Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXXII.

Altens hatten die Stadt verlassen und Gregor war mit ihnen gezogen. Ganz wie schon einmal, und doch wie anders! Das machten Gretes helle Augen, ihre sanfte Stimme, die Rücksicht und Fürsorge, die sie jedem einzelnen widmete. – Er gedachte Marthas noch oft in stillen Stunden, er pflegte jährlich zweimal ihr Grab aufzusuchen, um es zu schmücken, aber Grete war ihm nicht weniger an das Herz gewachsen, und vollends mit Viktor lebte er wieder in der alten innigen Gemeinschaft.

Rose Marie hatte dem Paare gleich nach seiner Verlobung die herzlichsten Glückwünsche geschickt, war aber weder zur Hochzeit noch später in die junge Häuslichkeit gekommen.

»Wozu?« schrieb sie auf Gretes Brief. »Ich sehe nicht ein, weshalb wir durch ein unnötiges Wiedersehen alte Geschichten wieder aufrühren wollen. Ich wünsche euch alles Glück, seid dessen versichert, aber da es dadurch nicht fester wird, daß ich es mir mit eigenen Augen betrachte, so laßt euch an meinen Wünschen genügen. Mich würde so etwas wie der Heiligenschein einer Märtyrerin zwischen euch schmücken, und dazu habe ich gar kein Geschick, ich glaube auch nicht, daß er mich kleiden würde. – Im übrigen denkt nur nicht, daß ich etwa unglücklich bin! In meinem Alter verwindet man Enttäuschungen schnell, das Leben macht uns schließlich alle mehr oder minder zu Philosophen ...«

»Ganz die Alte,« sagte Grete seufzend und legte den Brief beiseite. »Immer möglichst wenig Herz zur Schau getragen, alle Dinge rücksichtslos berührend, selbst wenn es ihr Schmerz macht, – und doch weiß ich, unter Rose Maries Gleichmütigkeit schlägt ein gutes, warmes Herz, dessen sie sich nur schämt, und das niemand entdeckt hat, weil es so tief versteckt lag. Hätte ihr der Himmel nur ein großes, tiefes Gefühl, eine echte Leidenschaft geschickt, wahrhaftig, ich glaube, sie wäre eine andere geworden.«

Viktor küßte seine junge Frau.

»Du trägst eben in jeden ein Stück deines Herzens,« sagte er. »Aber alle Frauen sind nicht so. Und ob Rose Marie Herz hatte? – Ich habe niemals so etwas bei ihr entdeckt.« –

Ungerecht war er bei diesen Worten, aber – er hatte sie ja niemals geliebt! –

Und nun war mehr als ein Jahr vergangen! –

Nicht das Geringste hatte Viktor in dieser Zeit zu schaffen vermocht, so viel er auch versuchte; die Kraft wollte mit dem Willen nicht Schritt halten. Es war, als habe die Krankheit seine Phantasie erschöpft. – Er schob es auf seine Krankheit, in Wahrheit aber war er ein Verirrter, der den Weg nicht zurückfand, obgleich er ihn eifrig suchte.

Mit der Periode, die zwischen dem Beginn seines Schaffens und dem Heute lag, hatte er endgültig gebrochen. Er wollte nicht mehr äußeren Ruhm und Ehre, er wollte Befriedigung, volles Genügen in sich selber, er sehnte sich zurück nach der stillen Schaffensfreudigkeit der ersten Jahre. Was er damals erstrebt hatte, im Überschwang der jugendlichen Begeisterung, heute, als gereifter Mann, mit den gemachten Lebenserfahrungen hinter sich, heute fühlte er, daß er imstande wäre, es zur Tat werden zu lassen, wenn die alte Kraft noch in ihm gewesen wäre. Aber es ließ sich nicht herbeizwingen, dieses Spinnen und Weben der Phantasie.

Eines Tages kam er zu Gregor und setzte sich ihm gegenüber. Der alte Mann sah sofort, daß etwas Tiefernstes ihn bewegte; unruhig wartete er, was Viktor ihm zu sagen habe.

»Ich habe es aufgegeben, um die versiegte Kraft zu kämpfen,« sagte Viktor traurig. »Mein Talent ist dahin. Ach wahrhaftig, Gregor, man ist nur einmal – einmal jung und traut sich die Welt aus den Angeln zu heben. Die Ikarusflügel, mit denen ich damals so zuversichtlich den Flug gen Himmel unternahm, sie sind geschmolzen, meine Ideale, die ich treulos verließ, wenden mir rächend, jetzt, wo ich sie suche, den Rücken. – Ich muß mich bescheiden. Noch bin ich in den Verhältnissen, mir einen anderen Beruf zu suchen. Ein Mann, der Frau und Kind hat, darf nicht müßig sein, wenn er es ehrlich meint.«

Gregor sah ihn ungewiß an. »Und du glaubst, daß du dann glücklicher sein wirst?«

»Glücklicher nicht, aber wenigstens kann ich für die Meinen sorgen, das scheint mir auch etwas wert. Und vielleicht kommt auch da das Glück, wer kann es wissen.«

»Ja, du hast recht!« sagte Gregor nach kurzem Bedenken. »Sprich mit Grete.«

Viktor stand auf. Je eher die Sache abgetan war, desto besser schien es ihm. –

Als er durch sein Arbeitszimmer ging, warf er einen schmerzlichen Blick auf seinen Schreibtisch. Er gedachte der qualvollen Stunden, die er davor zugebracht, ringend mit sich selber. Es sah friedlich und anheimelnd dort aus. Die ersten Veilchen dufteten in einem schmalen, hohen Kelchglase, denn der Frühling kam, und breit lag ein Sonnenstrahl auf dem leeren, gebrochenen Papier.

Er ließ sich auf einen Sessel nieder und stützte den Kopf in die Hand. So war es denn jetzt entschieden, er wechselte seinen Beruf. Und mit allem Ernst, mit aller Kraft wollte er dem neuen Ziel nachstreben.

Im Nebenzimmer sang Grete ihr Kind in den Schlummer, ein kunstloses Lied, eine einfache Melodie. Schmeichelnd, ihm halb unbewußt, drängte sich die Melodie in sein Ohr. Draußen brannte die Sonne, die ganze Natur war lenzesfroh. Regungslos saß Viktor. Die leisen Töne, die aus dem Nebenzimmer kamen, erweckten in ihm halb unbewußt ein Meer von Gedanken, von Empfindungen. Es war ihm, als sähen ihn die Ideale plötzlich wieder mit den alten, strahlenden Märchenaugen an, und ohne sein Zutun spann die Phantasie auf einmal wieder vor seinen geistigen Augen ihre goldenen Fäden. Der lang verschüttete Quell in seinem Innern sprang auf, und wie ein breiter Strom durchflutete ihn die alte Schaffenskraft, das alte Siegesbewußtsein.

Im Nebenzimmer klang das Lied noch immer fort.

Langsam erhob sich Viktor und trat über die Schwelle. Das Kind in ihrem Schoß schlief friedlich, mit lächelnden Augen sah sie ihm entgegen. Er kniete neben ihr nieder und lehnte den Kopf an ihren Arm.

»Singe weiter!« bat er.

Und sie sang das alte Schlummerlied für Mann und Kind, ein Lächeln um die Lippen.

Da hob er den Kopf.

»Grete!« sagte er mit leuchtenden Augen. »Grete, ich bin genesen! Ich kann wieder denken, arbeiten, schaffen, dein Lied – dein Lied hat mich wachgesungen aus der dumpfen Betäubung der letzten Zeit. Dir danke ich alles Gute, alles Hohe in meinem Leben. Du bist nicht müde geworden, mich aufzurufen zum Kampf gegen mich selber, gegen alles, was nichtig ist im Leben. Der Gott in mir ist wieder wach! – ›Neues Leben‹ soll mein bestes Werk heißen, denn du bist es gewesen, die mich dazu erweckt hat, und dir will ich es weihen – dir – mein geliebtes Weib!«

Ende.


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