Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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V.

Als Klaus Kyburg in der Morgenfrühe des folgenden Tages über die Straße ging, da merkte er bald, daß sich seine Stellung in Naumburg von Grund aus verändert hatte. Die Kinder blieben zuerst stehen, als sie seiner ansichtig wurden, dann folgten sie seinen Fußstapfen in einiger Entfernung, so daß bald ein ganzes Rudel hinter ihm herzog. Die ehrsamen Bürgerfrauen, die zum Markte wandelten, knixten tief, wenn er an ihnen vorüberschritt; die Kappen der Handwerksleute flogen im Nu von den Köpfen, wo er sich zeigte, und der reiche Ratsherr Johann von Mücheln, der ihn früher gar nicht zu sehen schien, winkte ihm schon von weitem gnädig zu und fragte ihn mit seiner breiten, lauten Stimme über die Straße, wie ihm die gestrige Abendsitzung im Ratskeller bekommen sei. Eine solche Ehre erwies er selten einem Menschen, und ehrfürchtig schauten deshalb die Marktweiber auf den geheimnisvollen Fremdling, den der gröbste und geizigste Ratsherr der Stadt wie einen alten Freund begrüßte. Nun gar Meister Hickethier, der Schmied, zu dem er seine Schritte lenkte, wußte anscheinend nicht, wie er seiner Achtung und Ergebenheit Ausdruck verleihen sollte. Er war sonst durchaus kein Muster von Höflichkeit, aber heute brachte er die eilfertig abgenommene Mütze überhaupt nicht wieder auf seinen struppigen, viereckigen Schädel, machte einen Kratzfuß über den anderen und stotterte sogar etwas vou der hohen Ehre, die ihm und der ganzen Schmiedezunft dadurch widerfahren sei, daß er ein solches Werk habe anfertigen dürfen.

Kyburg trat mit einem leisen Lächeln auf den Lippen aus der Werkstatt heraus, aber es war kein frohes Lächeln. Die Welle des Glückes trug ihn jetzt hoch empor, und wenn erst der Ernstfall eintrat, mußte er ja noch viel höher steigen. Aber das Liebesglück, von dem er geträumt hatte, war in Trümmer gefallen. Ihn selbst hatte Gottes gnädige Hand aus tiefer Kerkernacht errettet und zu größeren Ehren gebracht, als er sie je in seinem wechselvollen Leben genossen, aber was war aus Gertrudis geworden? Hätte sie ihr jähzorniger Vater in seiner Wut erschlagen, so wäre die Kunde der Tat sicherlich nach Naumburg gelangt. Dieses Äußerste war also offenbar nicht geschehen, sie lebte, aber wo und wie lebte sie? Hielt er sie vielleicht in einem abgelegenen Gemache der Burg gefangen? Oder war sie in ein Kloster gebracht worden? Oder hatte man sie davon überzeugt, daß ihre Liebe zu dem fahrenden Ritter eine Verirrung gewesen sei? Hatte sie ihren Sinn gebeugt und den Ring des Grafen von Kevernburg an ihre Hand gestreift?

Solche Gedanken kamen ihm immer wieder in die Seele und marterten ihn unaufhörlich. Denn wenn er sich auch hundertmal einen Toren schalt, der unwiderbringlich Verlorenem nachjage, anstatt ein Vergessen zu suchen, so konnte er doch ebensowenig ihr Bild wie die stille Hoffnung aus seinem Herzen bannen, es könne ihm dennoch möglich sein, sie zu erringen. Ja, ohne daß er es wußte, lebte seine Seele von dieser Hoffnung, und hätte sie ihm jemand zerstört, so wäre er sicherlich in die tiefste Schwermut gefallen. Nahe daran war er ohnehin gar manches Mal, und gerade jetzt, wo ihn das Volk so ehrte, überkamen ihn die trüben Gedanken mit unbezwinglicher Macht. Tiefgesenkten Hauptes schritt er dem Merkwitzschen Hause zu.

Zwei Augenpaare beobachteten das von dort aus zu gleicher Zeit. Frau Jutta war schon mehrmals an das Fenster geeilt, um heimlich nach ihm auszuspähen. Der Fremdling, um den so geheimnisvolle Gerüchte schwebten, war ihr interessant gewesen vom ersten Tage an, da er ihr Haus betreten hatte. Dieses Interesse war dann mit jedem Tage gewachsen und hatte eine bedenkliche Höhe erreicht. Und seit sie ihn gestern gesehen hatte, wie er dastand, vom Dampf umwallt, von den Ersten der Stadt beglückwünscht und gefeiert, da hatte sie ihr heißes, tolles, unbefriedigtes Herz an ihn verloren. Hinter ihr lag eine Nacht voll wirrer Träume, in denen sie nur ihn gesehen, nur seine Stimme gehört hatte, in denen er ihr seine Liebe gestand und sie in seinen Armen hielt. And nun, da er den Blick hob und sie am Fenster stehen sah, da nahm er nur mit kühler Miene sein Barett ab und neigte sich steif und förmlich vor ihr. Kalte Höflichkeit hatte er bisher für sie gehabt, und etwas anderes würde er wohl nie für sie empfinden. War er aber ein Mann von Fleisch und Blut und kein Stockfisch, so mußte er jetzt in ihren Augen nur allzu deutlich gelesen haben, was sie für ihn fühlte. Eine heiße Blutwelle schoß in das Antlitz des jungen Weibes. Sie schlug die Hände vors Gesicht und eilte hinauf in ihr Schlafgemach. Dort riegelte sie sich ein, warf sich aufs Bett und weinte und schluchzte in wilder Qual.

Auch ihr Gatte hatte den Herankommenden von seiner Rechenstube aus bemerkt und über ihn den Kopf geschüttelt. Wunderlich, dachte er, wie der Mensch aussieht, nicht wie ein Sieger, sondern eher wie einer, dem großes Leid widerfahren ist. Sollte er krank sein? Er war doch vorhin ganz frisch und wohlgemut fortgegangen. Oder sollte ihm unterwegs ein Unglück zugestoßen sein? Plötzlich, einem unerklärlichen Antriebe folgend, steckte er den Kopf zum Fenster hinaus und bat ihn, zu ihm in sein Gemach heraufzukommen.

Als Kyburg eintrat, war es ihm schon gelungen, die trübe Stimmung zu überwinden, und er trug das Haupt wieder hoch. Aber ein Schatten von Wehmut und Trauer lag doch noch in seinen Augen, und der alte Ratsherr bemerkte das gar wohl. Er faßte ihn bei den Händen, drückte ihn auf einen Stuhl nieder und sprach in väterlichem Tone: »Setzt Euch einmal hierher, ich möchte mit Euch reden. Diesmal nicht über Eure Kunst, sondern über Euch selber. Ihr seid mir wert geworden in den Tagen, da Ihr in meinem Hause als Gast weilet, und seit gestern hoffe ich mit aller Zuversicht, daß Ihr mir ein Helfer und Bundesgenosse werdet, wie ich einen besseren nicht finden könnte. Aber ich sehe Euch an und habe es schon längst gesehen, daß ein geheimer Kummer an Euch zehrt. Sprecht Euch aus zu mir und nehmt meinen Eid, daß alles, was Ihr mir sagt, in meiner Brust verborgen bleibt bis an den jüngsten Tag. Und seid versichert: Kann ich Euch helfen, so helfe ich Euch mit Freuden.«

Es war lange her, daß jemand mit Klaus Kyburg in diesem Tone gesprochen hatte. Auch der alte Bischof von Brixen hatte nicht wie ein Vater mit ihm geredet, sondern wie ein frommer Seelsorger. Um seine irdischen Leiden und Sorgen und Hoffnungen hatte sich seit seines Vaters frühem Tode nie ein Mensch gekümmert. Das alles hatte er jederzeit mit sich allein abmachen müssen. Daher ging ihm das Herz auf, als der edle, würdevolle Greis so freundlich zu ihm sprach, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Aber er schüttelte das Haupt und sprach tief aufseufzend: »Habt großen Dank, Herr, für Eure liebevolle Rede. Ich werde Euch das nimmer vergessen. Aber ich meine, in der Sache, die mich drückt, kann mir kein Mensch auf Erden helfen.«

»Redet nur!« entgegnete Merkwitz. »Ihr redet Euch das Herz leicht, und immer sehen zwei mehr, als einer sieht!«

Da erzählte Klaus Kyburg dem allen Ratsherrn alles, was er auf der Rudelsburg erlebt und erlitten hatte. Er sprach ihm von seiner Liebe zu der schönen Tochter des stolzen Burgherrn und wie er ihre Gegenliebe gewonnen und wie dann alles ein jähes Ende nahm.

»Nun,« sagte Merkwitz, als er geendet hatte, »da haben manches Menschen Liebeshoffnungen viel trostloser gestanden als die Euren, und sie haben sich doch erfüllt. Ich kenne den Ruf dieser Jungfrau gar wohl, sie gilt als unendlich stolz, aber man sagt auch, sie habe einen Eisenkopf wie alle Kurtefrunde. Sie gibt schwerlich klein bei, sie wird sich vielmehr in Trotz verhärten und versteifen, wenn ihr Vater sie zwingen will.«

»Man wird ihr wohl vorreden, ich sei gerichtet und tot. Soll sie einem Toten die Treue halten und sich um seinetwillen mit ihrer ganzen Sippe entzweien?« erwiderte Kyburg bitter.

»Ha! Bald genug wird die Kunde Saale auf Saale ab erklingen, daß Ihr am Leben seid. Meint Ihr, daß in den nächsten Wochen das Volk von etwas anderem reden wird, als von Euch und Eurem wunderbaren Instrument? Und säße der Rudelsburger mit seiner Tochter in den Wolken, so würde doch das Gerücht von Euch zu ihm dringen. Und wenn er fluchend seinen Knechten gebietet, vor ihr von Euch zu schweigen, so wird ihm das ganz und gar nichts helfen. Sie erfährt von Euch, dessen seid sicher. Übrigens – wie ist mir? Erzählte da nicht neulich der Ratsherr Marschall, der Kurtefrund habe seine Tochter ins Kloster Beuditz gebracht?«

In unbeschreiblicher Aufregung fuhr Kyburg empor: »Wie, Herr, Ihr wißt etwas von ihr?«

»Es ist wohl nur ein Gerücht,« entgegnete Merkwitz vorsichtig. »Aber darüber können wir uns bald Gewißheit verschaffen. Und ist sie dort, so kann ihr leicht eine Nachricht gegeben werden, auch wenn man sie etwa sonst von der Welt abschließt. Meine Frau hat eine Gefreundete in Weißenfels. Deren Schwester ist eine Nonne in Beuditz. Was vermag nicht Weiberlist!«

»Herr!« rief Kyburg ungestüm, »Ihr gießt neuen Lebensmut in meine Adern! Wie soll ich Euch danken? Ihr handelt in Wahrheit an mir wie ein Freund und Vater.«

»Euer Freund bin ich auch, und wenn Euch der Himmel meinen Sohn hätte werden lassen, so hätt' ich nichts dawider. Doch nun überlegt weiter: Ist die Jungfrau Euch treu, so ist noch gar nichts verloren. Denn wisset, ich fahre übermorgen nach Erfurt, von da nach Mühlhausen und Nordhausen. Gelingt es mir, die Städte zu vermögen, daß sie uns Hilfe und Zuzug leisten, so kann uns der Rudelsburger mit den Seinen nicht im Felde entgegentreten. Wir können ihn dann in seiner Burg belagern, und bei Gott, ich bin der Meinung, so hoch und fest sie ist, wir werden sie in Trümmer schießen und gewinnen, Und sitzt er dann in unserem Gewahrsam, – glaubt Ihr nicht, er werde mit sich reden lassen?«

Kyburg blickte den Greis mit leuchtenden Augen an. Dann beugte er sich nieder und küßte schweigend seine Hand. Merkwitz klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter und rief dann schalkhaft: »Seht Ihr, daß es gut war, offen zu mir zu reden? Das alles sind zwar noch Bilder der Zukunft, aber sie mögen wohl Wirklichkeit werden, wenn wir das Unsere tun.«

»Was ich tun kann, das tu' ich gewiß!« vcrsetzte Kyburg, und nachdenklich fügte er hinzu: »Es fuhr mir da eben, indem Ihr redetet, ein Gedanke durchs Hirn. Ihr sagtet, Ihr wolltet gen Erfurt fahren?«

»Ja. Habt Ihr dort einen Gefreundeten?«

»Das nicht. Aber ist das nicht die Stadt, die den Ruhm hat, daß in ihr die besten und größten Glocken gegossen werden? Ich hörte in Welschland davon reden.«

»Ja, diesen Ruhm hat sie, und einer der Gießmeister ist mein günstiger Freund und Gevatter.«

»Herr, dann vermöget diesen Mann dazu, daß er mit Euch hierher kommt, wenn Ihr heimkehrt. Ich weiß, wie man ein Stück gießet, habe gar manchmal mit dabei geholfen. Aber bei diesen Dingen, da ist so viel Kleines zu bedenken, da kann so vieles verdorben werden durch eine Unachtsamkeit – es wäre mir eine große Stärkung, wollte mir dabei einer zur Seite stehen, der im Gießen ein bewährter Meister ist.«

»Das ist ein guter Gedanke,« erwiderte Merkwitz nach einigem Besinnen, »Und ich denke, mein Gevatter Ulrich wird sich nicht weigern. Doch halt, was ist das? Klopfte es da nicht an die Tür, dreimal, wie es die Ratsboten tun?«

Er schritt eilig nach der Tür, um zu öffnen, aber ehe er dahin gelangte, stand schon der alte Ratsbote Götz Knappe auf der Schwelle und machte seinen ungeschickten Kratzfuß.

»Was bringst du mir, Götz?«

»Herr, die beiden Bürgermeister lassen Euer Edeln bitten, allsogleich auf dem Rathause zu erscheinen. Seine bischöflichen Gnaden sind diese Nacht aus Rochlitz im Meißnerland hierhergekommen und lassen einen hochedlen Rat und gemeine Bürgerschaft eine Stunde vor Mittag in den Dom laden.«

»Was ist geschehen und was soll geschehen?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich glaube, Herr Johannes Weißrock, der mir den Auftrag gab, wußte es auch nicht.«

»Es ist gut, ich komme, werde pünktlich dort sein!« gab Merkwitz zur Antwort, und dann wandte er sich aufgeregt zu Kyburg: »Zum Teufel, was kann sich da ereignet haben, daß der Bischof die ganze Gemeinde an einem Werktage in die Kirche entbietet? Das ist ganz auffallend. So lange ich im Rate sitze, ist das noch niemals geschehen!«

»Vielleicht ist der Heilige Vater gestorben oder der Kaiser in München.«

»Deshalb würde Herr Johann noch nicht einmal eine halbe Stunde früher aus seinem Bette aufstehen,« versetzte der Ratsherr.

»Oder vielleicht hat man an Stelle des Heiligen Vaters in Avignon wieder einen in Rom gewählt, und der Bischof will das der Gemeinde kund und zu wissen tun?«

»Auch das würde sein Gemüt schwerlich sehr bewegen. Nein, ich fürchte, es ist etwas anderes. Die verfluchte Seuche, die aus Asien über die Welt gekommen ist, soll wieder da und dort in unserem Lande spuken. In zween Flecken in der Leipziger Mark sollen mehr als hundert Menschen daran gestorben sein. Vielleicht ist dem Bischof ein Schreck in die Glieder gefahren, und er will ein großes Beten dagegen halten. Versäumt ja nicht, nachher in den Dom zu kommen. Ihr findet einen Platz in dem Kirchenstuhle, der uns gehört.« Er hielt einen Augenblick inne und fügte dann hinzu: »Auf jeden Fall wollen wir auf unserer Hut sein, und es sollen genug Bewaffnete stehen um das Tor, das in die Domfreiheit hinüberführt.«

»Wie? Fürchtet Ihr eine Tücke, Herr, von dem Bischof, der zu dieser Zeit der Stadt Verbündeter ist?« fragte Kyburg erstaunt.

»Man muß in dieser bösen Zeit an alles denken,« entgegnete Merkwitz. »Und wisset – im Vertrauen sag' ich Euch: Herrn Johann ist nichts heilig. Ich kenne ihn. Verlaßt mich jetzt, denn ich muß mich in Eile ankleiden. Also im Dom sehen wir uns wieder, wenn auch nur von fern!«

Klaus Kyburg versäumte es natürlich nicht, von der Erlaubnis des Ratsherrn Gebrauch zu machen. Noch ehe die Glocken zu rufen begannen, suchte er seinen Platz in dem kleinen, zellenartigen Kapellchen, das denen von Merkwitz seit mehr als sechzig Jahren als gesonderter Kirchstuhl überlassen war. Er konnte seinem Gönner dankbar sein, denn sonst hätte er es in einem fürchterlichen Gedränge aushalten müssen. Ein unabsehbarer Menschenstrom ergoß sich in das Gotteshaus, Männer und Weiber, alt und jung, vornehm und gering – alles wollte hören, was der Bischof so außer aller gottesdienstlichen Zeit seiner Herde zu künden habe.

Herr Johann kam von seiner Kuria herüber, angetan mit dem vollen Schmucke seiner hohen geistlichen Würde, geleitet von einer Wolke von Domherren, Priestern und Mönchen. Ein Chorknabe trug ihm das Kreuz voran, zwei andere hielten die Schleppe seines Mantels in ihren Händen. Er ließ sich auf einem erhöhten Sessel nieder, dicht vor dem kerzengeschmückten Hochaltar; die Pfaffheit scharte sich um ihn. Rechts und links von ihm nahmen die Ratsherren Platz und die Ritter, die er mitgebracht hatte.

Die Glocken verstummten allmählich, und es ward stille in dem weiten Raume. Der Bischof erhob sich von seinem Stuhle und trat einen Schritt vorwärts. Aber er redete noch nicht, sondern wartete klüglich noch einige Augenblicke, bis eine so tiefe Stille eintrat, daß jeder seine Worte vernehmen mußte, auch in der entferntesten Ecke.

Dann begann er mit seiner scharfen, durchdringenden Stimme: »In Christo geliebte Söhne und Töchter von Naumburg! Mit tiefem Schmerze stehen Wir hier vor Euch an der Stätte, wo die Heiligen nahe sind, denn Wir haben Euch Schweres zu künden. Eine Untat ist geschehen, die gen Himmel schreit und die zu strafen Uns obliegt. Ein reißender Wolf ist eingebrochen in das Heiligtum des Herrn, ein Frevler hat seine ruchlosen Hände ausgestreckt nach dem Gute, das den Heiligen gehört und das Wir nur verwalten. Ihr kennt ihn wohl, den Übeltäter, der Untat auf Untat gehäuft hat wider Eure Stadt und der nun das Maß seiner Schändlichkeit erfüllt hat. Es ist der Ritter Werner Kurtefrund, der auf der Rudelsburg hauset.«

Er hielt einen Augenblick inne, der Wirkung wegen und weil ihm der Atem ausgegangen war. Denn Bischof Johann war solcher langen Reden keineswegs gewohnt.

Eine große Bewegung zog durch die ganze Gemeinde, und ein Gemurmel ward allenthalben laut. Denn wohl gingen Gerüchte, daß der Ritter einen Angriff auf die Saaleck unternommen habe, der mißglückt sei, aber etwas Genaues wußte niemand.

Der Bischof fuhr fort: »Fünf Nächte vor dieser letzten hat der Sohn Belials, getrieben von seiner Bosheit, mitten im Frieden die Burg angefallen, die Unser in Gott entschlafener Vorgänger von dem Gelde der Heiligen für dieses Bistum erkauft hat. Durch ein Wunder ist sie gerettet worden, der Wüterich hat seine böse Tat nicht vollenden können. Aber was er versucht hat, das scheidet ihn von der Gemeinschaft frommer Christen ganz von selber, und an Uns ist es, das auszusprechen und ihn auch äußerlich zu scheiden von denen, die durch die Gnade der Heiligen gerettet werden für das ewige Leben.«

Er nahm aus der Hand des neben ihm stehenden Dechanten Albert von Leubingen eine Kerze, die dem Hochaltar entnommen war, und blies sie mit kräftigem Atemzuge aus. Dann rief er mit gellender Stimme: »Werner Kurtefrund! So wie ich diese Kerze auslösche mit einem Hauche meines Mundes, so lösche ich deinen Namen aus dem Buche des Lebens aus kraft der mir von Gott verliehenen bischöflichen Macht und Gewalt, zu binden und zu lösen. Verflucht sollst du sein in dieser Zeit, verflucht in der Ewigkeit! Pest und Aussatz mögen dich treffen, deine Gebeine mögen verdorren, dein Geschlecht vergehen, dein Name vergessen sein! Verdammt sei der Priester, der deine Beichte hört und dir deine Sünden vergibt. Unversöhnt mit Gott fahre dahin, dein Leib ruhe in ungeweihter Erde, deine Seele übergebe ich der ewigen Verdammnis! Und alle treffe derselbe Bann, die dich hausen und hegen, dir helfen und dich fördern! Gelöst sei jeder Eid, der dir geschworen ist! Wer ihn hält, tut dreifache Sünde und sei ausgestoßen, wie du ausgestoßen bist!«

Er brach ab und ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. Tiefe, lautlose Stille herrschte in dem weiten Raume. Auf vielen Gesichtern war deutlich das Entsetzen zu lesen, das sein furchtbarer Fluch erregt hatte. Besonders die Frauen saßen oder standen mit schreckensbleichen Mienen da und wagten kaum zu atmen.

Da erhob sich der Bischof noch einmal. Er erhob die Augen zum Himmel, ein verklärtes Lächeln lag über seinen Zügen, und die beiden Arme weit ausstreckend, rief er: »Euch aber, geliebte Söhne und Töchter in Christo, die ihr keinen Teil habt an des Unholds bösen Werken und der heiligen Kirche gehorsam seid, euch erteilen Wir hiermit kraft Unserer Vollmacht den apostolischen Segen!«

Alles Volk ließ sich, soweit es in dem Gedränge irgend möglich war, auf die Knie nieder und erhob sich erst wieder, als der Bischof mit seiner Klerisei den Dom verlassen hatte. Der Rat folgte ihm im geschlossenen Zuge, um ihm drüben in der Kuria seine Glückwünsche zur Errettung der Saaleck auszusprechen.

Kyburg ging allein nach Hause; er war unter den letzten, die das hohe Gotteshaus verließen. Absichtlich hatte er so lange gewartet, denn er wollte nicht mit Frau Jutta von Merkwitz heimwandern, um nicht mit ihr ins Gerede zu kommen. Auch lüstete ihn nicht, ihr kindisches Geplauder zu hören und mit nichtssagenden höflichen Worten darauf erwidern zu müssen. Er war im Innersten verstimmt, ja geradezu angeekelt durch das, was er soeben gesehen und gehört. Denn er hatte ja einen tiefen Einblick getan in die Seele dieses Kirchenfürsten und wußte genau, daß ihm Himmel und Hölle vollkommen gleichgültig waren, und daß er höchstwahrscheinlich nicht einmal an einen Gott glaubte, und daß er ein Leben geführt hatte und vermutlich noch führte, das alles andere als heilig war. Sollte eines solchen Mannes Fluch in Wahrheit eine so furchtbare Wirkung haben, daß er einen Menschen ausschloß von der himmlischen Seligkeit? War den Priestern trotz ihrer Unwürdigkeit so große Macht von Gott verliehen, daß sie binden und lösen konnten? Durfte der Bischof insbesondere auch die Eide für nichtig erklären, die Kurtefrunds Mannen und Knechte an ihn banden? Nun, dachte er, es ist gut, Werner Kurtefrund, daß du selbst durch deine Tücke den Schwur nichtig gemacht hast, den ich dir geleistet hatte. Denn durch den Bischof Johann von Miltitz hätte ich ihn nimmer lösen lassen! Nie, bei Gott und allen Heiligen!


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