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Die Leut am Zwiesl.

 

I.

Des Allmächtigen Faust liegt schwer auf dem schönen Lande. Der Morgen bringt den Gräsern Blut statt Tau, und die Wildbäche grollen und rollen, schäumen und bäumen zu Tal wie nie zuvor. Die kleinen Vögel im Walde haben ganz das Jubilieren verlernt, nur die Bauern konnten es noch ein kleines …, weil sie die Not der Zeit halb zermürbt. Beim Bauern sitzt der Mensch nämlich zu tiefst im Herzen und nicht, wie die Leute meinen, im Kopfe, wo nur der Bremsschuh hängt. Weil das aber einmal so ist, so scheint die größte Not für einen Bauern ein still heimliches Waldbründl, aus dem ein Müder neue Kraft und neuen Mut trinkt.

Ja, neue Kraft und neuen Mut … 1809 hat es das im Land Tirol auch heilig not für die Aufwiegler, die Empörer, für die treulosen, schuftigen und verräterischen Bauern. Der Amtmann in Brixlegg hat es ihnen schon gesagt, den Bauernlumpen, den halbwilden, und der Pfarrer in Kundl hat fast jeden Sonntag davon gepredigt, daß es ein rechtes Elend wär mit der heutigen Zeit, wo die Tiroler die Treue gegen den König ganz aus dem Herzen reißen wollen mit Mord, Totschlag und aller unfrommen Gewalt. Unmöglich, rein ganz unmöglich kann der Segen Gottes auf solchen Leuten länger bleiben. In der Heiligen Schrift steht nicht umsonst: du sollst untertan sein … Na, in Gottsnam, was in unsere Bauern für ein höllisches Feuer gefahren ist! Jahrhundertelang haben sie treu und ehrlich zum Kaiser gehalten, und jetzt, wo das ganze Land dem Bayernkönig gehört, wollens nix mehr wissen von der Treu.

»Leut,« hat er gesagt und dabei auf die Kanzel geschlagen, daß es rein zum Fürchten war, »habts denn gar keine Sorg vor dem Zorn des allmächtigen Gottes? Ist's nit g'nua, daß er euch 's Vieh sterben läßt? Muß er noch einen Schwefelregen schicken? Aufrührer … Empörer … Lumpen … Lausbubn seids! Schämen muß sich eins mit euch!«

Heraußen auf dem Kirchplatz drängen sich heut die Weiber schneller durch wie sonst, und die Manderleut stehen beieinander, wie alle Sonntag. Das blutige Treffen in den Engpässen von Söll und dann die unglückliche Schlacht bei Wörgl am 13. Mai, wo der dumme Kerl, der Chasteler – na, ausg'jagt haben ihn die Tiroler dafür und recht ist ihm geschehen … Das ist vor zwei Wochen gewesen. Solche Ding sind noch zu frisch. Alles gärt und brodelt voll verhaltener Wut. So ist jeder still, wenn ihn der Zorn auch schier inwendig verbrennt.

Lang dauert's, endlich meint der alte Blackner doch:

»Ach was …, wenn uns der Kaiser verschenkt hat …«

»Unsinn!« fahrt ihm der Seebacher übers Maul, »heißt du das verschenken, wenn dich ein Dieb zwingt …«

»Geh, du Esel du,« wirft der andere das Wort ins Eck, »zwingen?! Als ob sich der Kaiser zwingen ließ! Voraus, wo er gar keine Ursach hat, weil wir alleweil zu ihm gehalten haben.«

»Mei, die Habsburger, haben die schon mal was dankt, wie's sein soll und muß«, höhnt der Stößl, so ein Zugewanderter.

Aber das war jetzt zu viel, bedeutend zu viel.

»Was sagst, Lump, miserabler!« schreit gleich einer, der Moorhagbua aus der Witschnau. Die Augen haben dem Buam grad g'funkelt, der Schnauzer zittert, und durch seine Muskeln siehst die Kraft rinnen. Er ist heut grad heraust, wird wohl was zu tun haben.

»Etwan nit, han?« trotzt statt dessen der Stößl auf. »Das, Leut, wißts ja selber, wie der Kaiser unsere Krieg dankt hat …«

Sein Trotz und Hohn nutzt verflixt wenig.

Die Fäust reckt ihm der Moorhagtoni vors Gesicht:

»Das laß dir g'sagt sein, Bauer, auf die Weis' redet eines nit bei uns in Tirol«, schreit er. »Weil's wahr ist, deutest … Ah so … Wenn mein Vater einen Rausch hat, geht das niemand nix an, verstehst. Mein Vater bleibts dessentwegen doch. Alsdann laß den Kaiser aus'm Spiel, möcht i bitten.«

Das ist ernst und voll Kraft geredet.

»Mei der Kaiser, der hat itzt nachher nix mehr zu sagen daherin«, lacht der Stößl.

»Ist erst no die Frag«, trumpft der Moorhager auf.

»Ah, hast es schon vergessen, die heutige Predigt, Bua«, redet der Stößl wieder. »Möchtest ihm das saubere Land wieder zuschanzen, gelt?«

»Ja, wenn i das könnt!« tut der Bua voll Inbrunst.

»Bist still«, raunt einer, der daneben steht. »Merkst es denn nit, daß der Valott (Lump) …«

Der Moorhager ist aber schon allzuviel in der Hitz. Er merkt nix nit, bis der Stößl endlich auf ein neues redet. »Tätest wohl für'n Kaiser in Krieg ziehen, gelt Toni?« lauert er heimtückisch.

»Wenn's sein muß …«

»Still bist«, klingt's neben ihm zum zweitenmal.

»Ah, wenn's sein muß. Wart, Bübel, das wird man dir austreiben. Der Inama hat's scharf auf so dumme Buam. Es kostet grad einen Deuter«, redet der Stößt voller Gall.

Jetzt weiß der Toni endlich, wie früh als es ist, und brennende Wut huscht ihm übers Gesicht. Im nächsten Augenblick reißt er den giftigen Bauern her. Grad wie Donner und Blitz ist das Raufen da. Die Umstehenden sind gleich bei der Hand, und so ist der Stößl zudeckt worden, so gut als er's verdient. Und verdient hat er's hübsch gut, das meinen alle.

Der alte Seebacher hat Müh und Not, die wilden Leut auseinanderzureißen.

»Gehts, seids gescheit!« meint er ein übers andere Mal. »Gehts heim, die Knödel werden ja kalt.«

Die Vernünften haben schon gemerkt, wo der Seebacher hinaus will, und haben ihm geholfen, damit den Leuten wenigstens – die Knödl nit kalt werden.

»Meinst, der Stößl ist eine Gams«, redet der Seebacher nachher zum Toni, und führt ihn völlig am Arm die Dorfstraße hinab. »Daß dich gar nit halten kannst! Hast das beim Wildern g'lernt, Bub, dummer, 's Gams sehen und hinschnallen lassen im Augenblick! Teigel! Mußt denken, wie oft uns das schaden könnt!«

»Tua mir's nit verübeln, Bauer, aber den Lumpen, i hab mi meiner Seel nimmer halten können.«

»Das sagt mein Jungstier auch, wenn er der Kuhdirn gegen den Leib stoßt«, tut der Bauer unwillig. Wie er aber sehen muß, daß es dem Buam nahgeht, ziegt er mildere Saiten auf.

»Mach kein so dummes Gesicht, Bua«, redet er eindringlich. »Wenn's einer gut meint und sein alles daran setzt, so bist es du, Toni, das wissen wir alle. Aber ein bißl zügeln, das mußt di.« –

Gegen Eindunkeln ist ein Seebacher Knecht dem Stößl in Radfeld oben in die Weg kommen.

»Wo gewesen, Stößl?« tut der Knecht.

»Oh mei, ein bißl beim Ledererbräu in Rattenberg.«

Droben im kleinen Stadtl fragt sich der Knecht beim Lederer durch. »Nein, der Stößl ist heut nit dagewesen«, schwört die Kellnerin, und die muß es wissen.

Jetzt ist der Knecht ja in langen Sätzen heim.

Der Seebacher sagt nur: »Das hab ich mir denken können.« Und geht unwillig zur Tür aus.

Sein Futterer muß noch in der werdenden Nacht übern Kundler Berg hinein in die Witschnau, damit sie den Toni nit fangen.

Um die Zeit, wo sich die Sonn schlafen legt, brennen am Kundler Berg etli Feuer. Es dauert nit lang, da flammt drüben in Brandenberg auch eins auf. Eine Stund später leuchtet's auf dem Pendling und auf'm Sonnwendjoch auf. Bis gegen Mitternacht zählst leicht so 30 Bergfeuer im Unterinntal. Ob wohl so viel helle Luft droben im Berg ist …

Der Rattenberger Richter, der bayerische, hat noch mitten in der Nacht Leut ausgeschickt, denn es könnt ja ein Waldbrand oder sonst was passieren. Aber bis die armen Leut im Dunkeln die Berg hinaufgehetzt sind, war alles längst aus und gar, höchstens, daß sie in dem werdenden Tag die leere Kohlstatt anschauen können. Sind die Feuer ja sechs Stund und weiter droben auf der Höh, schon weil eins die Latern im Stall zuhöchst aufhängt …

Der Moorhagtoni ist selbigen Tags gleich nach Kirchzeit nach Volldepp und dann wieder zurück bis nach Wörgl, wo er schon im Dunkeln ankam. Vorn Tennwirt klopft er gar an ein Diendlfenster, der verliebte Bua. Die Tennwirts-Thresel, ob sie dem Buam wohl das Fenster aufmacht? … wundert sich eine alte Hex, die den Buam davor sieht. Das wird wieder ein Braten, ein Leut ausrichtender … Richtig, aufmacht das Diendl, und gar durchs Fensterl schlüpft der Toni. Die Händ muß sich die Hex reiben. Na grad wer sowas von der Thresel denkt hätt! So ein scheinheiliges Fürtuch! Na, grad der Vater wird eine Freud erleben an der Binggldirn.

Freilich, herin in der Diendlkammer ist alles anders, wie die Hex meint. Nit angeschaut hat der Toni das Diendl. Sein erstes war: »Ist der Vater unt?«

Die Thresl nickt, und der Bua ist schon dahin auch.

»Ein Glück, daß du da bist, Toni«, damit fangt ihn der Tennwirt selber ab unt in seinem Weinkeller. Noch fünf oder sechs Bauern hocken um die Weinpanzen, und itzt ist's einmal zum Handgeben allerseits. Dann übergibt der Toni einen Brief. Einen Brief von Andreas Hofer, den er mit so viel Müh durchgeschmuggelt hat.

Die Bauern den Brief lesen, und ein heimlich stiller Jubel hebt an, nit zum sagen wie groß.

Endlich meint der Tennwirt: »Mußt stante pede heim, Bua! Der Hofer hat geschrieben. Er gibt sich nit. Herrgott, wie froh wir drum alle sind! Das andere wird dir dann schon dein Schwieger, der Oberauer Pfarrer und der Galtbauer sagen. Aber schleun di, es geht um tausend Leben …«

Ein Vaterunser später ist der Toni auf der Dorfstraße im Heimweg. Ob er wohl Flügel zu leihen kriegt hat, der Bua? Meinen könntest fast, wenn d' ihn laufen siehst.

Dort, wo der Weg ziemlich hoch droben vom Inntal Abschied nimmt, will der Toni verschnaufen. Aber kaum hockt er, so spürt er Soldaten. Wie ein Wiesl ist der Bua mit eins verschwunden. Allein kann er sich den Weg nit zwingen, hat er doch nit einmal einen Stutzen. Also heißt's wieder zurück und gegen Hopfgart übern Grafenweg. So sechs Stunden später kommt er auf die Weise heim, wenn er Glück hat. Aber Glück, das ist was für Kinder und Besoffene, das hat er bald spüren müssen. Im Leukental greifen ihn richtig bayerische Soldaten. Wehren hat keinen Sinn, also stellt er sich unschuldig und dumm. Wie das nix hilft, fangt er zu schimpfen an. Er müss' nach Brixen. Dem Dechant wärs Muatterl am Sterben, und ihren Buam möcht s' doch noch gern sehen.

Der Leutnant läßt ihn in den Brixner Widdum (Pfarrhaus) führen. Käsweiß hört der Dechant die Botschaft. Erst auf der Gass' herunt fragt der Bua so überhaps, ob's morgen wohl nit regnen wird, und schaut den Geistlichen dabei an, wie wenn's der ihm geschriebenerweis' geben könnt. Er meint auch gleich, auf keine Weis' regnet's morgen, und dann jammert er noch ärger um sein Muatterl. Grad mit federleichtem Herzen jammert er jetzt, und daran ist einzig die Frag vom Toni schuld.

Ja, die Bauern haben sich in den harten Zeiten eine Sprach ausgetiftelt, voller Unschuld und durchtrieben wie der älteste Geißbock. Das war da wieder von Segen, sonst hätt sich der Brixner Pfarrer zu viel gesorgt.

Übern Grafenweg ist der Moorhager dann heimzu. Wie er innern Steg ist, heißt's auf einmal:

»Halt!«

Das könnt jeder sagen, nit grad ein bayerischer Soldat, dünkt dem Toni, und im Augenblick ist er wie aus der Welt verschwunden. Er hat sich fallen lassen und ist ein Stück bergab gerollt.

»Steh, Lump«, heißt's.

»I lieg ja«, denkt der Toni. Aber da kracht es schon. Weil jeder Kracher nit trifft, ist der Toni durch den Bach und schattseitig unter den Erlen hinauf. Endlich kommt ein Platz, wo er in den Mond muß. Er kann nimmer aus. Also in Gottsnam. Und richtig, fast ist er wieder unter den Bäumen, da sieht ihn der Soldat und laßt es noch einmal krachen. Die Kugel schlagt in seinen Arm, aber zum Glück grad durchs Fleisch. Der Bua fallt, als wenn er tot wär. Wie aber der Soldat an den blutigen Platz kommt, war der Moorhager längst weiß Gott wo, und der Soldat hat geschimpft wie ein Spatz.

In Oberau klopft er den Pfarrer heraus.

»Toni, du blutest ja«, ist das erste.

»A was, Pfarrer, wegen dem Löchl!« wirft's der Bua weit, weit weg. »Los auf itzt! Der Hofer hat geschrieben. Los geht's endlich!«

Der Pfarrer redet gar nix fürs erste. Grad niederkniet ist er und einmal dem Herrgott danken muß er.

»Alsdann, Bua, den Galtbauern und dem Zwiesler gleich die Sach erzählen. Und heut so um drei kommen wir beim Zwiesler alle zusamm'.«

»Beim Zwiesler?« fragt der Bua halb verwundert.

»Natürlich, Toni. Das ist der beste Platz. Der Hof liegt eng am hintern Kragenjoch, und vom Dorf aus siggst überhaupt nix, daß dort no ein Haus sein könnt. Es guggt ja gegen Kundl und die Sauluag. Da sind wir am sichersten, und wenn's brennt, können wir immer über die Stiegn Stiegen. – Auf der höchsten Felswand am Kundler Berg ist hoch droben, so gegen 700 Fuß, eine kleine Stiegn, damit Gams und Leut drüber können. Der Übergang war damals noch eine sehr gefährliche Sach für den, der nit im Berg aufgewachsen ist. aus.

Dann hat die Häuserin den Buam noch verbunden, und die Sach war gut. Nur der Pfarrer von Oberau hat den ganzen Tag die hellste Sonn im Gesicht und goldige Freud im Herzen.

Der Toni ist in der ersten Sonn hinein zum Galt. In einer guten Stund ist der junge Mensch den Narrenweg gesprungen, zu dem einer sonst zwei braucht.

»Bäuerin, um Gotteswillen, gib mir was zu essen«, bettelt dort der hundsmüde Mensch, der seit drei Tagen gehetzt wird wie ein Has'.

Gleich steht was am Tisch, und während der Toni zulangt – ein Drescher ist ein Kind dagegen, so will's der Bäuerin scheinen – kommt auch der Bauer daher. Die Sach war in einer Minut abgemacht, und dann ist der Bua wieder talaus her zum Zwiesler. Die letzte Stund ist ihm jetzt hart worden. Nie, daß er mitt' in der ärgsten Eil einmal was gespürt hätt, aber jetzt packt es ihn, kaum, daß er sich den Berg hinaufschleppt. Der Blutverlust mag schon auch das Seinige getan haben. Endlich steht er auf der Höh, und vorm Zwieslerzaun. Das gibt ihm auf ein neues Kraft. Mitten im Feld ist ein Feuer, ein rauchendes, und etli Diendln stehen drum herum.

Da faßt's den Toni, und gleich schreit er:

»Wissen möcht ih, was da geschieht?«

Das ist geredet, wie er's von den bayerischen Soldaten immerlings hört, wenn sie ihm anwollen.

Erschrocken fahrt das Diendlvolk auf. Aber, wie s' den Moorhager kennen, lachen alle.

»Mußt es wissen, neugieriger Bua?« tut ein Diendl. »Erdäpfel braten Das war damals die Ausrede für Kugelgießen, wenn es auf freiem Feld geschah. tun wir. Magst mithalten?«

»Die größten müßts mir aufheben, Diendln,« meint der Toni, und wankt die letzten Schritt hin zum Zwiesler. Ein Diendl geht ihm gar nach, weil's fürchtet, er könnt umfallen. Aber der Bua hockt sich auf einen Raster ins Gras.

Hundert Schritt vor ihm liegt der Zwieslerhof. Ein stattliches Haus, das einem standfesten und reichen Bauern gehört … All die Tag ist es auf dem Toni gelegen auf biegen oder brechen. Und da vergehen einem schon die Liebesflausen. Jetzt vor dem Haus, da kommen sie wieder, und alle auf einmal. Eine wehmütige Festigkeit, eine hellheimliche tapfere Freud ist mit eins in seinem Herzen und macht es lauter schlagen.

Die Diendln heroben beim Feuer schauen dem Toni zu. Wie wenn er damisch wäre – kommt ihnen vor –, ist der heut. Die älteste meint wenigstens so. Eine junge Henndirn – die jungen Dinger sind mit'n Schnabel am weitesten voraus – muß aber grad lachen.

»Verliabt ist der Toni, verliabt!« schreit sie fast.

»Hat er die Zwiesler Leni wohl so gern?« ist eine dritte neugierig.

Die Henndirn nickt nur und nickt wieder und wieder.

»Längst wär schon die Hochzeit, wenn die Zeiten nit … Denkt do ein bißl: der Moorhagtoni ist wohl der reichste Bua in der ganzen Witschnau, und die Zwiesler-Leni hat auch hübsch ein Geld. Wenn zwei solche Leut gar so arg verliebt sind, das muß ja den Herrgott freuen – kommt einem vür.«

»Sauber ist die Leni einmal g'wiß«, tut die älteste überzeugt.

»Und gescheit ist sie auch«, wirft die Henndirn dazwischen. Das alles müssen die anderen gelten lassen.

»Wie lang hängt denn die verliebte Sach?« fragt die Franzi, eine vom Wörgler Boden, die daherin noch fremd ist.

»Oh mei, schon lang. Im vorigen Herbst war der Verspruch, und die Hochzeit sollt im Winter sein. Aber der Toni und sein Schwieger können ja nit, bevor der Hofer die Sach nit ausgerauft hat.«

»Ein schöner Mensch«, lacht die Henndirn, damit sie auch wieder einmal reden kann.

»Das steht, Dirne kleine«, gibt ihr darin die Franzi recht. »Aber das wär mir grad die Zugab. Die Kraft und die Verwegenheit vom Toni, das gilt viel mehr.«

Das könnt auch wieder wahr sein. Und die Henndirn meint auf ein neues, warum der Toni denn so viel im Land herumwandert, tät sie wundern.

Die Franzi hat es schon auf der Zung, aber da stoßt sie die älteste noch zur rechten Zeit an, und so sagt sie gleich eine helle Lug:

»Sein Vaterl hat viel Geld umeinander, und da muß er immerlings nachschauen, wie's steht, damit eins rechtzeitig zugreifen mag. Und Vieh handeln tut er auch bei der Gelegenheit. Weißt eh, reiche Leut können unmöglich g'nug kriegen.«

»Ah, so einer ist der Toni! Ein Geizkragen«, ist die Henndirn überfahren.

»Schaf«, sagt die Franzi, und nimmt die Bleikell aus der Glut.

Endlich wird der Moorhager doch wieder munter in Herz und Kopf. Fast erschrocken raumt er sich die Augen aus und geht mit etli Sprüngen ins Haus zum Zwiesler. Grad im Nu sind in der Stub Bauer und Bäuerin, und dann kommt die Leni daher.

»Grüß di, Leni«, tut der Toni.

»Weil d' nur wieder da bist, Toni«, freut sich die Leni, ein Diendl voller Herbheit mit federnden Muskeln. Ihre Augen glänzen, und in all ihrer Liab und Freud steht die Leni doch in der Stub wie ein Soldatenhauptmann.

Der Bauer betrachtet die zwei Leut, und kein End will er scheint's damit finden. Er ist ein fast kleiner Mensch, wenn auch einer mit eisernen Muskeln, das eigene Diendl ist um einen halben Kopf größer.

»Alsdann, Muatter, richt uns was, bitt gar schön. Es werden Leut kommen«, bettelt der Toni und erzählt seine Sach.

Die Bäuerin nickt, und die Leni fragt: »Ist's grob mit deinem Arm, Toni?« Etli Blutspritzer sind ja da auf der Jopp.

Der Bua lacht nur.

»Ein Bußl ist's schon wert, gelt Vater …«, tut er statt allem.

»Seit wann ist denn ein Bußl eine bringende Schuld, Bua?« lacht die Leni.

Und der Bauer muß es selber sagen, eine bringende Schuld wär's eigentlich nit, oder wohl …

 

II.

Eine Schüssel saure Milch steht auf dem Tisch, und Brot, Butter und Selchfleisch bringt die Dirn, so wie die Leut alle in der Stub hocken. Acht Bauern sind langsam nacheinander gekommen, fast lauter weißhaarige, faltige Gesichter. Nur ihre Lichter brennen noch wie bei jungen Leuten. In all dem wehen Ernst, der sie heut zusammenruft, liegt doch auch wieder über jedem viel heimliche Schalkhaftigkeit und stillglosende Freud.

Der Pfarrer, der natürlich auch da ist, meint zum Toni überzeugt: »Das ist das Gottvertrauen, das auf ihren Gesichtern steht.« Und ob er damit gar so unrecht hat, ist erst nit gewiß.

»Der Andrä Hofer hat ja nit wollen«, fangt der Gratlbauer an. »Wie ist das auf einmal kommen, Toni?«

»Ums Wollen ist's dem Hofer wohl nie recht gangen, Leut«, tut der junge Bua. »G'wollt hat er immer schon, heut lieber wie morgen. Aber nach seinem Meinen, nit dürfen hat er halt …«

»Ja, … nacher …«, alle sind verwundert.

»Der Haspinger hat ihn halbtot tribuliert. Und wie alles nix nutzt, haben ein paar Bauern mit dem geladenen Stutzen willst oder willst nit mit ihm gespielt«, weiß der Bua.

»Aber Toni, der Andrä wird sich zwingen lassen? … Bist nimmer gescheidt!« muß der Loyer mit seinen Meinen heraus.

»Zerbrich dir deinen Kopf nit, Loyer«, tut der Pfarrer besinnlich. »Wer weiß, ob er sich nit einfach hat zwingen lassen wollen. Ein bißl Komödiespielen, ohne dem geht's nit, Leut, voraus bei der hohen Politik.«

Die Red verschlagt den Bauern fürs erste alle Antwort. Ganz allmählich hellt sich da und dort ein Gesicht im langsamen Begreifen, und nach einem Zeitl liegt auf allen wieder Sonn. Sie haben begriffen, die einen schneller, die andern langsamer. Der alte Zwiesler muß völlig lachen. Und rein, damit's die andern nit merken sollen, fangt er an:

»Das erste, was itzt geschehen muß, Leut, … der Margreiter Jakob Margreiter, Schützenmajor der Witschnauer 1809. muß her, und das gach.«

»Versteht sich«, schreien die anderen. »Aber der ist ja drüben im Pinzgau …«

»Mußt ihn holen gehen, Toni!« fordert der Gratlbauer.

»Ja und dann …«, ist der Zwiesler in der Höh. »Was dann …?! Sind ja alles zu wenig Leut.«

Das ist so weh, fast zornig geredet, daß es den andern ins Herz schneidet. Mäuserlstill wird's für den Augenblick in der Stub, denn jeder weiß, daß bald nur mehr Schulbuben und alte Leut im Tal sind. Herrgott, wie das werden soll …

Es liegt eine Luft auf den Bauern, so schwer und so hart, gar nit zum sagen. Da findet die Leni das rechte Wort. Sie steht am Fenster, die ein Hand auf dem Fensterbrett, und die Sonn spielt mit ihrem Braunhaar.

»Wenn's anders rein nimmer geht, Vater, gehen schon wir Diendln. Magst di drauf verlassen.« So ruhig und so tapfer, wie das geredet ist, dem Zwiesler treibt es grad helle Lust in die Augen, und die andern schauen auch alle, alle auf.

Der Pfarrer verbohrt sich völlig in das Diendlgesicht, und der Toni glänzt seine Leni an voll Freud und Glück. In ihrem Gesicht steht Wehmut, und aus ihren Augen leuchtet gar so viel kerzengerade Schneid, daß völlig für ein Mannsleut noch was übrigblieb. Keinen Augenblick ist das Gesicht ohne Bewegung. Die Nasenflügel zittern leise und heimlich, und um die Augen siehst immerlings kleine, winzige Falten, die im Verschwinden wiederkommen.

Wie die Muttergottes auf unserer Schützenfahn«, schießt's dem Toni durch den Kopf.

»So weit sind wir gottlob no nit, Leni«, meint der Pfarrer endlich. »Aber kommen kann's auch«, seufzt er.

»Die Leut, das sorgt mi nit«, tut der Zwiesler endlich. »Bald's soweit ist, kommen die Schulerbuam, wenn andere nimmer sind. Aber fürs erste, der Margreiter muß wissen, wie's da steht bei uns, Leni«, schaut er zu seinem Diendl auf.

»Wie viel Kugeln haben wir?«

»So gegen 17.000 sind fertig, zwölf Säcke voll sind unterm Misthaufen eingegraben.«

»Das langt für eine Weil. Aber Pulver?«

»Da sind wir schlecht dran. Wie wär's, Vater, wenn wir Diendln in die Kelchsau zum Pulvermacher gingen? Weißt schon, Salz holen.« Unter »Salz holen« verstanden sie damals Pulver holen.

»Der Zöch macht ja Tag und Nacht Pulver. Und Post haben wir ihm ja vorig Woch geschickt. So drei, vier Zentner werden wir schon kriegen, Vater«, weiß es die Leni.

»Nachher richt di heut nacht, Diendl! Aufpassen müßts ja, daß sie euch nit fangen. Wär übel das. Nehmt ein paar Buam mit, ihr könnt's doch nit mit den Stutzen über der Achsel …«

»Buam können wir keine brauchen. Und Gewaffen erst recht nit. Laß das nur uns über, Vater! So durchtrieben sind wir Tiroler Diendln schon, wie die bayerischen Soldaten. Mehr wie ein Halbzent kann eins nit auf einmal mitbringen. Müssen halt mehr Diendln gehen. Da sind schon so vier Zentner da«, schlagt die Leni vor.

Und dem Zwiesler ist alles recht.

»Wen nimmst von unsern Leuten mit, Diendl?« tut der Bauer.

»Grad nur die Franzi. Die andern sind zu dumm, Vater«, lacht die Leni.

Dann muß die Henndirn springen und die Diendln holen.

Eine Stund später sind die Melzen (Diendln) mit ihren Rucksäck und Bergstecken, mit ihren Salzbeuteln und einem Stück Brot schon im Anstieg hinüber in die Kelchsau.

Der Toni schaut ihnen die längste Zeit nach. Der Pfarrer aber druckt dem Zwiesler die Hand, als wollt er sagen: ein tapferes Diendl hast, Bauer! Und der nimmt's auch so.

In der gleichen Nacht hat der Oberauer Totengräber viel zu tun kriegt. Vier Gräber hat er auf einmal graben müssen. Der Pfarrer ist ihm nit vom Fuß gangen, und andere Bauern waren auch etli da. Wie dann der Boden hergehen will, siehts her, als wenn der Totengräber was ausgraben wollt. Einen Haufen Stutzen bringt er aus jedem Grab, fein sauber in Leintücher und Kuhhäut eingeschlagen. Die haben sie gleich ins Nachbarhaus getragen, und dort sind alle Kammern voller Weiberleut, die mit Leinöl über die Stutzen hergefallen sind. Und Licht darf keins brennen. Ein Glück, daß Vollmond ist.

Wie die Sonn im Aufgehen ist, kommt der Samer von Reith daher, einer, der weitum als Büchsenmacher bekannt ist, und gar jeden Stutzen laßt er durch seine Hand gehen.

Auf die Weis' ist es gekommen, daß in der Witschnau grad über 200 Gewehr verteilt worden sind. Kugelbeutel, prallvoll, waren dranbunden.

Anders, ganz anders ist es dem Diendlvolk gangen, das Salz holen will. Beim Zöch waren die Melzen lang vorm Eindunkeln. Aber der Zöch hat das Pulver in zwei Weinpanzen droben im Berg vergraben. Die Diendln müssen sich's selber holen. Und bis sie droben den Platz fanden, war's längst Nacht. Der Himmel war noch voller Wolken. Und wenn der Mond auch einmal durchscheint, es nutzt nit viel. Die hohen Tannen und die Schrofen machen alles finster, Licht, das geht ja nit. Asterl soll auch keins krachen, da faß einer Pulver! Voraus, wenn d' reden auch nit sollst. Mit den Händen haben's die Diendl in ihre Rucksäck einfüllen müssen. Obendrauf kam dann das Salz, so handtief. Muß man rein das Ganze daheim werfen, damits Salz wieder frei wird. Ein Wurgatter ist ja in jedem Haus fürs Getreide. Kostet halt Arbeit – aber anders war's nit zu machen. Schon gegen Mitternacht gehen die Diendln, jedes mit einem ordentlichen Binggl.

Wie's so weit war, spüren sie Soldaten.

»I bleib, geht ihr nur heim«, schafft die Zwieslerin.

Die Diendln sind schon längst in die Höh, da ist auch die Leni dem Dorf zu. Herunt bei der Achen schreit einer heimlich aus dem Fenster. »Diendl, paß auf, oben bei der Kirch sind Soldaten.«

»Ist recht, Bauer! Mußt mir rein ein Nachtquartier geben«, ist die Leni keinen Augenblick verlegen.

Im Haus meint der Bauer, wie er die Zwiesler-Leni erkennt:

»Diendl, das ist dumm. Bei Tag kommst ihnen unmöglich aus. Mach di durch, rat i.«

»Unsinn, Greil«, lacht die Leni, »Bei Tag geh i mitten durch. Grad ganz mitten durch.«

Der Greil schüttelt den Kopf, aber seine Bäuerin ist diesmal die Gescheitere.

»Ein Diendl ist bei Tag viel sicherer«, meint sie. »Was hast denn geholt, Leni?« fragt sie.

»Ein bißl Siggstminit und dann bumm.«

»Ist recht, Diendl! Itzt leg di schlafen, möcht i raten. Morgen brauchst Kräft.«

Und geschlafen hat die Leni nit schlecht. In der Früh ist aber der Berg gesperrt. Soldaten sind da und passen und passen. Wie die Leni erst alles weiß, was sie wissen muß, meint sie grad mit eins:

»Greil, hast ein Kalbl? Mein Vater zahlt es schon.«

»Ja, was willst damit, Diendl?«

»Wir brauchen eins«, lacht sie so durchtriebener Weis'. Das Kalbl war bald da, und die Leni treibt es gegen Hopfgart. Langsam, wie halt Kälber gehen.

Bei der Kirch wird sie schon aufgehalten.

»Woaus Diendl?«

»Dem Hopfgartner Bräu muß i das Kalb bringen. Sonst habts nix zu fressen am Sonntag«, tut 's Diendl fast grob.

»Haltaus, Dirn, dumme«, schreit einer, »das lugst«.

»Natürlich, was denn?« ist die Leni hoch. »I muß weiter, Leut! Haltet mi nit auf.«

Aber die Soldaten lachen nur. Und da gibt sich das Diendl drein.

»Von mir aus! Das Kalbl ist zahlt. Und wenn euer Major morgen nix zu essen hat, ist's meine Schuld nit.«

Dann hockt sie sich hin auf die Bank, als ob ihr die ganze Welt eine Wursthaut wär.

Nach einer guten Stund kommt ein Offizier aus einem kleinen Wagerl. Das Kalb sehen und konfiszieren war eins.

Das dumme Vieh versteht das falsch und lauft, was es grad kann. Die Soldaten hinter ihm drein. Einer langt es endlich und haut ihm richtig einen Fuß ab dabei.

Da ist aber die Leni wild worden.

»Itzt schauen S', Herr,« fangt sie an, »wie's mir geht. I sollt das Kalb zum Hopfgartner Bräu führen, damit euer Major morgen was zu essen hat. Der wird's euch g'segnen.«

»Maul halten!« schreit sie der Offizier an, »das ist ein Schwindel. Was hast in dem Rucksack?«

»Mögts grad einigreifen, Herr! Salz«, ist die Leni gleich bei der Hand und reißt den Rucksack herunter, macht auf und zeigt's. Ein Glück, daß eins nit durch den Menschen durchschauen kann … sonst …

Der Offizier sieht das Weiße und will ihr halb glauben.

»Greifts nur grad eini, Herr!« besteht die Dirn drauf. Zorn ist ihr auf der Stirn.

Der Offizier tut's auch, sieht, daß da ein Unrecht geschehen ist, und so ist er gleich dabei, das Diendl freizulassen. Aber das war jetzt gefehlt.

»Ja, meinen S' denn, i könnt das Kalbl bis Hopfgart tragen? Gehen kann's do nimmer«, sagt die Leni.

Da muß der Herr fast ein bißl lachen. »Du kannst mit mir fahren, Diendl«, meint er.

Und richtig, eine halbe Stunde später ist die Leni beim Offizier auf dem Wagerl, und das Kalb mit gebundenen Füßen hinten oben.

Der Offizier will plaudern, denn das Diendl gefallt ihm. Er zündet sich seine Pfeife an, und weil s' nit gleich brennen will, blast er die Funken grad dem Diendl in den Schoß. »Heilige Mutter Gottes,« betet die Leni mit lachenden Augen, »heilige Mutter Gottes, hilf! …« Sie mit ihrem Pulver daneben! Da schießt's ihr durch den Kopf: wenn schon, dann soll er mit in die Luft, der bayerische Offizier, und gleim, recht gleim druckt sie sich zu ihm her. Über die Leni ist itzt ein starkes Gefühl gekommen, daß wir alle in Gottes Hand stehen, und so ist sie ruhig blieben, und gar nix kennt hätt einer, daß ihr 's Lachen so schreckhaft weh tut.

Sie haben sich auch ganz gut unterhalten, die beiden ungleichen Leut. Aber froh war sie doch, wie endlich der Hopfgartner Kirchturm zu sehen war.

»Herr Graf befehlen?« heißt's auf einmal, und ein Feldwebel steht vor dem Wagerl.

»Nichts! … Wenn das Diendl wiederkommt, dann sorg er dafür, daß es ungestört heim kann! Verstanden?«

»Zu Befehl, Herr Graf!«

In einer Stund steht die Leni wieder vor dem Feldwebel.

Ah, da ist ja dem Herrn Grafen sein Schatz, denkt der, und wie die Leni das merkt, kann sie nit genug fragen um den Herrn Grafen. Es gibt sich ganz von selber, denn wo hätt die Dirn denkt, daß sie neben einem Grafen gegen Hopfgart fahren dürft? Neben einem Grafen …

Der Feldwebel winkt einen Soldaten, der die Leni begleiten muß. Anderthalb Stunden später ist ein Wald – ein schönes Platzl. Das Diendl hockt nieder. »Wirst auch hungrig sein, gelt? I bin's wenigstens.«

Sie zieht ein Stück Selchfleisch heraus, groß genug für zwei Drescher. Wasser ist an der Quell, und so lassen sich's beide gut schmecken, recht gut.

Wie's dann wieder zum Gehen ist, meint der Soldat gutmütig: »Geh, Diendl, wirst dich so schleppen, gib her deinen Rucksack! Den trag schon i. Ist 's Vergeltsgott fürs Fleisch. Das hat geschmeckt.«

Und so geht die Leni ledig auf durch. Ist ein leichtes, schönes Gehen. Wo ihnen Leut begegnen, schauen sie alle kleinverwundert, aber die beiden lachen und plaudern als die allerbesten Freund …

Auf Moorhag kehren die zwei zu.

»So, Muatter!« tut die Leni kreuzvergnügt. »Grüß Gott, und hungrig sind wir.«

Da fehlt nix, gleich ist was auf dem Tisch. Der Soldat hat den Rucksack längst hingestellt, und die Leni meint: »Das Salz, Mutter, wär da, tu's gleich in die Salztruh …«

Wie der Rucksack weg war, ist das Schnabulieren angegangen. Gar einen Wein hat der Bauer bracht, und geschmeckt hat's! Zum Pfiedgott (Abschied) kriegt der Soldat noch einen Trumm Speck mit. Das Diendl steckt ihm einen Buschen auf den Tschako, gibt ihm die Hand, und den Herrn Grafen soll er ihr ja recht von ganzem Herzen grüßen.

Kaum war der Soldat dahin, fallt alles in der Stub über die Leni her.

»Ja, Diendl«, heißt's, »ja«.

»Mir ist der Rucksack zu schwer geworden, drum hat ihn mir ein Soldat getragen«, erzählt die Dirn mit lachenden Augen, und wie jetzt der Pfarrer und noch etli Bauern kommen und die Sach hören, sind sie alle überfahren.

»In Gottsnam, Diendl, wo hast denn du die Courage her?« wundert sich der Pfarrer.

»Wegen dem Soldaten meinst? Das ist keine Courage. Aber 's andere!« Und jetzt wird die Leni toternst. »Siggst mir's an, Pfarrer, daß i heut schon aus ganzem Herzen Reu und Leid erweckt hab? An einem Haar hat es gehangen, und ich wär in die Luft geflogen.«

Und dann erzählt sie, und im Erzählen kommt's auf einmal über sie. Helle Tränen rinnen ihr ungewollt und ungemeint. Jetzt hat der Druck mit eins nachgelassen. All ihr Schauspielern war weg, und nur der reine, auf das tiefste erschütterte Mensch ist mehr da.

Die Leut stehen voll Staunen über so viel Kraft um ihr, und fast weh tut es ihnen selber, wie das so lang Zurückgehaltene sich jetzt mit der Gewalt des Wildwassers beim Diendl Luft macht. Endlich, nach langen Minuten merkt sie's selber. Fast zornig fahrt sie sich über die Guggeln (Augen) und wischt das dumme, heiße Wasser fort.

»Müßts nit, Leut, müßts nit denken, daß i …«

»Aber, Leni! Was du erlebt hast, das wirft ja den Stärksten um«, tut der Pfarrer. Lieb streicht er ihr übers Haar. Der Moorhager aber schaut sich seine Schwiegerin an wie ein Altarbild.

Im Dorf ist es grad im Flug bekannt geworden, daß der Leni der Pulversack zu schwer war, und daß sie sich drum einen bayerischen Soldaten zum Tragen genommen hätt. Die anderen Diendln sind auch daherkommen. Sie sind gut heim, nix is passiert, ja, ihr Pulver ist schon verteilt. Ein Lachen, Spotten und Schreien ist angegangen, daß die Leni endlich gebremst hat. »Was fallt euch denn grad ein, Diendln«, meint sie ruhig, wie sie sein kann. »Das ist alles ganz von selber gangen. Ganz von selber. Ich hab kein Verdienst nit dran …«

Die Leut im Dorf aber wissen das viel besser … »So eine Durchtriebene … Laßt sich vom bayerischen Soldaten das Pulver ins Tal tragen. So eine … nit?«

 

III.

Die Woch ging weiter; Regen und Sonnenschein hat sie gebracht, aber den Toni, den hat sie nicht gebracht. Zwei Tage nach der denkwürdigen Stunde war der Bua drüben in Mittersill beim Margreiter. Aber der hat nit auskommen können, fürs erste wenigstens nit. Mein Gott und Herr! Damals war das ein Geraufe mit der Zeit, mit der Kraft, das jeden, gar jeden, der mit voransteht, fast niederdrucken könnt. Nit das ist hart, fürs Vaterland verbluten, wenn einem grad eine Kugel trifft. Das kann ein Spatz auch. Aber jeden Tag und jeden Tag arbeiten, sorgen, sich mühen, und allen Leuten ein frohes Gesicht zeigen, wenn d' um und um selber nix Gewisses weißt, wenn du die Verzagten, die Wankelmütigen, Dummen und die, die den Wettermantel gern auf beiden Achseln tragen wollen, halten und heben sollst, und selber fast vergehst … Die eigene Sicherheit, freilich, dadrum mußt du dich auch noch sorgen, aber das wär ja nit der Müh wert, wenn nur grad alles andere seinen Gang ging.

Der Margreiter hat zur selbigen Zeit viel um die Ohren. Die ganze Telegraphie Optische Telegraphie würde man heute sagen. hat er müssen ins Tirol herüber einrichten. Und das war ein hartes, schweres Ding. Wenn der Herrgott den Tirolern nit die hohen Berg gegeben hätt, wär's wohl sicherlich eine unmögliche Sach geblieben. Aber so hat's nur Hirnschmalz gekostet, mehr nit. Die Bauern haben frisch alles telegraphieren können zu selbiger Zeit. In der Näh haben sie Leintücher auf die Laben (Veranden) herausgehängt, haben nasse Reiser verfeuert, daß es Rauch gab, und lauter solche Sachen. Für weiterhin da gibt's die Jochfeuer. Die kannst rauchig machen oder frei brennen lassen. Kannst sie mit einer Kuhhaut zeitweise verdecken und halt so Sachen. Und wo ein größerer Bach ist, da laßt man Sägmehl rinnen und Hennfedern, wirft besonders behauene Prügel ins Wasser … Ja, sogar das Läuten der Kirchenglocken haben die Bauern als Sprach hergerichtet.

Die bayerischen Soldaten haben es nur ganz, ganz selten gemerkt, daß überhaupt telegraphiert wurde. Und oft und oft ist ihnen der Wunder brennend worden, wenn sie's spürten, daß sie bereits angekündigt waren. Wie das die Bauern gemacht haben, ja, dahinter sind sie nie gekommen. Aber hundertmal und hundertmal ist es passiert, daß die Soldaten noch nit aus'n Dorf draußt waren, da wußten die Leut schon vier, fünf Stunden weit drin in den Bergen, daß die Soldaten kommen.

Manches ist verraten und ausspioniert worden, aber das Telegraphieren nie, gar nie.

Der Margreiter hat mit der Sach so viel zu tun gehabt, daß er einfach nit los hat können. Dafür aber hat er dem Toni einen neuen Auftrag gegeben, der ihn direkt über Sterzing und nach Innsbruck führt.

Mehr wie eine Woch war jetzt vorbei. Die Leni hat Arbeit genug – und Sorgen, das haben sich die Leut dazumal in Tirol rein abgewöhnt, weil's do nit helfen kann und weil in den Bauern ein ganz schlichtes Empfinden mächtig groß gewachsen ist. Alles ist in Gottes Hand und in der unserigen. Im Land ist zu der Zeit viel, recht viel gebetet worden, und nit etwa grad mit'm Maul. Oh nein! Da haben die meisten Leut, wo sie gehen und stehen, die Rosenkranzkrallen durch die Finger gleiten lassen. Und nit, um zu beten und zu bitten, das mehrigste war sicher das, damit's für einen Augenblick wenigstens Ruh im Herzen haben. Grad für Augenblick Innsbruck, Schwaz und wie all das Wüste im Land heißet, vergessen, ist schon eine Gnad Gottes …

Von Mühltal her kommt ein Diendl. Die Leni hockt vorm Haus und tut Leinwand zupfen, weil eins das gut für die Verwundeten brauchen kann. Arnika hat die Bäuerin gleich ein ganzes Panzele voll angesetzt, und weil nix anders da war, hat sie guten, feinen Kranebitterschnaps dazu genommen.

»Ja, Liesl!« tut die Leni, wie sie das Diendl sieht. »Was ist denn mit dir heut?«

»Meinen Bruder haben sie in Amras oben erschossen, die Hund, die …«, jammert die Dirn.

»Gott tröst ihn und halt ihn selig«, sagt die Leni und zieht das Diendl her auf die Bank.

Da heult die Liesl, die ganze Melz schüttelt und rüttelt's, wie die Staud im Wetter.

»Der verfluchte Krieg!« schreit die Dirn, und die Fäust reckt sie auf gen Himmel.

Die Leni laßt sie heulen, endlich faßt sie zu und fragt:

»Möchtest lieber, daß Tirol lutherisch wird …?«

Grad aufschaut die Liesl mit langen, langen Augen.

»Na, gewiß nit, Leni … Aber muß es grad meinen Bruder treffen …!«

Die Leni tröstet, so gut sie es vermag.

»Wär leicht zu ertragen,« meint die weinende Dirn, »wenn's nit der einzige wär. Und unser Geld ist auch alles sauber hin. Der Vater ist vor drei Jahren erschossen worden und itzt ist niemand mehr da, als die kranke Mutter und meine zwei kleinen Schwestern. Na, wie das grad werden soll …«

»Solang dein Bua, der Jörgl, lebt, ist alleweil no ein Dach auf'm Haus. Meinst nit, Liesl?« will die Leni zum Guten reden.

»Ja, wenn der Jörgl auch no …,« meint die verzweifelte Melz langsam, »dann mag i rein ins Wasser springen.«

»Weißt, 's Wasser ist zu viel naß, Liesl«, tut die Leni gutmütig. »Und eine Tirolerin geht überhaupt nit aus der Welt, wenn's nit muß. Nit, weil 's Leben so fein ist,« redet sie besinnlich und tapfer, »grad, weil jedes von uns was zu tun hat auf der Welt. Das Gras muß sich fressen lassen, und der Mensch …, der kommt mir vor …, auch so …, meinst nit?«

Die Liesl wird ungeduldig. »So redet der Pfarrer, wenn er nix Gescheiteres mehr weiß«, meint sie.

»Und du, Liesel,« lacht die Leni, »weißt, wie d' mir itzt vorkommst? Nit? … Wie ein frisch g'fangter Gimpel. Der geht auch gegen die Sprissel in seiner Steig an, bis er's langsam kennt, daß ihm das nit hilft. Schau, Diendl, dummes, aus der Steign, in die uns der Herrgott gesperrt hat, kommst nit aus. Es bleibt dir nix, du muß di dreingeben.«

»Ja, ja …, magst schon recht haben. Die Gescheitere bist alleweil.«

»Ja, los auf, Diendl,« fahrt die Leni fort, »wenn i mi schon dreingeben soll, dann will i wenigstens wissen, für was. Wir Diendln sind do nit zum Abschlecken allein auf der Welt, kommt mir vor …«

Da heult die Liesl von neuem, aber jetzt klingt's still und im Verwehen. Die Hand der Zwieslerin faßt sie und unversehens wird ein harter, fester Druck daraus. Und der Druck macht der Leni das Herz rogel.

»Schau,« tut sie mit eins, »i mag gar nit dran denken. Wenn itzt meinem Toni ein Unglück geschehen tät. Und mein Toni braucht für sich allein alle vierzehn Nothelfer und Schutzengel, sonst wär's ganz und gar nit möglich, daß er immerlings auskommt. Nach 'n Hofer und so ein paar Großkopfeten wird's im ganzen Land keinen mehr geben, den sie mehr am Strich haben, wie meinen Toni, will i dir sagen …«

Die Liesel nickt; das begreift sie genug.

»Siehst, und wenn dem was passiert – die Augen heul i mir aus. Aber dann muß es gut sein. Dann geh i nit ins Wasser. I geh dort hin, wo mi das Land braucht, mit der Sens' oder der Leinwand in der Hand.«

Die Liesl schaut auf. Auf die Idee wär sie gar nit gekommen.

»Ja, wenn du eine Sache zu Tod gern hast, und das hast doch unser schönes Tiroler Land, nachher ist nix, rein gar nix zu viel. Einfach, weil das Land viel, viel tausendmal mehr wert ist und mehr wert sein muß als du und ich, als jeder von uns … Stolz muß es dich machen, wenn auch du dein Teil dafür gezahlt hast, und … und … froh. Weißt, es kommt dir das alles wieder, schon hier unter dem blauen, und doppelt erst unterm goldenen Himmel, ganz sicher.«

»Meinst wirklich, Leni?« ist die Liesl voller Unglauben, voller Nitbegreifen.

Die Leni nickt grad. »Schau,« tut sie, »ein reicher Herr zahlt nit mit Kreuzern. Und ein Ding, das mit jeder Fiber unseres Herzens mit uns verwachsen ist, das ist mehr, viel mehr wie grad ein reicher Mensch … Verstehst, wie i mein …?«

Die Liesl begreift langsam, recht langsam, aber licht wird's doch in ihrem Empfinden. Und wie's das ist, springt sie auf und ist ohne Pfiedgott davon, heim zu.

Die Leni hat ihr nachgeschaut und den Kopf geschüttelt.

»Der Herrgott weiß schon, was der Himmelvater will, gelt«, redet sie mit sich selber, und dann greift sie nach einem andern Leinwandstreifen.

* * *

Der Zwiesler hockt in der Zeit in der Apothek zu Rattenberg. Der Leutumbringer dort ist sein Vetter.

Ein Wein steht vor den beiden Leuten und sonst ist es still in der Stub. Rattenberg ist ein Stadtl, in das das halbe Jahr keine Sonn nit hineinscheinen mag, und die Zeit, wo sie in die Häuser kann, ist sie meist no recht verzagt. In der Stub mit ihren dicken Mauern, den kleinen Fenstern auf die schmale Gass' hinaus ist es ziemlich dunkel, und das macht nit froher.

»Ein Trost ist's mir schon, ein rechter, Vetter, daß du mir aushelfen willst. Denk dir grad, wie's mir geht. Vor zwei Jahren hat der Bankogulden Alte Münze. Der Gulden hatte 60 alte Kreuzer. no sechzig Kreuzer golten. Jetzt bietet mir der Innsbrucker Jud sechzehn.«

»Ihr Bauern habt's ein bissel leichter, ihr habt doch euer Essen, aber wir, wo eins alles kaufen sollt«, jammert der Leutumbringer.

»Ja, ja, wird schon sein«, tut der Zwiesler. »Ihr Stadtlinger habts alleweil das große Maul und wollts die Zeiten nie wahr haben, wo's euch schlechter geht, wie uns dummen Bauern. Itzt, ein bißl bist schon auch selber schuld. Was macht ihr den Bayern so gute Augen? Um seine Sach, will i dir sagen, muß sich eins ehrlich wehren, und zu allen Zeiten. Wer das tut, der gilt auch was bei Freund und Feind, den anderen speibt eins an.«

»Itzt bist still, Vetter,« wird der andere zornig, »die Sach ist einmal ausgemacht. Der Kaiser hat Tirol verschenkt und wir müssen folgen.«

»Soo … so …, sonst nix mehr«, zürnt der Zwiesler.

»Wir studierte Leut müssen das besser verstehen, wie so g'scheerte Bauern.«

Darauf ist der Zwiesler fürs erste still.

»I mein dir's gut, Vetter«, redet der Leutumbringer mit übervollem Herzen. Der Bauer nickt grad, denn das weiß er selber.

Ein Zeitl denkt der Rattenberger noch nach und dann sprudelt's aus seinem zornzerwühlten Herzen mit verhaltener Wut und tief innerlichem Groll:

»Seit 1792, wo Napoleon Österreich den Krieg erklärt hat, ist nie mehr volle Ruh im Land. Jetzt schreiben wir 1809! Ja, du lieber Gott, das blutarme Land Tirol! … Und wär alles noch zu tragen. Unsere Bauern sind die Wildbäch gewohnt. Aber zuerst sind die Preußen abgefallen, schon im Fünfundneunzigerjahr, dann der Rheinbund …« Die Fäust hebt der Mensch, so kocht's in ihm, wenn er dadran denkt. »O, die Hund, die!« schreit er in die Stub, »wenn wir Deutsche nit einmal zusammenhalten, was dann, frag i …«

»Mei,« lacht der Bauer, »den Königen und Fürsten darfst es nit zu fast verübeln, haben ja lauter Hundsfötter und Henneler als Ratgeber. Siggst es ja an unserm guten Kaiser Franz. Weißt, das sind alles Leut wie die Hennen. Den kleinen Nutzen vor ihnen sehen s' und weiter denkt so ein Spatzenhirn nit. Hör mir auf. In so heißen Zeiten braucht's Bauern. Übergescheite Leut sind von Übel … überall … gar überall.«

»Das weiß i von allein. Aber was nutzt alles Reden. Seit dem 11. Februar 1806 sind wir bayrisch. Gib dich Vetter, gib dich, weil's nix nutzt, nix nutzen kann. Denk doch, dumme Bauern, arme Ludern, wollen gewinnen, wo der König von Preußen …, geh, ist ja zum Lachen so ein Trotz und Eigensinn …, geh …«

»Den Preußenkönig kenn i nit. Aber haltest du den Menschen für stärker wie uns Bauern? Geh, laß di auslachen. Das merkt ja mein kleinstes Kalbl, wie's um den steht. Er sieht seinen Nutzen, seine Ratgeber lügen ihm den Nutzen haushoch vor und dann ist er besoffen von dem großen – Nutzen.«

»Schon,« tut der Rattenberger ungerührt, »mußt denken, verbluten, freiwillig verbluten, das tut kein ehrlicher gescheiter Mensch.«

»So …!« flammt's beim Zwiesler auf. Und grad kerzengrad steht er vor ihm.

»Wenn Preußen und der Rheinbund nachgeben, ist ja zum Lachen, wenn da no die Tiroler Bauern … Eine Sünd ist so was … Sei gescheit, gib dich.«

»Keinen Schein nit, Vetter. Bei mir gilt nit Preußen, nit der Rheinbund … Grad das, was i in den Fäusten hab und im Herzen. Treue gegen Treue …«

Ungeduldig fahrt der Stadtherr auf. »Siggst es ja … Treue … Der Kaiser hat sie uns ja auch nit gehalten.«

»Ja meinst du, die Treu ist ein Roßhandel? Herrgott! Wenn uns der Kaiser die Treu dasmal nit gehalten hat, tut nix, gar nix, dann haben wir Tiroler bei ihm halt was gut.«

»Sei stad, Vetter. Wenn das große Preußen und der Rheinbund … Das sind doch auch Deutsche …«

»Deutsche wollen das sein. Da lachen ja die Hennen, Vetter. Deutsche!« fahrt der Bauer krebsrot vor Zorn auf.

Und wie der Vetter schimpfen will, fahrt er ihm dazwischen.

»Mußt nit, Vetter. Die Leut sind viel mächtiger, reicher, gescheiter. Meinst nit, daß sich ihre Kinder noch 'mal in den Boden hinein schämen … Meinst nit! Grad deswegen sag i alleweil, grad nit lugglassen. nachgeben. Beispiel braucht's in einer verzagten Zeit, nix wie Beispiel. Die Leut sind ja gut deutsch. Grad das studierte Gesindel, die Ratgeber …«

»Ja, und Tirol darf sich verbluten …«

»Da denk i anders. In solchen harten Zeiten ist eine gute, tapfere Sach wie 's Herz. Überall schickt's seine Adern aus und versorgt den ganzen Leib mit frischem Blut. Wirst sehen, was wir armen Tiroler Bauern z'sammbringen, das ist wie wenn d' einen Stein ins Wasser wirfst. Immer größere Kreis' werden auf dem Wasser, immer größere.«

Der Rattenberger Vetter nickt und nickt. Das hat er sich selber viel hundertmal gesagt, aber es geht ja nit. Praktisch muß man im Leben sein, praktisch.

»Schau«, tut er mit eins. »Dadran hängt's nit. Nit Reden, und sind sie no so gescheit, die Tatsachen regieren …«

»Die Tatsachen! A so was …!« fahrt der Bauer her. »Mir auch recht«, lacht er nach einer kleinen Weil. Seine Brust geht hoch und fast zitternd kommt jedes Wort daher: »Ist der 12. April am Berg Isel etwan keine Tatsach? Herrgott, wie schön grad der bayrische General Kinkel Prügel gekriegt hat damals. Und dann der Brisson, der talkete Franzos, wie er andern Tags so saudumm in die Innsbrucker Fall gangen ist. Der Major Teimer hat ihm's schon zeigt. Denk do, 2 Generäle, über 100 Offiziere und 6000 Mann, dann 7 Kanonen, 800 Rösser, das viele Geld und die Kriegsvorräte – alles war unser. Ist das keine Tatsache … han?! Herrgott im Himmel, ist's wirklich keine Tatsach! – Dann der 25. Mai wieder am Berg Isel. Der französische General Deroy. Hat was gefehlt? Sind ihm nit in etli Stund Flügel gewachsen wie einem Geier? Ist er nit davongelaufen wie ein Ruß am Herd? Und jetzt wieder Aspern … Han … Sind das keine Tatsachen …?«

»Mit dir, Vetter, laßt si nit reden. Begreifst denn immer nit, daß einzelne Erfolge nit Ausschlag geben …«

»Der Spatz baut sich sein Nest auch aus lauter einzelnen Strohhalm«, zuckt der Zwiesler die Achseln.

Wie der Vetter noch immer nit auf seiner Seit ist, ist er die längste Zeit still. Dann fangt er an, in der niedrigen großen Stub auf und nieder zu gehen, speibt aus und geht weiter mit langen, langen Tappern. Seine grobgenagelten Schuh bohren völlige Löcher in die feichtenen Bretter. Der Bauer ist die pfeilgrade Ehrlichkeit, voll schlichter, einfacher Ungebeugtheit und still ruhiger, heimlicher Tapferkeit. –

»Sieggst, Vetter,« fangt er nach einer Weile langsam wieder an, »das hab i mir aus'n Leben schon genommen: mit'n Verstand allein kannst höllisch wenig richten, laß dir g'sagt sein. Der Verstand geht irr, wenn's Herz nit dabei ist. Der Verstand ist wie ein großer Wald, da findest kein End nit, wenn d' nit tief im Herzen die Latern drin hast, die dir den Weg weist.«

»Hm, hm«, macht der Leutumbringer und schupft dabei die Achseln.

»Wenn i auch grad ein dummer Bauer bin, Vetter, aber in der Sach steh i so. Wir Tiroler sind seit Jahrhunderten frei, so frei, wie kein anderes Land. Der Kaiser ist unser Herr. Aber wir sind nit seine Küh, die er auf'n Markt treiben mag, wie's ihm paßt. Der Kaiser, will i dir sagen, hat gar kein Recht, unser Land zu verschenken. Gar kein Recht hat er, verstehst?«

Der Vetter lacht.

»Schau,« redet der Zwiesler weiter, »wenn i unsern Kaiser nit lieber wie mi selber hätt, und wenn i nit wüßt, daß er als Ratgeber lauter Henneler und Fetzer hat, die ihm falsch raten, nachher könnt man ihn rein anspeiben …«

»Aber Vetter, du weißt ja vor Zorn nimmer, was du sagst«, will der Leutumbringer besänftigen.

Aber besänftig du einen kreuzrütten Bauern … »Schau, ein bißl hast schon recht, das geb i zu. Aber was willst denn machen? Staatsvertrag ist Staatsvertrag …«

»So …!« höhnt der Zwiesler. »Das ist das Neueste. Weißt, was ein Staatsvertrag ist? Ein Stückl Papier, grad wie der Bankogulden, der einmal sechzig und itzt sechzehn Kreuzer giltet … Was willst mit dem Stückl Papier? … Da sind auf der andern Seit 100.000 Fäust und 50.000 Stutzen … Was wiegt mehr, han …?

»Der Inama hat wirklich recht, wenn er euch Bauern Gesindel und Lumpen heißt«, meint der Vetter nachdenklich. »Spürst denn das gar nit, daß dein ganzes Reden ein Fisch ohne Wasser ist? Was kann's dir helfen? Schick dich drein, so hilfst dem Kaiser am besten. I mein dir's gut, Vetter! So dumm wirst do nit sein, daß du den Pfaffen nachbetest, das Land darf nit lutherisch werden. Das will ja der Bayernkönig gar nit.«

»Mag alles sein, 'leicht ist er zu gescheit dazu. Aber seine Leut tun alles, um so herschauen zu lassen. Weißt es noch in Innsbruck, wie die Soldaten und anderes Gesindel mit der Monstranz vom Kloster Wilten auf der Maria-Theresien-Straße Unfug getrieben haben? Und nix ist den Lumpen geschehen. Aber dadrum geht's mir nur auf der einen Seit. Auf der andern will i mein Tiroler Recht. I bin keine Kuh und verkaufen laß i mi einfach nit. Da muß mi zuerst eins fragen, ob i auch mag. Und solang no ein Tropfen Blut in mir ist, solang bleib i dabei …«

»Ist ganz recht, Vetter! Aber du verblutest dich und dann hast gar nix«, will der Leutumbringer überzeugen.

»Verbluten, ha … ha …! Ja, weißt denn du das nit, Vetter? Weißt, was i für meine jährigen Kälber kriegt hab das Jahr? 37 alte Kreuzer. Mein Großvater hat 1809 für drei jährige Kalben 1 Gulden und 51 alte Kreuzer gelöst.

Und mußt denken, das ausgeliehene Geld, das zinst schon seit etlichen Jahren kein Mensch mehr. Auf die Gant bringen, das kannst einfach nit, schon weil dir deine Leut auch nimmer warten täten, und dann, weil noch weniger gelöst würd. Alsdann … Wie viel von unsern besten Bauern sind heut Bettelleut? … Schlechter kann's unmöglich mehr werden …«

»Ja, da mußt schon selber eingestehen, daß ich recht hab, Zwiesler«, ist der Vetter obenauf.

Das ist so ehrlich geredet und voll fester Freundschaft, daß der Bauer grad mit eins aufspringt und zum Fenster geht.

Lang trachtet er auf die Gass' hinaus. Endlich dreht er sich wieder herwärts:

»Siggst,« fangt er geruhsam an, »siggst, da geht unser Meinen voneinander. Du weißt scheint's nit, was i weiß.«

»Ja, was nachher?« tut der Vetter.

»Daß der Herrgott nit dummer wie die Bäuerin ist«, meint der Bauer voll grundtiefer Überzeugung. »Schau, die Bäuerin rührt das Mus nit länger, als es braucht. Und der Herrgott wird uns Tiroler Bauern g'wiß auch nit länger zwiefeln und rühren, als es not hat.«

Da ist der Leutumbringer die längste Zeit still. Er schüttelt den Kopf und lost inwendig hinein. Endlich gibt er dem Bauernvetter seine Hand: »Auf deine Weis' hast wieder recht.«

»Ja, nachher, nimm di drum an«, meint der Zwiesler.

»Das kann i ja nit. Begreifst denn das nit? I wär ja ganz und gar ruiniert. I hab Frau und Kinder …«

»Ja, ja,« tut der Zwiesler, und dann geht er mit einem fast lustigen Aug, denn heut hat er vom Vetter was gelernt, etwas, das er unmöglich hätt glauben wollen, den Unterschied zwischen Stadtleut und – Bauern, »dumme, g'scherte Bauern«.

 

IV.

Jetzt ist's schon mitt' im Hochsommer. Und um und um zu wenig Leut für Feld und Alm. Das Gras steht nit schlecht, aber die Ställ sind leer, verflixt leer. Dazu hat der letzte Hagel das Getreide in den Boden geschlagen, daß recht viel nimmer damit werden wird.

Die Zwieslerin, eine kleine Frau mit hellen Augen, der man das Zugreiferische aus eine halbe Stund schon ansieht, geht mit der Leni heimwärts. Beide haben die Rechen über der Achsel und hochrote Gesichter.

»Eine Welt ist's, grad eine Welt ist's, in Gottsnam!« tut die Bäuerin mit eins, weil sie an die Not mit den Leuten denkt.

»Ja, Muatter, und i mein alleweil, als wenn wir daheroben durch ein Astloch hinausgucken täten«, meint die Leni besinnlich.

Die Bäuerin schaut auf, weil sie die Red nit versteht.

»Ja, schau,« tut das Diendl, »so Zeiten, wie die jetzigen, die so stürmen und wehen, die kommen einem immerlings vor, wie's Werch am Spinnradl. Die Stunden werden zu langen Fäden, die gar nit aufhören wollen und sich doch nicht greifen lassen, so dünn sind sie.«

»Hast recht, Leni«, nickt die Bäuerin. »Mir kommt die Welt vor wie halbsaure Milch, die im Augenblick oder erst in einer Stund zusammengehen kann.«

»Was nutzt's!« schupft die Dirn die Achseln. »Die letzten Minuten vorn Hochwetter, das sind alleweil die grauslichen …«

Die Bäuerin überlegt und seufzt: »I will gern sehen, wie die Sach wird. Mein Gott, der Hofer, grad der Hofer, die Sorgen, die der Mensch hat, wo wir uns kaum mehr helfen mögen.«

Jetzt ist's eine Zeit still zwischen den beiden.

Endlich meint die Bäuerin: »Diendl, grad fleißig beten! Der Herrgott verlaßt das Land nit, wenn wir nit aufgeben mit Beten und Dreinschlagen …«

Dann schauen sie auf zu ihrem Haus hin, das noch einen Büchsenschuß weit droben ist.

»Gott Lob und Dank«, sind sie glücklich. »Der Vater ist da. Jetzt erfragt eins doch wieder was.«

Der Pfarrer und der Schützenmajor, der Jakob Margreiter, kommen auch des Weges, und so warten die zwei.

»Na, wie gefallt's dir denn wieder daheim, Jaggele?« lacht ihm die Bäuerin beim »Grüß Gott« ins Gesicht.

»Es tut, Zwieslerin, es tut. Wenn weniger Arbeit und Sorgen wären, wär's zum Aushalten, meinst nit auch?« ist der Margreiter beim Wort.

Und dann gingen alle vier dem Hause zu.

Der Bauer kommt ihnen schon entgegen. »Es kommen noch zwei, Zwiesler«, meldet der Pfarrer.

Vor dem Haus hocken die Leut auf der Bank, grad vor der Sonn, die sich langsam zum Schlafengehen herrichtet.

»Alsdann, Bauer?« ist der Margreiter schon voller Ungeduld.

»Die Sturmlöter werden wohl ausrücken müssen, Jaggele! Was kriegen wir zusammen, alles in allem?« gegenfragt der Bauer.

»Das allerhöchst dürft so an die zweihundert Mann sein, aber dann ist bis auf die Schulerbuam und die Kranken alles, sauber alles beisammen.«

»Der Befehl wird die Woch noch kommen, hat mir der Speckbacher g'sagt. Alsdann richt di redlich, hörst!«

»Fehlt nix. Mir macht anderes mehr Sorg.«

Indem springen zwei Knecht daher, sie haben ein Diendl bei ihnen.

»Jegoßle, Zwiesler, ein Glück, daß wir di gleich fassen!« ist der eine auf. Und dann erzählt er atemlos in brennender Wut, während die Leut auf der Hausbank den blinden Buam anschauen, voll Nitwissen, wohin damit und mit seiner Red.

»Alsdann lost grad auf«, fangt er an. »Die Sennerin auf der Achentaler Alm will gegen Kundl. Oben, so ein Viertelstündl unter der Brach, kommen zwei bayrische Soldaten daher. Auf einmal hören wir im Wald ein Diendl ganz schrecklich schreien. Also wir, wo wir eh nix haben, als unsere Fäust und Bergstöck, laufen, was wir einmal können. Und grad recht kommen wir. Der eine Soldat ist ja davon, aber den andern haben wir kriegt. Da siggst, hat uns eine Wut gefaßt, und wir haben ihn geprügelt, bis es hin war, das Vieh, das …«

Der Pfarrer fahrt grad auf. »Aber Leut, was fallt euch denn ein?«

»Esel!« schreit ihn der Margreiter an, und jeder sieht seine Gall hochsteigen. »Esel, vernagelter! Das denkst nit, daß sein Kamerad jetzt erzählen wird, daß ihr ihn unschuldigerweise totgeprügelt habt!«

»Ja,« tut der Sprecher ganz überfahren, »wir haben uns einfach nimmer helfen können. Du wärst auch nit anders«, trotzt er.

Da reißt es den Margreiter grad in die Höh. Sein Arm ist weit ausgestreckt und steht wie eine Stang.

»Ah, so!« schreit er, und die Adern auf der Stirn stehen wie Geschwülst heraus. »Der Pfarrer wird dir einen Brief schreiben. Du nimmst deinen Stutzen, bindest dir ein weißes Tüchel auf'n Hut und gehst stante pede mit dem Diendl nach Wörgl zum bayrischen Major. Dem erzählt das Diendl die Sach …«

Das war befohlen mit einer so unheimlichen Kraft, daß es dem Buam die ganze Gegenred verschlagt.

Die Leni, die bei den Bauern sitzt, redet auch. Mit blitzenden Augen nickt sie dem Margreiter zu: »I versteh di g'nua, Jaggele,« meint sie, »und recht ist das, ja ganz recht.«

Der Pfarrer aber nimmt sich itzt die zwei wilden Buam zu leihen. »Schauts«, meint er, »das begreif i ganz leicht, daß in so Kriegszeiten die Gall davonläuft. Aber Christen müßts bleiben, Buam, Christen! So wahr als es ist, daß itzt eine Kugel der beste Schlüssel zur Himmelstür ist, so wahr ist's aber auch, daß nur Christen in den Himmel kommen können. Vergeßts nie, Christen müßts bleiben, wenn's auch oft einmal hart ankommt.«

Der Zwiesler will von anderem reden, denn seinem Meinen nach war der Margreiter zu hitzig. Das hätt's nit not gehabt.

Der Pfarrer war kreuzfuchtig. »Alleweil und alleweil fangen die Bauern so kleine Raufereien mit Bumbum an. Ihre Wut wissen sie si rein nimmer zu lassen. So kleine Raufereien nutzen nie, schaden aber einen Haufen. Einmal gießen sie den andern Wut ins Herz, fressende, brennende Wut. Das kannst ja am besten sehen, daß immerlings ein Hof oder ein kleiner Weiler zur brennenden Kerz wird, die raucht und lodert, bis alles Stein und Asche ist.«

»Die Soldaten glauben ihre Pflicht zu tun, da werden sie hinterrücks angeschossen. Ja, zum Teigel, da soll einem nit die Wut fassen!« redet die Leni.

»Das ist geredet, und nit, Pfarrer«, wirft der Margreiter dazwischen. »Mag einer das den Soldaten ansehen, ob s' zu Hilf kommen sollen oder spionieren oder sonst was? I denk da, besser ist besser, denn fragen kannst doch nit.«

Die längste Zeit geht die Red von der Sach, und unmöglich kommen die Leut da auf der Hausbank in die gleiche Gass'.

»Gehts, Leut,« meint die Leni, »streitet euch nit um die Wurz, wenn der Baam dahin ist. Die Sach wird von selber aufhören, bald das Ganze einmal ausgerauft ist. Die Leut sind grad wie die Almerküh. Die muß man ausraufen lassen, dann gibt sich die Kuh schon, die merkt, daß sie die Kraft nit hat …«

»Ist,« tut der Pfarrer, »Diendl, unrecht hast nit. Aber wie mir oft zu Sinn ist, wenn i so die viehische Wut unserer Leut seh, die sie von den Soldaten gelernt haben. Das ist unchristlich und so viel dumm. Dem ganzen Land schadet die zügellose Wut …«

»Dumm ist's ja«, tut der Zwiesler. »Aber der Herrgott ist gescheiter wie wir alle. Er begreift es schon. Denk an Schwaz oder St. Leonhard! Dort haben sie das Mesnerhaus anzunden und Vieh und Leut nimmer herauslassen. Und auf der Staud in Brixlegg haben sie gar fünf Weiberleut verbrennt. Wenn unseren Bauern da die Gall auskommt, recht ist's freilich nit …«, lacht er ein bißl. Und der Pfarrer muß ihm rein helfen bei seinem Lachen.

Hinterm Haus hören die Leut wen kommen und schauen auf, neugierig. Im nächsten Augenblick steht der Toni vor ihnen, atemlos und heiß.

Der den Margreiter sehen, den Hut herunterreißen und:

»I meld einen schönen Gruß vom Hofer, und morgen geht's los!«

Der Bua sieht niemand auf der Bank, nit einmal seine Leni, nur grad den Major, so ist er selber von seiner Botschaft aufgewühlt.

»Gott Lob und Dank!« springt der Margreiter auf.

»In Gottsnam!« schreit die Bäuerin.

»Heiliges Herz Jesu, hilf!« betet inbrünstig die Leni. Alle falten die Händ, als wären sie mitt' im Hochamt. Für Zeiten ist es still, keines redet ein Wort. Dafür werden die Augen langsam anders, ganz anders. Sie kriegen was Sicheres und Felsenhartes. Und doch ist darüber eine wehmütige, helle Freude. Der Augenblick, ganz Tirol hat auf den gewartet, wie das Gras auf Regen … Jeder fühlt, wie ihm was Heimliches, Heiliges durch die Adern rinnt, das stark macht und gesund …

Endlich faßt sich der Bauer. Zwei Finger steckt er in den Mund, und laut hallt sein Pfiff.

Gleich sind die Diendln und der Hüterbua um die Weg.

Und jetzt fliegt's grad: »Du, Franzi, gehst zum Galt, du, Vev, zum Grubbauern, du, Sepha, zum Larcher, und du, kloaner Bua, zum Hörtriegel. Alle gehts zum Bauern selber. Gebts ihm die Hand, schaut ihn fest an und sagt: I ließ fragen, wieviel seine Roß kosten? Sonst nix …«

»Ja, der Grubbauer hat ja keine Roß!« tut die Vev.

»Wohl!« ist der Zwiesler ungeduldig.

Und dann springen sie dahin, als wenn's brennt.

»Du, Pfarrer, bist so gut und laßt gleich zum Rosenkranz zusammenläuten. Gelt? Und drei Vaterunser betest extra, daß der Roßmarkt gut ausgeht.«

Und dann war die Bank leer. Ganz leer. Halt, das nit. Die Leni und der Toni hocken noch. Die Sonn ist längst verschwunden, nur feuerrote Wolken zeigen ihre Liegerstatt, feuerrote Wolken.

Seit Wochen und Monat hat man den Herrgott grad um den einen Augenblick gebettelt und gebettelt, und wie er jetzt so mit eins vor einem steht, da zwingt der Ernst die Menschen fast nieder. Ganz ungewollt greift der Toni nach der Diendlhand. Und die längste Zeit liegen die zwei Händ ruhig ineinander. Ganz ruhig. Eine Maus könnt eins hören, so ist jedes im Sinnieren und Trachten. Endlich trifft ein heller Blick, der macht die zwei munter.

»Wir sehen uns wieder, Diendl, ganz gewiß! Wenn i alles so sicher wüßt, wie das …«, tut der Toni.

»Meinst du's auch?« klingt's froh neben ihm. Und dann tauchen die Augen ineinander, und bis zutiefst in die unterste Herzensfalt sehen sich die beiden. Und weil's dadrunt so klar und rein ist, werden sie froh und herzhaft.

Nach langem fangt der Bua wieder an:

»Schau, Leni, mußt es begreifen. Auf meinen Wegen hab i selten Weil, an dich zu denken. Da ist im Kopf alles andere, weil's vorgeht, weit vor. Aber du verstehst mi schon, gelt?«

»I möcht's gar nit anders, Bua! Wär ja völlig eine Sünd, wenn du deinen Kopf nit beieinander halten tätest. Das könnt übel ausgehen …«, ist die Dirn glücklich. Und wie der Toni aufschaut, huscht ein lustiges Lachen über sein Gesicht. »Du kennst mi eh,« meint die Leni, »i brauch wirklich nit viel. Aber gut und nobel will i das wenige.«

Seinen Schnauzer maltretiert sie und zerrauft ihn völlig, bis er schreit: »Nit, das tut ja weh!«

Dann fangt er ihre Hand und laßt sie nimmer aus.

»Weißt, Diendl, lieb's«, fangt er an. »Die Sach muß ausg'redet werden. Gleich, wie i wiederkomm, wird Hochzeit. Gleich …«

Warm durchzuckt sie das Wort. Aber der Diendlübermut will das verdecken. »Hast Sorg, daß i mir einen besseren find?« neckt sie.

»Itzt, das wär hart!« gibt der Bua Trumpf zu.

»Schellenschmied«, Ist ein Mensch, der gern übermäßig prahlt. lacht die Leni.

Das hat sich der Toni nit gefallen lassen und hat ihr ein Bußl g'stohlen. Indem kommt die Bäuerin unter die Tür:

»Jesses, die jungen Leut!« schlagt die die Händ zusammen. »Itzt in solchen Zeiten haben die no Weil für so was! … Gehts essen itzt!«

Sie haben aber nix gehört.

»Wir wollen zusammenhalten, kommt's, wie's kommen mag. Das Land ist das erste, und dadrum geht's uns beiden, nit?« verspricht die Leni.

»Magst recht haben, Diendl!« nickt der Toni. »Uns fressen die Würmer, Tirol aber wird ewig stehen! Gelt?« Da schaut die Leni auf. In ihren Guggerln ist's wie feiner, weicher Samt. Und ein Blitzen ist drin, so groß, so hell, so weh, daß der Toni ihre Hand faßt, … ein Busserl darauf druckt und – geht …

»I kann nimmer, Leni! I muß allein sein, itzt!«

Das hat das Diendl nit vermeint, und ist fürs erste rein überfahren. Drum geht er die paar Schritt zurück, faßt ihre Hand und meint zutiefst aus dem Herzensgrund:

»Leni, jeder Schuß, der itzt im Land fallt, soll dir's sagen und immer wieder von neuem sagen: du bist mir das Liabste auf der Welt, das Allerliabste!«

Jetzt laßt der Bua los, und im nächsten Augenblick rennt er, was die Füß nur können, gegen Tal.

Das Diendl schaut ihm nach, so lang s' den rennenden Bua mit den Augen langen kann. Dann scheint's, ist's mit ihrer Kraft auch vorbei. Gegen die Tür fallt sie fast.

»Du hast mehr tragen müssen, gelt, Himmelmuatter?« redet sie zu sich selber. Grad zum Rosenkranz ist die Leni noch kommen in der Stub. Damit's einen guten Roßmarkt abgibt, haben die Leut gebetet, und ganz verklärt hilft die Dirn mitbeten. Ganz verklärt …

Draußen aber wird es dunkler und dunkler. Und wie es Nacht ist, eine Nacht ohne Stern, da flammen hoch droben beim Grub und beim Larcher Feuer auf. Sie leuchten mächtig weit hinaus. Und die nixnutzigen Buam spielen, scheint's damit, denn bald brennt's und bald siehst nix. Sorgsam zählt die Leni das Auslöschen, weil das die Hauptsach ist. Zwölfmal muß es auslöschen und dann eine Viertelstund brennen. Drauf muß es noch dreimal, jedesmal für etli Minuten auslöschen. Und es dauert keine halbe Stund, da flammen überall solche Feuer auf. Sogar droben auf der Holzalm, nah der Gratlspitz …

Ja, ist denn heut Johanni? hätt bald einer denken können. Na, na, Johanni ist heut nit …, das nit …, Tirol braucht Fäust und Stutzen!

Um Mitternacht war der Witschnauer Landsturm schon droben beim Hösl und ist im Niedersteigen auf Alpach. Von dort geht's wieder bergauf und hinüber ins Zillertal und dann nochmals den Berg hinauf, hint um das Kellerjoch, bis sie in Volders auf das Inntal kommen.

Den Landsturm hat eins sehen müssen. Die meisten hatten wohl Stutzen, aber lang nit alle. Morgenstern, auf derbe Stück genagelte Sensen, kurz, Waffen, wie sie der Bauernschmied eben fabrizieren kann. Sogar eine Kanone haben die Leut mit. Es ist Zirmholz und mit Eisenbändern durchaus gefestet. Die Augen der Leut … Trotz … o nein, zum Trotzen ist itzt keine Weil mehr, jetzt gilt's! … Die Leut beten! Die Rosenkranzkorallen rinnen und rinnen. Nur eins schreien alle stumm und ernst, nur eins:

»Herrgott, gieß mir Ruh ins Herz, damit das Herz nit zittert und die Hand fest, fest wie eine Mauer wird. Das ist jetzt notiger wie Zorn und Wut. Grad stehen laß mi, wie eine Tann, Herrgott, … das andere … da tu, wie du's für gescheiter hältst … Grad stehen laß mi, wie eine Tann …«

 

V.

Die Witschnau ist ein Hochtal, aus dem nur etli Gangsteig gegen den Inn führen und nach Hopfgart. So kommt's, daß die Leut, die noch im Tal sind, rein vor Ungewißheit verbrennen. Die unglückselige Schlacht bei Wörgl ist längst vorbei und seitdem wissen sie so gut wie nichts mehr. Deswegen ist es die reinste Barmherzigkeit Gottes, daß umundum zu wenig Leute sind, denen die Arbeit die Finger versengt. Das Vieh kannst nit hungern lassen. Sein Recht muß es haben jeden Tag und jeden Tag. Und dann das Feld, was einmal möglich ist, muß dort auch geschehen. So haben die paar Leut entsetzlich viel zu schaffen und zu raffen, so viel, daß sie das Trübe und Ungewisse längst nit so peinigen kann. Zerschlagen und ermüdet sind sie im Dunkeln ins Bett gefallen und der Schlaf war ihr einziger Tröster. Die Mütter freilich und die Diendln, die einen lieben Hochzeiter haben, finden in ihren zerwühlten Herzen oft die ganzen Nächt keinen Schlaf. Aber die Hoffnung, die hält sie aufrecht, denn in ihr liegt doch das halbe Leben …

Der Pfarrer hat zum erstenmal mit dem Schicksal gegreint, denn er wär gar zu gern mit in den Kampf. Gar zu gern. Daß es nit sein kann, sieht er ja selber ein, aber macht so eine Einsicht das Zerwehen einer liebgewordenen Sach etwa leichter? … Sein ganzes Empfinden ist bei den Sturmlötern, beim Hofer, bei dem gewaltigen Kampf, der jetzt vielleicht schon entschieden ist. Fast nit zum Tragen kommt ihm die Sach vor. Aber es trägt sich alles, gar alles. Und um so leichter, wenn ihn auf der andern Seite seine Pfarrkinder brauchen, wie die Supp den Löffel.

Die Armen haben einen not, der mitfühlt, der sie ruhiger macht und ratet … und das hat der Geistliche bald einsehen müssen, daß diese Arbeit leicht mehr noch von einem Menschen fordert, wie das In-die-Schlacht-Ziehen. Viel mehr. So kommt er einmal ins innerste Tal und trifft hoch droben zwei Weibsleut, die Waglbäuerin und ihr kleines Schulerdiendl. Es ist ein armer, magerer, großer Hof, der Waglhof. So zehn Küh und etli Geiß stehen dort und jetzt sind die beiden ganz allein vor der Sach, denn der Bauer mit seinen drei Buam ist mit dem Stutzen fort. Das kleine Diendl fallt fast über die lange schwere Sens' und müht sich tapfer, unverzagt auf den steilen Fleck. Mit großen wehen Augen und all der Kraft, die in der kleinen Dirn überhaupt ist, mäht sie. Das Gras steht hoch und verholzt, der Pfarrer mag einfach nimmer länger zuschauen. Er nimmt ihr die Sens' aus der Hand und tut ihre Arbeit bis in die werdende Nacht. Hübsch einen Fleck hat er niedergelegt und nie im Leben war er froher, daß er als Bauernbua solche Dinge kann.

»Diendl, tu du breiten, das Gras auseinanderziehen«, schafft er und immer lustiger blitzen seine Augen.

Auf dem Heimweg im Dunkeln redet ein alter Mann am Stecken den hundsmüden Menschen an. Sein Weibele ist arg krank und ob's nit wegen der Ölung sein könnt?

Also heißt's fürs erste anderthalb Stunden hinaus zur Kirch und dann den Weg wieder zurück. Bei der Kranken findet er ein Elend. Es geht auf die Letzt, das sieht er gleich und im ganzen Haus ist niemand, wie der Weißhaarige und drei Kinder.

Wie dann die Tote das Kreuz in den starren Händen hat, geht die Sonne auf in alter herzhafter Pracht und der alte Bauer meint nur wehmütig: »Du hast Ruh jetzt. Bist besser dran wie unsereins, gelt? Gott g'segn es dir.«

Wieder daheim, trifft er die Ederbäuerin tränenden Auges bei der Häuserin. Um drei Gulden hat sie zwölf Pfund Mehl gekauft, so ohne Wert war das Geld damaligen Zeiten. Wenn das so weiter geht, wär's wohl ein Glück, wenn eins stürb. Wahrhaftigen Gotts, Pfarrer …

Wie er die Alte noch tröstet, reißt einer die Tür auf. Er kommt von Alpach.

»Verloren haben wir, Pfarrer!« schreit er. »Der ganze Teixl ist hin. Der Hofer muß fliehen!«

»Wissen's die Leut schon?« fragt der Geistliche schwer atmend.

»Ih hab's überall ausgeschrien.«

Und jetzt kamen sie schon daher. Ja, mein Gott, im Widdum ist nit so viel Platz. Also rennt alles in die Kirche und einer fangt an vorbetn. O wie schauerlich groß und zwingend klingt es. Das Letzte, das Allerletzte haben die Leute geopfert … und jetzt ist's noch zu wenig …

Andere wären verzweifelt. Bauern können nit verzweifeln, weil sie in ihrer Unberührtheit rein nit wissen, wie tun dabei. Je länger sie beten, desto stärker, desto größer keimt ihnen das Vertrauen in den Herzen auf. O, ist das ein herrliches Wunder, wenn in so harten Zeiten wirkliches Vertrauen in viel hundert Herzen grad mit eins aufblüht. Das Herz ist dir am vertrocknen, alles in dir ist zum Krüppel geschlagen, und jetzt in der höchsten Not kommt dir auf einmal die Spannkraft der Seele, der Mut des Herzens grad mit eins wieder und stärker, froher, goldiger … Von solchen Dingen geht ein Duft aus voll unvergleichlicher Zartheit, voll gewaltiger Kraft … Kein Mensch kann das alles begreifen. Das muß einer einfach erleben. Wenn so die Herzen grad im Augenblick riesengroß werden, obwohl die Leute arm und klein bleiben, dann ist's völlig wie im Sonnenaufgang. Und das Wunder ist zu denselben Zeiten in Tirol viel hundertmal geschehen und immer mit neuer Gewalt und neuer Freude.

Grad ist der Rosenkranz aus, da kommen die beiden Zwieslerinnen daher, die Bäuerin mit ihrer Leni. Die Leut machen Platz und der Pfarrer geht vor der Kirch kerzengrad auf sie zu. Beim Handgeben steht in seinen Augen: »Was sagt ihr dazu?«

Das Diendl sagt gar nix. Es braucht keine Wort oder kannst du deine Roß mit Wort füttern?

Da kommen zwei Leut vom Wörgl daher.

»Verloren haben wir, sauber alles verloren!« schreien sie, kaum sehen sie die vielen Leut. Und mit den Fäusten, mit den Füßen, mit den Augen reden sie wild und zerronnen vor verzagter Wut. Der Pfarrer will trösten. Aber schon stehen die anderen eng um sie. Jeder verbrennt ja vor Neugier. Und die zwei schreien und schreien.

Das, was soeben hell in den Herzen der Leute aufgekeimt ist, o wie leicht kann's ein Rauhreif wieder zerbrennen! Das Gefühl rinnt wenigstens der Leni durch das Herz. Und wie die Verzagten immer noch kein End finden, reißt es das Diendl grad hoch. Größer, viel größer wird die Leni, scheint's in dem Augenblick.

»Teigel!« meint sie und steht her wie eine Tann. »Schämts euch, ihr Henneler!« Ganz laut ist das geredet und alles schaut zur Leni auf.

»Verdammt dumm ist die Sach, wenn's wirklich wahr ist,« hebt sie an. »Aber es hat auch wieder sein Gutes …«

»Oho, oho, Diendl dumms!« schreien die beiden Fremden.

»Wohl hat's sein Gutes. Der Feind ist jetzt schwach. Also nachfassen mit allem, was grad geht. Und schnell, ganz schnell …«

»Da hast recht Leni«, fahrt der alte Ganterer dazwischen. »Nit aufdenkt hätt ih bald. Bis der Feind neue Kraft im Land hat, das dauert lang …«

»Möchtest wohl die Leut verhetzen, Diendl«, schreit einer von den beiden.

Das ist so lauernd geredet, daß die Leni stutzt. No einmal schaut sie die zwei an. Durch und durch, scheint's, geht ihr Blick. Die merken das und wollen gegen an. Und da kommt's dem Diendl wie eine Erleuchtung. Die zwei sind bayrische Spione.

Mit jeder Sekunde wird das fester und sicherer in ihr. Aber, überlegt die Leni, halten kann sie sie nit. Drum fragt sie anders an.

»Ja, meint ihr, wir sollen uns geben?« fragt sie scheinheilig.

Und richtig, die zwei nicken, und wie sie das Diendl darin stärkt, sagen sie's deutlich.

Und grad im Nu waren die zwei jetzt auch schon gefestet. In ihren Taschen fand man, was alles Leugnen unmöglich macht, Briefe, Befehle und Geld. Häufig genug für die Kugel.

Jetzt war's für den Augenblick wieder gewonnen. Ja, Spione haben leicht reden. Grad im Nu ist die alte Spannkraft im Herzen.

»Wenn wir grad mehr Leute hätten«, meint ein Alter so recht von Herzen zerwürgt.

»Gehen schon wir Diendln, wenn's anders nimmer will«, trotzt die Leni. »Das möcht i sehen. Solang noch einer steht, gibt's das nit, daß wir uns geben, Leut …!«

Ihre Augen leuchten und blitzen. Der ganze Mensch ist voll kerzengrader Schneid ungebeugt und voller Kraft.

Da kommt's den Leuten auch.

»Recht hast, Leni. Ganz recht. Geben, das ist nit …!« schreit alles durcheinander. In all den Augen um sie geht die Sonn heut zum zweitenmal auf und noch schöner und klarer.

In der gleichen Nacht sind die letzten aus der Witschnau fort. Die letzten. Wenn's jetzt noch Nachschub braucht, müssen rein die Diendln …

Zwei Tag drauf kommt eine Freudenbotschaft. Wieder läuten die Glocken und jeder drängt zur Kirche. War's Dank, das den Leuten so inbrünstig die Hände faltet? O nein. Nur neues, heiliges, gewaltiges Bitten, mehr nit. Das Danken versteht sich von selber, das Bitten ist nötiger, steht in jedem Herzen. Und alle Freud, wie heimlich und still, wie unstolz, aber wie unsagbar kräftig war sie doch.

Die Tage rinnen. Im Land draußen ist das Streiten voller Blut und voller Wut im wechselnden Glück. Man hört wenig in der Witschnau und das wenige ist unsicher. Dann und wann kommen Grüße von einem oder auch der Gnadenpfennig, den er um den Hals getragen hat, bevor er erschossen auf dem Feld lag.

Der Zwiesler hat einen Schuß ins Knie und liegt in Amras droben. Fehlen tut weiter nit viel.

Vom Toni hört man allerlei Lustiges und Gutes.

Der Haspinger soll vor allen Leuten zu ihm gesagt haben: »Ein Luder bist, Bua!« und gelacht hat er und die Hand hat er ihm gegeben mit lustig blinzelnden Augen, wie der Bua von seiner letzten Reis' wieder zurück war. Der Toni hat sich dann niedergelegt und hat zwei Tag einfach durchgeschlafen. Hat er doch rein Unmenschliches geleistet auf den mühseligen Schleichwegen. Am dritten Tag hat ihn der Hofer rufen lassen. Auf der Bank vor dem Wirtshaus muß er warten, der Bua. Er ist schon wieder frisch und es gefallt ihm, daß die Sonn so herlacht zu ihm. Da kommt ein Witschnauer vorbei und ein Diskurs ist auch schon im Gang. Jeder meint, der andere wüßt was von daheim. Aber nur zu bald merkens beide, daß jeder vom andern wissen will, was er nit weiß. Da reden sie von allerhand. Bleibt nix anderes.

»Hast es hart gehabt,« meint der Toni, »grad daß von was andern, wo sich eins nit so zu sorgen braucht, geredet wird.«

»Ah was,« ist der andere lustig, »du hast es schon härter. Wenn sie dich fangen, die geschwindeste Kugel suchen s' dir aus, wenn's di nit martern. Die Wut, die sie auf dich haben, wo du doch die Sach auf der Sillbrück und auf der Waldrast ausgekundschaftet hast …«

Da kommt der Stubaier Schützenmajor daher.

»Je, grüß di Toni!« ist sein erstes, wie er den Buam sieht. Seine Augen glänzen. Der Toni wird abgerufen und muß weiter. Der Major meint daher zu seinen Kameraden: »Woher kennst du den Moorhager Toni, den üblen?«

»Wir sind aus'n gleichen Dorf«, antwortet der Schütz und macht Platz auf der Bank.

»Stolz dürfts auf den Buam sein«, meint der Major im Niederhocken. »Die Kraft und das Verwegene, das er hat. Rennen kann er bergauf und -ab wie keiner. Und durchtrieben ist er, die Weiber könnten von ihm was lernen. Der Hofer sagt's ja selber, wo keiner mehr durchkommt, da schick i den Toni.«

Der Schütz aus der Witschnau freut sich über das Lob.

»Und mußt denken, der Toni lauft mit offenen Augen. Wie viel dankt ihm der Hofer, was der Bua nur so nebenbei aufgeklaubt hat. Daß ihr vom Unterland so gach bei der Hand wart, Leut, das ist auch dem Toni seine Sach …«

Dann kommen andere. Der will das und ein anderer ganz was anders. In einem Feldlager wird's wohl nit anders sein können.

In derselben Nacht ist der Toni ins Pustertal mit einem neuen und harten Auftrag …

Drunt in der Oberau ist den gleichen Abend viel Leid und Weh ins Dorf gekommen. Der Zwiesler ist wieder da mit seinem steifen Knie und noch längst nit ausgeheilt. Aber oben ist er nimmer blieben, weil er daheim wenigstens raten kann. Sein Haus ist den ganzen Tag voller Leut gewesen, die die Angst und Sorg kaum gradaus schauen lassen. Von Toten, Verwundeten, Gefangenen, die meisten Häuser haben da solche, muß er erzählen. Beim Zwiesler haben auch zwei Knecht dran glauben müssen, sie sind tot.

Vom Toni bringt der Bauer Grüß und am Tisch erzählt er ein langes und ein breites von dem üblen Bua. Die Franzi will sich fast kranklachen, wie er oft einmal die Soldaten drankriegt hat.

Jetzt hat die Leni mit eins einen Haufen zu tun. Tag und Nacht ist sie auf den Füßen. Da gilt es eine Gspangsellin trösten, der der Liebste tot ist, dort eine Muatter, einen Vater. Und zu allem, mein Gott, was kann ein mitfühlender Mensch da groß sagen! Mit dem bißl Armseligkeit, aus dem der Mensch ist, laßt sich im Unglück Herzensnot schlecht bannen. Da brauchst einen Blick hinauf zu den Sternen, weil all das andere nix wert ist. Menschen mit kranken Herzen fragen immerlings dumm. Warum trifft's grad mi, warum soll grad i so teuer zahlen und so Sachen mehr …

Das Weh ist ärger wie der stärkste Wildbach, und wenn er auch die Tann stehend daherbringt. Oft fangt einer an mit grauslichen Gedanken zu spielen, sollt sie wohl die Kundler Wand obaus springen. Nachher hätt sie wenigstens Ruh. Mit seinem Herzallerliebsten hat sie das alles bezahlt und das ist zu viel …

Die Leni hat also Arbeit genug voraus, wo die meisten sich viel lieber von einer Kameradin trösten lassen wie vom Pfarrer …

Seit zwei Tagen ist beim Zwiesler ein Besuch. Einer aus Kössen, wie er sagt. Er ist verwundet und kriecht langsam heim. Auf den Heimweg ist er beim Zwiesler übernachtet. Der Mensch ist nett und ruhig und das Unglück guckt ihm aus jeder Falt. Seine Wunde tut weh und so ist er halt blieben. So einer kann wochenlang bleiben beim Zwiesler. Im Haus mögen ihn die Leut gern und die kleine Henndirn muß ihm mit ihrem Plaudern die Zeit vertreiben.

Da kommt ein Tag, voller Jubel reißt die Franzi die Tür auf:

»Leni …, wer itzt daher kommt?« Alles lacht und freut sich an ihr.

Ehvor die Leni noch raten kann, steht der Toni in der Stub gesund und stark, voller Lust und Kraft. Auf etli Stunden ist er wieder einmal bei seiner Liebsten. Wie die Augen der beiden Leut glänzen! Das ganze Zwieslerhaus ist wie vergoldet. Der Kößner muß sich rein mitfreuen, es geht gar nit anders.

Fürs erste muß der Bua ja erzählen, aber er redet von lauter Ding, die die Hennen auch wissen mögen, war er doch nie einer, der sein Erleben auf der Kirchgass' verkauft. Und zwischen zwei Leut, die einander gehören, gibt's eine stille heimliche Sprach, die süßer ist wie Zucker. Voraus, wenn itzt bald die Hochzeit wird.

Der Kößner kann, scheint's, kein Aug vom Toni wenden. Die Henndirn fragt er, die weiß wenig. Die Bäuerin aber erzählt ihm. Gar kein End findet sie von den braven Buam. Gar kein End.

Der Toni hat's seit je im Brauch gehabt, wenn er wieder einmal bei seiner Leni war, ist er immerlings mit ihr den ganzen Hof ausgegangen. Das Vieh, die Felder, kurz alles, was zur Bauernschaft gehört, haben die beiden nachgeschaut. So war's auch diesmal. Die Leni hat ihn gar selber dazu ermuntert, denn das waren immerlings wunderschöne Stunden, war doch der Toni Bauer durch und durch.

Endlich ist man damit zu End. Obern Haus steht ein voller Heuwagen, da setzen sich die zwei im Schatten dahinter. So sind sie in der Luft und freuen sich am Gejubel der Vögel, am stillheimlichen Streiten und Eilen der Wolken. Da endlich fangt der Toni zu erzählen an. Um und um ist keine Menschenseel und reden muß er, sonst wird er krank. Alles, gar alles, was er erlebt hat in der Zeit, vertraut er seiner Leni an. Über zwei Stunden sitzen die zwei Hand in Hand und freuen sich stillfroh.

Endlich muß die Leni die Marend richten und springt auf. Der Toni will sie nit allein lassen, denn jede Minute ist ihm kostbar, in solchen Zeiten gar.

Sie gehen um den Heuwagen herum und – sehen den Kößner im Grase liegen. Sein Hütel hat er übers Gesicht, damit ihn die Sonn nit sticht.

Wie gebissen ist der Moorhager aufgefahren. Aber in all seinem Zorn kann er nit mehr, wie dem Buben 's Hütel vom Gesicht nehmen und nachschauen, ob er wirklich fest schlaft.

»Geh,« meint seine Leni, wie sie sieht, daß ihn die Sach giftet, »das ist wohl gleich, ob der Kößner da oder wo anders schlaft.«

Sie zieht ihn völlig fort.

»Schon, Leni. Aber weißt, i mag von solchen Sachen nit reden. Die Leut sind dumm und prahlen. Die beste Pfiffigkeit zergeht dir aber, wenn's die anderen wissen. Und wie leicht kann der Feind das zu wissen kriegen …«

Bald darauf war's eh zum Pfiedgott. Der Kößner liegt richtig noch immer schlafenderweis im Gras, wo er ehdem gelegen hat.

Ein Trümml begleitet die Leni ihren Schatz bis hin, wo die Kundler Wand anfangt. Dort nehmen sie Abschied. Ihre Händ greifen ineinander, die Augen leuchten voll tiefinnerlicher Kraft. Ein Bußl … und noch eins … Dann ist der Toni dahin. Aber nur etli Schritt. Die Leni springt ihm nach und halst ihn noch ein letztes Mal.

»Nit, Diendl liebs«, wehrt der Bua. »Nimm dir in Haspinger seine Predig vor. Der Tod ist verschlungen mit dem Sieg, dadrüber hat er gepredigt. Vergiß es nit, Leni. Das trifft so und wieder so. Gelt?«

Ein letzter warmer Druck und der Toni ist schon auf der Wand.

Drüben winkt und winkt er. Sein Hütl wirft er in die Höh … Juchu …!

Wie die Leni dann vor dem Hause steht, ist ihr das Herz ganz steinschwer. Nie, daß ihr das je so hart worden ist. Der Kößner schlaft noch immer in der Sonn vor dem Heuwagen.

Im Haus ist fürs Diendl Arbeit und rein hineingeworfen hat sich die Leni in all die Arbeit, daß sie sich gegen Abend erst wieder auf sich selber besinnen kann. Und jetzt liegt's wie die beste hellste Sonn in ihr und die Luft ist so lind und voller Erdenduft. Dreidoppelt so stark kommt sich das Diendl heut vor.

Die Leut sind mit dem Essen fertig.

»Jegossle, wo ist der Kößner?« wundert sich mit eins die Henndirn.

Ja, wo ist der Kößner, sind alle in der Stub verwundert.

Aber der Bua war halt nit da heunt …

Die Leni wundert sich, wundert sich so lang, bis ihr's einfallt:

»Vater,« fangt sie an, »wie mir der Toni alles erzählt hat, da haben wir den Kößner hinter uns schlafend gefunden. Recht giftet hat sich der Toni.«

»Warum setzts euch dorthin?« lacht der Bauer.

»Ist nit, Vater. Der Kößner ist später kommen und so still und heimlich, daß wir gar nix gewahrt haben«, erzählt die Leni.

»Mein Gott, die Neugier verbrennt die Leut halt«, lacht der Zwiesler. Aber sagen will er ihm's schon …

Zum sagen müßt zuerst der Bua wieder da sein …

Eine Stunde später ist der Kößner aber weit unter Liesfeld. Ein Trupp bayerischer Soldaten findet ihn dort auf einem Stein an der Straß. Einer kennt ihn.

»Je, der Korbi …, ja wie kommst denn du auf einmal … und in dem Gewand?« tut er verwundert. Ist der doch auch aus Oberaudorf. Und jetzt kommt es auf. Der Kößner ist ein bayerischer Unteroffizier, der in der Schlacht am Berg Isel mit einem toten Tiroler G'wand tauscht hat, damit er leichter durchkommt.

Zum Oberst läßt er sich führen, denn er hat viel zu melden. Vor innerer Erregung zittert der junge Mensch.

»Melde gehorsamst, Herr Oberst«, fangt er dort an. »I hab das Haus gefunden, wo der größte Spion, der Anton Moorhager … der Lump, der uns an der Sillbrück, im Gnadenwald die Verluste verursacht hat …«

»Was, der Moorhager!« ist der Oberst auf. Grad im Augenblick hat der ganze Mensch in ihm gebrannt. »Herrgott, wenn das wahr ist. Sein Schaden ist es nicht.«

Der Oberst ist ganz aufgeregt.

»So jäh geht das nit, Herr Oberst. Das ist ein Pfiffiger! …« erlaubt sich der Korbi.

»Nehm er sich Leut und … wenn er den Mann gefangen einbringt … ist er Offizier …«

O, wie hat der Korbi da geglänzt. Alles, was nur einmal möglich ist, will er tun.

Alles, gar alles …

 

VI.

Je gewisser es wurde, daß der Kößner verschwunden war, desto merkwürdiger war den Zwieslerleuten zu Sinn. Ganz ungewollt legt sich ein Gefühl heimlicher Sorg um ihre Herzen, das sich garnit greifen laßt. Die Bäuerin will das bannen. Sie lacht darüber, hat er doch mit ihr gern und viel diskutiert und dann all das Gute und Liebe das der Verwundete bei ihnen genossen hat, das vergilt einer nit mit Üblen. Das gibt's nit.

Der Bauer hingegen redet lieber nit davon, schon weil's erst die Zeit zeigen kann, aber meinen möcht er völlig, daß seine Bäuerin recht hätt. Freilich, Krieg ist Krieg und aus den besten Leuten werden Halbwilde, das hat er oft genug selber erleben müssen. Aber ist ja alles Unsinn. Ein Tiroler wird doch nit …

Die Leni war ganz zerrissen von der dummen Sach. Langsam ist in ihr ein Mißtrauen hoch gekommen, das ihr alle Ruh stiehlt. Mein Gott, die Liab hat andere Augen. Mag wohl dumm von der Dirn sein, denn ein Tiroler wird doch nit … Das sagt sie sich selber Tag für Tag, aber es hilft ihr nix, schon weil's weniger um Vater und Muatter wie um ihren Toni geht. Vater und Muatter kann von der Seit nix passieren.

So fangt sich die Dirn nach etlichen Tagen rein an zu zermartern. Jedes Wort, das der Toni droben hintern Heuwagen geredet hat, sucht sie, wägt sie, deutelt und beutelt sie. Dazu ihr Nitwissen, von wo an der Kößner alles gehört hat, ja ob er überhaupt was gehört hat. Nehmen mußt alleweil das Schlechte, sonst bist der Dumme, denkt die Leni und geht das ganze Gespräch immer wieder durch. Da aber findet sie Ding, Ding, ja um Gotteswillen, die darf niemand wissen. Je besser sie das erkennt, desto größer wird ihre Sorg um den Buam, den liaben.

Sie weiß sich keinen Rat mehr. Schließlich muß der Pfarrer dem Hofer einen Brief schreiben. Vom Oppacher, dem Jochberger Hauptmann, war ein Schütz grad in in der Oberau und der muß ihn mitnehmen. Sie aber zersorgt sich und zerquält sich ganz schrecklich.

Der Pfarrer hat der Leni den Willen tan, denn der Dirn hätt er schon mehr getan, wenn er auch zehnmal einsicht, daß es nix wie Gras aufs Feld tragen heißt. »Ein Tiroler wird do nit … Unsinn. Leni sei doch gescheid. Die Lieb sieht tausend Fallen und die Maus keine … Diendl … Diendl …«, lacht der Geistliche.

»Schon« tut die Melz. »Aber leichter lachen hast einmal gewiß …«

So ist es gekommen, daß die Leni die Tag und Wochen tausendmal härter drucken, wie alle früheren. Man hört immer noch wenig und meist lauter widersprechende Ding vom Land draußen. Da und dort war irgendein kleiner Handel, eine Überrumpelung, die bald gut, bald schlecht ausgeht. Es glaubt es ja keiner, was die dritte Hand so aus Dingen alles macht, wenn sie's erzählt, von einem, der wieder hat erzählen hören.

Der Zwiesler geht humpelnd und mühselig durchs Haus, aber sagen kann er auch wenig genug. Halt dort und da eine faustdicke Dummheit kehrt er ab. Dann wieder stellen sich etli solche faustdicke Dummheiten als wirkliche Wahrheiten heraus und wieder Ding, die jeder glauben muß, als Lugen.

Es ist ein rechtes Elend für einen, der mit jeder Faser an der großen Sache hängt und doch nicht mittun kann. Sein Knie hat er wohl nit recht geschont, verheilt ist es ja itzt, aber der ganze Fuß ist steif.

»Mit mir ist nix mehr los, Weibele«, meint er einmal traurig. »I werd niemehr auf unsere Alm kommen und am Feld bin i itzt auch der letzte …« Für einen Bauern ist das schreckhafteste alleweil, das Krüppel sein, weil ihn das am allermeisten hemmt und hindert. Lieber auf der Stell die Kugel ins Herz, nachher weiß einer do, für was er gelebt hat, aber so …«

»Sei nur stad, Vater«, tröstet die Leni oft. »Einer, der tot bleibt in der Schlacht, stirbt fürs Vaterland, einer der zum Krüppel wird, leidet aber dafür. Das wird sich schon aufweisen, wer mehr gilt …« und wunderlieb glanzen ihn die strahlenden Augen immerlings an. Alles, gar alles wär recht, kommt dem Zwiesler vor, wenn grad der Leni ihre Augen alleweil so glänzen möchten. Wie oft aber liegt Qual und Wehmut in ihren Guggeln. Wie oft …

Weil's nur grad Arbeit genug in Haus und Feld gab, sonst würd das Diendl am End gar krank.

Da kam endlich einmal ein Tag voll heller Jubel, wenn er auch sein Hartes hat, denn die Freud darfst dir nit zu fast merken lassen. Also, der Toni schickt Grüß und laßt sagen, die Sach wär jetzt so weit, in etlichen Tagen gäb's einen Donnerer, der das ganze Land auszittert.

Daß was im Werden ist, weiß der Zwiesler schon, weil ihm sein Rattenberger Vetter Post sagen hat lassen, daß die fremden Soldaten seit etlichen Tagen mit Sack und Pack gegen Innsbruck zögen. Brennende Dörfer und ausgeplünderte kleine Städte sind die Meilenstein, die das Soldatenvolk sich aufrichtet. O so ein Bauernkrieg! Wenn da die Soldaten nit ein klein bißl Menschen sind, wenn ihre Generale nit mit aller Kraft das Viehische in ihnen zurückhalten, wenn sie sich unmöglich in das Denken der Bauern hineinfügen mögen und können, dann ist das ärger wie – die Pest. Mit den Berg nit bekannt, fallen die Soldaten oft und oft auf die Schattseit. Es kann ja nit anders sein. Dafür rächen sie sich dann durch eine ganz unsagbare Wut, nehmen Rache an Schuldlosen und zerwüsten Land und Leut. Dazu, wo fangt bei ihrem Denken eigentlich der wirklich Schuldlose an? Jedes alte Weibele, wenn es einen Buam hat, der den Stutzen richtet, ist ja mitschuldig an all dem Kriegsübel, wenn's auch längst am Stecken humpelt. Und die Kinder …, ja die werden groß, stark und wieder voller Trotz. Ausrotten das Zeug … Raubtier sind auch nit viel schlechter … Das Bewußtsein der eigenen Macht, wenn sie auch nur Tag und Stunden dauert, und nur durch Zufall zustand kommt, ist was ganz Unbändiges im zornigen Menschen. Solche Leut streiten dir die Sonn am Himmel ab, wenn's gilt, Vergelten und rächen. Noch dazu wos nur dumme gescherte Bauern sind, es wär eine Affenschand, ihnen nit Herr zu werden.

Die Tiroler haben Brief von Napoleon aufgefangen, wo drin stand, daß die Generäle nix können und die Soldaten eine feige Bande wären, wenn sie nit einmal den paar Bauern Mores lernen könnten … Solche Briefe müssen ja die Generäle hoch gehen lassen, schon weil's ihnen nix hilft, daß der Napoleon die Sach so schlecht kennt und nit versteht.

»Mein Gott,« tut der Zwiesler, wie die blitzwütigen wieder einmal über die Sach reden, »alles kannst den Leuten auch nit verübeln. Sie haben den Befehl und sonst nix, gar nix, noch dazu den Befehl, den ihnen der Napoleon gegeben hat, und wir, wir haben die Pflicht … Das ist ein Unterschied, Leut, ein Unterschied …«

»Wahr ist's eigentlich«, meinen etli besinnlich.

So kommt der Samstag. Der Tag ist voller Wolken und trüb, wenn sich auch der Regen nit traut. Die paar Leut beim Zwiesler sind auf'n Feld, grad der Bauer hockt vor der Hausbank, denn lang stehen, das erleidet er no nit.

Da kommt mit eins keuchend und voller Schweiß der Kragenjochsenn daher.

»Bauer,« redet er ohne Atem, »Bauer, i hab am Joch Soldaten gespürt.«

»Ah, geh. Der Unsinn«, ist der Bauer hoch.

»Alles eins, Unsinn«, verteidigt sich der Senn. »Gespürt hab i sie halt einmal.«

»Ja, dann«, überlegt der Zwiesler, »renn gleich aufs Eck hinauf und zünd das Feuer droben an.«

Der Senn will laufen. Da fallt ihm noch was ein. »Durch'n Seebacher hat der Moorhagtoni Post sagen lassen, daß er heut oder morgen auf etli Stunden kommen wird.«

Wie die Leni später die Marend holt, erzählt ihr der Vater, daß der Toni die Tag kommen wird. Von den Soldaten sagt er nix, tät sich grad sorgen, das Diendl.

Froh und weh zugleich wird die Leni.

»Aber …, aber«, tut der Bauer, wie er das merkt.

»Der Arme, er muß so viel einsetzen und unsereins …«, seufzt die Leni. »Zu gar nix ist so ein Diendl zu brauchen …«

Das macht den Bauern ungeduldig. »Mach di durch, Melz, dumme,« schilt er lachenden Augs, »dumm reden kann bald eine.«

Und so lauft halt die Leni wieder dem Feld zu. In all dem Nachdenklichen, das in ihr ist, leuchtet auch viel Sonniges auf und so kommt, wie sie jetzt wieder vor der Arbeit steht, was Verträumtes, das ihr das Köpfl tief zum Boden beugt.

Mit einmal schreit die Franzi:

»Da schauts! Feuer …«

Alles guggt und richtig zieht dicker Rauch gegen Himmel und im Umschauen sehen sie drüben auf der Schattseit auch schon Rauch werden. Die längste Zeit steigt all der Rauch kerzengrad, bis er sich hoch droben zu einer balligen Wolke breitet. Dem lang zuzuschauen hat keiner Zeit, denn drunt, wo das Tal sein großes Eck macht, hängt der Bauer grad zwei große Leintücher heraus und in der Kirch fangt das Sterbglöckl an zu läuten und das läutet so unbeholfen, rein dumme Schulbuam müssen es läuten. Die Leni zählt die Streich und mit eins redet sie:

»Aufpassen, Soldaten sind um die Weg!«

Das ganze weite Tal wußt mit einmal, daß Soldaten um die Weg sind. Der Dirn schießt nur im gleichen Augenblick der Gedanken schon durch den Kopf, daß sie wegen ihren Toni da sind heut, und kreuzigen hätt sie sich dafür lassen …

In all dem bleibt aber rein nix anders, wie stillhalten, tun, als ob die Sonn scheint, und sich mit dem Trost helfen, alles laßt der Herrgott schon nit zu …

»Leni,« meint die Bäuerin, die im Herzen der Tochter lesen kann, »schleun di … Wirst sehen, dann vergeht's wieder und von selber …«

Die Muatter wird schon recht haben, drum folgt das Diendl halt.

Um dieselbe Zeit ist's beim Zwieslerhaus anders.

Der Bauer hockt noch immer auf der Hausbank und schaut gegen Brandenberg hin. Wohl eine halbe Stunde trachtet er so über das, was ihm der Senn gebracht hat. Ungeduldig ist er worden, schreckhaft ungeduldig, wie Leut, die immer gesund waren, leicht werden, wenn sie sich nimmer recht rühren können. Zorn steigt ihm hoch über den Krieg, über die Soldaten, übern Herrgott. Warum laßt der zu, daß er jetzt ein Krüppel ist. Warum? …

Mitten in seinem Sinnieren wird er aufgerissen. Bayerische Soldaten stehen vor ihm, wie aus der Erd gewachsen.

»Wo ist der Moorhager?« heißt's wütig und zornig.

Im Augenblick überschaut der Bauer die Sach. Vor ihm ein großer starker Mensch, das Gewaffen schußbereit und etli zehn Schritt davon ein Trupp mit Gewehr bei Fuß. Sollt er denn einfach erschossen werden? Den Gedanken wirft er gleich wieder fort und redet ruhig, kostet's was es wolle, grad ruhig muß er bleiben.

»Da fragts zu viel, Leut. Der Toni ist nit da.«

Höhnisch lacht ihm der Mann ins Gesicht und winkt den anderen. Im Nu war der Wehrlose gebunden und damit er nit schreien kann, steckt ihm einer seinen Joppenzipfel in den Mund.

Jetzt kommt auch der Anführer, reißt ein Tuch vom Fensterbrett und befiehlt, daß dem Bauern das ganze Gesicht verbunden wird, damit er nix sieht und den Zipfel nit herausstoßen kann, um zu schreien.

Erst wie's geschehen war, geht auch er näher. Der Bauer hört die Stimm und mit eins kennt er sie.

»Der Kößner!« schreit er zornmütig und die Strick will er reißen. »Schämst di nit, du Schuft! Ein Tiroler willst sein …«

»Sei still!« schreit ihn der an. »Ein Tiroler bin i nit, daß du's grad weißt. Im Krieg ist viel erlaubt.«

»Aber schämen mußt di doch«, brüllt der Bauer.

»Wieso«, gegenschreit der andere.

»Ja wodrum hast mir denn die Augen verbinden lassen? Gelt, traust di doch nit, ins Aug zu schauen, Lump verma…!«

Jetzt stürmen die Soldaten ins Haus. Alles durchstriehlen sie drinnen.

Weil sie nach einer Viertelstund noch immer nix finden, ist ihre Wut bald ohne Grenzen. Grad im Nu brennt das Haus. So ein hölzernes Ding, das ist ja gleich in Rauch und Flammen.

Wie die tobenden Menschen wieder vorm Haus stehen, befiehlt der Korbi, den Bauern von der Bank weiter weg ins Gras zu legen.

»Weißt Bauer, das ist für dein Gutsein mit mir«, redet er, mehr um sich selber zu besänftigen.

Dann geht er mit seinen Leuten gegen die Stieg zu in den nahen Wald. Im Herzen lodernden Zorn …, er will Offizier werden und davon ist er heut soweit wie gestern.

Kurz darauf sehen die Zwieslerleute am Feld Rauch. »Ja um Gotteswillen, ist dem Vater was passiert!« schreit die Bäuerin im Rechenwegwerfen.

Wie schnell die Weiberleut hinauf auf das Eck gekommen sind, von wo aus das Haus zu sehen ist, kann einer garnit sagen. Hell lodern ihnen die Flammen entgegen. Die Bäuerin rennt voller Herzensangst, sie sieht den Bauern davor im Gras liegen.

Im Augenblick war er frei, der Zwiesler. Die Strick sind in ihren Fingern grad geflogen.

Endlich steht der Bauer die längste Zeit ohne Wort. Müd und ganz unsagbar weh schaut er dem Brennen zu. Löschen …, was das wohl soll, man muß es einfach ausbrennen lassen, denn die eigenen Leut sind viel zu spät dran und fremde, du lieber Gott, bis die erst am Fleck sind, steht kein Balken mehr. Zum Glück, was nit verbrennen darf, ist längst alles gut vergraben.

Weher wie jede Kugel tut aber das Brennen. Viel weher. Da hat man mit all dem Glück und all der Sorg, die das Leben bringt, in dem vom Vater und Vatersvater ererbten hölzernen Haus seines Lebens ganze Arbeit verrichtet und jetzt wird's in Viertelstunden Rauch und Trümmer. Es ist, als ob ein Stück vom Allereigensten in jedem Kohlenstrunk für immer begraben wird.

Alles ist hin. Das wär's nit, dann schafft sich eins halt Neues, aber so lieb kannst das Neue ja nimmer haben.

Längst ist nichts mehr wie ein Haufen Glut, da meint der Zwiesler zu seiner Leni ganz unvermittelt: »Um den großen Tannholztisch ist schad, gelt. Weißt es noch, da ist immer noch der Schnitt drin, den du als kleines Diendl geschnitten hast und wodrum du die Rut kriegt hast …«

Die Leni nickt nur. Ihr kommt es bsunder vor, daß der Vater in all der Not so was denken mag.

Endlich kamen Leut aus dem Dorf. Sie konnten auch nimmer mehr tun als trösten und fürs Nächste sorgen und helfen. Die Zwieslerin hockt dumpf auf einer Wagendeichsel und des Bauern Augen glänzen so inwendig hinein, bis mit eins wieder die alte Wut in ihm groß wird, daß er als Krüppel nimmer vergelten kann.

Die erste, die sich fangt, ist die Leni. Wie sie hört, daß es dem Toni gegolten hat, wird sie wieder unruhig. Aber das ist nur der erste kalte Schluck, es vergeht gleich wieder. Ihr Kopf arbeitet fieberhaft. Die tausend Ding, die da überlegt sein wollen, zerstürmen sie. In ihrem Hirn ist ein Schmiedhammer oder zwei. Sie preßt die Hände gegen die Schläfen, nur damit er nit springt, der ganze Kopf.

Der Pfarrer kommt daher und sieht das Diendl. Wie eine Märtyrin kommt sie ihm in dem Augenblick vor, und als ob er einer Sterbenden zu Hilfe springen soll, ist ihm.

»Dem Toni, Pfarrer, dem gilt's …« murmelt die Melz trockenen Augs.

Da merkt der Geistliche, daß das Diendl dasmal die Gescheidere war, und zersorgt sich mit ihr schier unmenschlich. Alles mögliche will er tun, um gutzumachen, was vielleicht versäumt ist.

Zwei Leut müssen gleich, einer gegen Hopfgart und der andere übers Hösl nach Alpach, springen. Jetzt noch einer nach Kundl. Aber das ist gewagt, höllisch gewagt, denn die Soldaten werden in der Näh sein. Ein alter weißhaariger Mann bietet sich an mit zitternden Knien und halbblinden Augen. Waren doch alles zu wenig Leut.

»A was, Pfarrer,« schreit die Leni, »wär no netter, ein alter Mann. Zu was bin denn i da …?«

»Schon, Diendl, resches, aber g'scheit sein, sonst fangen s' di«, warnt der Pfarrer.

»Mir g'schieht nix. Und wenn, nachher ist's halt Gottes Willen«, tröstet die Melz.

Ein Stündl später schleicht die Zwieslerin durch den Wald hin zur Kundler Wand. Wie ein Wiesel drängt sie durch die Tann und das Unterholz. Und so heimlich, als hätte sie's von Spatzen gelernt. Kein Asterl knackt. Ihr Herz ruft alleweil nur Toni, Toni, und ihr Kopf denkt und trachtet, wie sie am besten durchkommt, denn daß die Soldaten in der Näh sind, das ist gewiß.

Richtig kommt die Leni auf die Wand, den ersten Fuß hat sie schon auf der Stiegn. Kerzengrad drunten, viel kirchturmtief, poltert und schreit die Achen. Ihr weißer Gischt leuchtet hell herauf und die großen Steine und Trümmer ächzen … Ein Vogel singt so lieb und froh.

Da zieht sie den Fuß wieder zurück. Sie muß erst einmal niederknieen und beten. Dann aber, vielleicht wars nur Schwäche, Abspannung, Erschöpfung, schreitet sie fest die engen, schmalen Stufen dahin.

Ein Geierle zieht seine Kreise hoch, hoch droben in der Luft. Die Wolken haben schon seit einer Stund das Laufen angefangen und jetzt guggt dort und da ein Trumm blauer Himmel nieder, so klar und tief …, ja dahinter muß der Himmel sein und die Ewigkeit, schießt's der Melz durch den Kopf. Denn die Schönheit fühlt auch der Bauer und in seiner Art stärker und größer. Jetzt noch sechs, sieben Tapper und drüben ist die Dirn.

Das Herz wird ihr leichter.

Da schreit auf einmal einer:

»Halt!«

Es ist ein Soldat, der das Gewehr in Anschlag hinhaltet.

Langsam tut sie einen Schritt wieder zurück und will den nächsten.

»Steh Diendl!« schreit ein anderer hinter ihr.

Jetzt ist sie gefangen. Keinen Schritt vor und zurück kann sie. Neben ihr einen halben Fuß weit ist die kalte Wand noch klafterhoch senkrecht hinauf und unter ihr geht's so 700 Fuß kerzengrad hinunter.

Keinen Augenblick verlaßt sie die Schneid, die wahrhafte, innere, die aus dem Herzen aufkeimt.

»Was wollts von mir?«

»Von dir wollen wir gar nichts, Diendl«, antwortet der Kößner, der jetzt vortritt. »Grad, wo der Toni ist, mußt sagen.«

»Esel, i geh ihn ja grad suchen. Merkst das denn nit?«

»Das lugst!« klingt's barsch.

»Mir wär leichter, wenn i lugen tät …«

Der Kößner sieht, da könnt er bis morgen stehen und ein bißl Dank ist doch in seinem Herzen, also geht er die paar Schritt hinaus auf die Wand.

»Diendl, es bleibt dir nix mehr. Sagen mußt, wo er ist«, redet er wie zu einem Kameraden.

»Ganz gewiß, i weiß es nit. Und wenn i's wüßt, das begreifst doch …«

»Red, Diendl, i mein dir's gut«, fordert der Korbi und tut die letzten zwei Schritt hin vors Diendl. Da ist es ein stummes wildes Streiten hoch droben an der Felswand, wo sonst nur Adlernester sind. Das Diendl bleibt bei seinem Wort und dem Korbi steigt langsam die Gall auf. Er, wo er's so pfiffig angefangen hat, soll itzt doch noch der Dumme sein. Das Gefühl zerbrennt den Menschen fast. Wenn er jetzt nit gewinnt, ist's verloren für immer, das blitzt ihm grad auf. Da glaubt er auf andere Weis' dahinterzukommen.

»Schau, Diendl, von dir will niemand was«, redet er. »Aber sag's jetzt. Oder ist nit genug, daß euer Haus abbrennt, muß i deinen Vater auch no …«

Die Leni wirft die Lippen hoch, unsagbar viel Stolz und Verachtung kann einer in ihrem Gesicht lesen.

Das macht den Korbi noch zorniger.

»Mir ist's gleich, Diendl, dummes, eigensinniges«, meint er, nachdem er sich den Schnurrbart völlig zerbissen hat. »Du gehst mit uns. Für saubere Diendln haben wir schon Platz. Wirst sehen.«

»Was sagst, Lump!« flammts bei der Leni auf.

»Mit gehst!« reißt er sie her.

Da krallt sich die Leni mit der freien Hand im nächsten Felsbrocken ein und stemmt sich dagegen mit all der Kraft, die in ihr ist. Keinen Schritt bringt sie der Korbi weiter. Keinen Schritt. Das Diendl ist zu stark. Und wie sie hersteht! Der ganze Mensch ein glühender Willen und wie von Eisen. Der Korbi zieht, was er kann. Die Leni lacht ihm nur ins Gesicht. Bleich vor Wut wird der Mensch.

Da laßt er ihre Hand aus und will nach seinem Säbel greifen. Die Leni tritt einen Fuß zurück und stemmt sich mit ihrer ganzen Kraft gegen den Felsen.

»Willst dich geben!« schreit der Korbi blind vor Wut. Jetzt und jetzt fallt sein Säbel. Die Leni druckt sich an die Wand so fest, so gleim, als es nur geht. Aber sonst redet sie kein Wort, tut keinen Rührer.

Da will der Soldat, der auf der andern Seit steht, seinem Kameraden zu Hilf kommen und schießt einen Schuß hin gegen die Wand. So einen Fuß über der Leni ihrer Hand schlagt die Kugel ein, springt ab und streift die Dirn, das Stück Stein springt, … die Melz verliert den Halt – und dann ist der Platz vor dem Korbi … leer. Die Zwieslerleni ist 700 Fuß tief drunt in der schäumenden Achen …

Die Soldaten schauen alle aufs tiefste erschrocken hinunter in die schreckliche Tiefe. Hinunter, wo der Korbi sein ganzes Hoffen, seinen lodernden Ehrgeiz für jetzt und wohl für immer begraben muß. Ihm wird schwarz vor den Augen und er taumelt fast. Kaum, daß er sich noch auf den sichern Gangsteig retten kann.

Den Schuß haben die Leut vorn Zwiesler aber gehört und laufen jetzt zu Hilf. Die fünf Soldaten, die der Leni den Hinterhalt gelegt hatten, sind noch nicht drüben in Sicherheit, da waren die Bauern schon vor ihnen. Der erste wurde niedergeschlagen wie ein Ochs, die anderen sind gleich gefesselt.

»Wo ist die Leni!« herrscht einer die Leut an.

Mit den Augen zeigen sie, mit den gebundenen Händen. Einer redete endlich: Unt … unt … 700 Fuß tief, die ist in die Ewigkeit gesprungen …«

* * *

Am 15. August 1809 hat der Andreas Hofer in Innsbruck seinen Einzug gehalten. Den Jubel kann man nicht beschreiben. Die Sonne glänzt und lacht. Die Frau Hütt, der Solstein, 's Hafelekar und der Glungezer zeigen kerzengrad auf zum Himmel, von wo den armen kleinen Bauern all die Riesenkraft gekommen ist … Ihre Felsen und Triften lachen so still und groß.

Herunten wehen die Fahnen, die meisten zerfetzt und zerstürmt und es ist ein Triumphzug, wie ihn die Welt wohl größer, aber nie, nie tiefsinniglicher je gesehen hat. Das, was die nächsten Zeiten schweres bringen, liegt im Dunkel der Zukunft noch begraben und alles freut sich aus ganzer Seele.

»Heim,« sagt der Toni, »heim möcht i itzt.«

Vor der Hofburg hat ihm der Hofer noch die Hand gegeben. »Du hast es wahrhaft verdient, Toni,« meint er, »und vielen, vielen Dank …«

Tag lang haben sie nach der Leni gesucht. Das Leben haben sie eingesetzt, denn der Durchbruch der Kundler Achen war damals noch etwas ganz und gar ungangbares, daß jeder mit dem Leben spielt, der sich da durchkraxeln will. Endlich gelang es doch. Aber das Wasser hat die Leni so zugerichtet, daß man sie gleich eingraben muß.

Der Toni kommt an ein frisches Grab. Ein Bergfink singt, eine Grille zirpt und der Bua hat hellauten Jubel im Herzen … und … dann das hölzerne Kreuz und der kleinwinzige Hügel, das ist alles, was er jetzt wirklich hat. Keinen Tropfen bringt er aus seinen Braunaugen, so ist er erschüttert und verelendet in dem einzigen Augenblick.

Alle im Tal haben ihn gestützt und gehalten, aber bleiben hat er nimmer mögen. Um keinen Preis nimmer.

Im Weerberg oben ist er Bauer worden; lange Jahre danach hat er geheiratet und ist ein stiller Mensch worden, der sich nie genug arbeiten kann. – –

Nie genug. –

So aber ist es Tausenden und Tausenden gegangen damals, als sich Tirol gewehrt hat um sein Recht, als Grenzfeste des Deutschtums. Vielen Tausenden … Und das ist ja gerade das Glück des Landes, denn die vielen Tausende pflanzen die Liab zum Land wieder neuen Tausenden ein. Und die Liab zum Land, das ist ein Röserl, das nit mit Wasser, das mit Blut und Treu begossen sein will, wenn's nie welken soll …


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