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Die »Styria« schickt ein neues Bändchen meiner Tiroler Geschichten in die Welt. Auch diese fünf kleinen Erzählungen sind wieder so nebenher entstanden, wenn grad die gütige Fee in meiner Stube war und mir Tirol mit seinen trutzhaften, vom Wildbache umgrollten Schrofen, mit seinen geblumten Wiesen und den lachenden Dörfern, mit seinen Wäldern und Almen verlockend vor die Augen zaubert. Da vermeine ich dann oft genug, die Meisen singen und die Geier schreien zu hören. Ich sehe förmlich die Zirmgratschen streiten, und es ist in mir, als wäre ich inmitten des kräftigen Erdgeruches vom Jochwinde zerweht hoch auf einem Gipfel …
Wahrhaftig, erst in reiferen Jahren weiß man es sicher und gewiß, was die Heimat für ein köstlich kostbares Gut ist. Ein Gut, das uns die Kraft der Seele spannt, bewahrt und hochhält. Man sieht es ein, daß sie uns Anker und Richtschnur fürs ganze Leben geworden. Und ist voll Dank …
Wie ein großer, prächtiger Garten voll Gottesgüte und Sonnenschein ist die Heimat uns fürs erste das Kinderparadies. Später, wenn der werdende Mensch zwischen Lümmel und Mann der Reife langsam, stockend, in tausend Kreuz- und Quersprüngen entgegenwachst, ist sie uns Schirmer und Helfer, kurz, der allallerbeste Freund. In der Zeit der Vollreife endlich keimt aus ihr alles – was man ist, bedeutet und für die Welt leistet. Alles.
Es ist in der Bergheimat viel Verbohrtes, Enges, Verkehrtes und Trotzigeigensinniges, was sie so unvermeint werden läßt. Aber das tut nichts, gar nichts, weil alles Leben … Entwicklung ist. Im Gegenteil, wer das richtig übertaucht, wird dadurch nur noch fester in seiner Seele. –
Wie wäre es auch anders zu erklären, daß jeder, gar jeder, wenn er in der Vollreife zurückschaut, davon durchdrungen ist, daß er gerade das Beste, das Allerbeste der Heimat dankt? Tausende und aber Tausende der größten Menschen erfahren tagtäglich am eigenen, wie ihnen die Heimat Stütze, Schirm und Stab war und ist bis ans Ende …
Das wird jeder Einsichtige gern zugeben.
Darum laßt in euren Kindern das Gefühl für die Heimat voll Dank, voll Freude und voll Sonne groß, riesengroß werden, hegt es sorgfältig und laßt es wachsen und gedeihen, so recht ernstfroh und geruhsam, voll Selbstgenügsamkeit. Damit gebt ihr nämlich euren Kindern das Beste mit ins Leben, was ihr geben könnt.
Gerade in einer Zeit wie der unsrigen, die die Menschen wie Erdäpfel und Kaiserbirnen durcheinanderschüttelt, daß eins meinen könnt, auf dem gleichen Aste wären sie gewachsen, braucht es ein urkräftiges Gefühl für die Heimat, denn dort, wo es erst gebrochen ist, ist der letzte Schutzzaun verlahnt, der letzte Gangsteig vermurt und der Mensch wird zum Herdentiere. Wir Menschen können nämlich auf die Dauer nicht leben, ohne daß uns das dumme warme Herz immer wieder weit, weit über die Sonne hinauszieht. Wir brauchen einen Grundkern voller Ideale. Und Ideale, wenn sie haltbar sein sollen, die hat die Heimat gegründet und nichts wie die Heimat, weil man Ideale nicht lernt, sondern – einfach hat. Man weitet, man vertieft sie, aber im Grunde genommen nur, wenn im Menschen das schon drin liegt, was er weiten und vertiefen soll. An die Dauer von Idealen, die uns aufgepfropft wurden, glaubt kein Verständiger, weil es Strohfeuer ist. Alle Ideale, die ein Leben halten sollten, bauen sich auf Erziehung, Umwelt und Tradition, also auf der Heimat auf. Durch das Leben, durch die Bildung, Religion und Kunst werden sie erweitert, geklärt, vertieft, aber in uns begründet … nie, gar nie.
Weils auch wieder so ist. Das armseligste, magerste Bäumerl braucht einen Fleck, wo es die Sonne anlachen kann, dem Winde trotzt und wachst. Das Fleckerl mag noch so klein und winzig sein, macht nichts, aber eigen, ureigen, das muß es sein. Und nun erst der Mensch, der nicht mit der Sägmühle aufhört, dessen warmes Blut so viel, viel Gutes und so manches Üble verschuldet! Der braucht doppelt Halt und Heb, auf daß er sich fest und mannhaft spreizt, wenn's not hat.
Die Heimat ist uns auch deswegen von so grundlegender Bedeutung, weil die Menschen, die sich so mühen und sorgen, so hart leben und so verzagt streben, aus dem Eigensten so ungeheuer wenig geben können. All ihr Handeln baut sich ja auf die Erfahrung Abertausender, die vor ihnen lebten und sorgten, auf. Nun vergessen es die kurzsichtigen Menschen gar zu leicht, ja, sie scheuen es, sich auszusprechen, wie wenig, wie schrecklich wenig sie aus Eigenem, aus sich selbst heraus, wirklich geben können.
Alles, was der Mensch hat, das hat er von seinen Vorvätern. Das bißl Eigenes, das ihn, kurzsichtig wie Menschen einmal sind, geradeso unbändig stolz macht – man höre heute nur die Siegestrompeten, wenn irgendeine wissenschaftliche Errungenschaft in die Welt hinausgeschrien wird – das ist alles, an der Hand der Jahrhunderte gemessen, rein zum Lachen. Alle Entwicklung kommt zitzerlweis' und ist die Folge der Arbeit unserer Väter. Wir geben ungefähr das Wetterfahndl aufs Hausdach. Man kann das ja am besten an der Menschheitsgeschichte erkennen.
Daraus aber folgt ein anderes. Offenbar wird also der weiter kommen, der seine Heimat recht innig ins Herz schließt und die Denkweise und Erfahrungen seiner Altvordern im richtigen Sinne weiterentwickelt und benutzt.
Dem rechten Manne wird gerade die Heimat und nicht zum letzten auch mit deshalb, weil der wahrhaft vernünftige, praktische Mensch aus einem Fehler zehnmal mehr lernt wie aus tausend Korrektheiten, eine Quelle des Fortschrittes werden, genau wie sie sein Schirmpatron bleibt.
Ja, die Heimat ist auch unser Schirmpatron. Denn wie oft grad, wie oft kommt im Leben der lügende gleißende Augenblick, der den bessern Menschen in uns nasführen will. Du weißt oft nit, sollst oder sollst nit, bist im hellen Widerstreite mit deinem Verstande und deinen Wünschen. Da steht's auf einmal deutlich vor deiner Seele: So tut ein richtiger, standfester Tiroler … und drüber bist über der öden Bruck! Grad mit eins bist drüber …
Um aber die Heimat richtig liebhaben zu können, um den größten Nutzen aus diesem herrlichsten Menschheitsgute zu schöpfen, ist es unerläßlich, sich ehrlich zu mühen, sie wirklich so weit kennen zu lernen, daß man sie in ihren heimlich stillen Grundzügen auch tatsächlich erfaßt. Und da fehlt es noch allüberall und oft gewaltig.
Deswegen allein sind diese Geschichten geschrieben, aus keinem andern Grunde. Bauer und Herr sollen dadran unsern Bergler kennen lernen, sollen Schlüssel und Seil finden für sein halbtrutziges, einfaches Empfinden. Und der Bauer erst recht. Er verlappt mir heut noch viel zu viel von seiner Seel, weil er gar nit weiß, was alles in ihm drinsteckt. Herrgott, was schlummert doch Großes, Festes, ja man möcht schon bald sagen, Monumentales, in der Bergbauernseele. Es ist ungeheuer viel.
In der Stadt schreien nun heute schon die Einsichtigen immer lauter, das kräftige, einfache, selbstverständliche Empfinden der Bauern brauchen wir wieder, eher wird's nit anders. Mehr Bauern müssen wir werden! Mein Gott, die Leut spüren es halt deutlich, mit'n Schönmandlmachen kommt höchstens noch ein Dackel kamod durch die Welt.
Daß heut bei unserm Bauern auch manches fehlt, wer wollt's leugnen. Wenn man das aber überdenkt, so fallt einem ein, wie gerad der Bauer seit Jahrhunderten ewig verschlissen worden ist, wie ihn der dumpfe Druck des Lebens mit seiner ganzen ungefügen Armseligkeit abstumpft und endlich wie der Einbruch der neuen Zeit ihn so vollständig unvorbereitet vorgefunden hat. So ist's halt langsam gekommen, wie's eben kommen muß. Ganz drauf vergessen hat der Bauer anfangen, wie stark er eigentlich ist im Herzen. Welch strotzende Kraft, welch stählernen Willen, welch einfache sichere Standfestigkeit ihm der Herrgott in die wurmstichige Wieg gelegt hat, … heilig nimmer recht wissen tut er das heut.
In einer so aus der Weis' lausigen Zeit, wie die unserige, wo mehr dumm geprahlt wie recht gearbeitet wird, ist's aber geradezu eine widernatürliche Sünde von ihm, wenn er sich nicht auf sich selber wieder besinnt und das Große und Gute in ihm, nicht vollbewußt und unausgesetzt höher entwickelt. Tut er's nicht, frißt ihn zur Straf die Hauskatz und recht g'schieht dem Esel …
Daß was ganz unsagbar Großes gerad in unsern Bauern liegt, da braucht's nit viel Wort. Das begreift ein Hüterbua. Die größten Wissenschaftler, die größten Künstler waren Bauern! Wer möcht das ernsthaft leugnen?
Wenn's auch heut herschauen will, als hätten diese Dinge die Städter gepachtet, tut nichts, gar nichts. Die Zeit wird schon kommen, wo die – nicht mehr weiter können. Ja in der Kunst kommt sie bald. Da siehst die Zeit förmlich schon werden. Die führenden Kunstgrößen mühen sich heut, der Welt klarzumachen, daß der Mist auch was Schönes wär, wenn die Sonn draufscheint. Die Zeiten werden immer verworrener, immer schwer wird's, von Fall zu Fall vorzeitig Recht von Unrecht, Sinn von Blödsinn zu trennen. Wenn man so an die ungeheure Vielgestaltigkeit und die unendliche Mannigfaltigkeit des Lebens denkt, so fühlt man sofort, wie unendlich groß grad die Zahl der Hau- und Bausteine unserer Kulturentwicklung eigentlich ist. Wie das Machtvolle, Gewaltige, heimlich Schöne, Einfache dieser Dinge fast die Augen blendet. Und da mühen sich Leute, die glauben wahre Kulturträger zu sein, um – Mist als Kunstobjekt.
Wer will's leugnen: Wir brauchen wieder Bauern, eher wird's nichts Rechtes.
Und weil wir den Bauern heut so notwendig brauchen, muß er sich auch allgemein und bewußt ehrlich mühen, das Große in ihm zu läutern, herauszuschälen und zu festigen, denn, was nutzt das beste Gold, so lang es nicht gemünzt ist. Die meisten Menschen würden's gar nicht sicher als Gold erkennen … Und genau so geht's heut unsern Bauern. Die meisten Menschen ahnen auch nicht, was in ihm alles liegt.
Das schreib ich in der Heimat, in einem wildromantischen einsamen Fleck Tirols, mitten im Vomper Loch. Über mir ist die mildhelle Septembersonn, die auf die hohen Schrofen herrliche Schatten und Lichter zaubert. Neben mir tollt der Wildbach, der poltert, grollt und rollt, als wollt er mit einer ganzen Welt raufen. Der Tropf, der ungute. Auf einer Zaunsprießl hockt ein Zeiserl und jubelt sein hellstes Liedel. Ich hab meine Freud an dem Vögerl. Da kommt ein Tourist und der meint: »So ein dummer Vogel. Glaubt er gar den wilden Bach zu überschreien?«
O mein Gott, das Zeiserl ist längst nit so dumm. Überschreien will's den Bach nit. Kein Gleichnis nit. Aber sein eigen Liedl will's singen, zutiefst aus der Brust heraus und so schön als es nur kann. Nix anderes.
Respekt vor dem Zeiserl. Von dem kleinen Vogel kann der Bauer viel lernen. Viel.
Hans Schrott-Fiechtl.
Pfannenschmiede im Vomper Loch (Tirol),
den 18. September 1911.