Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXVIII.

Viktor Alten war nach Italien abgereist. – Dort, wo sein Lebensweg vor einigen Jahren sich zuerst aufwärts gewandt hatte, wollte er die Eindrücke der letzten Zeit loswerden, die in ihm nagende Unzufriedenheit mit sich und der Welt zurückgelassen hatten.

Der Bruch mit Rose Marie, den er zuerst so ungeduldig herbeigesehnt, machte sich ihm doch fühlbar; er hatte im Laufe der Zeit vergessen, was sie ihm eigentlich gewesen mit ihrem stets regen Geiste, ihren großherzigen Lebensanschauungen und dem scharfen, weltklugen Verstand.

Es gab Stunden, in denen er sich leidenschaftlich nach ihr zurücksehnte, doch scheute er eine Anknüpfung zu suchen.

Aber wenn er einsam unter Zypressen und Pinien wandelte, dann umspann seine Phantasie die Vergangenheit mit leuchtenden Fäden, und Reue quälte ihn.

Auch an Martha dachte er. Zweimal hatte sie verhängnisvoll in sein Leben eingegriffen. Er zürnte ihr nicht mehr, sein Blut war abgekühlt, noch ehe der Rasen sie deckte, aber mit Schaudern sah er den Wankelmut der menschlichen Natur, den er an sich selbst erfahren, und diese Erinnerung war nicht ohne Bitterkeit. Nur Grete – an sie dachte er gern, – Grete wurde ihm in der Erinnerung täglich lieber. Endlich schrieb er ihr auch einen langen Brief, in dem er mehr von seinem haltlosen Herzen verriet, als er beabsichtigte.

Auf diesen Brief aber kam keine Antwort.

Er begann zu arbeiten, aber er hatte das Gefühl, als fehle seiner Arbeit das lebendige Wort, der belebende Hauch, als wäre sie matt und stumpf wie seine Seele. Er sehnte sich nach Menschen, die ihn kannten, nach neuen Erfolgen, neuen Lorbeeren; aber er wollte nicht heimkehren, ohne eine Frucht seines Fleißes, und so entstand unter dem Blühen und Duften des südlichen Lenzes sein zweites Theaterstück: »Das Recht des Stärkeren«.

In einer Großstadt lebt man schnell. – Die wunderlichen, schreckensvollen Ereignisse des Winters waren fast vergessen. Rose Marie und Alten, die beiden Helden des Dramas, hatten die Stadt verlassen, Martha war tot; – kaum daß hin und wieder jemand noch von ihnen sprach. Andere Ereignisse kamen und verdrängten das Interesse an der Vergangenheit. –

Paul Herbert ließ das dramatische Theater prächtiger aufbauen als es vordem gewesen. ›Im Zeichen der Zeit‹ fiel dadurch auch der Vergessenheit anheim, und von seinem Dichter gelangte keinerlei Nachricht mehr in die Öffentlichkeit.

Plötzlich – über Nacht war der Sommer gekommen. – Ein heißer Wind wehte über die noch ziemlich kahlen Bäume und Sträucher, die Sonne brannte vom Himmel, als sei es in den Hundstagen, und die Herren trugen die Hüte in der Hand, die Stirnen waren feucht von Schweiß.

»Armer Freund!« sagte Gregor, der an einer mit Theaterzetteln und Bekanntmachungen bedeckten Anschlagsäule stand und seufzte. »Armer Freund! Der Himmel selbst ist gegen dich!« –

Dabei hingen seine Augen an dem Namen Martin Röhrs, der dort als Autor eines unter dem Titel »Alkante« neu angekündigten Schauspiels genannt war.

Die Alkante auf der Bühne! – Gregor hatte von Anfang an den Kopf dazu geschüttelt, seitdem Röhr ihn durch ein paar Zeilen in seiner eigentümlichen Schreibweise davon benachrichtigt hatte. Alle ersten Bühnen hatten sein Schauspiel abgelehnt, ein Theater dritten Ranges ihm endlich seine Pforten geöffnet.

Wie Röhr sich dazu hatte entschließen können, begriff Gregor nicht, und erst der heutige Morgen hatte ihm eine gewisse Aufklärung darüber gebracht.

Wieder hatte ihm Röhr geschrieben: »Ich fühle, daß du mich nicht verstehst, nicht begreifst, daß du ein Recht hast, mich zu tadeln. Glaube nicht, daß ich mir selbst untreu geworden bin, aber das Tier in uns ist manchmal Sieger im Kampf mit dem Geist. – Ich habe begreifen gelernt, daß Geld eine gute Sache sein kann, wenn es gilt, anderen Sorgen von der Seele zu nehmen, die so lächerlich klein und doch so gewaltig groß sein können, daß alles an ihnen zersplittert, selbst unsere Überzeugung. Die Alkante habe ich ihnen preisgegeben, aber wohin ist sie geraten! – Mittelmäßige Kräfte – mittelmäßige Ausstattung, ungünstige Theaterzeit. Und doch hängt gerade von einem bedeutenden Darsteller ab, ob Talente meiner Art überhaupt die Berechtigung zum Dasein haben. – Du siehst, ich bin auf jeden Ausgang vorbereitet und harre hier in Ruhe der Dinge, die mir beschieden sind.« –

Trotz dieser Resignation aber lag es Gregor schwer auf dem Herzen, wenn er an den Abend dachte. – Publikum und Kritik saisonmüde, und dann – ›Im Zeichen der Zeit‹ mit seiner unheimlichen Ähnlichkeit. – Er war sehr zufrieden, daß Martin Röhr die Reise nach der Hauptstadt gescheut hatte. – –

»Mein Gott,« sagte Füßlein, sich die Stirn trocknend. »Welch grauenhafte Hitze! Die drei Männer im feurigen Ofen haben auch nicht stärker geschmort als wir hier! Die ganze Premierengeschichte ist mir nachgerade zum Halse herausgewachsen!«

Dasselbe Lied sangen sie alle. Die ›Alkante‹ hatte von vornherein die Hitze gegen sich. –

Das Theater war klein, schlecht ventiliert, weit ab vom Mittelpunkt der Stadt, die Kräfte außerordentlich mäßig. Diejenigen, die von Amts wegen da waren, hatten am Ende nicht so unrecht, wenn sie ihrer Aufgabe grollten. Aber schon nach dem ersten Akt sahen sie sich erstaunt an und schüttelten die Köpfe. Das war ja derselbe Stoff, wie ihn ›Im Zeichen der Zeit‹ bot, zwar in anderer Gewandung und Fassung, aber doch zweifellos – unverkennbar. Freilich nicht so mundgerecht, so allen Anforderungen des modernen Geschmacks Rechnung tragend, als das Stück des dramatischen Theaters, aber trotzdem von einer geradezu verblüffenden Ähnlichkeit.

Im Foyer standen die Herren von der Kritik beisammen und wunderten sich rechtschaffen über das, was sie gehört hatten.

»Aber zugleich haben wir den besten Beweis, daß zwei Dinge, die sich auf ein Haar ähnlich sehen, doch nicht dieselben sind,« sagte Füßlein, sich vor dem nebelhaften Spiegel sein dunkles Bärtchen streichend. »Alten konnte sich eigentlich keine bessere Folie wünschen für seine Begabung, als dies elend langweilige Machwerk.«

»Ein Plagiat, nichts weiter,« sagte ein anderer, den letzten schalen Bierrest ausschlürfend. »Merkwürdig, mit welch eiserner Stirn manche Leute beglückt sind. Wie heißt denn der Verfasser? Röhr? Mir gänzlich unbekannt! – Nun Herbert? Wie gefällt Ihnen denn diese neue Version Ihres erfolgreichen Stückes?«

»Man wird es zu Grabe tragen!«

»Denken sie noch an Ihre Première, Herbert, zu Anfang des Winters?« fragte Füßlein. »Welch ein kolossaler Erfolg! Aber alle die Hauptteilhaber vom Winde verweht wie welkes Laub! Verschaffen Sie sich nur zum Herbst eine neue Arbeit von Alten; die zieht.« –

»Ich denke nicht daran! Nach meiner Meinung ist Alten gar nicht das Genie, das ihr in ihm seht. ›Im Zeichen der Zeit‹ war ein glücklicher Griff – wer weiß, woher ihm die Anregung gekommen ist.« –

»Seien Sie nicht so boshaft, Herbert,« sagte Füßlein und schob seinen Arm unter den des Schauspielers. »Ihr Groll gegen ihn, das weiß ich ja, stammt noch von der Norden her ...«

Herbert zuckte die Achseln, ein häßliches Lächeln zog über sein Gesicht.

»Ach, lieber Freund, mir konnte es schließlich ganz gleich sein, wer ihr Mann war. Heiraten wollte ich sie ja nicht. Ebensowenig wie mich dies Stück aufzuregen vermag.«

»Was geht das überhaupt Sie an?« fragte Füßlein erstaunt.

»Hm! Es scheint mir doch die Frage, wer der erste Verfasser gewesen, dieser Röhr oder Alten.«

»Unsinn!« rief Füßlein betroffen. Und »Unsinn!« wiederholte er noch einmal halblaut, als schon der Parkettsessel unter ihm herabklappte.

Was im ersten Akt bereits in Erstaunen gesetzt hatte, wurde im zweiten zur Gewißheit; immer deutlicher trat die unheimliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Stücken hervor. Auch im Publikum begann man aufmerksam zu werden, war doch kaum einer da, der nicht ›Im Zeichen der Zeit‹ gesehen hatte. Ein Strom schwatzender Menschen ergoß sich in der Pause des zweiten Aktes in die Büfetträume.

»Das ist doch eigentlich unglaublich; was soll man nur davon denken,« äußerte Füßlein erregt, der mit den Kollegen beisammen stand. »Die einfache Wahrheit ist, daß wir es mit einem Plagiat zu tun haben, weder sehr interessant, noch irgendwie amüsant – –«

»Aber voll Geist und Gedanken, wenn auch die Form verfehlt ist,« meinte Füßlein anerkennend.

»Gott, lieber Freund, was kommt es heutzutage viel auf Gedanken an, die Mache –, die Mache –, das ist das allein maßgebende, und darin hat sich unser Nachempfinder jedenfalls vergriffen ...«

Die fette Stimme schwieg plötzlich, erstaunt sah sich der Mann um, es hatte jemand ihn heftig am Arm ergriffen.

»Ein Plagiat?« keuchte Martin Röhr, der von niemandem gekannt, aus irgend einem stillen Winkel zusah wie man sein Stück abschlachtete, mit blitzenden Augen und wogender Brust. »Herr – wie können Sie sich unterstehen und meine Ehre antasten!«

Er sprach laut und wild, – in dem menschengefüllten Büfettraum wurde es plötzlich still.

»Das Wort drängte sich mir auf, als wir Vergleiche zwischen der ›Alkante‹ und ›Im Zeichen der Zeit‹ zogen. Wahr zu sein ist unser Metier, mein Herr!« sagte der Kritiker mit Würde.

»Ein Plagiat! Ich – ein Plagiator!« Martin Röhr fuhr sich auflachend mit seinen schlanken, nervösen Händen durch das lange Haar. »Um das zu sein, müßte ich mich für geringwertiger halten als ich bin! – Und ist es mir nicht gegeben in eurer Sprache zu euch zu sprechen, so werde ich um des Beifalls halber, den ich entbehren kann, nicht unter die Possenreißer gehen! Aber ein Plagiat! – Wer wagt es, mich dessen zu beschuldigen?«

»Ich denke so ziemlich wie alle,« meinte einer der Herren kaustisch, »oder geben wir ihm einen anderen Namen, nennen wir es ein durch Monate getrenntes Zwillingspaar. Als Alten ›Im Zeichen der Zeit‹ schrieb, hat er sich wohl kaum eine solche Duplizität der Einfälle träumen lassen.«

Alten! – Der Name wirkte plötzlich abkühlend auf Martin Röhr.

»Ich kenne das in Rede stehende Stück nicht, meine Herren,« sagte er ruhiger. »Aber hier, mein Freund Gregor wird mir bezeugen, daß die Alkante schon vor etwa sechs Jahren entstanden ist.«

Nun sahen sie alle mit gespannten Mienen auf den grauhaarigen Mann, der unbeachtet an ein Tischchen gelehnt, mit den widersprechendsten Empfindungen auf die Urteile rings umher gehört hatte. Die alte, niemals ganz gestorbene Zuneigung für den jungen Freund kämpfte in diesem Augenblick einen schweren Kampf mit seiner Wahrhaftigkeit, er war sich klar, was jetzt ein Wort von ihm bedeute. Mußte denn gerade er es sein, der das Schwert der Vergeltung über dem Haupte dessen schwang, den er in dieser Sekunde mehr denn je liebte, trotz aller seiner Fehler? – Eine Ewigkeit schien es ihm, während der sie ihn alle anstarrten, und doch hatte es kaum einige Sekunden gedauert. Dicht vor ihm stand Röhr; er kannte es wohl, dies intensive Leuchten der blauen Augen, wenn der Mund seiner Welt- und Menschenverachtung Ausdruck gab. Was verschlug es schließlich dem, wie man ihn beurteilte; Viktor aber –, Viktor würde daran zugrunde gehen. – Röhr, das »hartnäckige Genie«, war aus anderem Stoff gemacht! Wenn er ihn nur eine Sekunde hätte allein sprechen können! Vielleicht, daß er dann mit dem Lächeln des Philosophen davon Abstand nahm, sich in den Augen derer zu rechtfertigen, die ihm so wenig galten; vielleicht, daß er dann nicht die Hand nach dem Lorbeer ausstreckte, den die urteilslose Menge ihm vorenthielt, den er schließlich doch verächtlich beiseite werfen würde, – um den aber Viktor alles geopfert hatte.

Aber es war ja keine Zeit dazu. – Alle standen sie aufhorchend, mit gespannten Mienen um ihn herum, und mitten hinein in die fast unheimliche Stille war es Gregor, als höre er den ehernen Schritt der Vergeltung nahen, um den begangenen Frevel zu rächen. Er mußte, so schwer es ihm auch fiel, der Wahrheit die Ehre geben. – Der alte Mann beugte das graue Haupt und sagte klanglos:

»Martin Röhr hat recht, – die Alkante ist seit sechs Jahren geschrieben.«

Wie ein Schwarm Spatzen flogen sie alle auseinander, nachdem sie die leisen Worte gehört hatten. Welch ein ausgiebiger Stoff! Welch eine Fülle von Material, um einen Nebenmenschen, der gewagt hatte, höher zu steigen wie die Mehrzahl, wieder zu sich in den Staub herabzuziehen.

»Das ist ja aber die Möglichkeit,« sagte Füßlein kopfschüttelnd, in dem zugigen Foyer neben Gregor auf- und abgehend.

»Sollte Alten wirklich diese Anleihe gemacht haben? Er besaß doch selbst genug, um aus sich heraus zu schöpfen.«

Gregor zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht! Wahrhaftig, in einer Zeit wie die unsere, die stets die vollste Anspannung der Denk- und Tatkraft erfordert, verwischt sich wohl leicht einmal die feine Grenze.«

»Hm! Es wird ihm viel Schaden für die Zukunft bringen.«

»Vielleicht – vielleicht auch nicht! En revanche wirft die Menge, die heute huldigend vor ihrem Götzen im Staube gelegen hat, morgen doch mit Steinen hinter ihm her. Der Kreis, in dem sich unser Sein bewegt, ist so klein, so eng; alles, was wir sehen, fühlen, empfinden, ist es denn etwas anderes als eine Reminiszenz?«

Füßlein drehte sein schwarzes Schnurrbärtchen. »Glauben Sie wirklich, Gregor, – ehrlich gesagt, – daß auch nur einer auf eine Entschuldigung sinnen wird? Ich glaube es nicht!« »Ich auch nicht!«

»Diese verwünschte Geschichte mit seiner Ehe hat ihm auch schon geschadet; dazu die Ver- und Entlobung mit der Kommerzienrätin! – Sie müssen mir zugeben, Gregor, wer ihm etwas anhaben will, findet dazu ausreichende Gelegenheit.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Ich fürchte, er muß noch büßen! – Gut für ihn, daß er heut abend nicht hier ist.«

Ja – gut für ihn, daß er nicht da war! – Sein Name klang auch heute von allen Lippen, aber anders wie vor einigen Monaten. – Das war ja ein geradezu sensationelles Ereignis! Altens berühmtes Theaterstück nicht seine Idee – von einem anderen entlehnt, der sich dagegen gewehrt hatte. – Kaum einer besaß die Gerechtigkeit, ihm das zu lassen, was er dabei aus eigenen gegeben und das damals die Menschen zur Begeisterung hingerissen hatte. – Es wurde einfach gerichtet! –

»Eine schauderhafte Situation,« sagte einer der Kritiker zum anderen.

Der zuckte die Achseln. »Wir können nichts tun, als uns an die Wahrheit halten. Zum Teufel! Mag Alten die Suppe ausessen, die er sich eingebrockt hat.«

»Unerhört!« sagte Herbert voll Entrüstung. »Unerhört! Mein Theater ist durch diesen Skandal gebrandmarkt.«

»Als ob das nicht völlig die goldene Ernte aufwiegt, die er durch ›Im Zeichen der Zeit‹ gemacht hat,« flüsterte hinter ihm jemand spöttisch seinem Nachbar ins Ohr.

»Dem Röhr, dem armen Teufel, fehlte nur eine Kommerzienrätin Murner; ja, man soll die Frauen nicht unterschätzen,« rief von irgendwoher eine lachende Stimme. »Die wenigstens, die verstand es! Schade, daß ich nicht Dichter bin.«

»Sie schlug gewaltig Reklame für ihn, so lange sie ihn für unbeweibt hielt; nun – das Blatt hat sich ohnehin gewandt. Ich bin doch neugierig, wie er selbst sich verhalten wird.«

Nachdenklich und allein ging Füßlein in seine Redaktion. Ihm war es höchst unbehaglich, die Stimme gegen Alten erheben zu müssen, und er wußte auch ganz genau die Folgen, die dieser Umschlag der öffentlichen Meinung für ihn haben würde. Dabei konnte er nicht hindern, daß ihm immer wieder jener Augenblick vor seine Erinnerung trat, als er in Altens Abwesenheit das halbvollendete Szenarium gefunden und Rose Marie davon unterrichtet hatte, obgleich der Autor so heftig widerstrebte. Warum? – Damals hatte er nicht begriffen, es für Künstlerlaune gehalten! – Heute ging ihm eine Ahnung des Kampfes auf, der in Altens Seele getobt haben mochte. – Wenn er damals nicht das Prävenire gespielt hätte – wenn statt seiner vielleicht Gregor dazu gekommen wäre? ...

»Der Mensch ist wirklich nichts weiter als Material, das Leben, die Ereignisse erst dessen Bearbeiter,« dachte Füßlein. – Daß man Alten so schnell verdammte, schien ihn beinahe mit zu treffen; und obgleich Viktor ihm eigentlich kein besonderer Freund gewesen, fühlte er sich doch tief verstimmt.

Dabei kam er denn zu demselben Resultat, das einst Viktor Alten ersonnen, als er sein Gewissen beruhigen wollte: So packend war bei längerem Nachdenken die Ähnlichkeit der beiden Stücke gar nicht. Lebenswarm fühlend und handelnd standen die Menschen da, die Viktor Alten gezeichnet, während Röhrs Gestalten sich in nebelhaften Umrissen verloren. Warum sollten nicht beide dasselbe sagen können, wenn es jeder in seiner Weise tat! Sehen wir doch auch alle die Sonne, und jedem ist erlaubt von ihr zu erzählen. – Aber er kannte die Welt – und deshalb seufzte er. – –

Gregor und Röhr waren stumm miteinander ins Freie getreten, ehe die Alkante ganz zu Ende. Es war eine heiße, dunstige Nacht. Der Himmel bedeckt mit schwarzem Gewölk.

Martin Röhr war sehr ruhig über seinen Mißerfolg, er lächelte leise vor sich hin, dicht vor dem Theater drehte er sich noch einmal um und sah auf den Bau, der seine dunkle, von hellen Lichtern durchzogene Masse aus dem Straßengewirr heraushob. Fast spöttisch glitt sein Auge darüber hin; und indem er den Hut abnahm und mit der schlanken Hand durch sein buschiges Haar fuhr, sagte er: »Dir und all denen, die mir gezeigt haben, daß mein Platz nicht bei euch sein kann, euch wende ich immer voll Verachtung den Rücken.«

»Wenn du das willst,« fuhr da Gregor plötzlich heftig auf, »warum gabst du denn Viktor preis?«

Martin Röhr sah ihn verwundert an.

»Sollte ich mir eine Unwahrheit nachsagen lassen und noch stolz auf den Flecken sein, den sie mir zufügten?«

»Was liegt dir an dem Urteil der Menge, die du verachtest, Viktor aber ist sie Lebenslust geworden; der heutige Abend wird ihn zerschmettern.«

»Ich habe nach Recht gehandelt,« sagte Röhr langsam. »Das Recht mag brutal sein, aber es bleibt einmal die einzige Moral in dieser erbärmlichen Welt.«


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