Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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XVII.

Zwischen dem Rauchberg und Langeneck, einem Ausläufer der Benediktenwand, tritt die Jachna heraus in das lichte Thal der blaugrünen Isar, welche sich bis hierher in einem rauhen, felsigen, fast weltverlassenen Thale Bahn gebrochen. Hier, im sogenannten Isarwinkel, erweitert sich das Thal, der ungestüm daher rauschende Bergstrom wirft sich bald rechts, bald links, bildet viele Kieslagen, teilt sich in mehrere Arme und verwüstet bei Hochwasser nicht unbedeutende Strecken Landes.

Desto reizvoller ist die Szenerie zu beiden Seiten des Flusses. Ein herrlicher Baumschlag durchzieht die Raine der Hochwiesen und Felder, eine wunderschöne Hochebene erhebt sich zur Linken, über welche sich die weißlichen Felsen der Benediktenwand erheben, während zur Rechten die mit grünen Matten und dunklen Tannen bedeckten Berge, der Geiger- und Fockenstein in die Lüfte ragen, zu dessen Füßen sich das stolze Hohenburg und Lenggries, das schönste bayerische Gebirgsdorf befinden.

Nordwärts haftet der Blick auf dem Kalvarienberge von Tölz, gegen Süden aber bilden die Gebirge der obern Isargegend und die riesigen Felsen des wilden Karwendels einen großartigen Hintergrund.

Nah und kantig, farbig und heiter erscheint heute alles in der klaren Herbstluft, in tiefem Blau wölbt sich der Himmel über das herrliche Stück Erde und silberne Fäden 200 fliegen durch die Luft und hängen sich fest an den prächtigen Ahorn- und Buchenstämmen, deren gefärbte Blätter sich malerisch abheben von dem dunklen Grün der Fichten und Tannen in den nahen Waldungen.

Dazu das rege Leben auf den zahlreichen Flößen, welche die Isar hinabeilen, die damals bedeutendste Handelsstraße für die Erzeugnisse Tirols und die übliche Personenbeförderung.Führten ja sogar die Isarflößer s. Z. den griechischen Kaiser Paläologas die Isar und die Donau hinab zu Kaiser Sigismund in Ungarn. Das Getöse der Schneidsägen, die Gesänge und Jodler der Hirten, das Geläute der Herden, dann wieder ein Schuß mit vielfachem Echo in den dunklen Waldungen, und dort ein Adler, welcher in unermeßlicher Höhe über das weite Thal hinschwebt: nicht leicht dürfte es einen Punkt geben, wo das Leben und Treiben und die Pracht des Gebirges sich anschaulicher und schöner entfaltet, als im sogenannten Isarwinkel.

Heute war es aber ganz absonderlich lebendig hier. Auf dem von Jachenau herführenden Sträßchen folgten sich Wagen und Reiter in Menge, deren Zielpunkt das am Fuße des Langenecks liegende Dorf Wegscheid war, wo sie sich mit den von München zurückkehrenden Landsleuten vereinigten, um hier die Ankunft ihres Pfarrers abzuwarten und ihm dann das Ehrengeleite in die Heimat zu geben. Es herrschte deshalb reges Leben beim »Pfaffensteffl«, dem Besitzer des Wegscheider Wirtshauses.

Am jenseitigen Ufer hatte man schon vor einigen Stunden mehrere Zigeunerkarren auf dem Sträßchen von Mittenwald nach Lenggries gesehen, welche über die dortige Brücke das diesseitige Ufer zu gewinnen suchten, um dann 201 wieder isaraufwärts nach Wegscheid und dem nahen Zigeunerbrunnen zu gelangen.

Daß die Zigeuner in diesem Jahre das Fest zu Ehren ihrer Königin feierten, war wohl bekannt, doch waren darüber weder die Jachenauer, noch die Isarthalbewohner sonderlich erfreut. –

Der Singerbauer hatte seine preisgekrönten Kalben in München gut verkauft und war nun mit seinen beiden Töchtern und Mirdei, gefolgt von dem Wallerbauer und Lindl auf dem Heimwege begriffen. Auch sie wurden eingeladen, in Wegscheid anzuhalten und mit den andern gemeinsam heimzufahren. Man bezeugte ihnen allgemein die aufrichtigste Teilnahme.

Jetzt kam auch Friedl mit seiner alten Mutter an. Er wagte es nicht, Amrei unter die Augen zu treten. Die Hoffnungen, welche ihm Duli gemacht, erschienen ihm jetzt wieder als ein neues Schelmenstück des Zigeuners, denn er hatte sich am Zigeunerbrunnen vergebens nach demselben umgesehen.

Amrei aber schritt auf ihn zu und indem sie ihm die Hand reichte, sagte sie traurig:

»Friedl, i kann mir's denken, du marterst di ab mit Vorwürfen und dummen Gedanken. Laß dös gut sein. Du tragst so weni d' Schuld an Wendel sein' Unglück, wie r i. Laß uns tragn, was unser Herrgott über uns verhängt hat. I halt dir mei' Wort, dös i dir am Ostertag gebn hon.«

In diesem Augenblicke rief es von allen Seiten:

»Die Zigeuner! Die Zigeuner!« riefen die einen. »Der Pfarrer! Der Pfarrer!« die andern.

Alles rannte auf die Straße hinaus. Beide Nachrichten bestätigten sich.

202 Vor dem Orte suchte der Wagen des Pfarrers den Zigeunern vorzufahren. Jetzt hielt er an und man sah den Zigeuner Duli mit dem Priester sprechen. Sie hatten sichtlich leise mit einander gesprochen und wie es schien, hatte der auf dem Bocke sitzende Hannes davon nichts vernommen. Es mußte aber eine gute Nachricht sein, die der Zigeuner ihm mitgeteilt, denn der Pfarrer drückte Duli erfreut die Hand und sagte: »So soll's sein – am Zigeunerbrunnen halten wir!«

Und nun fuhr er nach Wegscheid und empfing hier den Willkomm seiner Pfarrangehörigen.

Die Zigeuner passierten inzwischen das Dorf mit sechs gedeckten Wagen. Wenigstens dreißig Personen, darunter viele Kinder, schritten nebenher und grüßten die sie nicht gerade freundlich anblickenden Landleute.

Sie fuhren ohne Aufenthalt zu dem für sie geheiligten Orte, dem sie sich unter Gesang und Musik näherten und woselbst sie um das Grab der Königin unter eigentümlichem Geschrei herumtanzten. Nun aber setzte sich auch die Wagenkolonne und die Kavalkade von Wegscheid her in Bewegung. Ein Zug Reiter voraus, dann der inzwischen mit Blumen und Tannenreisig geschmückte Wagen des Pfarrers, dem die anderen Gefährte folgten.

Am Zigeunerbrunnen ließ der Pfarrer halten und stieg aus. Er hieß auch Friedl, die Singerbauern und die Wallerleute dasselbe thun.

Niemand wußte, warum hier Aufenthalt gemacht wurde, aber der Pfarrer sagte: »Ehe wir den ersten Triumphbogen durchfahren, müssen alle Jachenauer beisammen sein.«

203 »Wir san ja alle beisammen, Hochwürden!« rief der Gemeindevorsteher. »Neamd fehlt.«

»Die Hauptperson fehlt!« sagte der Pfarrer; »der tapferste aller Jachenauer in Griechenland, der Oberfeuerwerker Waller!«

»Der is ja tot!« hieß es.

»Oder ebba nit?« fragte Friedl, jetzt von neuem hoffend.

Da trat Duli herzu.

»Hab i dir nit gsagt, daß da am Zigeunerbrunnen alles gut wird? Aber nit durch Zauberei, sondern auf natürliche Weise. Der Wendel is nit tot, er is nur verwundet und dann g'fangen worn. Unsere Leut haben 'n aus der G'fangenschaft befreit und den rumelischen Klephten wieder abg'jagt. Wir haben ihn in Sicherheit bracht, seine Wunden g'heilt und ihn pflegt wie unsern Künig und ist er auch noch nit ganz herg'stellt, so ist er doch außer aller G'fahr und wird wieder g'sund wern und die Zigeuner niemals vergessen.«

Der Eindruck dieser Worte auf die zunächst Beteiligten zu schildern, wäre vergebene Mühe. Noch wußten sie nicht, ob Dulis Worte in der That Wahrheit seien, aber Dulis schöne Tochter Barba öffnete nun die Plache des best aussehenden Wagens und ein vielfacher Freudenschrei ertönte: Wendel wurde sichtbar.

Er saß mit seinem dunklen Uniformrocke bekleidet, auf reinlichen, weichen Decken und winkte mit der Hand den überraschten Landsleuten zu, indem er sagte: »Grüß euch Gott alle mitanand!«

Friedl war von diesem Anblick so überwältigt, daß er auf die Kniee fiel. Resei, Wendels Vater und Bruder 204 aber eilten auf ihn zu, küßten ihn und weinten Thränen voll unaussprechlicher Freude.

Auch der Pfarrer und alle übrigen kamen heran und gaben ihrer Freude über dieses so uuerwartete Wiedersehen Ausdruck.

Noch konnte der Kranke sein Lager nicht verlassen und es ward sofort bestimmt, den Karren mit den Pferden der Jachenauer nach dem Wallerhofe zu fahren. Zugleich beschloß man, den Zigeunern aus Gemeindemitteln eine Ehrengabe zu übergeben, was bei diesen Jubel hervorrief. Nur Dulis Tochter, die schöne Barba, die treue Pflegerin des Kranken, weinte, weil sie nun ihren Pflegling verlieren sollte, den sie über zwei Monate so hingebend bedient hatte.

Während des Umspannens kam auch Friedl herzu und reichte dem Wiedergekehrten mit nassen Augen die Hand.

»Gelt,« sagte er, unter Thränen lachend, »der Schutzbrief und die Passauer Zetterln hab'n dir halt was g'nutzt!«

»Wo denkst hin,« erwiderte der Oberfeuerwerker, »die hab i dortmals schon in Walchensee aus Vergessen liegen lassen.«

»Was?« rief Friedl. »Nacha weiß i endli, wie i dran bin. Du und mei' Muatta habt's recht, es giebt kein Zauber.«

»Es giebt ein', und dös is d' Lieb,« versetzte Wendel, »und die kimmt vom Himmi, gelt Resei?«

»Muatta, i dakenn's, du hast 'n rechten Glauben,« sagte Friedl zu der alten Fischerin; »von nun an is's aa der meine.«

Dann reichte er Amrei die Hand und sie blickten sich an voller Glückseligkeit. –

Der alte Waller lud die Zigeuner ein, am nächsten 205 Tage auf seinen Hof zu kommen, damit er sie nach Gebühr belohnen könne.

Und nun begann die Weiterfahrt nach der Jachenau. Es war ein Fest- und Freudenzug, der die Heimkehrenden für all die Unbill entschädigte, die sie im fernen Lande zu erdulden hatten. Er ehrte aber nicht weniger die wackeren Landsleute in der Jachenau.

Am andern Tage ward ein Dankgottesdienst und drei Tage später ein Traueramt für den gefallenen Leutnant von Fels und alle übrigen auf dem Felde der Ehre oder durch Krankheit Gebliebenen abgehalten.

Die Zigeuner hielten sich acht Tage lang am Zigeunerbrunnen auf und niemals in ihrem unsteten Leben war es ihnen so gut ergangen, wie hier.

Wendel meldete sofort schriftlich an sein Kommando seine glückliche Wiederkehr, worüber die ganze Batterie große Freude empfand. Er erhielt nach wenigen Tagen ein Schreiben vom Regiment, worin ihm angezeigt wurde, daß ihm die goldene Tapferkeitsmedaille verliehen worden sei und er demnächst auch die griechische Denkmünze erhalten solle, und daß der König für die braven Zigeuner ein Geschenk bestimmt habe, welches ihnen bei ihrer Durchreise in München ausgefolgt werden sollte. Auch ward dem Oberfeuerwerker, im Falle er noch weitere Dienste nehmen wollte und es seinen Wünschen entspräche, nahe gelegt, daß er zum Zeugwart befördert würde.

Aber Wendel sehnte sich nach Ruhe in der Heimat und wollte nun gern sein eigener Herr sein. Sobald er aber wieder vollkommen hergestellt, wollte er sich in München persönlich abmelden.

Der Abschied von Duli und Barba war sehr herzlich.

206 Noch vor Weihnachten standen zwei glückliche Brautpaare am Altar. Auch Hannes und Mirdei machten Anstalt zu ihrer Hochzeit, denn der dankbare Pfarrer, welcher mit dem griechischen Erlöserorden ausgezeichnet worden, hielt sein Versprechen und kaufte seinem treuen Diener und Krankenpfleger ein kleines Bauerngütchen. So konnte auch Hannes' Vater sein Leben in Ruhe bei den Glücklichen beschließen.

Am glücklichsten aber war Lindl, der schon befürchtet hatte, er müsse etwa gar an seines Bruders Stelle Resei heiraten. Dieser Leidenskelch war an ihm glücklich vorübergegangen.

So war es noch für alle recht geworden, selbst für den Schullehrer, dem, wie er selbst sagte, die Erinnerung an die zwei Jahre in Hellas nicht um eine Million abzukaufen wäre. – –

Wie man über die bayerisch-griechische Expedition auch immer urteilen mag, das bayerische Hilfskorps sowie die fünftausend nachgerückten Freiwilligen haben ihren deutschen, biederherzigen Charakter in all den schlimmen Tagen aufs glänzendste bewährt. Sie dienten mit treuer Ergebenheit und Liebe ihrem Monarchen. Sie wankten nicht, als sie schon im ersten Jahre Hunderte ihrer Kameraden ins Grab sinken sahen; sie wankten nicht, als in den folgenden Jahren eine erschreckliche Epidemie an ihrem innersten Leben zehrte; sie wankten nicht, als die Mehrzahl von ihnen den unsäglichen Strapazen und den mörderischen Kugeln der Aufständischen in Rumelien und in der Maina erlag, sie drangen sicheren Mutes in die noch nie bezwungenen Gebirgsfesten, und was unmöglich geschienen, die Mainoten wurden überwunden und wieder zu ihrer Pflicht 207 zurückgebracht. Die Unruhen in Messenien wurden gedämpft, und mit der bewunderungswürdigsten Geduld und Ausdauer hatten sie stets gegen die unaufhörlich sich wiederholenden Raubeinfälle das Eigentum und die Sicherheit derjenigen zu schützen gesucht, von denen sie als Fremdlinge gehaßt waren, mit der edelsten Selbstaufopferung hatten sie ihr eigenes Mißgeschick vergessen und alle Nebenrücksichten beiseite setzend, vor allem nur die Pflicht gegen ihren König im Auge behalten.

Aber alles dieses hatte große Opfer gefordert. Weit über die Hälfte erlag den Krankheiten und den feindlichen Kugeln, eine große Zahl kehrte als Invaliden ins Vaterland zurück.

Hellas aber ist wiedererstanden und fühlte sich glücklich im Besitze seines jungen Königs.

Am 21. Mai 1835 konnte Otto als großjährig den Thron besteigen. Es geschah unter dem Jubelrufe des Volkes. Nach Athen war der Sitz der Herrschaft verlegt, wo bayerische Architekten eine herrliche Königsburg erbauten. König Ludwig besuchte Ende 1835 seinen königlichen Sohn und half dort mit Rat und That.

Prinzessin Amalie von Oldenburg teilte von 1836 an den Thron mit Otto, sie überstrahlte in ihrer Frauenschönheit selbst Griechenlands Töchter.

Athen erhob sich aus den Ruinen, seine Einwohnerzahl stieg rasch über 40 000 Bewohner, und Griechenlands Bevölkerung verdoppelte sich seit Ottos Landung innerhalb zehn Jahren. Griechenland besaß vor der Ankunft der Bavaresen soviel wie keine Schule; alsbald bestanden tausend Gemeindeschulen und eine Universität zu Athen.

Die bayerischen Offiziere bauten Straßen in der Länge 208 von 50 deutschen Meilen nach allen Richtungen, machten Flußkorrektionen und Vermessungen, und die Wüste, welche Ibrahim Pascha zurückgelassen, verwandelte sich in einen fruchtbaren Garten; Handel und Industrie stiegen rasch auf eine erfreuliche Höhe. Mildthätigkeitsanstalten aller Art wurden errichtet.

Leider erfreute sich das Königspaar keiner Nachfolge und vermochte sich in der Folge auch die Sympathieen der Griechen nicht zu erhalten. Da wurde durch Sendboten aller Art in Griechenland eine Aufregung geweckt und geschürt. Hauptsächlich hatten Rußland und England die Hand im Spiele.

Der Aufstand erfaßte einen großen Teil des Reiches. Nach dreißigjähriger Regierung ward König Otto am 13. Oktober 1862 aus Athen nach dem Peloponnes gelockt und am 23. Oktober proklamierte Athen die Absetzung seines Herrschers. –

Daß schließlich die ganze bayerische Kulturmission mißlang, wer wollte den Bayern die Schuld beimessen! Sie hatten mit unausgesetzten Ränken zu kämpfen, denen sie auf die Dauer nicht gewachsen waren. Was auch geschehen wäre, der Bruch wäre unter allen Verhältnissen herbeigeführt worden, weil die Großmächte es so wollten.

König Otto lebte noch einige ruhige Jahre in der geliebten Heimat und starb am 26. Juli 1867, erst 52 Jahre alt, betrauert von ganz Bayern, gewiß aber auch von dem besseren Teile des griechischen Volkes, ganz besonders aber von den bayerischen Kriegern, welche in Hellas für ihn gekämpft, geblutet und gesiegt. –


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