Maximilian Schmidt
Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt

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XII.

Die Bayern übernahmen das arme Hellas in einem bejammernswerten Zustande. Wo man hinsah, kahle Felsen, ödes Land, nirgends Wege, keine Straßen, keine Brücken, die Bewohner in Höhlen oder in Hütten, die von Lehm und übereinandergelegten Balken erbaut waren, wohnend. Zertrümmert lagen ganze Dörfer und Städte. Alle Bäume in der Nähe von Nauplia sowie in anderen Teilen des Landes waren verschwunden. Ganz Griechenland bildete nur eine einzige ungeheure Ruine.

In den ersten Tagen nach der Landung sah man in der Ferne noch rauchende Häuser, besonders in dem »rossenährenden« Argos, welches die Franzosen vor kurzem bombardiert hatten, um daraus die aufrührerischen Palikaren zu vertreiben. In Nauplia selbst gab es eine Menge Ruinen, unfahrbare Straßen, der Platanenplatz angefüllt mit Schutthaufen zerstörter Häuser. Und erst die Wohnungen! Sie waren in einem geradezu unbeschreiblichen Zustande, voll Schmutz und Ungeziefer, aber ohne alle Möbel.

Der Artillerie wurde die Vorstadt Pronia als Standquartier angewiesen. Die erst von den französischen Truppen verlassenen Gebäude gewährten nur den allernötigsten Schutz gegen die Unbill des Wetters, waren mit Unflat aller 147 Art gefüllt, die meisten Thüren und Fenster mutwillig beschädigt und zerbrochen.

Die Infanterie ward vorerst auf die die Stadt beherrschenden Festen Palamides und Itz-Kali verlegt, später teilweise auch Argos und Korinth. Die Kavallerie war in Argos untergebracht.

Die Truppen waren bitter enttäuscht. Der erste Aufenthalt auf griechischem Boden entsprach durchaus nicht den gehegten Erwartungen.

Die nach dem fast ganz verfallenen Korinth verlegten Truppen waren nicht besser daran und ein gemütlicher Altbayer meinte: »Dös wenn wir gwußt hätten, daß 's da so ausschaugt, und nit amol a Bier giebt, hätt'n wir 's auch gmacht, wie der Apostel Paulus, hätten einen Brief an die Korinther gschrieben und wären z' Haus bliebn.«

Mannigfache Erkrankungen, besonders Hautausschläge, Blattern und durch die heißen Tage und kalten Nächte erzeugte Fieber, dann durch die mangelhafte Verpflegung hervorgerufen, traten auf, kurz: es war ein Anfang mit Entbehrungen aller Art.

Nauplia, eine Stadt von ungefähr 8000 Einwohnern und die Hauptstadt des Peloponnes, war damals der Tummelplatz der Abenteurer des ganzen Landes. Die in großer Anzahl sich daselbst aufhaltenden irregulären Palikaren-Offiziere, in den verschiedensten Trachten, standen zwischen Hoffnung und Zweifel einer allenfalls zu erlangenden Offiziersstelle, obgleich viele kein anderes Bewußtsein in sich trugen, als unter dem Schutze eines barbarischen Häuptlings ihre unglücklichen Mitbürger räuberisch ausgesogen und mißhandelt zu haben.

Diese waren freilich sehr mißvergnügt über das 148 herannahende Ende der Schwertherrschaft und eines einträglichen Nomadenlebens. Viele dieser»Klephten«Klephten – Staudenhelden, umher vagierende Kriegsleute, auch Räuberbanden. hatten ihre Heimat gar nicht auf griechischem Boden, sie nahmen während der vergangenen, unruhigen Periode haufenweise Dienste bei irgend einem Häuptling und dachten nun nicht mehr an eine Rückkehr nach Thessalien und Albanien, woher sie kamen, mehr um sich Beute zu erringen, als Hilfe zu bringen im Kampfe für die heilige Sache der Freiheit.

Zu gleicher Zeit befand sich aber auch eine Menge echter Patrioten, sowohl Eingeborene wie Philhellenen in Nauplia, um das endliche Ziel der Belohnung für treu geleistete Dienste abzuwarten.

Aber wie sollte die Regierung alle die oft unerhörten Ansprüche der verschiedenen Parteien befriedigen? Es gab fast keinen Eingeborenen, keinen Eingewanderten, und wenn er auch erst vor kurzem den Fuß auf griechischen Boden gesetzt, der nicht sein Vermögen, seine Existenz, alles, was er hatte, geopfert, und dafür Entschädigung, Belohnung und Stellung erwartete. Alle waren arm, die meisten blutarm, sehr viele wirklich mit Ruhm bedeckt.

In dieses unendliche Wirrsal war nun Ordnung zu bringen, die feindlichen Elemente zu vereinigen, das Unvereinbare auszufinden. Man vertröstete jeden und gab Anweisung auf die Zukunft. Nur die Erwartung besserer Tage hielt Volk und Regierung aufrecht.

Obwohl aus fernem Lande gekommen, war der junge König von vornherein der Liebling des Volkes. Schon Ottos jugendliche Erscheinung wirkte gewinnend, aber es bedurfte einer starken Hand, die im fortwährenden Kampfe 149 mit den Türken halbverwilderten Klephtenhäuptlinge sich dienstbar zu machen. Welche der einheimischen Parteien, die sich gegenseitig wütend zerfleischten, sollte der fremden Herrschaft zu nutze sein? Die Palikaren boten keinen Verlaß. Erst kurz vor der Landung des Königs übergab Kolokotroni die mit Kanonen besetzte Feste Kalavryta. Während der Landung der Bayern und der freiwilligen Söldner aus aller Herren Ländern standen zwischen Nauplia und Argos achttausend Palikaren, welche den griechischen Freiheitskampf gekämpft, und flehten um Brot. Man brauchte sie nicht und so zerstreuten sie sich und wurden Räuber. So hatte man von Anfang an diese Klephten zu bekämpfen.

Die bayerischen Truppen und Verwaltungsbehörden richteten sich so gut ein, als es eben ging.

Auch der Feldkaplan Erhard bezog ein Zimmer in der Stadt. Eine Thür ohne Schloß, zwei Fenster ohne Scheiben und nur mit hölzernem Laden versehen, ein Stuhl und ein aus Brettern bestehendes Lager, das war des Pfarrers Quartier.

Aber Hannes sorgte sofort für einige Bretter, die er zu einem Tische herrichtete, wobei ihm der Pfarrer sägen und schreinern half. Auch ein Strohsack ward herbeigebracht. Hannes richtete sich in einem andern Winkel des Hauses sein Lager zurecht, um stets in der Nähe seines Herrn zu sein.

Aber von einem ruhigen Schlafe konnte nicht die Rede sein; die Qualen des Ungeziefers gestatteten dies nicht. Diesem zu entgehen, sah man vor allen Häusern die Griechen unter freiem Himmel, teils in Betten, teils auf der bloßen Erde liegen.

In der nächsten Zeit aber gab es für den Feldkaplan 150 vollauf zu thun. In dem auf Itz-Kali errichteten Lazarett war er fortwährend beschäftigt, den kranken Landsleuten Mut und Trost zu spenden. Die Armen konnten das Klima nicht ertragen, sie erlagen dem Fieber und es verging kein Tag, wo nicht ein oder mehrere Soldaten zur Erde bestattet wurden.

Die ungewohnte Lebensweise, der Mangel an entsprechendem Getränke – es gab nur unangenehm schmeckenden Wein –, insbesondere aber ein unstillbares Heimweh machte ihnen Leib und Seele krank. Letzteres war selbst bei Offizieren, bei den stärksten Männern in solchem Grade vorhanden, daß die leiseste Erinnerung an die ferne Heimat ihr Auge mit Thränen füllte. Einige griffen zu dem verzweifeltsten Mittel, den Seelenschmerz durch übermäßiges Trinken von gebranntem Wasser zu betäuben. Ein solches Mittel, den Ausländern ohnehin schon schädlich, schaffte im Verein mit dem Klima manchem Ruhe, freilich die ewige Ruhe, die kein Schmerz mehr zu stören vermag.

Da gab es denn für den würdigen Seelsorger manche herzbrechende Szene und dann viele Briefe an die Teuren in der Heimat, denen der Bruder, Sohn oder Bräutigam die letzten Grüße senden ließ.

Der Schullehrer von Jachenau, nunmehr Sekretär, benutzte ebenfalls jede Gelegenheit, seine Landsleute aufzusuchen. Ihm erging es nicht besser wie allen andern, aber er schweifte, so oft er einen Feiertag hatte, nach Argos, Korinth, Athen, Mikenä an Agamemnons Grabstätte und lebte, den Homer in der Hand, die längst vergangenen bessern Zeiten durch. Der blaue Himmel wölbte sich zwar jetzt noch ebenso schön über dieses viel besungene 151 Land, aber man fand keine Spur mehr von den Göttern und Helden, von denen die unsterblichen Dichter sangen.

Der Kommandant der bayerischen Batterie begab sich Ende Februar, nur von dem Oberfeuerwerker Waller, vier Artilleristen und einigen Führern begleitet, nach dem südlichen Peloponnes. Er hatte die Aufgabe, in den dortigen Festungen und befestigten Plätzen das vorhandene Artillerie-Material teils von den französischen Truppen zu übernehmen, teils das dem französischen Gouvernement gehörende, an Griechenland überlassene abzulösen.

Nachdem dieses Geschäft größtenteils bei schlechtem Wetter erledigt, erhielt Hauptmann Schnitzlein den Auftrag, eine Anzahl fester Türme im südlichen Bergpeloponnes, welche von zweideutig gesinnten Griechen bewohnt waren, zu rekognoszieren und bestimmte Angabe über die Gefährlichkeit derselben zu liefern.

Auch dieser mit großer Gefahr verbundenen Aufgabe entledigte sich der Kommandant und seine Begleitung mit Mut und Intelligenz. Durch Niederreißen einiger solcher als Raubnester benutzter Türme wurde diesem Landesteile Ruhe und Sicherheit gegeben.

Nach Nauplia zurückgekehrt, ward die Hälfte der Batterie, wobei sich auch der Oberfeuerwerker befand, unter Kommando des Oberleutnants Kriebel mit dem Bataillon des 12. Infanterie-Regiments nach der Insel Negroponte (Euböa) entsendet, um die Türken von der Insel zu vertreiben. Die zu dieser Expedition bestimmte Flottille, bei welcher sich auch die Gesandtschaft der drei Großmächte und von griechischer Seite Oberst Baligand als königlicher Kommissar befanden, bestand aus zwei österreichischen Kauffahrern, einer englischen Fregatte mit 4 Kanonen, einer 152 französischen Korvette und einer russischen und griechischen Goelette, auf welch letzterer sich die vier Feldgeschütze der bayerischen Artillerie befanden.

Nach mehrtägiger Fahrt bei günstigem Winde legte die Expedition in Chalkis an, welches von der Feste Karababa beherrscht ist. Der Bischof von Chalkis im Ornate und eine Menge Menschen empfingen mit ungeheurem Jubel die Befreier, bei deren Ansichtigwerden die Türken sofort Stadt und Feste räumten, sich teils zurückzogen, teils die Waffen niederlegten und in Chalkis, einer Stadt von 10 000 Einwohnern, verblieben.

Auch hier sah man fast nur Ruinen aus alter und neuer Zeit oder unansehnliche Häuser.

Von hier aus wurde eine Abteilung mit dem Oberfeuerwerker, 22 Artilleristen und zwei Kanonen unter Befehl des Hauptmanns Bronzetti nach dem am südlichen Ende der Insel liegenden Karysto entsendet, wo die Türken sich festgesetzt hatten.

Nach einem höchst beschwerlichen Marsche über die Gebirge gelangte sie nach Karysto, welches von der auf einem Felsen thronenden Feste überragt wird. Ringsum prangte die Natur in bezaubernder Schönheit. Auch hier wurden die Bayern als die Befreier mit Jubel empfangen, denn der türkische Kommandant erklärte sich bereit, Stadt und Citadelle gegen freien Abzug zu übergeben.

Die Türken hatten viele Sklaven bei sich, welche, die Gelegenheit benutzend, bei Offizieren und Soldaten sich als griechische Unterthanen erklärten, und man beschloß, so viele dieser Unglücklichen zu retten, als nur immer anging. Es wurden auch wirklich viele derselben ihren Peinigern mit List entzogen und von ihrer Sklaverei befreit. 153 Frohlockend und unter lauten Ausbrüchen des Dankes kehrten die Befreiten zu ihren Familien zurück, aus deren Schoß sie gerissen wurden.

In Karysto sollten die Bayern noch vor ihrem Abzuge – sie wurden durch andere Truppen abgelöst – ein echtes griechisches Volksfest kennen lernen. Es wurde das Maifest gefeiert, welches hier ganz besonders festlich begangen wird und wozu Offiziere und Mannschaft eingeladen worden.

Die Thüren der Häuser wurden am Morgen mit Feldblumen und Kornähren geschmückt, nachmittags versammelte man sich im Freien. Nahe an den Ruinen der ehemaligen Klosterkirche, unter einer riesigen Platane, hielt ein Priester nach altehrwürdiger Sitte das Meßopfer, das die ganze andächtige Menge mit Gesängen begleitete. Diese Feierlichkeit unter des Himmels azurblauen Hallen war tief ergreifend.

Nach dem Gottesdienste gab sich alles der Freude hin. Es bildeten sich auf der großen Terrasse vor dem Kloster, welche eine schöne Aussicht bietet, Gruppen. Frauen besorgten die Küche, Männer drehten an ungeheuren, hölzernen Spießen ganze Lämmer über dem Feuer, und während Tanzende sich, im Kreise gestellt, ihre Musik selbst sangen, riefen herumgehende Verkäufer unaufhörlich Käse und Milch mit so lauter Stimme aus, daß sie alles übertönten und mit ihrem einförmigen Geschrei den damaligen berüchtigten Ausrufern in Bayerns Hauptstadt an die Seite gesetzt werden konnten.

Endlich ging es zu Tische, das heißt, man nahm auf schönen Teppichen auf dem Boden Platz, einen Kreis um die aufgetragene Mahlzeit bildend, von der die Frauen 154 ausgeschlossen waren. Man aß mit Hilfe der Finger, denn der Gebrauch von Messer und Gabel war hier nicht üblich; nur einige hölzerne Löffel machten unter den Gästen die Runde.

Die Speisen bestanden aus den seltsamsten Gerichten in einer den Bayern ganz fremden Zubereitung, meistens in Oel schwimmend, süß und stark gewürzt. Die Lämmer wurden auf einer Art von Riesengabel aufgetragen, in Stücke gerissen und zerteilt auf Baumblättern vorgelegt.

Die Griechen fuhren mit ihren scharfen Nägeln in das gebratene Fleisch, rissen ein Stück nach dem andern von den Vierteln herunter und schlangen ungeheure Brocken mit schrecklicher Gier hinunter. In wenigen Minuten war dieser ihr Lieblingsbraten bis auf die Knochen aufgezehrt. Dann machten Jahurt, Knoblauchspflanzen, Oliven und Orangen den Schluß des seltsamen Mahles.

Unterdessen waren ein halbes Dutzend griechischer Virtuosen auf dem Platze erschienen und verübten mit ihren Instrumenten einen jämmerlichen Lärm. Die langhalsigen Mandolinen quiekten, die Bogen kratzten auf den Saiten der Geige, dem Instrumente markerschütternde Töne erpressend, und das Griechenvolk stimmte einen näselnden Gesang an, der den Bußpsalmen der Charwoche nicht unähnlich war.

Die ganze Versammlung war entzückt über diese herrlichen Leistungen, und Toaste auf Toaste erfolgten.

Plötzlich ließen sich auch von der andern Seite der Terrasse Musikklänge vernehmen. Einige Zigeuner, Burschen und Mädchen, erschienen. Sie lagerten in der Nähe und ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, ihre Künste zu zeigen. Die durchdringenden, schmetternden Töne der 155 fünflöcherigen Hoboe, das Getöse der Cymbeln, Tambourins und der baskischen Trommel begeisterten die Griechen so, daß sie mit der barbarischen Musik um die Wette zu schreien begannen.

Diese Zigeuner, deren es in Griechenland viele giebt, haben nur elende Strohhütten in Gestalt von Bienenkörben oder länglichen Vierecken, wenig über 80 bis 100 Quadratfuß haltend, welche nicht selten die Herberge von zwei bis drei Familien mit zahlreichen Kindern in Gemeinschaft mit Schweinen, Enten und Hühnern sind.

Das Zigeunerlager ist gesondert von der eigentlichen Stadt. Die Zigeuner sind eben so arm als verachtet. Kein Grieche würde mit dem Zigeuner aus einer Flasche trinken, und doch ist letzterer eine gefürchtete Erscheinung, wo er sich zeigt, und schnell beschenkt ihn der Grieche, um der Macht des Zaubers zu entgehen, der den Zigeunern zugeschrieben wird.

In Livadien haben die Zigeuner alle Jahre einen großen Markt, wo sie zu vielen Hunderten zusammenkommen. Sie durchziehen in der guten Jahreszeit das ganze Land, musizieren zu den Tänzen der Griechen, und da beinahe alle ihrem Handwerk nach Schmiede oder Kesselflicker sind, beschlagen sie die Pferde oder richten die alten Kochgeschirre wieder zurecht. Infolge der allgemeinen Verachtung, die ihnen allenthalben zuteil wird, sind sie auf den Verkehr unter sich beschränkt und halten deshalb auch sehr zusammen.

Eine solche Zigeunerbande kam nun auf ihrer Wanderung auch nach Karysto, um von hier nach Asien, von woher ihre Ureltern stammen, überzuschiffen. Sie wollten nicht dort bleiben, nur einige Monate die Luft der Heimat 156 atmen, dann wieder fortziehen, weit, weit in die Ferne. Sie benutzten das griechische Maifest, um Reisegeld und Nahrung zu sammeln.

Die bayerischen Soldaten sahen mit gemischten Gefühlen dieses ungewohnte Schauspiel an. Der Oberfeuerwerker aber meinte:

»Da is unser Oktoberfest in München halt doch was anders! Alles is schöner in unserer Heimat! Wir estimieren die Pomeranzen und Lemoniwaldungen nit. Was is dagegen a Tanna- oder a Buchenwald! Mag's noch so paradiesisch sein, daherum, a schöners Landl, als 's Boarnland, giebt's doch nit! Trinkts, Kameraden, unser' Heimat soll leben!«

Alle tranken begeistert mit, viele mit nassen Augen.

Da hörte sich Wendel von einem hübschen 157 Zigeunermädchen, das vorhin das Tambourin geschlagen, in deutscher Sprache angeredet:

»Und dei' Resei in der Jachenau soll auch mitleben?« sagte die Zigeunerin vertraulich.

Wendel sah überrascht nach der Fragenden.

»Die soll freili leben!« gab er zur Antwort. »Aber wie weißt du davon?«

»Wir Zigeuner wissen alles,« erwiderte schalkhaft lächelnd das Mädchen.

»Ja, ja, wenn's euch zuvor wer g'sagt hat,« lachte Wendel. »Aber wer kann dös g'sagt hab'n? I red mit neamd davon –«

»O, ich weiß noch mehr!« entgegnete die Zigeunerin. »Du hattest einen Nebenbuhler, den Fischerfriedl. Du hast drei Tage vor der Hochzeit deine Braut verlassen –«

»Jetzt halt!« rief Wendel aufs höchste überrascht. »Wer hat dir dös alles g'sagt? Für a Hex halt i di nit, i glaub an kei' Hexerei und an kein' Zauber, also red' gschwind! I werd mi schon generös zeigen. Von wem weißt du meine Angelegenheiten?«

»Von mein' Vater.«

»Wer is dei' Vater? Wo is er?« rief Wendel, sich im Kreise umblickend.

»Da bin i,« sagte jetzt ein ältlicher Zigeuner in gut bayerischer Mundart. Er war lauernd herangekommen, um die Wirkung zu beobachten, welche des Mädchens Rede auf den Jachenauer machte. Es war Duli, der mit seinem Stamm aus Siebenbürgen hierhergezogen war und in dem Oberfeuerwerker sofort den Waller Wendel aus der Jachenau erkannte, die er seit vielen Jahren durchwandert, wo er Hof für Hof wohl kannte. Er freute sich, den Nebenbuhler 158 Friedls hier zu finden, dem er mit dem Hexenstrang das Glück abgedreht, und er teilte seiner Tochter schnell das Wissenswerteste über ihn mit und schickte sie hin, denselben mit ihren Künsten zu verblüffen.

Auch Wendel erkannte jetzt den Zigeuner, und so zuwider er ihm in der Heimat war, hier empfand er doch eine Art Freude, so unvermutet einen Bekannten aus der Heimat zu treffen.

»Du bist ja der Zigeuner Duli!« rief er erfreut. »Grüß di Gott!«

Duli zog seinen Hut und sagte:

»Ja, i bin's, Herr Offizier, und i freu mi, daß's gsund sind und so prächti aussehn.«

Und nun erzählte er, daß die Zigeuner auf dem Wege nach Asien seien, daß sie aber bis jetzt von keinem Schiffe aufgenommen worden, und er benutzte die Gelegenheit, den Oberfeuerwerker zu bitten, sich für ihn bei einem Schiffskapitän verwenden zu wollen, um billige Ueberfahrt zu bekommen. Wendel versprach ihm das und beschenkte ihn mit etwas Geld.

»Trink a Flaschen Wein auf mein' Resei sei' Wohl!« sagte er. »Und kommst wieder in d' Jachenau, so kehr ein am Wallerhof. I werd dir dös Begegnen für alle Zeiten gedenken.«

»Im nächsten Jahr, wenn's Blatt von die Bäum' fallt, kommt unser Stamm zum Zigeunerbrunnen, wo unser Königin begraben liegt. Geb's der junge Gott, daß's bis dahin glückli z' Haus seids. Weils so gut seids mit uns und nit so verächtli thuts, wie die Griechen, will i euch was verraten.« Und leise sprechend, teilte er ihm mit, daß 159 die Zigeuner von Rumelien kommen, wo die Klephten einen Aufstand vorbereiten. Große Banden schwärmen in den unzugänglichen Gebirgsschluchten, verüben die fürchterlichsten Grausamkeiten an den Unglücklichen, die ihnen in die Hände fallen, und ihre Absicht sei, sich mit den Palikaren zu verbinden, um die Regentschaft zu stürzen. Er, Duli, kenne die Namen und den Aufenthalt mehrerer Häuptlinge dieser Banden.

Wendel veranlaßte nun Duli, die Aussage seinem Kommandanten zu wiederholen, der ihm zum Lohn für diese Kunde freie Fahrt nach der asiatischen Küste verschaffen werde. Es sei heute gerade ein Schiffskapitän in Karysto, welcher seinen Kurs nach Smyrna nehme.

Duli that nach Wendels Willen und seine Nachrichten waren dem Offizier von solcher Wichtigkeit, daß er darüber sofort einen Bericht an das Brigade-Kommando in Nauplia machte.

Duli aber sollte andern Tags mit den Seinen an Bord des nach Asien segelnden Schiffes genommen werden, was den Zigeuner ganz glücklich machte und ihn mit lebhafter Dankbarkeit erfüllte.

Wendel hatte sich zurückgezogen. Die Erinnerung an die Heimat, an Resei hatte ihn plötzlich weich gestimmt. Er ging allein auf die Zinne der Plattform der Citadelle. Der untergehenden Sonne goldene Strahlen fielen auf das in einem Brillantfeuer schimmernde Meer, auf Attikas herrliche Küste, von fern hörte man das Läuten der Herden und den Gesang der Hirten.

Gerade unter dem Felsen aber, wo die Hütten der Zigeuner aufgeschlagen waren, ertönte jetzt der Gesang einer 160 Mädchenstimme, begleitet von einer Mandoline. Er kam von Barba, Dulis Tochter. Das Lied hatte eine traurige Weise, es klang wie Sehnsucht nach der Heimat, die den Zigeunern niemals erfüllt wird. Bald aber verstummte der Gesang und tiefe Stille herrschte rings umher. Dies alles wirkte heute so eigentümlich wehmütig auf Wendel, und als er den Weg nach seinem Quartier einschlug, gab er seinen Gedanken lauten Ausdruck und sagte mit einem recht aus dem Herzensgrunde kommenden Seufzer: »Wenn's nur wieder heimzu ging!« 161


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