Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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II.

»Blitz und Strahl! Wen bringst du mir da, Mädchen?« rief eine Stimme aus dem Dunkel des kleinen Burghofes, als Gertrudis mit ihren Knechten durch den Torweg geritten war und nun vom Rosse stieg. Der Mann, dem diese Stimme gehörte, kam eilends herbei. Es war der Schenk Rudolf selbst, ein starker, untersetzter Mann mit energischen Zügen und einem großen Kopfe, den er meist ein wenig in den Nacken zurückgelegt trug. Etwas Selbstbewußtes, Gebietendes lag in seiner ganzen Erscheinung, und das war kein Wunder, denn der Tautenburger war einer der reichsten und mächtigsten Ritter in Thüringen. Um seine Freundschaft warben Grafen und hohe Herren.

»Wer ist das?« fragte er und deutete mit weitausgestreckter Hand auf den Mann in zerrissenem Pilgerkleid, der trotz seiner Erschöpfung aus dem Sattel geglitten war und versucht hatte, dem Fräulein beim Absteigen behilflich zu sein.

»Ein Unglücklicher, Ohm, der auf Eurem Gebiete beinahe den Tod erlitten hätte,« erwiderte sie und berichtete dann kurz, was vorgefallen war.

Der Schenk schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Wer sagt dir, Kind, daß diese Leute nicht recht hatten?«

Gertrudis nahm ruhig einem der Knechte das Licht aus der Hand und hob es hoch empor, so daß es auf die Züge des Fremden fiel.

»Seht selbst,« erwiderte sie. »So sieht kein Jude aus, der als feiger Mörder durchs Land streift.«

»Wahrlich nein!« versetzte der Schenk erstaunt.

Er war fast zurückgefahren vor dem scharfen, glänzenden Blicke des Mannes, der ihn plötzlich traf. »Wer seid Ihr, guter Freund?« fragte er nun höflicher, als es sonst seine Art war.

»Ich heiße Nikolaus Kyburg, bin ein freier Bürger aus Mailand.«

Der Schenk hob verwundert das Haupt.

»Mit diesem Namen ein Mailänder?«

»Mein Vater zog mit König Heinrich dem Lützelburger nach Welschland und blieb dort hängen.«

«Und was seid Ihr, und wo wollt Ihr hin?«

»Ich bin ein Arzt und wollte zum hochwürdigen Herrn von Magdeburg.«

Der Schenk musterte die schlanke, sehnige Gestalt von oben bis unten. »Ihr seht eher aus wie einer, der Wunden schlägt, als der sie heilt,« brummte er.

»Auch das kann ich, Herr. Ich war durch Jahre ein Kriegsmann. Gebt mir Schwert und Harnisch, so will ich für Euch kämpfen. Denn was Eure Tochter getan hat, macht mich zu Eurem Mann.«

»Sie ist nicht meine Tochter – leider, und was aus Euch wird, das muß der morgende Tag ausweisen. Ihr seht nicht aus wie ein Schelm, aber wenn die Wallfahrer kommen und Euch schwerer Tat bezichten, so werdet Ihr Eure Unschuld verteidigen müssen vor einem Gericht geschworener Männer. Für jetzt weise ich Euch ein Gemach an und gebe Euch Herberge und Zehrung. Wilke, führ' ihn ins Turmstübchen. Und nun komm, Gertrudis, das Essen wartet auf uns!«

Die Jungfrau wandte sich zum Gehen, warf aber vorher noch einen Blick auf den Fremdling und neigte gegen ihn fast unmerklich das Haupt. Der aber ließ sich auf seine Knie nieder, erfaßte ihre Hand und küßte sie. Das alles geschah mit dem Anstand eines höfischen Ritters.

»Ich danke Euch, edle –« begann er, aber Gertrudis entzog ihm hastig ihre Hand und eilte mit brennendroten Wangen ins Haus. Verwundert folgte ihr der Schenk mit langen Schritten.

Kyburg stand auf und schaute ihr nach wie einer Erscheinung. Da löste sich aus dem Dunkel eine Gestalt und trat auf ihn zu. Es war ein riesiger Mann von hagerem Gliederbau. Sein Gesicht glich merkwürdig dem eines großen Raubvogels, und wen er mit seinen hellen Habichtsaugen so recht ansah, den überlief leicht ein Frösteln.

»Ihr seid Arzt? Wo lerntet Ihr die Kunst? In Welschland?« fragte er mit einer Stimme, die noch tiefer und dumpfer klang als die des Schenken.

»Nein, edler Herr, bei denen, die mehr davon verstehen als alle Menschen, bei den Arabern.«

In den Augen des langen Ritters blitzte ein grelles Licht auf. »Wie kamt Ihr dahin?«

»Ich ward gefangen auf einem griechischen Schiff und war vier Jahre lang der Handlanger des weisen Muley Hassan in Cordova. Dann gelang mir's, zu entkommen.«

»Habt Ihr auch sonst etwas erlernt von der Wissenschaft jenes Volkes?«

«Nicht wenig, Herr.«

»Auch von der, die Alchymie heißt?«

»Auch davon etwas.«

Der Lange blickte ihn durchbohrend an. «Gut, gut!« sagte er dann, wandte sich und verschwand ohne ein weiteres Wort im Hause.

»Kommt!« mahnte Wille der Knecht. »Ich will Euch führen, wie es der Herr befohlen hat.«

»Um Christi Tod – wer war das?« fragte Kyburg und faßte des Knechtes Arm mit festem Griff.

Der alte Wilke blickte sich scheu um und flüsterte dann: »Das war Herr Werner Kurtefrund von der Rudelsburg, der Vater der edlen Jungfrau, mit der Ihr gekommen seid.«

Kyburg fuhr überrascht empor. Das zu hören, hatte er am wenigsten erwartet. «Wächst auch eine Rose auf dem Stamme der knorrigen Kiefer?« murmelte er.

»Redet nichts,« sagte der Knecht ängstlich, »Herr Kurtefrund hört und sieht durch sieben Mauern. Kommt, folgt mir hier die Stufen in die Höhe.« -

Einige Minuten später saß Kyburg in dem mittleren Gemach des hohen Burgfriedes. Vor ihm stand ein Teller mit kaltem Fleisch und ein dicker, bauchiger Krug, gefüllt bis fast an den Rand mit nicht sehr edlem Wein. Wenigstens verzog er, als er einen tiefen Schluck genommen, fast schmerzhaft den Mund und sprach seufzend vor sich hin: »O Italien, was ist alles Barbarengetränk gegen die Weine, die in deiner Sonne reifen!« Das hinderte aber nicht, daß er in Bälde einen zweiten, nicht minder gewaltigen Schluck zu sich nahm, denn immerhin däuchte ihm der säuerliche Wein besser als gar keiner, und er war durstig wie noch nie in seinem Leben. Denn hinter ihm lag seines Lebens heißester und bösester Tag. Er hatte wahrlich viel durchgemacht an Fährnissen, Kämpfen und Nöten in den dreizehn Jahren, seit er als Achtzehnjähriger aus der Klosterschule ausgebrochen war, um in die Welt zu fahren. Mit breiter Wunde auf der Brust hatte er auf einem Schlachtfeld Ungarns gelegen, hatte in einem Tiroler Burgverließ gesessen, in Tunis gefesselt auf dem Sklavenmarkte gestanden. Aber so nahe einem grauenvollen Tode war er noch nie gewesen wie heute. Die frommen Landstreicher, in deren Hände er gefallen war, hatten ihn ausgeplündert bis auf das elende Pilgergewand, das er auf dem Leibe trug und dessen Heiligkeit die Kerle nicht respektiert hatten. Sein Leibgurt mit den Goldmünzen und Silberstücken war fort, die Tasche mit dem Briefe des Bischofs von Brixen, der ihn dem Magdeburgischen Kirchenfürsten empfahl, war gleichfalls verschwunden, und vor allem fehlte das Fläschchen mit dem schwarzen Staube, dessen geheimnisvolle Eigenschaften ihn dem Erzbischof mehr empfehlen sollten als alle bischöflichen Schreiben der Welt. Er konnte ihn ja wieder herstellen durch seine Kunst, aber würde er nun dazu überhaupt wieder Gelegenheit finden, würde der Magdeburger ihn, den landfahrenden Bettler, der ihm nicht bekannt war, über seine Schwelle lassen? Vorläufig war er noch nicht einmal außer Gefahr. Die Bande konnte ihm nachziehen, ihn hart verklagen, ihn vor ein Gericht bringen, dessen Spruch immerhin zweifelhaft war. Was galt ein Menschenleben in dieser Zeit, wo täglich Hunderte an der Seuche starben und Fehde und Krieg in allen Landen war? Nun vollends das Leben eines Fremden, der zwar der Sprache des Landes von Kind auf kundig war, aber weit und breit keinen Menschen kannte, der für ihn bürgen, auf den er sich berufen könnte! Das Volk war halb wahnsinnig aus Angst vor der Pest und glaubte fest daran, daß die Ungläubigen im Lande, die Juden, sie durch Vergiftung der Brunnen herbeigeführt hätten. Darum fiel man überall her über das ungläubige Volk und brachte es unter Martern zu Tode, und wer in Verdacht kam, zu ihnen zu gehören oder auch nur mit ihnen in Verbindung zu stehen, der mußte sich vor dem wütenden Volkshaufen vorsehen. Würden die Richter, vor denen er vielleicht schon morgen stehen mußte, Vernunft und Kaltblütigkeit bewahren?

Er ließ sich auf den harten Estrich nieder und faltete die Hände. »Sankt Jakobus von Compostela,« betete er, »du hast mich so oft trefflich beschützt, hilf mir aus dieser schweren Gefahr! Komme ich wieder zu Gelde, so soll's dein Schaden nicht sein. Ja, führst du mich an mein Ziel, so will ich dir ein Kirchlein bauen mit einer ewigen Lampe, die immerdar brennen soll zu deinem Ruhm!«

Dann erhob er sich stöhnend, denn seine geschundenen Glieder schmerzten ihn sehr, besonders die Gelenke, wo die Fesseln gesessen hatten. Er aß von dem Brote und dem Fleische und trank von dem Weine, starrte ins Licht und dachte über sein Schicksal nach, und dabei tauchte immer wieder das stolze Gesicht des Mädchens vor ihm auf, das ihm heute wie ein Engel des Himmels erschienen war. Auch als er eine Stunde später auf dem harten Lager in der Ecke in Schlummer gesunken war, sah er sie vor sich, wie sie zürnend und hoheitsvoll vom Pferde herab den Befehl gab, ihn zu befreien.

Währenddessen wurde drüben im Pallas über sein Geschick verhandelt. Die beiden Ritter saßen nach dem Mahle noch allein bei einem Kruge rheinischen Weines in ernstem Gespräch beisammen. Denn nicht zur Kurzweil war Werner Kurtefrund zu seinem Vetter und Freunde, dem Schenken, herübergeritten. Schon seit längerer Zeit gab er sich Mühe, einen Bund der benachbarten Ritter und Herren gegen seine alte Feindin, die Stadt Naumburg, zusammenzubringen. Bei den meisten war ihm das leicht gefallen, denn den Herren war nichts lieber, als wenn irgendwo eine tüchtige Fehde aufbrannte, bei der man auf reiche Beute hoffen durfte. Nur der Schenk hatte bisher zögernd beiseite gestanden, und doch war an ihm dem Rudelsburger am meisten gelegen, da er so viele Reiter ins Feld stellen konnte wie vier oder fünf andere der kleinen schloßgesessenen Herren. Wieder und wieder war er deshalb zu ihm geritten, und heute war es seiner schlauen Beredsamkeit endlich gelungen, die Zweifel und Bedenklichkeiten des Tautenburgers zu zerstreuen. Der Schenk sah ein, daß man die reich und immer reicher werdenden Krämer beizeiten ducken müsse, ehe sie allzu mächtig wurden. »Sollen wir uns,« hatte Kurtefrund gerufen, »ein Erfurt oder gar ein Nürnberg vor der Nase aus der Erde emporwachsen lassen? Sollen wir zusehen, wie die Gewandschneider und Waidfärber, die Bierbrauer und Bäcker und Fischer mählich der Gegend Herren werden? Das mag der Teufel wollen!«

Solche Worte waren bei dem Schenken auf guten Boden gefallen, denn er war ein stolzer Landherr und den handelnden und handwerktreibenden Leuten hinter den Stadtmauern im tiefsten Herzen abgeneigt. So hatte er denn seinen Willen kundgegeben, dem Ritterbunde beizutreten, und Kurtefrund war darob hocherfreut in seinem Gemüte, denn das Wort des Schenken war sein Siegel und galt mehr im Lande als dreier hochwürdiger Bischöfe geschworener Eid.

Natürlich wurde das Ereignis durch einen gewaltigen Trunk gefeiert. Zwei mächtige Steinkrüge hatten die beiden in nicht allzu langer Zeit schon bis auf den Grund geleert, und jetzt ließ der Schenk noch ein kleineres Gefäß, gefüllt mit schwerem Ungarwein, auftragen, zu einem Schlaftrunke, wie er sagte. »Denn wenn du wirklich morgen früh mit der Sonne aufstehen und abreiten willst, Kurtefrund, so wird's wahrlich Zeit, daß wir uns in die Federn machen!«

»Du hast recht,« erwiderte der Rudelsburger. »Wir wollen's nicht viel später werden lassen. Auf dein Wohl und Tod den Krämern! Und nun noch eine Bitte: Schenke mir den Kerl, den meine Tochter heute eingefangen hat!«

Der Tautenburger sah ihn verwundert an. »Wie kann ich verschenken, was mir nicht gehört?«

»Aber er ist auf deinem Grunde gefangen und schwerer Tat bezichtigt.«

»Wird er verklagt, so mag er sich verantworten vor Gericht. Er ist ein freier Mann.«

»Wer weiß, ob er nicht lügt! Vielleicht ist er ein entlaufener Knecht.«

Der Schenk lachte. »Sieh ihn an, und du wirst ihm glauben. Hätt' er mir gesagt, er sei von Adel, ich hätt's ihm auch geglaubt.«

»Meinethalben,« versetzte Kurteftund etwas verdrießlich. »Jetzt aber ist er in deiner Hand.«

»Was in aller Welt willst du mit ihm?« fragte der Schenk ablehnend.

»Er ist ein Gelehrter, ich habe ihn gefragt, und, ich kann gerade einen Schreiber gebrauchen auf der Rudelsburg.«

»So, so! Nun höre: Den nähm' ich nicht, lieber einen alten Mönch. Er fiel vorhin vor deiner Tochter auf die Erde und küßte ihr die Hand, und dabei sah er sie an, als wäre sie eben vom Himmel gestiegen. Und die Weiber, ja die Weiber! Die sehen es nur zu gern, wenn einer sie anbetet, wenn er lang und rank ist wie der und Augen im Kopfe hat wie glühende Kohlen. – Donnerwetter, da geschieht manchmal das dümmste Zeug!«

Der Rudelsburger sah ihn an, als ob er ihn für betrunken hielte. Dann wieherte er und prustete vor Lachen. »Was redest du da? Du bist ein Spaßvogel, Schenk! Gertrudis, der der Beste im Lande nicht gut genug ist? Kröche so ein Landstrolch an sie heran, sie schlüge ihn in seine alberne Fratze. Aber Scherz beiseite: Willst du mir den Menschen geben oder nicht?«

Der Schenk zuckte die Achseln. »Will er mit dir reiten, so halt' ich ihn nicht. Zwingen kann ich ihn nicht. Er genießt den Frieden meiner Burg wie jeder andere, der darinnen ist.«

Der Rudelsburger war sichtlich geärgert. Seine Augen funkelten, und seine Stirn ward blutrot. Aber er war doch klug genug, die heftige Antwort zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge lag, und versetzte nur mit verbissenem Hohne: »So werde ich den Herrn aus Italien fragen müssen, ob er so gnädig sein will, mit auf meine Burg zu kommen.« Der Schenk überhörte geflissentlich den gereizten und unhöflichen Ton der Antwort und entgegnete gleichmütig: »Warum sollte er nicht? Er entgeht ja damit seinen Verfolgern, denn auf der Rudelsburg sucht ihn kein Mensch, wenn überhaupt ihn einer suchen sollte. Und auch sonst wird er schwerlich etwas dagegen haben, dem Vater derer zu folgen, die ihn gerettet hat. Noch einen Becher, dann gute Nacht!«


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