Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XVII.

Als er am nächsten Morgen erwachte, nach bleischwerem, erquickungslosem Schlaf, mit heißem Kopf und brennenden Augen wußte er, daß der Geruch, der sich in seine Träume gedrängt und ihn gequält und geängstigt hatte, in der Tat vorhanden war. Er kam in schweren Wellen! aus seinem Wohnzimmer, scharf, bitter, zugleich niederdrückend und aufregend, an Totenzimmer erinnernd, außerdem aber das Symbol des Ruhms: frischer Lorbeer!

Sein Traum wurde ihm wieder lebendig. Da hatte er mit verzweiflungsvoller Angst einen großen grünen Lorbeerkranz festzuhalten gestrebt, allein glatt und kühl, wie selbstbelebte Wesen, glitten ihm die Blätter immer wieder aus den Händen, und der Kranz entschwebte ihm, langsam aber unerbittlich. So ängstlich er danach griff, so fest er ihn packte, die Wacht, die ihn aufwärts zog, war stärker als seine Kraft, und nach langem Ringen, mit Aufbietung seines ganzen Willens, mit zusammengepreßten Zähnen fiel er endlich müde und matt zur Erde, während der Kranz im Äther verschwand.

Nun hörte er leise die Tür seines Wohnzimmers gehen und den Schritt seiner Wirtin.

»Frau Retzlaff!« rief er.

Da stand sie schon unter der Tür, in der Hand Briefe und Zeitungen, über das ganze Gesicht lachend.

»Gott sei Dank, daß der Herr Alten endlich aufgewacht ist, das ist aber eine schöne Überraschung!« sagte sie die Tür vollends aufstoßend. »Die Briefe! Und die Blumen! Und all die Kränze! – Sehen Sie doch nur her! Und die Zeitungen hat mein Mann gelesen, wo der dicke blaue Strich steht, und es war uns ordentlich rührend, Herr Alten. Wir gratulieren auch schönstens!«

Sie legte, was sie in der Hand hielt auf seine Bettdecke und ging eiligst nach dem Frühstück. Viktor griff nach den Zeitungen. Da waren Morgenpost, Tageszeitung, und Tägliches Blatt. »Liberal, konservativ und demokratisch.« Füßleins Kritik konnte er sich ja so ziemlich denken; warm und freundschaftlich, aber die beiden andern? – Auch sie enthielten nur Lob und Anerkennung, das Beste, was man überhaupt einem Strebenden nur sagen konnte, und doch hing sein Auge an der letzten Zeile der legten Kritik, ohne sich davon losreißen zu können. »Nach diesem Erfolge haben wir die Berechtigung, weitere goldne Früchte von dem Dichter zu erwarten,« hieß es.

Vielleicht nur eine banale Phrase, und doch rief sie in Viktor zum erstenmal das Bewußtsein wach, daß er noch gar nicht an eine zweite Arbeit gedacht hatte, daß sein Hirn leer und seine Phantasie erschöpft war.

»Mit der Zeit wird es kommen,« dachte er und schüttelte mit Gewalt das unbehagliche Gefühl ab, das ihn befiel.

Sein Zimmer war in einen wahren Garten verwandelt, als er es betrat. Blumen und wieder Blumen, Gratulationsbriefe, Kritiken, Telegramme von auswärtigen Bühnen, alles lag in hellen Haufen herum.

Das war freilich ein anderer Reiz als damals, da man ihm seinen ersten Roman lobte!

Er wollte erst die Lorbeerkränze wegschaffen lassen, der Kopf tat ihm weh, aber als er sie daliegen sah, mit ihren glänzend grünen Blättern, den langen Schleifen, die alle das gestrige Datum trugen, erwachte in ihm ein Gefühl von Zärtlichkeit für diese stummen Zeugen seines Ruhmes, er ließ sie da.

Dieser war von Rose Marie – jener von Direktor Herbert, der von unbekannter Hand, und von unbekannter Hand waren auch die meisten der duftenden Blumen die Briefe, in denen mehr stand als nur herzliche Anteilnahme an seinem Erfolge.

Wie einem sieghaften Fürsten hatte man ihm gehuldigt; als Held und Sieger fühlte er sich, während er um sich blickte und dann vor den Spiegel trat. Jung, hübsch, von den Frauen verwöhnt und genußsüchtig genug, um sich darüber zu freuen, fand er auf seinem Weg nirgends einen Stein mehr, wohin er auch sah.

Da schoß es ihm plötzlich durch den Kopf: Martha!

Aber konnte er sie denn wirklich als Hindernis irgend welcher Art betrachten? Eine Ehescheidung war ja bald zu erreichen, wenn sie es nur ernstlich wollten; einstweilen war es ja nicht nötig, die Welt brauchte nichts von ihren Beziehungen zu wissen. Seine immer geschäftige, sehr verlockende Phantasie fand einen besonderen Reiz in dem Gedanken, Martha zu beobachten, und sie zuweilen – nur ein ganz klein wenig – merken zu lassen, daß er sie noch in Händen hielt. Er wollte, daß sie ihm wenigstens gerecht würde, daß sie empfand – wenn auch ihre Wege sich trennten – er sei eben doch mehr als die anderen, ja, daß sie ihm das sagte!

War es Liebe, die ihm diesen Wunsch diktierte? Ein schwacher Abglanz jener ersten, seligen Jugendzeit, wo schon der Laut ihrer Stimme ihn seiner Arbeit abwendig machte?

Er schüttelte den Kopf. – Liebe stirbt – das heißt jenes feine, namenlose Empfinden, das untrennbar nur von dem ersten Liebesrausch ist; jede Wiederholung wird realer, schleierloser. Liebe also war es nicht mehr. Aber er mußte sich selbst zugestehen, Martha war hinreißend schön. – Wenn also auch die Liebe tot war, sein Recht auf sie bestand noch – bis er es aus den Händen gab.

Je mehr er an Martha dachte, desto mehr erwärmte sich sein Blut. Sie war reizvoll, lebenatmend und willenskräftig, alles Eigenschaften, denen er jetzt gerecht wurde. Was er gestern gesehen hatte, zeigte ihm, daß sie die Männer schlecht zu behandeln verstand. – Auch ihn? Er glaubte es nicht recht, – das wäre unnatürlich gewesen, und es gelüstete ihn, es zu versuchen. Hatte doch selbst Rose Marie...

Er sprang auf, die Erinnerung an die Kommerzienrätin besaß heute etwas Peinliches für ihn. Ihm fiel Füßleins Toast und die anzüglichen Gesichter der Zuhörer ein.

Er war wütend auf alle Welt, wenn er daran dachte, was man ihm gestern mit all den feinen und unfeinen Anspielungen angetan und fest entschlossen, darüber mit Rose Marie ein ehrliches Wort zu reden. Ihre herrliche Freundschaft sollten sie ihm nicht boshaft zerstören, den Triumph wollte er ihnen nicht gönnen!

Er wußte auf einmal sehr genau, daß es nur Freundschaft war, die er für sie empfand.

Dann fiel ihm plötzlich ein, daß er dem Direktor versprochen hatte, in die Probe zu kommen, es sollten noch einige Regieänderungen und Kürzungen vorgenommen werden. Wenn er sich beeilte, kam er noch rechtzeitig. Er warf kaum einen flüchtigen Blick auf sein blasses, übernächtiges Gesicht, dann befand er sich schon unterwegs nach dem Theater.

»Na, endlich!« sagte Herbert, ihn zwischen den Kulissen empfangend, »ich glaubte schon, wir müßten's ohne Sie machen.«

Herbert fröstelte in seinem Pelz, hatte die Hände tief in den Taschen vergraben und den Hut weit in das Genick gedrückt. Viktor Alten erstaunte im stillen über die Häßlichkeit des Mannes, der so ausgesprochenes Glück bei den Frauen hatte. Er sah ihm dabei neugierig ins Gesicht, die kleine Lampe des Regisseurs, links vom Souffleurkasten, warf nur ein unsicheres Licht über die Bühne, und hinter ihnen gähnte grabesdunkel und still der Zuschauerraum. War es möglich, daß vor wenigen Stunden sich dort eine hundertköpfige Menge in jubelndem Beifall für ihn bewegt, daß strahlendes Licht sich in jeder Vergoldung gespiegelt hatte? Der Kontrast mußte auf sein ohnehin so reizbares Empfinden geradezu drückend wirken, und auch er zog fröstelnd den Paletot fester um sich.

»Ich sehe, daß es Ihnen nicht besser geht, wie mir, Alten,« sagte Herbert leichtherzig, »Gemeinsamkeit ist selbst in Katerstimmung ein Trost. Übrigens sind nicht allein wir Pflichtgetreuen hier; in der rechten Proszeniumsloge toggenburgert unser guter Graf, ohne es nötig zu haben. Die Norden muß gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht haben!«

»Ist sie hier?«

»Freilich, in ihrer Garderobe. Wir wollen noch ein paar Szenen durchprobieren, ihre Abgänge gestalten sich nach den Änderungen anders.«

»Ich hatte die Absicht, ihr noch einige kleine Winke zu geben, die mir gestern abend auffielen.«

»Winken Sie! Aber nicht zu lange, wenn ich bitten darf. Ich bin froh, wenn wir aus diesem kalten Hundestall erst heraus sind.«

Viktor hatte die Bühne schon verlassen und klopfte an Marthas Garderobentür; die Garderobière öffnete ihm.

»Bis an die Nase in Pelz gewickelt, saß die Schauspielerin auf dem niedrigen Diwan, nur ihren Hut hatte sie abgelegt. Bei seinem Eintritt sprang sie auf.

»Sie!?« rief sie in einem Ton, der eine ganze Gefühlsskala enthielt.

»Gewiß, ich! Kann ich ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen sprechen, mein Fräulein?«

Sie zögerte, auf diesen Überfall war sie sichtlich nicht vorbereitet gewesen.

»Gehen Sie!« sagte er in dem herrischen Ton zu dem Mädchen, den er sich in der Villa Murner angewöhnt hatte.

Geärgert fuhr Martha auf. »Nein, Babette, bleiben Sie noch!«

Er zog einen Stuhl heran und setzte sich mit der Miene eines Mannes, der sich zu seinem Hiersein berechtigt fühlt.

»Ganz wie Sie wünschen. Ich habe nur die Gewohnheit, meine Leute von allem auszuschließen, was meine Privatsachen anbelangt; aber – das mag ja Geschmackssache sein!«

Sie fühlte den Spott wohl, und ohne ihn anzusehen, sagte sie zornig: »Gehen Sie, Babette, aber halten Sie sich draußen auf.« – »Was wollen Sie nun von mir?« fuhr sie zu ihm herum.

»Martha,« sagte er etwas leiser und sah sie unverwandt an, »ich sah mich genötigt, diese Unterredung zu erzwingen, weil ich nicht die Absicht habe, dich in deiner Wohnung aufzusuchen.«

»Du fürchtest unliebsame Begegnungen,« bemerkte sie spöttisch.

»Fürchten? nein, ich fürchte nichts! Aber wozu erst noch mein Recht nachweisen, wozu überhaupt Worte über geschehene Dinge zu verlieren, die mir sicherlich nicht zum Nachteil ausgeschlagen sind. Ich kam her – unseretwegen!«

»Du willst die Scheidung!« fragte sie aufatmend und sah ihn mit den großen, glänzenden Augen zum erstenmal freundlich an. »Da komme ich dir entgegen!«

»Hast du den Skandal bedacht? Das Aufsehen, das die Tatsache unserer Ehe in der hiesigen Gesellschaft machen würde?«

Sie zuckte die Achseln. »Was kümmert's mich? Ein Jugendstreich ist doch kein Verbrechen!«

»Man wird uns sagen: Warum bleibt ihr nicht beieinander? Ihr, die die Gegenwart doch eigentlich aufeinander angewiesen hat? Ich der Dichter, du die Schauspielerin, die meinen Gestalten Leben gibt!«

Sie trat ihm ganz nahe, ihre Augen funkelten ihm feindselig entgegen.

»Niemals!« rief sie energisch. »Wenn du es vergessen kannst, daß du einstmals in mir die Tochter meiner Mutter beschimpft hast – ich nicht! Was ich geworden bin, danke ich dem Andenken eben dieser Mutter! Das Erbteil ihres Blutes trieb mich aus dem engen Kreise heraus, in den deine Selbstsucht mich gesperrt hielt, zeigte mir den Weg, den ich zu gehen hatte. – War's mir zum Verderben ausgeschlagen, du hättest achselzuckend dich abgewendet – eine Dirne! – – Nichts weiter! – Nun bin ich emporgestiegen, und du hast die Stirn, nachdem wir so auseinander gegangen sind, wie es geschehen, herzukommen und zu tun als seien wir die besten Freunde. Nein! Wir sind es nicht – wir werden es niemals sein! Du und ich, wir gehören nie wieder zusammen!«

»So unversöhnlich?« fragte er mit einem spöttischen Lächeln, ohne die Augen von ihr abzuwenden. Und dann setzte er plötzlich, während sein Gesicht einen völlig anderen Ausdruck annahm, ernst hinzu: »Und doch haben wir uns einmal sehr geliebt, Martha! Weißt du es nicht mehr?«

»Nein!« schrie sie zornig. »Ich will es nicht mehr wissen – und es ist auch nicht wahr! – Mein Gott, ich war so jung und unerfahren! Ich kannte nichts und glaubte an alles. Du nahmst mich wie ein Spielzeug, das dir auf deinen Weg fiel ...« »Halt!« unterbrach er sie und griff nachdrücklich nach ihrem Arm, »das ist nicht wahr! Ich liebte dich, wie man nur ein erstes Wal den verkörperten Traum seiner Jugend liebt! Vielleicht zu hoch, zu ideal, ich gebe es zu. Deine Schönheit allein hätte mir genügen sollen; doch das lernt sich erst mit der Zeit, daß man in seinen Ansprüchen an euer Geschlecht bescheiden wird.«

Sie schüttelte seinen Arm ab und trat von ihm fort.

»Auch ich habe inzwischen gelernt,« sagte sie, »daß es einen unversöhnlichen Kampf zwischen Wann und Weib heraufbeschwören heißt, sobald ein jedes von ihnen seiner eigenen Individualität zu folgen versucht. Bis an die Zähne bewaffnet stehen sie sich gegenüber und verteidigen das, was ihnen das Notwendige im Leben heißt. So haben wir damals miteinander gekämpft – seien wir froh, daß uns beiden endlich die Freiheit geworden ist.«

Er sah sie erstaunt an, barg dies flimmernde Lockenhaar wirklich eine Stirn, hinter der Gedanken wohnten? Hatte er ihr unrecht getan, als er sie für so unsäglich kleinlich und beschränkt hielt?

»Martha,« fragte er zweifelnd und sah zu ihr herab, denn sie hatte sich wieder auf die Chaiselongue gesetzt. »Hast du das alles neben mir empfunden? Warum sprachst du niemals davon zu mir? Glaubst du ich hätte dich nicht begriffen? Vielleicht wäre dann vieles anders gekommen. Der Mangel an geistigem Verständnis war es ja, der mich von dir entfernte.«

Sie lachte spöttisch. »Das glaubst du jetzt! Damals hätte es keinen Unterschied zwischen uns gemacht. Oder – hättest du mich freiwillig zur Bühne gehen lassen?«

Sie stieß mit der Fußspitze nach einem kristallenen Stöpsel, der auf dem Boden lag und sah nicht auf.

»Nein!« rief er heftig. »Niemals!« –

»Da ich aber einmal Künstlerin – zuerst Künstlerin bin, haben wir eigentlich auch kein Wort mehr miteinander zu reden,« sagte sie und stand zum zweitenmal auf.

Wieder hielt er sie zurück.

»Martha, der Wahrheit die Ehre! Deckt sich diese Leidenschaft für das Theater in dir nicht gleichzeitig mit der Sucht zu gefallen, bewundert zu werden, dich zu putzen, – mit einem Wort, alles das zu erlangen, was dir erstrebenswert erscheint? Hat das nicht denselben Anteil an deinem Künstlerehrgeiz, wie das ideale Streben, ein hohes Ziel zu erreichen? Du warst zuweilen so unheimlich real in deinen Auffassungen des Lebens, daß ich mich eines Zweifels da nicht erwehren kann.«

Sie zauderte ein wenig.

»Und wenn selbst?« fragte sie. »Ist es ein Verbrechen, sich das beste Teil auszusuchen? Ich bin wie ich bin – nehmt mich so.«

»Und wenn ich das täte,« fragte er tief aufseufzend, unter dem Bann jener Macht stehend, den die Schönheit seiner Frau auf ihn ausübte. »Würdest du dann zu mir zurückkehren?«

Sie war inzwischen vor den hohen Spiegel getreten und ordnete an ihrer Frisur. Jetzt fuhr sie herum und sah ihn starr an.

»Nein!«

»Warum nicht?«

»O, zehn Gründe für einen,« begann sie kaltblütig. »Kaum wäre ich deine Frau, würdest du wieder anfangen mich unter deinen Willen zu zwingen; ich sollte zum zweitenmal der entsagende Teil werden, und dazu habe ich gar keine Lust. Dann mache ich mir wirklich nichts aus dir – nicht so viel –« sie schnippte mit den Fingern in der Luft, »und dein Dichterruhm, so gewaltig er jetzt auch ist, erweckt mir Mißtrauen, da ich die tönernen Füße des großen Götzen wohl kenne. Wird dir ein zweites Stück ebenso gelingen, das weniger Ähnlichkeit mit der Alkante hat?«

Er sprang auf und griff nach ihrer Hand, die er schmerzlich preßte.

»Martha! – was willst du damit sagen?«

Sie runzelte die Stirn und befreite sich energisch.

»Bitte, vergiß nicht, daß du Fräulein von Norden gegenüber stehst.«

»Ganz recht! Schein! Schein alles, was dich umgibt! Schein dein Kindergesicht, hinter dem sich nur Berechnung birgt, Schein dein Name, denn du bist meine Frau – Komödienspiel alles – alles ...«

»Und ich eine Komödiantin – etwas anderes will ich ja nicht sein!« schloß sie achselzuckend. »Du tust unrecht, mir daraus einen Vorwurf zu machen.« Er fuhr sich mit dem Taschentuch über die heiße Stirn. Unerklärlich, daß er nicht wirklichen Abscheu gegen sie empfand! Aber wenn ihn auch sekundenlang der Zorn beherrschte, ein anderes Empfinden, noch stärker, lebte gleichzeitig in ihm und ließ ihn nicht los.

»Geh!« sagte sie nach einer kleinen Pause gleichgültig, während der er mit dem Wunsch kämpfte, sie in seine Arme zu reißen, »was soll Babette, was Herbert von diesem langen tête-à-tête denken? Du verübelst mir zwar, daß ich den Schein vermeiden möchte, aber ich bin inzwischen doch so klug geworden, daß ich es für besser halte, ihn zu respektieren.«

»Paul Herbert? – Bist du etwa Herbert Rechenschaft schuldig?« fragte er empört, indem er sich an das vertrauliche Benehmen des Schauspielers erinnerte.

»In gewisser Beziehung, gewiß!«

»Noch –« sagte er tiefatmend sich niedersehend, »bin ich es, der über dich zu wachen hat. Noch ist das Band, das uns verbindet, nicht endgültig zerrissen – noch kann ich dich fürs Leben festhalten, wenn – ich will!«

»Das wirst du aber nicht wollen!«

Er stützte den Ellenbogen aufs Knie, den Kopf in die Hand.

»Wer weiß!« sagte er ruhig.

Sie ballte die Hände zur Faust.

»Wenn du das tust, dann ...«

Sie sah bestrickend schön aus.

Er sprang auf. Blitzschnell schlang er den Arm um ihre Gestalt, zog sie an sich und küßte sie auf den Mund.

»Noch bist du mein!« wiederholte er energisch. »Und wehe dem, der sich zwischen uns drängt! Wär's selbst Herbert, ich litte es nicht und werde dich bewachen. – Und zwar gerade am meisten vor Herbert. Hast du mich verstanden? Er soll dich mir nicht nehmen! – Er nicht! –«

Dann riß er die Tür auf und ging davon, ohne sich umzusehen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Martha ihm nach.

Zorn und Erstaunen stritten sich um die Herrschaft in ihr. – Wie konnte er wagen, sie seine Frau zu nennen – ihr etwas zu verbieten – sie zu küssen ... Und gleichzeitig fragte sie sich, ob das denn derselbe Mann war, an dessen Seite sie jahrelang dahingelebt hatte! Verwandelt wie sein Äußeres schien ihr auch sein Inneres. Sollte nur eins unwandelbar in ihm geblieben sein? Seine Liebe zu ihr? – Dann fiel ihr die Kommerzienrätin ein – es ärgerte sie, daß sie ihn nicht daran erinnert hatte, wie eng man seinen und ihren Namen gestern miteinander verknüpft hatte! – Was wollte er denn da noch von ihr?

Sie schüttelte den Kopf, und doch stahl sich ein kleines Lächeln um ihren Mund und blieb dort haften, bis Herbert sie auf die Bühne holte.

Als sie das Podium betreten wollte, überreichte ihr ein Bote einen prächtigen Rosenstrauß. Nicht einen jener auf Draht gebundenen steifen Sträuße, sondern lose aneinander gereihte lebendige Blumen, die ihre duftschweren Kelche senkten.

»Vom Grafen Gilsach!« sagte er.

»Wie schön!« Sie sah sich suchend um, ob der Geber nicht gleichzeitig sichtbar war, konnte ihn aber nicht entdecken, denn aus der dunklen Loge hob sich seine Gestalt nicht heraus.

Paul Herbert nahm ihr die Blumen aus der Hand.

»Sparen Sie sich das für später auf, einstweilen bin ich an der Reihe.«

Sie sah lächelnd zu ihm auf.

»Sollen mich Aufmerksamkeiten nicht freuen?«

»Der Graf zappelt wie die Spinne im Netz, allem Anschein nach. Meinetwegen haben Sie Ihr Vergnügen daran. – Aber ich zapple auch!«

»Und wie!« sagte sie, zu ihm auflachend.

»Aber ich bin kein geduldiger Schwachkopf, den man mit Nichtigkeiten abspeist. Wissen Sie das nicht, Martha?«

Sie schlug ihm mit den Blumen auf den Arm.

»Ich werde mir die Mühe, Sie zu studieren, erst nehmen, wenn ich weiß, ob mir auch genügend Zeit dazu wird,« sagte sie kaltblütig.

Im stillen zollte er ihr alle Anerkennung. Sie war ebenso praktisch wie schön; zuerst dachte sie an eine Sicherung ihrer Zukunft, ihren Kontrakt.

»Ich komme in den nächsten Tagen, um über Ihr Engagement mit Ihnen zu reden,« sagte er, als er ihr in den Wagen half. –

»Im Zeichen der Zeit«, hatte nicht nur am ersten Abend gesiegt; daß es lebensfähig war, bewies es durch seine sich täglich steigernde Zugkraft.

Und Abend für Abend saßen Viktor Alten und Graf Gilsach in Rose Maries Loge und warteten auf Marthas Erscheinen.

Diese beiden Männer, einander sonst in jeder Faser ihres Denkens und Empfindens so unähnlich wie nur möglich, begegneten sich in dem Gefühl der Leidenschaft für die schöne Schauspielerin und der nagenden Eifersucht auf Paul Herbert.

So wunderbarerweise begann das, was sonst zwei Menschen zu Feinden zu machen pflegt, hier eine ganz andere Wirkung zu üben, sie wurden bekannter miteinander, obgleich jeder ängstlich sein Geheimnis vor den Augen des anderen hütete.

Zuerst hatte auch Rose Marie keinen Abend im Theater gefehlt, allmählich aber verringerte sich auch ihr Interesse an dem so oft Gehörten, und sie versuchte, Viktor wieder zu seinen früheren Gewohnheiten, die Abende bei ihr zu verbringen, zurückzuführen.

Nur ungern fügte er sich dem Zwang. Das schöne Heim, ja Rose Marie selbst hatten den Reiz für ihn verloren, seitdem seine Gedanken unablässig Martha und Herbert umkreisten. Was konnte nicht alles geschehen an den Abenden, wo er dem Theater fern blieb, sich nicht wie sonst zwischen den Kulissen und Versatzstücken umhertrieb und Martha im Auge behielt. Er wußte, daß seine Gegenwart ihr unbequem war, mit desto größerer Energie hielt er aus.

Und nun saß er seit zwei Abenden in der Villa Murner gefangen! – Rose Marie mochte ein Thema anschlagen, welches sie wollte, er war zerstreut, unlustig, selbst gereizt, so daß sie ihn endlich am dritten Abend erstaunt fragte:

»Was haben Sie denn, Alten?«

»Ich? Nichts!« er strich über die Stirn, und als er ihren erstaunten Blick sah, setzte er hinzu: »Ich glaube, ich bin nicht ganz wohl – lassen Sie mich gehen!«

»Sie sind nicht ganz wohl?« wiederholte sie besorgt. »Und dabei soll ich Sie gehen lassen?«

Zärtlich ruhten ihre Augen auf seinem bleichen Gesicht, zärtlich klangen Ton und Worte, aber fast rauh entgegnete er:

»Gewiß! Ich bin kein kleines Kind, das umsorgt werden will.«

Ihre Hand sank von seiner Schulter.

»So gehen Sie,« sagte sie sich abwendend.

Er ergriff ihre Hand und küßte sie heiß. »Rose! Rose! Seien Sie nachsichtig mit mir.«

So lief er davon, sie ahnte nicht, daß er ins Theater ging. Ihr erschien es nicht unnatürlich, daß seine Nerven revoltierten nach alledem, was ihnen in letzter Zeit zugemutet worden war. Seiner Mißstimmung, seinem veränderten Wesen andere Motive zuzuschreiben fiel ihr nicht ein; sie war ja doch immer noch die gefeierte Rose Marie von ehedem, der sich jeder Mann huldigend nahte.

»Ich bin verrückt!« sagte sich Viktor Alten, wenn er abends nach Hause ging und Martha, immer nur Martha vor seinem geistigen Auge stand. »Wenn diese Jugendtorheit wieder in mir lebendig geworden ist, weshalb beanspruche ich denn mein Eigentum nicht, und nehme sie wieder? Warum nicht?«

Ja, warum nicht? Er fürchtete das Aufsehen, er fürchtete fast noch mehr die Bande, die ihn an Rose Marie ketteten und am allermeisten Marthas Abneigung. Zur Liebe konnte selbst er sie nicht zwingen, und sie liebte ihn nicht.


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