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Im Oktober erbat sich Ewald von Kleist auf zwei Monate Urlaub und reiste auf sein Gut Ruschitz. Es war keine Vergnügungsfahrt, sonst hätte er sich wohl eine bessere Jahreszeit ausgesucht, sondern ein sehr betrübender Anlaß führte ihn wieder einmal in die Heimat. Sein Bruder, der den dänischen Dienst verlassen hatte und auf Ruschitz lebte, war an einem Gemütsleiden erkrankt. Ewald fand den flotten, leichtlebigen Mann furchtbar verändert, denn er saß oft tagelang in sich gekehrt in einem Winkel, aß und trank nicht, redete mit niemand und stierte stumpfsinnig vor sich hin. Dann lebte er eine Zeitlang auf, um gleich darauf wieder in seinen traurigen Zustand zurückzusinken. Es war Ewald eine besondere Qual, diesen geistigen Verfall mit anzusehen, nicht nur, weil er dem Bruder herzlich zugetan war, sondern auch deshalb, weil er immer mit Grauen daran denken mußte, daß ja auch in seiner Seele die Keime dieses Leidens lagen. Wie oft hatte er mit Schwermutsanfällen zu ringen gehabt, von seiner Jugend an bis in die letzte Zeit hinein! Es war ihm ja noch stets gelungen,, der Dämonen Herr zu werden und sich Ruhe des Gemütes zu erkämpfen, aber leicht war es ihm oft nicht geworden, und die trüben Gedanken fielen ihn immer von neuem an. Ein Bild, ein Vers, Töne eines Liedes weckten schwermütige Gedanken und Stimmungen in ihm, die oft stundenlang nicht weichen wollten. Diese Gemütsanlage war jedenfalls ein Erbe der Mutter, die ja in halbem Trübsinn gestorben war. Nun hatte die unheimliche Krankheit gerade dasjenige ihrer Kinder ergriffen, dem man in seiner Kindheit ein solches Geschick am wenigsten geweissagt hätte. Drohte sie also nicht so viel mehr, ihm, der unter allen seinen Geschwistern der unglücklichen Mutter am ähnlichsten war?
Glücklicherweise ließ ihm die Arbeit, die er auf seinem Gute vorfand, wenig Zeit, über solch beängstigende Fragen nachzugrübeln, Ruschitz war unglaublich verwahrlost in den letzten Jahren, seitdem der Vogt und der Verwalter das Auge und die Hand des kranken Herrn nicht mehr hatten fürchten müssen. Ewald mußte einsehen, daß er, der nicht Landwirt war, die verfahrenen Verhältnisse allein unmöglich ordnen könne. Er bat daher seinen Schwager auf Stuchow, zu ihm zu kommen und ihm zu helfen. Herr Balthasar Heinrich von Plötz erschien auf der Stelle, brachte auch seine Gattin Sabine und einen halbwüchsigen Sohn mit, und es war wunderbar, in wie kurzer Zeit diese erfahrenen und praktischen Leute Ordnung in die Dinge brachten.
»Du mußt Kurator des Gutes werden, lieber Schwager,« sagte Ewald, als er mit ihm und seiner Schwester an einem der letzten Abende vor seiner Abreise in der Familienstube saß.
»Um den Undank der ganzen Familie einzuernten!« knurrte Plötz, seinen mächtigen Haarschopf krauend.
»Du hast es nur mit mir zu tun,« erwiderte Ewald. »Ich allein bin neben Franz der Lehnsinhaber von Ruschitz.«
»Das wohl, aber der Lottiner und der Losower werden sich borstig ärgern, wenn sie übergangen werden.«
»Der Lottiner schwerlich, der hat mir selbst gesagt, daß er zu Hause genug zu tun habe und ihm nichts widerwärtiger sei, als öfter über Land reisen zu müssen. Und Manteuffel auf Losow? Der paßt mir nicht. Ich sehe niemanden scheel an um Glaubens willen, und daß er katholisch ist, das ist seine Sache, aber er ist intolerant und wird, wie ich höre, mit jedem Jahre intoleranter.«
»Das muß wahr sein,« fiel ihm Frau Sabine ins Wort. »Die arme Loysa hat's wirklich schwer. Es ist bei der Hochzeit schriftlich ausgemacht worden, daß die Söhne wie der Vater, die Töchter wie die Mutter erzogen werden sollen. Aber seit er den Pfaffen im Hause hat, und der ihm täglich in den Ohren liegt, will er alle Kinder katholisch haben. Die Loysa besteht nun auf ihrem Recht, und da ist der Hader fertig. Es gibt viel Zank und Streit deshalb zwischen den beiden, und es ist ein Elend.«
»Also der bleibt weg,« entschied Ewald. »Er wäre imstande, uns hier einen katholischen Vogt einzusetzen. Bleibt außer dir nur noch der Onkel Christian auf Groß-Poplow. Aber den alten Herrn möchte ich nicht inkommodieren. Ich habe dir heute nachmittag eine Art Vertrag aufgesetzt, Schwager. Lies ihn durch und sprich, ob er dir konveniert.«
»Gib her!« sagte Plötz und entnahm seiner Rocktasche ein Futteral, in dem er eine mächtige Hornbrille aufbewahrte, denn er war weitsichtig, wie die meisten alten Landwirte und Weidmänner. »Nicht übel,« bemerkte er, als er das Blatt überlesen hatte. »Darüber läßt sich wohl reden. Du bist ein honnêt-homme, Schwager. Sollst leben!«
Er goß sein großes Deckelglas voll Bier, das vor ihm stand, mit einem Zuge hinunter.
»Aber sage mal, Schwager,« begann er nach einer Weile, mächtige Rauchmassen vor sich hinpaffend, »sage mal, Schwager, warum übernimmst du Ruschitz nicht selbst? Aus Franz Kasimir wird sein Lebtag nichts wieder, und nun vollends ans Heiraten ist ja für ihn nicht zu denken. Für zwei Besitzer ist Ruschitz zu wenig einträglich, einer aber kann sich als ganz reputierlicher Edelmann darauf durchs Leben schlagen. Du schwärmst ja so fürs Landleben, oder dichtest du das man bloß?«
»Nein, wahrlich nicht. Noch vor ein paar Jahren wäre es mein höchster Wunsch gewesen, hier in Frieden meinen Hafer zu ernten. Jetzt aber kann ich nicht mehr daran denken. Ich will und muß beim Könige bleiben. Es zieht sich ein Unwetter über Preußen zusammen, das ahnen, das fühlen wir alle. Die Kaiserin in Wien und die infame Katze in Petersburg sollen bereits einig sein, und sie tun alles, um die Pompadour und damit Frankreich an sich zu ziehen.«
»Das ist ja die reine Weiberverschwörung. Ja, das kommt davon, daß der König ein enragierter Weiberfeind ist,« warf Plötz scherzend dazwischen.
»Ach, das ist nichts zum Spaßen!« fuhr Kleist sehr ernst fort. »Von allen Seiten werden die größten Mächte gegen den einen Mann ins Feld ziehen. Das kann einen Krieg geben, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, denn Friedrichs Genie ersetzt ja Heere und gleicht so den Unterschied der Streitkräfte aus, immerhin befindet er sich in furchtbarer Gefahr. Ich halte es darum für meine Pflicht, bei ihm zu bleiben und ihm zu dienen mit allen Kräften. Der Krieg wird viele Hunderte von Offizieren kosten, und die ersetzt er schwerer als die Mannschaften.«
»Bist ein tüchtiger Kerl, Schwager, trotz deiner poetischen Mucken. Sollst noch einmal leben!« rief Plötz mit schallender Stimme, und eines zweiten Deckelglases goldbrauner Inhalt verschwand mit überraschender Schnelligkeit in seiner Kehle.
»Was weißt du denn von meinen poetischen Mucken? Hast du mein Gedicht überhaupt gelesen?«
Plötz schüttelte sich. »Nee, nee, das kannst du nicht verlangen. Ich lese nur, wenn ich muß, und warum soll ich's lesen? Du beschreibst den Frühling. Beschreibst du ihn richtig, so kenn' ich das ohnehin; beschreibst du ihn falsch, dann ärgere ich mich bloß.«
Kleist lachte. »Na, das ist auch ein Standpunkt. Hast du's denn wenigstens gelesen, Binchen?«
Frau von Plötz nickte. »Natürlich. Es hat mir auch ganz gut gefallen, aber trotzdem, weißt du, Ewald, lieber wäre mir's gewesen, du ließest das Dichten sein. Für einen Pastor oder Schulmeister mag das was sein, aber einem Edelmanne steht's nicht gut. Das ist nun einmal so in der Welt.«
»In deiner Welt wenigstens, liebe Schwester.«
»Na ja, in Berlin mag es wohl anders sein. In Pommern denken alle so, außer etwa dem Onkel Christian in Poplow. Dem singt sein Pastor Garbrecht täglich dein Loblied. Weißt du, der Garbrecht, der ein paar Jahre bei uns war!«
»Ach, der ist jetzt Pastor dort, das ist wohl erst seit kurzem so?«
»Ja, seit ein paar Monaten.«
»So, so, das freut mich, und besonders freut' es mich, daß er an mich denkt. Auch ich denke noch mit großer Liebe seiner und möchte ihn wohl wiedersehen.«
Frau von Plötz zog die Stirn kraus und seufzte leicht. »Du hast leider von jeher einen ganz besonderen Hang gehabt zu Leuten dieser Art. Wiederum ganz offen: Auch das gefällt mir nicht. Ich hörte, daß du in Berlin mit einer ganzen Rotte obskurer Roturiers sehr freundschaftlich verkehrst.«
Kleist lächelte halb mitleidig, halb verächtlich. »Roturiers nennst du diese Leute? Gut, nenne sie so. Das wird mich nun freilich nicht abhalten, mit den Menschen zu verkehren und die meine Freunde zu nennen, bei denen ich einzig und allein Verständnis und Liebe finde.«
»Die findest du nicht in unseren Kreisen?«
»Nein.«
»Weil du sie nicht suchst.«
»Ruhe, Ruhe! Friede, Friede! Zanke dich nicht mit deinem Bruder!« sagte der dicke Plötz mißbilligend, aber Frau Sabine ließ sich durch die Mahnung ihres lieben Mannes nicht beirren.
»So heirate doch, wenn es dir an Liebe und Verständnis fehlt,« fuhr sie fort. »Wenn nun Franz Kasimir nicht heiraten kann, hast du ohnehin die Pflicht, dein Geschlecht zu erhalten.«
»Du lieber Gott, es gibt Kleists genug in der Welt! Es sieht wahrlich nicht danach aus, als sollten sie aussterben. Und ohne Liebe heirate ich nicht.«
»Nun, es gibt viele hundert hübsche und liebenswürdige Demoiselles im Lande, warum solltest du nicht eine lieb gewinnen können? Und warum sollte dich nicht eine lieben? Ein ansehnlicher, stattlicher Mensch bist du ja und gerade noch in den besten Jahren.«
Ewald machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist für mich vorüber. Einmal und nie wieder.«
Frau Sabine legte ihr Nähzeug vor sich hin und richtete sich auf. Sie sah jetzt wirklich geärgert aus. »Hör' mal, lieber Ewald,« sagte sie scharf, »wenn du sonst niemand hast, der dir die Wahrheit sagt, so will ich sie dir sagen, ich, deine Schwester, die dich lieb hat. Das, was du sagst, sind Flausen, lieber Junge, nichts als Flausen und Phantastereien. Für einen grasgrünen Fähnrich, den die Liebste hat sitzen lassen, ist solch Gerede ganz gut. Du aber bist zu alt dazu. Du hast deine Liebste nicht gekriegt – sehr traurig, aber das kommt hundert- und tausendmal in der Welt vor. Ja, es ist fast die Regel. Ich habe doch auch einen andern geliebt, wie ich noch ein junges dummes Göhr war – Plötz weiß es, es regt ihn gar nicht auf –, und ich bin jetzt heilfroh, daß ich meinen Alten gekriegt habe und nicht den andern, denn der Kerl ist ein Spieler.«
»Die Gemüter der Menschen sind eben ungeheuer verschieden,« warf Ewald sarkastisch dazwischen.
»Ach, damit willst du wohl sagen, ich wäre ein veränderliches Weib und du ein treuer und fester Mann? Aber davon schweig mir man rein still, rein still, sag' ich dir! Ihr Männer helft euch eben anders. Wenn die Liebste fern ist, die ihr heiraten wollt, und die euch treu bleiben soll, so sucht ihr euch dazwischen andere Zerstreuungen.«
Sie sagte die letzten Worte so spitz und anzüglich, daß Ewald sie erstaunt und betroffen anblickte. »Wenn das auf mich gehen soll, so weiß ich wahrlich nicht, was du meinst,« versetzte er kühl.
»So? Na, lieber Junge, spiele nur mir, deiner Schwester gegenüber, nicht den Tugendbold! Du hast das gar nicht nötig, denn eine Frau in meinen Jahren weiß ja, wie es in der Welt zugeht. Aber gestehe es dir ruhig ein, daß du bei der ganzen Sache doch auch nicht ohne Schuld bist.«
Ewald schlug mit der Faust auf den Tisch und blitzte seine Schwester zornig an. »Sakrament! Du kannst einem wirklich warm machen mit deinem Gerede!« rief er. »Schuld habe ich? Was denn für eine? Liegt sie etwa darin, daß ich nicht Geld genug hatte?«
Frau von Plötz verzog spöttisch den Mund. »Nein, aber darin, daß du mit einer Komödiantin eine Liebschaft hattest!«
»Ich?«
»Ja, du. Und sogar zu einem Duell ist es deshalb gekommen.«
Ewald sah sie starr an. »Woher weißt du das?«
»Der Leutnant von Stojentin hat doch dem Franz Ludwig von der Goltz das Ehrenwort darauf gegeben.«
Ewald fuhr von seinem Sitze empor. »Dem Bruder Wilhelmines?« Er sank mit einem heiseren Gelächter wieder zurück. »Also auch ihr, natürlich auch ihr hat man diese alberne Lüge erzählt. Herr du mein Gott! Wie ekelhaft! Wie ekelhaft!«
»Wie? Du hast kein Duell gehabt?« rief Frau Sabine erstaunt. »Und ein Offizier hat sein Ehrenwort gegeben?«
»Ein Duell? Ach freilich, freilich! Und was für eins! Ich habe ihn in die Schulter gehauen, und er hat mich in den Arm gestochen. Aber eine Liebschaft? Verdammter Blödsinn! Weißt du, wer die Schauspielerin war? Sie war – aber was liegt jetzt noch daran! Ihr würdet mir's ja doch nicht glauben. Kein Mensch glaubt's. Jeder hält mich noch für furchtbar naiv, daß ich Glauben verlange.«
»Na, beruhige dich nur, Schwager,« sagte Plötz und goß ihm sein Glas voll. »Das geht uns ja alles gar nichts an, ist nun auch alles ganz egal. Die Goltz kannst du ja doch nicht mehr kriegen, denn sie ist seit sechs Wochen verheiratet.«
»Seit sechs Monaten willst du sagen.«
»Sechs Monaten? Blech! Nimm mir's nicht übel. Die Hochzeit war vor sechs, na, es mögen sieben Wochen sein, in Fraustadt. Der Manteuffel war doch dort.«
Ewald stand langsam auf, bleich, an allen Gliedern zitternd. Er hielt sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest und würgte hervor: »Man hat mir schon im Mai gesagt, sie sei verheiratet.«
»Dann hat man dich belogen. Herrgott, was ist dir? Schwager! Schwager!«
Ewald stand mit verzerrtem Antlitz da. »Also eine Intrigue!« keuchte er. »Ich wäre nicht zu spät gekommen.« Dann fuchtelte er wirr mit den Armen in der Luft herum und brach bewußtlos zusammen.
»Donnerwetter!« schrie Plötz. »Er hat vielleicht einen Schlag. Der arme Kerl! Hätt' ich doch mein Maul – lauf, Sabine lauf. Hol' Wasser! Ich trage ihn auf sein Bett.« –
Aber einen Schlaganfall hatte Ewald von Kleist nicht erlitten, nur die ungeheure Aufregung hatte ihn niedergeworfen. Noch ehe Frau Sabine zurückkam, erwachte er aus seiner Ohnmacht und saß mit wild blitzenden Augen aufrecht auf dem Lager, so daß sie sich über ihn entsetzten. Dann sank er zurück und lag die ganze Nacht und weit bis in den folgenden Tag apathisch da, auf keine Frage Antwort gebend, dumpf vor sich hinbrütend. Schon fürchtete das Plötzsche Ehepaar, das Schicksal seines Bruders könne sich an ihm wiederholen, und saß in ernster Beratung beisammen, was nun zu beginnen sei. Da trat er plötzlich gestiefelt und gespornt und völlig reisefertig ins Zimmer.
»Hier, Schwager, Generalvollmacht für dich!« sagte er und gab ihm ein Papier. »Tut hier, was ihr wollt. Ich reise auf der Stelle nach Berlin, denn ich habe einen Buben zu züchtigen.«
Dabei blieb er, und man mußte ihm den Willen lassen.
*
»Morbleu, Maltzahn, was will er denn noch in dieser späten Stunde? Es ist ja fast Zeit zum Souper, und ich habe heute Schwerin und Winterfeldt bei mir. Ist etwas Extraordinäres passiert?«
So fragte Prinz Heinrich von Preußen den Offizier, der seit einigen Wochen bei ihm aushilfsweise den persönlichen Dienst versah.
»Jawohl, Hoheit,« antwortete der, »und ich dachte, es würde Eurer Hoheit lieb sein, es auf der Stelle zu erfahren, ehe ein Rumor daraus wird. Der Hauptmann von Kleist bei hochdero Regiment hat einen Legationssekretär bei der sächsischen Gesandtschaft gefordert.«
»Diable! Der Kleist? Der Dichter?« rief der Prinz überrascht. »Da muß etwas Serieuses vorliegen. Weiß er Näheres?«
»Ich habe den Vorfall mit angesehen, den Grund der Forderung weiß ich nicht.«
»Na, dann rapportiere er mal, was er weiß!«
»Ich saß im Kaffeehause gegenüber dem Opernhause mit Bülow und Dewitz und Donopp. Im Hintergrunde sitzen Zivilisten bei einer Bowle und feiern das Avancement eines gewissen von Dorpowski, der nach Paris gehen soll.«
»Ah, der! Ja, der geht nach Paris, und es ist nicht schade darum,« warf der Prinz ein.
»Der Dorpowski steht eben auf und hält eine Rede in französischer Sprache und bittet uns höflich, daß wir uns zu ihm setzen sollten. Während er noch spricht, geht die Tür auf, und der Hauptmann von Kleist steht auf der Schwelle, in Zivil, wie er von der Reise kam, die Reitpeitsche in der Hand, mit einem Gesicht, Hoheit, daß alles erschrak. Dorpowski, wie er ihn sieht, stockt, wird rot und blaß, und wie Kleist ein paar Schritte nach ihm hinmacht, reißt er aus und rennt durch die Hintertür ohne Hut ins Freie. Kleist hinter ihm her, kann ihn aber nicht erwischen.«
»Geschlagen hat er ihn also nicht?«
»Nein, dazu war der Monsieur zu behende.«
»Hat er ihn sonst beleidigt?«
»Er schrie ihm zweimal das Wort Canaille nach.«
»Das dürfte stimmen,« sagte der Prinz. »Und woraus schließt er, daß er ihn gefordert hat?«
»Er nahm den Hauptmann Donopp mit, und ich hörte etwas von Hingehen und Fordern.«
»Nun, eigentlich müßte ja wohl der Pole fordern. Aber ich glaube schon, daß er recht hat. Wenn so gute Kerls wie Kleist rabiat werden, so werden sie's gründlich. Meint er, daß Kleist zu Hause ist?«
»Wohl sicherlich, Hoheit.«
»Dann schicke er eine Ordonnanz hin. Der Hauptmann von Kleist soll sofort zu mir kommen.«
»Zu Befehl, Hoheit.«
Etwa eine Stunde später betrat Ewald in Uniform das Palais. Er ward in ein Vorzimmer geführt, in dem sich sonst niemand befand. Hinter den hohen Flügeltüren, vor denen er stand, war offenbar ein festliches Gelage im Gange. Er unterschied die hohe, dünne Stimme des Franzosen Maupertuis, der irgendein witziges Poem vortrug, denn als er geendet hatte, erhob sich lautes Gelächter, und dazwischen ertönte das feine Klingen der Champagnerkelche.
Plötzlich trat der Prinz heraus. »Ah, da ist er ja,« sagte er. »Zum Donnerwetter, Kleist, was macht er für Chosen! Ist es denn wahr, daß er den sächsischen Legationssekretär kontrahiert hat? Ja? Nun hör' er mal, weiß er nicht, wie streng der König alle Renkontres mit fremden Ambassadeurs und ihren Attachés verbeten hat? Wenn Seine Majestät das erfährt, kommt er auf ein Jahr nach Spandau.«
»Ich will meinetwegen Kugeln schleifen, wenn ich dem Kerl vorher den Degen durch den Leib gerannt habe,« sagte Kleist verbissen.
Der Prinz sah ihn überrascht an. »Der Tausend! Er ist ja ganz außer Rand und Band. Was ist ihm denn, und was hat er denn überhaupt? Was hat ihm der polnische Windbeutel getan?«
»Das ist eine lange Geschichte, Hoheit.«
»Die er mir nicht erzählen mag?«
»Die Eure Hoheit nur ennuyieren würde.«
»Mich ennuyiert nichts, was mit meinen Offizieren zusammenhängt, besonders mit ihm. Er interessiert mich. Also erzähle er man! Meiner Diskretion ist er sicher.«
Ewald gehorchte. Zuerst erzählte er mit den knappsten Worten, als er aber den Blick des Prinzen immer wärmer und teilnahmsvoller auf sich gerichtet sah, sprach er sich frei und offen aus, als ob er jemandem beichte.
Als er geendet hatte, stieß der Prinz den Sessel, der vor ihm stand, zornig auf den Boden. »En verité eine Canaille!« sagte er. »Der Bursche hätte wohl einen Denkzettel verdient. Und doch darf das Duell nicht stattfinden, erstens, weil es der König verboten hat, zweitens, weil es total ridikül wäre. Denn man setzt nicht einen Dukaten gegen einen schmierigen Pfennig ein. So verbiete ich ihm denn, sich mit dem Kerl zu schlagen und sperre ihn zu seinem eigenen Besten ein. Er hat acht Tage Hausarrest. Parole d'honneur, daß er sein Haus nicht verläßt. Schickt ihm der Kerl seine Zeugen, so hat er mir's sogleich zu wissen zu tun. Der wird sich aber wohl hüten und froh sein, wenn er nach Paris echappieren kann. Also parole d'honneur!«
»Hoheit!«
»Wenn er's nicht gibt, lasse ich ihn zu seinem eigenen Besten arretieren und schicke ihn nach Spandau, wohin er sowieso käme, wenn der König nicht verreist wäre. Also will er? Mach' er fix!«
»Wenn Eure Hoheit befehlen, muß ich gehorchen und gebe mein Ehrenwort.«
»Gut. Er braucht dabei nicht so finster auszusehen. Nun geh er und schlafe er aus, er sieht hundemüde aus. Noch eins. Ich glaube, für ihn ist es gut, wenn er einmal aus dem Garnisonleben heraus in die Welt ausfliegen kann. Ich werde dafür sorgen, daß er auf Werbung kommt.«
»Ich danke Eurer Hoheit für die große Gnade,« erwiderte Ewald, und sein Gesicht hellte sich etwas auf. »Nur möchte ich Eurer Hoheit noch eine Bitte aussprechen.«
»Nun?«
»Man munkelt, daß es bald wieder losgehen soll. Bricht ein Krieg aus, so bitte ich Eure Hoheit, mich auf der Stelle zurückrufen zu lassen, daß ich mitkomme.«
Der Prinz trat lebhaft auf ihn zu und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. »Das ist brav,« sagte er. »Er ist ein ganzer Kerl, und mein Bruder hatte neulich recht, als er ihn den getreuen Kleist nannte. Sei er versichert, dieser Wunsch wird erfüllt werden.«