zwei den ganzen Berg ausgegangen.

»Es nutzt dir nix nit, Bauer«, tut der Förster nach langem. »Wennst das Jungholz an dem Platz groß kriegen willst, mußt die Alm, die drüber steht, pachten auf so zwanzig Jahr und mußt droben einen Fang bauen. Die nächste Lahn macht dir's sonst grad so.«

»Teigel, Teigel!« schreit der Bauer fast.

Aber hingangen ist er doch zum Zwerchmooser und hat ihm die Alm auf zwanzig Jahr abgepachtet. Wie sie dann so halb sein war, hat ihm der Förster einen jungen Menschen geschickt, der die Leut kommandiert beim Bauen.

Beim Kralinger hat der junge Mensch, der Heinrich Gschwendtner, die Zeit über gehaust. Die Haustochter, die jetzt schon über zwanzig und ein lustiges, festes Diendl worden ist, war viel in seiner Näh. Und grad über ein Lackl Kaffee haben die zwei Leut zu brennen angefangen. Wie der Blitz und der Donner, so war's da auch. Der Bauer hat es bald gespannt und zuerst wehren wollen. Aber er hat, wie viele vor ihm, halt auch merken müssen, daß das Wehren nit ausgibt. Beim Bildstöckl im Feld draußt haben sich die zwei ewige Liab und Treu versprochen, und etli Tag drauf ist gar der Vater vom Buam daherkommen und hat ums Diendl angehalten. Vernünftigerweis kann der Bauer nix mehr dagegen haben. Die zwei Leut fressen einander auf vor lauter Liab und die Verhältnis sind nit schlechte. Der Bua hat seine Sach, ist gesund, und brav ist er auch. Also sagt er halt Ja, wenn ihm auch ein Bauer lieber wär. Mei, wo die Liab hinfallt, da ist was besunderes …, kannst sov'l wenig dagegen machen …

Und jetzt war im Haus ein Haufen Glück, der im größten Heustadel keinen Platz mehr fänd. Die Bäurin jubelt heimlich und die beiden Liabsleut, die muß eins fürchten, werden ja narrisch. Den Bauern hat die Sach langsam angesteckt wie eine Krankheit, meint er in seiner Boshaftigkeit, damit ihm seine Vev das grausliche Reden verbietet. Mei, oft tuat einer was, grad damit's ihm von einem saubern Diendl verboten wird. Voraus, wenn er's recht mag; und der Kralinger ist mit sein Diendl überhaupt gern auf der Sonnseit, weil's ihm sov'l tief ins Herz hineingewachsen ist.

Mitten in dem brennenden Glück setzt ein Landregen ein eine ganze Woch lang. Und geschüttet hat's – mein Gott, müssen die Engel droben im Himmel einmal unguat gewesen sein, so viel Wasser tragt eins do grad aus Straf zusamm.

Der Regen hat das Brennende gelöscht, so gut sich's löschen laßt. Und wie wieder der erste Tag ohne Wasser ist, ist die Arbeit doppelt schleunig aufs neue angangen droben beim Lahnfang.

Den Heinrich hat allerhand denken machen, und so laßt er sich die Sachen durch den Kopf gehen, bis seine Vev mit der Marend kommt. Bald die Dirn vor seiner steht, hat er zu so was nimmer derweil, der Bua. Er halst sie halt, druckt ihr's Patscherl und guggt ihr zu tiefst in die Seel. Und dann gehen sie Hand in Hand ein Stück die Lehn hinaus. Es ist ein wohles, heißes Gefühl in den beiden. Das Diendl schaut ins Leere und der Bua zu den Wolken. Auf ein Zeitl machen's die beiden umgekehrt. Und wie die Vev itzt den Wolken zuschaut, kommt's ganz eigen über sie. Grad haben sie zu steigen angefangen. Kleine, winzige Klumpen ziehen langsam, bedächtig, als ob's wallfahrten wollten, bergauf. Dann folgen andere und drunt bei der Achen geht's itzt an, wie wenn ein stiller, toter Krieg wär. Höher und höher kommen sie, die Wolken und Wölkerln. An den Baumgipfeln bleiben etli hängen, andere in einer Bergrunsen und meinen könntest, angemauert sind sie dort. Nach langem siehst, wie sie sich gegen wehren. Zuerst ganz verzagt, dann kommt ihnen mit eins ein bißl Kraft, und wennst meinst, jetzt wären sie stark genug, da sieht man sie wieder verzagt werden …

Das Spiel ist wunderschön. Endlich reißt sich ein kleiner Klumpen los und streicht gegen die Höh. Bald folgt ihm ein anderer, Kameraden wollen gern beieinander bleiben, das ist in jedem Krieg das gleiche. Ein Stück gegen die Höh hängen sie aber auf ein neu's. Die Vev denkt, wenn man ihnen grad helfen könnt, den dummen Dingern. Da das einwegs nit geht, bleiben sie halt auf ein neu's hängen. Und immerlings grad an den Wipfeln.

Es ist mit dem Wolkensteigen was Geruhsames, was heimlich Ernstfrohes, voraus wenn auf einmal ein Stück Sonn hineinleuchtet und die dummen grauen Ballen mit Gold und Schatten überschüttet ungleich und voller Eigensinn. Da glänzt ein Teil wie 's reinste Silber und das andere ist stuff vor lauter Dunkel, und brodneidig, weil's nur grau ist wie alles in der Welt, wenn's gegen Himmel steht.

Einem verliebten Herzen kommen bei dem Wolkenspiel Gedanken ganz heimlich im Tiefsten der Seele. Gedanken so wunderschön hell und wieder voller Weh dann.

Die Vev greift nach des Liebsten Hand und meint nach langem:

»Gelt, Heini, wir wollen auch immerlings himmelan …?«

»Ja, Diendl, liebstes. Ja, das wollen wir«, klingt's neben ihr wie in der Kirch.

Dann klammern sich zwei Händ ein und still ist's wieder eine Weil. Wenn nit ein Geierle sein müdes, eigensinniges Hiäh schreien tät, könnten s' gar glauben, um und um allein wären sie in der Bergeinsamkeit. Das Geierle hat ihre Gedanken wieder auf die nasse Welt gezogen.

»Weißt, Vev,« tut der Heini itzt mit einem Male, »wenn i grad deinen Vater recht helfen könnt.«

»Aber Bua, du hilfst, wie's besser nimmer geht«, ist die Dirn erstaunt.

»Schon, Diendl, liabs, aber Sorgen macht's mir doch … Den ganzen Verbau trau i einmal keinen Strich. Mein Gott, eine halbwegs ausgewachsene Lahn, und hin ist der ganze Teigel. Wirst schon sehen … Hat ja alles zu viel Gewalt, so eine Lahnhex …«

»Ja, der Gotteswillen, und Vater so ein festes Hoffen, Bua …«

»Wenn's die ersten zehn Jahr nit lahnt, nachher haltet es schon, das heißt halt so weit, daß die Jungbäumerln nit alle abgeschabt werden. Aber in den ersten Jahren …, da könnt der Herrgott nit garantieren …«

»Ja gibt's denn gar kein Mittel, Heini?« meint die Dirn zersorgt.

»Eins wüßt i schon. I müßt halt auf und auf bis zur Höh alle Büchsenschuß Pfosten einschlagen und Dräht ziehen, die im Herbst dann mit Taxen verlegt werden. Weißt, so Zeilen quer zum Berg täten die Lahn im Werden aufhalten, ihrer mehrere halt, mein i. Verstehst schon, gelt?«

Und ob das Diendl verstanden hat.

»Dem Vater kostet das aber zu viel, Vev.«

»Sei stad, Bua, liaber. Das werd schon i machen. Magst di verlassen.« Dadamit gibt die Dirn ihren Buam die Hand und im nächsten Augenblick ist sie voller Übermut dahin.

Alles, was wahr ist, gleich den Abend hat die Vev ihrem Vater das alles auseinanderdividiert. Das Lichtl, das die Vev aber ihrem Vater g'steckt hat, hätt gar bald sie selber verbrennt.

»Ah so wohl, der Heinrich traut seiner eignen Sach nix!« ist der Bauer auf, und völlig den Schlaf muß er sich aus den Augen reiben. »Ah da legst di nieder! So einer … Und für was zahl i aft, han? …«

»Aber Vater, so eine Lahn hat einmal eine zu große Kraft …«, tut das Diendl.

»Ah was! …«

»Ja, wenn Geld gnua da wär, dann ließ sich schon was bauen …«

»Ah so wohl hat er gesagt, der Hungerleider, der Schwindler …« Und auf einmal ist er hoch, der Kralinger, und der Zorn verbrennt ihm das ganze Gesicht. – »Weißt denn du, was mi die Sach bis heut kostet? … Weit über einen Tausender … Und das viele Geld ins Wasser werfen … Na, Bualein, da mußt dir einen Dümmern aussuchen …«

Das erste, wie der Heinrich im Eindunkeln unter der Stubentür steht, ist's beim Bauern, daß er ihn darauf anpackt.

»Was, du traust deiner eigenen Sach nit, Bua …?« Und drohend brennen seine Augen.

»Meiner Sach, Vater? … Aber gewiß. Der trau i schon …«, klingt's bestimmt.

»Ja, nachher …?«

»Den Lahnen trau i einmal koan bißl, Vater, meiner Sach schon …«

Das versteht der Bauer einfach nit.

»Bei solchen Dingen muß man's drauf ankommen lassen und auf'n Herrgott vertrauen. Den Verbau kannst zehnmal so stark machen, und schwören, daß es nix mehr geben soll, was er nit aufhaltet, kann dessentwegen do kein vernünftiger Mensch nit. Das ist die gleiche Sach wie beim Wildbach …«

Ehrlich hat der Heinrich geredet, das muß sich der Kralinger selber eingestehen, und grad das zürnt ihn. Innen voller Wut, geht er still und stumm zur Tür hinaus.

Zwei Tag ist er mit sich selber nit eins. Dann aber kommt ihm ein Gedanke. Und im Nu wird's wieder hell bei ihm …

Im Herbst, der Verbau ist itzt nachher fertig und die neuen Bäumerln stehen frisch und froh gegen den Himmel, meint der Heinrich einmal:

»Wie's ist itzt mit der Hochzeit?«

»Wird schon werden, Bua, dummer«, lacht der Bauer. »Die Vev ist no woltern jung, und dich muß das Warten auch nit verdrießen, kommt mir vor.«

»Sag das nit so g'schwind, Vater«, lacht der Heinrich.

»Werden wir einmal sehen, was du kannst, Bua. Wenn dein Verbau den Winter haltet, nachher magst wieder fragen um die Hochzeit …«

»Ja, wie komm i denn itzt dadazu, Vater?« ist der Bua halb zornig, halb verzagt.

»Hm,« tut der Vater, »wie d' dazu kommst … Weißt, den herrischen Leuten, den traut eins nit auf'n ersten Rosenkranz. Und gar Halbherrischen, die sein no um halb's schlechter, weiß i dir zu sagen, Bua … Das kannst mir einewegs nit verschmachen, daß i schauen muß, ob d' auch wohl so viel kannst, daß du mein Diendl halten kannst, wie's recht ist …«

Und das war sein letztes Wort. So viel die Vev auch g'bettelt hat, es war alles umsonst.

»Still bist, Diendl, dumms!« schreit ihr der Bauer ins Gesicht. Und wie das Stillsein nit recht geht, schreit er no besser: »So eine verliabte Nocken, eine Überspannte, meint, unsereins müßt grad Ja und Amen sagen. I muß aber aufpassen, daß mein Diendl nachher leben kann. Verstehst?«

»Aber, Vater, wir haben doch beide Geld …«, ist die Vev ganz überfahren.

»Ah was, Geld … das ist was und auch nit … Bist selber schuld, Diendl, dumms. Hättest einen Bauern genommen; da kenn i's gleich, ob einer was taugt oder nit. So ein Halbherrischer, der muß mir's extra aufweisen …«

Die Vev hat geheint und gebettelt, gebettelt und geheint. Aber der Bauer ist wie's Evangeli: was steht, das steht.

Der Vater von ihrem Buam hat das Aufschieben aber nit extra gern gesehen. Einsteils haben s' alles derheim hergerichtet. Das Häusl war fertig und alles. Da soll's auf einmal hinausgeschoben werden. Und dann, seinem Buam kann's gar nit schaden, wenn er endlich am Herd angehängt wird. Es fehlt nix, aber itzt ist er in dem Alter, das z'wieder ist, voraus, wenn so ein junger Mensch Geld in der Tasch hat … Seinen Leuten wär's ein Trost, wenn er eine Frau hätt. Und ihre Mitgift – hernehmen kann ein Baumeister Geld alleweil.

Der Heinrich hat alles dransetzen müssen, daß es nit zum Bruch kommt. Seine Leut haben gehetzt und geschimpft. Was so ein Gescherter eigentlich will. Wo er froh sein muß, um einen solchen Schwieger. Herdigatti …

Der Winter meint's gut mit dem Heinrich Gschwendtner. So wenig Schnee hat er gebracht; ein Wunder, daß es der Jochwind nit vertragen hat, das bißl.

Das Frühjahr setzt gleich warm ein, und so sind zum Herbst die Jungbäum wirklich nit übel droben gestanden.

Im Mai hat der Kralinger denkt, mag die Vev heiraten. Aber da hat's wieder beim Gschwendtner nit paßt. Der Heinrich war drin in Welschtirol bei einer Wildbachverbauung und die Arbeiterverhältnis waren nit danach. So hat man sich geeinigt auf Lichtmeß. Die Vev ist zu Tod froh, daß endlich einmal 's End hergeht und zählt die Wochen, je näher die Zeit kommt, die Tag, und um Weihnacht fangt sie schon an, die Stunden zu zählen. Auf die Weis' hat's Diendl wenigstens gut zählen lernen, wenn sie's eppa no nit recht können sollt, wie die mehrsten verliebten Leut … Und der zweite Winter ist, obwohl viel Schnee liegt, auch gut angangen.

Weil sie grad einmal davon reden die Bäuerin und der Bauer, schlagt er auf einmal auf den Tisch: »Siggst es, Stine,« meint er voller Inbrunst, »grad nit aufgeben mußt … Zuletzt zwingt eins die ärgste Sach …«

Seine Augen blitzen wie 's Jochfeuer. Der Bäuerin wird völlig warm, wenn sie aufschaut zu ihrem Mann.

Die Vev aber meint so trocken und verhalten spitzbübisch: »Hast recht, Vater. Ist's mir eine rechte Lehr z'wegen dem Heinrich …«

»Ah so«, tut der Bauer mit lachenden Augen. »Gib grad acht, daß er nit auf dem gleichen Sprießl steht, dein Bua!«

Dann wird von anderem geredet, und es ist fein warm in der Stub und in den Herzen …

Andern Tags kommt einer den Gangsteig übers Feld herauf. Die Vev steht vorn Haus und müht sich, wer das wohl sein könnt.

Der fremde Loter reißt sein Hütel ab und juzt hellauf. Und jetzt hat sie ihn kennt, den Heinrich. Laut schallt ihr Jodler gegen 's Tal, so laut, daß die Leut im Haus gar meinen, eine halbe Kuah hätt die Vev im Schnee gefunden.

Und dann steht der Bua vor der üblen Dirn. Mit glänzenden Augen greift er ihre Hand, und nachher ist's ein Zeitl still zwischen den beiden, so still, daß der Pfarrer eine Freud haben müßt, wenn's in der Kirch auch immerlings nit lauter wär.

»Ja, was tust denn du da, Heini?« ist sie voll Wunder und Freud.

»Nix Extras, Diendl«, lacht der Bua. »Die Liab plagt mi halt …«

»Ah so wohl, Büabele, arm's«, muß die Vev lachen, und dann gehen sie in die Stub.

Der kleine Sepp, der itzt schon gegen sieben Jahr ist, kriegt vom Heini ein Kindergewehr und schon so v'l was Schönes, wie's der Kaiser nimmer schöner hat. Der kleine Bua wär voller Freud und Glück wohl z'gleichen Füßen in den Bach gesprungen für den Heini.

Kaum hockt er, der Heini, fangt der Kralinger schon an:

»Ein dummer Mensch wirst wohl sein, Bua. Seiner eignen Sach nit trauen und derweil haltet's so gut. Ganz aus der Weis' gut. Bei dem tiefen Schnee ist rein gar nix passiert.« Und weitmächtig speibt er aus, denn er tut gern tschicken.

Der Heini sagt gar nix drauf. Denn entweder muß einer viel dagegen sagen oder frisch still sein. Die Sorgen, die so ein Baumensch hat, die begreift ein Bauer ja doch nie im Leben.

»Eine lustige Hochzeit soll's werden«, redet die Bäuerin dazwischen.

»Magst mi schon auslachen, Muatter,« tut der Heini, »aber ganz gwiß, i wart schon hart drauf. Wenn grad der dritte Februar schon bald wär …«

Die Leut lachen alle. Und nachher wird ausgemacht, daß die Vev auf etli Tag nach Stumm soll, zu seinen Eltern. Deswegen sei er heut da. –

Drei Tag vor der Hochzeit holt der Kralinger sein Diendl von Zell ab. Das helle Glück leuchtet aus ihren braunen Guggerln. Und ganz b'sunder kommt dem Bauern sein übermütiges Diendl vor. Wenn früher ihr Gesicht grad geglänzt hat vor Übermut, Lust und Spitzbübigkeit, so war jetzt ganz schreckbar viel Weiches und Mildliebes drin zu lesen. Als ob's ein anderer Mensch wär g'worden. Immer und immer muß der Kralinger sein Vev heimlich betrachten, und je länger er trachtet, wenn er ehrlich sein will, desto besser gefallt sie ihm. Früher war das Diendl wie ein guter, alter, echter Wein und jetzt kommt sie ihm vor wie Brot, das ein hungeriger Bettler zu tausend dankt.

Beim Stern hockt der Pfarrer am Tisch und etli Bauern sind in der Stub.

»Je, Kralinger, wie geht's?« ist gleich einer beim Wort, er hat die Schnall no nit aus der Hand. »Hochzeitsvater … ist gar kein übel Geschäftl, gelt«, lacht der Loter. Und der daneben hockt, meint gar auf einmal:

»Wie lang hast denn du's Glück in Pacht, Kralinger, weißt, nachher möcht i dran.«

»Mei,« tut der, »pachtest du dir Holzknecht? Wo du's g'wiß weißt, daß dir jeder, bald's ihm nimmer paßt, die Hack hinwirft? …«

»Nit Unrecht hat er, der Kralinger«, schreien andere am Tisch … Und der alte Latterer fängt wegen einer Kuh an, andere helfen und wollen anderes los sein, und so ist grad mit eins die Handelsschaft losgangen. Da war's itzt so, daß der Kralinger dadrüber Zeit, Ort, Wein und Brot vergessen hat.

Die Vev hockt daneben wie der Ast am Baum, und öd wird's ihr galing. Da geht zum Glück die Tür und laßt den Doktor herein. Kaum sieht der studierte Mensch die Kralinger Vev, da kann er's schon nimmer heben.

»Je, Diendl, grausliches«, lacht er übers ganze Gsicht, »traust di auch amal außer? Grüaß di!«

»Ah so viel, Leutumbringer!« lacht die Vev, weil die zwei ungleichen Leut keinen Blick beianander sein können, daß sie nit mit lachenden Augen raufen und streiten. Es sind gefreundete Leut, und der Doktor war als Mediziner die Ferien alleweil drin beim Kralinger.

»Jetzt siggt man di nachher öfter als Gschwendtnerin, gelt Vev? Bleibst so grauslich oder wirst do ein kleins braver? … Weißt, das muß i wissen, sonst mach i die größt Reib, bald i nach Stumm komm …«

»Mi stimmst! Einer, der sich kein Diendl zu fragen traut wie du, so ein lediger Fuchs, der kann mir lang reden«, ist's Diendl in der Höh.

Dadafür schmeißt der Doktor etli Zuckerstückeln in ihren Wein.

»Daß dir's Saure besser vergeht«, meint er.

»Die Medizin ist no schlechter wie deine andern«, laßt das Diendl nit aus.

Heilig verschlafen hat die glückliche Vev die linden Lüft, die die Nacht gebracht hat. In der hellen Morgensonn schaut sie überhaps hinüber auf die Schattseit und sieht dort die Bäum grün wie im Herbst. Aller Schnee ist von den Ästen getropft, und so unverhofft ist ihr der Augenblick, daß sie fast zum Kopf greift. Extra die paar Schritt geht sie vors Haus und schaut hinauf zu ihrem Jungwald. Dort ist auch jedes Bäumerl ohne Brosen Schnee.

Jetzt erst merkt sie's, wie lind die Luft ist. Ihr kann's ja recht sein. Feiner ist's do so wartenderweis' heraußt auf der Hausbank. Schon vormittag hockt die Dirn da, und es weiß es doch niemand besser wie grad sie, daß er erst nachmittags mit'n Vater daherkommt, ihr Heini. Vater ist in aller Herrgottsfrüh nach Ginzling. Er hat mit'n Wirt no allerhand zu verhandeln.

Der kleine Sepp lehnt um ihr umer und fragt die Arme rein tot.

Endlich bringt sie ihn doch einmal für ein Zeitl an. Und dann träumt die frohselige Dirn.

Zum Glück kommt endlich die Bäuerin daher und hockt sich fein stad heimlich neben ihr hin. »Vev, liabe«, tut sie auf einmal, daß das Diendl frei erschreckt. »Vev, itzt werd mir grad recht glücklich … Weißt, ein bißl hat das jeder Mensch doch in seiner Hand. G'wiß wahr …«

Die Haustochter schaut auf und fragt mit den Augen.

»Denk doch einmal, Diendl. Du bist ein kleines Schulerdiendl gewesen, als der Vater die härteste Zeit gehabt hat. Glück haben wir seitdem wohl eins gehabt, das schon. Aber was einer Henn wohl ein Guldenzettel nutzt, wenn sie ihn findet. Wir haben geschafft und geschanzt wie nit bald ein Bauer. Und das, siggst Vev, ist das wahre Glück. Grad immerlings schanzen und schaffen, aber mit Verstand, mit plagenderweis', sonst ist alle Plag Henndreck … Wo's sein muß, da arbeitet eins auch einmal hart und schwer. Aber sonst mußt immer spintisieren und sinnieren, wie mit wenig Arbeit viel hergeht …«

»Da bin i in einer guten Schul gewesen, Muatterl«, lacht die Vev voller Rührung.

»Heut, Diendl, ist Vater einer der reichsten Bauern im Dorf. Reich, siggst, ist bald einer. Glücklich aber kannst grad nur werden durch die eigene Kraft, durchs stillernste Mehrermachen, alleweil Mehrermachen die Sach …«

»Ja Muatterl. Ja …« tut das Diendl.

Jetzt kommt der kleine Bua wieder, und sie reden von was anderem.

»Völlig fein hockt sich's heut mitt' im Winter heraust auf der Hausbank«, meint die Bäuerin.

»Das ist's«, tut das Diendl. Und dann fallt's ihr ein: »Mußt mir's nit verschmachen, Muatter, daß i heut so faul bin. I wart so v'l hart auf meinen Heini.«

Die Bäuerin muß grad lachen und streicht ihr lieb über das Haar. »So ist's nit gmeint, Dirn«, redet sie … Aber die Vev laßt sich davon nit abbringen und geht mit der Muatter hinein ins Haus. Dort greift sie, was sich greifen laßt. »Weißt, grad, daß die Zeit vergeht«, meint sie lachend und doch wieder voll Weh und Glück.

Etlimal rennt sie vor die Haustür, ob er nicht bald kommt, ihr Bua.

Erst wie's das zehntemal ist, sieht sie drunt beim Brunn am Gatterl zwei Manderleut.

Der Sepperle kommt daher gestürmt:

»Der Vater kommt, Vev!« schreit er, »und der Heini …«

»Husig, husig!« tut der Kleine. »Drunt beim Brunn am Gatterl sind s' schon …«

Gegen das Herz muß die Vev fürs erste greifen. Dann faßt sie den kleinen Strick und dahin geht's.

Gangsteig …, ja mei, das ist was für die hatschenden Leut … Übern Schnee aus und bergab! Juchu … io … hio!

Der kleine Bua macht sich die Sach g'fieriger und kugelt sich bergab. Da könnt ihm doch was geschehen. Stehen alles zu viel grobe Stein aus'n Boden auf. Drum müht sich die Dirn, den Lumpen einzufangen. Wie s' ihn fast schon hat, ist er wieder dahin. Und so ist das eine nasse lustige Jagd.

Droben gegen das Joch fallt ein Schuß. Sie tun wohl Gams jagern. Die Berg rufen den Knall viel-, vielmal zurück, und es hallt und hallt, daß sich einer fast fürchten möcht, zumal wo alles weit und breit so mäuserlstill ist in der engen Welt.

's Diendl sieht die zwei Leut drunt am Gatterl. Sie winken und deuten, und sie winkt wieder im vollen Springen mit sprühenden Augen und helle Lust im Herzen.

Dann muß sie auf den Buam schauen. Und wie ihr nächster Blick zu den beiden hinunterfallt, tun die zwei wie die Narren. Sie schreien und deuten … rein zum Lachen kommt's ihr in ihrer Lust vor.

Da pfeift's über ihr. Sie hört's deutlich, aber das mag ihr nett gleich sein, kommt ihr vor. Und weiter springen die beiden bergab, immer kerzengrad dem Brunn zu.

Das Pfeifen kommt näher und macht das Diendl endlich aufschauen. Besonders wo die beiden Leut deuten wie die Narren …

Die Vev dreht sich gegen den Berg …

Ja …, was ist denn …? Der Schnee ober ihr lauft ja …!

Das schaut lustig aus. Die paar Brosen, mei, da ist nix dahinter, dunkt ihr. Aber sie springt doch ein gräußl aus der Richtung. Was sie grad tappen kann, das tappt sie auf die Seit. Der Bua an ihrer Hand versteht das aber falsch. Er reißt sich los und jetzt muß sie ihm wieder nach. Und wegen dem bißl laufenden Schnee, das ist ja grad lustig …

Kaum hat sie den Schlingel an der Hand, ist der Schnee auch schon hinter ihr und hebt sie auf. Von unten sahen die zwei Manderleut das ganze. Grad einen Augenblick ist das Diendl in der Luft. Dann fliegt ein bißl Schnee und nix, rein gar nix ist mehr zu sehen.

Nix mehr … Nur der Schnee, der rinnt und lauft, wird immer mehr. Schon hört man die Lahnhex. Und von dem Augenblick an war's, als wär der laufende Schnee ein Unheimliches, ein Schreckhaftes …

Da steht schon fast am Zaun eine große, schwere Tann. Ein Husch, und ihr oberer Teil fallt gegen die Lahn. Dann reißt es den Stamm samt der Wurzel hoch, und ächzend fallt er auf den rutschenden Schnee.

Große Steinbrocken sind im Weg. Als ob sie mit einmal Flügel hätten, so steigen sie in die Höh. Kerzengrad möcht einer meinen. Dann fallen sie gegen den Schnee und fahren bergab.

Der Zaun … Ja mei, die Stecken fliegen wie die besten Spatzen hoch auf.

Dann kommen etli Bäum und Stauden. Ein Krachen, Klirren, Brechen und Ächzen und – die Gass' ist frei. Jetzt patscht es in den vereisten Bach. Hoch spritzt der Schnee auf, und weit mächtig geht er schattseitig in die Höh. Das ist ein Stöhnen, Jammern und Wehklagen, bis er langsam zurückfallt. Ein bißl schießt was nach. Dann geht durch das Ganze ein Dehnen und Seufzen, so wildweh, so schreckhaft traurig und … alles, alles ist wieder still und stumm.

Etli Vögel schreien. Ein Marder schleicht sich blitzschnell unter die Bäum, und ein Fuchs, den die Lahn gestreift hat, muß sich besinnen, bis er lauft.

Vom Bach aus hat einer gut und gern eine Stund zu krallen, bis er droben ist, von wo die Lahn herkommt. Und meinen könntest, mehr wie drei Vaterunser hat sie zu ihrem Weg gar nit braucht. Der Lahnstrich ist sauber. Kein Brosen Schnee ist mehr drauf.

Der Bach frißt sich statt dessen langsam seinen Weg durch die gewaltige Schneemauer, die ihn sperren möcht.

Der Kralinger, der mit seinem Schwieger das alles tausendmal besser sehen hat müssen wie sein armes Diendl, ist erst langsam wieder zu sich gekommen. Wie er jetzt aufschaut, ist der Heini nimmer bei ihm. Er lauft, was er einmal kann, hin gegen den Bach.

Auf dem Bauch liegt der Bua und grabt mit den Händen wie ein Verzweifelter. Mein Gott, seine schwachen Händ, was die wohl sollen gegen diese Mauer. Stein sind leichter auseinander gegraben wie der festgepreßte Schnee …

Steine, Moos, Tannen, Latschen und Erd liegen hoch auf der toten Bahn. Aber das gilt jetzt nit. Die enge Welt ist still und stumm. Ein Drama, wie oft im Berg, hat eben ausgespielt, und die milde Wintersonn sendet mit alter Herzhaftigkeit noch ihre Abschiedsstrahlen …

Oh, mein lieber Himmelvater! Unsere Bergler muß eins gesehen haben in solchen Nöten! Da könntest meinen, ein Stückl Gott ist in den Leuten. In Minuten schaffen sie, was sonst Stunden braucht. Ihre Augen blitzen. Die Lippen sind voller Kraft zusammengepreßt zu Mauern, und jeder Muskel ist, als wollt er zerspringen …

Die Hände schwitzen Blut. Oh, mein Gott, Blut schwitzen, wie gern tat das jeder, wenn grad die Sorg nit alles zerdrückt und zermartert!

Alles, gar alles bis auf das letzte Zipferl setzen sie ein, unverzagt, und wenn's das eigne Leben gilt. Grad helfen …! Grad helfen …!

Und wenn nix mehr zum helfen ist, was dann …

Die Hausleut vom Kralinger sind auch längst herunt. Das Wasser rinnt allen von der Stirn. Alles Wasser, und wenn's noch so heiß und klar rinnt, es ist alles zu wenig, viel zu wenig …

Ums Eindunklen haben sie die Vev noch nit gefunden … einen Tag vor der Hochzeit …

Der Heini hat geschanzt wie ein Wilder. Es hat alles nix genutzt. Und wie das Diendl längst nimmer hätt leben können, da haben die Leut noch nit aufgegeben. Aber gefunden haben sie die Vev nimmer und den Buam auch nit. Liegt der Schnee ja haushoch wie eine feste Mauer auf ihnen …

Und dann endlich in der Stub:

Der Heini rehrt, daß die Dienstleut fast heinen. Die Bäuerin hat Glas in den Augen und der Bauer stöhnt dumpf und schreckhaft still. Er redet nix. Hat er wohl die Sprach verloren, ganz verloren …?

Endlich knien die Leut an die Bänk und beten Rosenkranz.

»Grad die lustige Vev«, seufzt der Goasbua mit unterm. »Der für uns Blut geschwitzt hat, grad die lustige Vev …« Und naß steigt es ihm in die Augen.

Der zweite Rosenkranz hebt an. Da holt die Bäuerin die Sterbkerz. Es ist, als ob sie allein gegen Opfer gehen wollt.

Aus dem Winkel hört man Seufzer, die eine junge Brust mit all ihrer Kraft hinunterwürgt. Und dann ein Stöhnen aus einem zerarbeiteten Herzen.

Die Leut beten weiter. Dem Goasbuam fallt ein, gestern hat sie mi no beutelt, die Vev, die lustige …

Endlich springt der Bauer auf. Seine Augen fangen wieder an, Glanz zu kriegen. Hoch steht er am Fensterbett wie eine Tann. Mit eins bricht er zusammen und in der Stub hören sie ihn deutlich:

»Die grobe Sünd«, hat der Pfarrer gesagt … »Die grobe Sünd …!«

Hinaus schreien möcht er's ins ganze Land. Hinausschreien, damit es jeder, gar jeder zu wissen kriegt, um wie viel er die Sach überzahlt hätt. Um wie viel … Er, der gebrochene Mann.

* * *

Zwei Jahre später haben sie die Vev gefunden. Als ob's gewesen wär, liegt sie im Schnee. Ein Lachen und ein hellfrohes Glück steht noch in ihrem Gesicht, als wollt sie Vater, Mutter und ihrem Heini noch gestorbenerweis' sagen:

»Eine grobe Sünd, die eins für andere büßt, ist wohl was Schönes, Großes …«

Der Kralinger hat die Zeit her mit dem Himmel gegreint und gewörtelt. Erst das Gesicht der toten Tochter hat das ausgelöscht. Jetzt hat er nimmer gegreint, jetzt hat er getragen still und so, daß keiner sein Weh sieht. Dann stirbt ihm seine Bäuerin. Oh, mein Gott, z'wegen was könnt nit er an ihrer Stelle sein. Auf ein neues will er den Herrgott schelten.

Ein neues Jahr braucht der Bauer, damit er endlich merkt, wie er dem Herrgott danken sollt, daß er die Straf nit größer gemacht hat …

Vorigen Winter ist der alte Kralinger gestorben. Der reiche arme Hascher der. Auf seinem Grab blühen Edelweiß und Rauten, und wenn sie nit grausliche Touristen brechen, blühen sie heute noch … als das Letzte, das Allerletzte vom – groben … Sünder …


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