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Im Hause Soukups war am zweiten Osterfeiertage alles zum Empfange der bayerischen Gäste hergerichtet, nicht nur was die Ordnung der Stube und die Reichhaltigkeit der Küche betraf, sondern auch bezüglich des Anzuges glaubten Mutter und Tochter den Erwarteten alle Aufmerksamkeit erzeigen zu müssen. Namentlich war Hančičkas Anzug sorgsam gewählt. Zu dem roten Rock trug sie eine gelbseidene Schürze, hellblaue Strümpfe, ein mit glänzenden Geldmünzen geschmücktes und mit einem Bändchen roter Korallen verziertes Leibchen, weiße Pluderärmel und ein dunkelrotes, mit weißen Blumen versehenes, schwerseidenes Brusttuch. Den Kopf hatte sie mit einem schwarzen, an den Ecken mit bunten Blumen gestickten Tuche zierlich umwunden.
Das nun siebzehnjährige Mädchen war eine stattliche Erscheinung geworden. In den schönen Gesichtszügen lag ein gewisser Ernst, der dieselben äußerst interessant machte. Die Mutter betrachtete mit Wohlgefallen ihr Kind, sie sah sich in demselben verjüngt wieder und wünschte nur, daß dasselbe recht glücklich werden möchte. Sie hoffte, daß dies durch eine Verbindung mit Franz der Fall sein würde. Noch hatte sie nicht darüber ernstlich mit Hančička gesprochen. Sie meinte, das müßte sich von selbst ergeben und heute könnte in dieser Hinsicht wohl ein entscheidender erster Schritt geschehen. –
150 Der Waldhofbauer hatte für die zum laufenden Fuhrwerk bestimmten zwei Pferde neue Geschirre anfertigen lassen, denn auch er wollte, daß die erste Fahrt Franzens nach dem Chodenschlosse möglichst flott vor sich ginge.
»Zoagn ma's eahna, die Böhmischen,« sagte er, »daß d' Boarn aa wissen, wie r a flott's laufend's Fuhrwerk aussehgn muaß.«
Franz lenkte, natürlich in Uniform, das schöne Zwiegespann alsbald auf der breiten Straße gegen Chodenschloß zu. Er fühlte sich unendlich behaglich bei dem Gedanken, daß er heute sein eigener Herr sei und nicht auf Kommando zu achten brauche. Heute hatte er wieder einen Blick für die Natur und mehr als einmal sagte er zu seinem vergnügt neben ihm sitzenden und stets die neuen Geschirre der flotten Pferde betrachtenden Vater:
»D' Welt is halt bei uns herin dennast recht schön!«
Es wölbte sich aber auch ein wunderbar blauer, wolkenloser Himmel über sie hin.
Im Walde, durch welchen erst die Straße führte, zwitscherte es auf allen Zweigen und das Gurren der Wildtauben mischte sich darein. Hin und wieder stand ein Reh vertraut am Saume des Gehölzes und äste ruhig weiter. Zwischen dem dürren, am Boden liegenden Laube guckten rote und blaue Leberblümchen, weiße Anemonen und blaue Veilchen hervor. Franz konnte nicht umhin, die Zügel dem Vater zu geben und rasch ein Sträußchen zu pflücken, welches er sich zwischen zwei Knopflöcher an die Brust steckte.
Der Alte lachte und schnupfte.
»Aha,« meinte er. »kann ma schon denka, für wen.«
Außerhalb des Waldes erblickte man, so weit das 151 Auge reichte, grüne Saaten. Ueber denselben und hoch in den Lüften jubilierten die Lerchen, welche hier in auffallender Menge vorhanden waren.
Noch niemals hatte Franz ihrem Sange mit so großer Freude gelauscht, wie heute, und seine frohe Stimmung vermehrte sich noch, da die Gebäude von Trhanow und Chodenschloß sichtbar wurden. Bei Nachtzeit, als Flüchtling, im Verdachte eines Straßenräubers, hatte er jenen Ort das letzte Mal verlassen. Wie anders näherte er sich ihm heute wieder! Es schlug ihm das Herz vor freudiger Erwartung auf das Wiedersehen jenes Mädchens, das ihm damals zur Freiheit verholfen und gleichzeitig sein Herz gefangen nahm fürs ganze Leben.
Im Soukupschen Hause erwartete man mit gleicher Ungeduld die Ankunft der Gäste. Hančička war schon einige Male in den oberen Stock des Hauses hinaufgestiegen und hatte von dort Ausschau gehalten nach dem Fuhrwerke des Waldhofbauern, denn es ging schon nahe an die Mittagszeit. Auch sie war aufs höchste begierig, den so lange entfernten Burschen wieder zu sehen. Wohl sah sie einen Zweispänner herankommen, der von einem Herrn in Uniform gelenkt wurde, aber sie dachte, es sei dies ein Fuhrwerk, das nach Klentsch fahre und achtete seiner weiter nicht. Sie spähte noch immer auf die Landstraße hinaus, als Franz mit seinem Vater schon vor Soukups Hause anfuhr. Demnach mußten Herr und Frau Soukup die Gäste allein begrüßen.
Franz sah sich etwas enttäuscht nach allen Seiten um.
Frau Soukup, die das bemerkte, sagte lächelnd:
»Ihr seht Euch nach Hančička um? Die späht droben in der schönen Stube nach Euch aus. Sie muß das 152 Fuhrwerk übersehen haben. Wie wär's, wenn Ihr sie überraschtet?«
Franz war gleich dazu bereit und stieg eiligst die Treppe hinauf. Im gleichen Augenblick öffnete Hančička, welche seine Schritte auf der Treppe vernommen, die Thüre.
Verlegen prallte Franz zurück, da er im ersten Augenblicke eine Fremde vor sich zu sehen glaubte. Hančička machte die Uniform gleichfalls irre; sie blickte fragend auf den jungen Mann.
»Verzeihens,« begann dieser mit unsicherer Stimme, »i wollt nur – i hab' schaug'n woll'n – i bin –«
»Der Franzl! Der Franzl!« rief das Mädchen und eilte auf den Ueberraschten zu.
»Ja is's denn mögli!« rief dieser jetzt, »Hančička – Sie – du – Sie – du bist d' Hančička?«
»Freilich bin ich's,« antwortete sie, ihm die Hand zum Gruße reichend.
»So groß, so – so sauber! Na', is's denn die Möglichkeit – sich so verändern in anderthalb Jahr!«
»Du siehst auch anders aus, wie sonst,« entgegnete Hančička, ihn wohlgefällig betrachtend. »Und die schöne Uniform – gefällt mir sehr.«
»Woaßt, daß i heunt zum erstenmal wieder da bin seit denseln Tag –?«
»Du erinnerst dich noch?« fragte das Mädchen lächelnd.
»Schier alle Tag – so oft i halt an di denk,« bekannte Franz treuherzig.
»An mich? Du denkst an mich?«
»No', nöt weni. Aber, i hab' di no' vor Augen g'habt als dessel herzi Deandl, dös si' vom Wallfahrtszug 153 verirrt und z'erst g'flennt, nacha aber glei wieder g'lacht und g'sunga hat, und andern Tags mei' Schutzengel worn is. Dös Deandl, meiner Sixt! bist jetzt nimmer und dennast glanzen deine Aeugerln no' grad so schö', und so stattli bist worn, und so sauber – Hančička, von dera Stund an denk i an nix mehr, als an di.«
Er hatte bei diesen Worten des Mädchens Hand ergriffen, das errötend einen Moment die Augen zu Boden senkte, dann aber frisch zu ihm aufblickte und fragte:
»Franzl, glaubst an Prophezeihungen?«
»Ja und na'; es kommt drauf an, ob's guat sein.«
»Der alte Jirka hat mir vor kurzem d' Karten g'schlag'n und draus g'lesen: Es kommt ein galanter Mann in schöner Kleidung –«
»Dös bin i!« unterbrach sie Franz. »Mei' Uniform wird wohl a schöne Kleidung sein und – siehgst, die Bleameln hab' i für die brockt, also steck's an dei' Herzl und erzähl weiter. Was is's mit dem Mann?«
»Der wird mich haben sehr lieb –«
»No' siehgst, dös bin i nacha schon.«
»Aber nicht immer,« fuhr Hančička fort.
»Dös is falsch!«
»Ein falscher Mann wird dazwischen kommen.«
»Glaub dös nöt! Der Alt' siehgt nix als G'spenster.«
»Und es geht nicht gut aus.«
»Ah, was woaß denn der Alt' und sei' dumm's Kartenspiel. Freili geht's guat aus, wenn was der Fall is.«
»Was ist das?« fragte Hančička.
»Wenn du mi' aa r a bißl gern ham könnt'st.«
»Gern haben, ein bißl? Nein, Franz, das kann nicht sein,« entgegnete das Mädchen mit glückstrahlenden Augen.
154 »No', was denn hernach?« fragte Franz, ihre beiden Hände erfassend und an sich ziehend.
»Was? Dich muß ich viel gern haben, wie noch keinen Menschen auf der Welt –«
»Deandl! Mei' liebs Deandl!« jubelte Franz, sie an sich ziehend. »Sonach g'hörst mir, mir fürs Leben, und nix auf der Welt kann di mir nehma!«
»So is's, Franzl!« erwiderte Hančička. »Dein für alle Zeit!«
»Hoho!« rief jetzt der Waldhofbauer an der offenen Thüre. »Soll ma' nöt glei 'n Pfarrer hol'n lassen?« Neben ihm wurde Frau Soukup sichtbar.
Die jungen Leute hielten ihre Hände in einander geschlungen und aus dem Glücke, das aus beider Augen leuchtete, erkannten die Alten, daß hier ein weihevolles Ereignis vor sich gegangen, das selige Geständnis gegenseitiger Liebe.
»Unser Herrgott geb seinen Segen dazu!« sagte Frau Soukup, den jungen Leuten die Hände reichend.
Der Waldbauer aber preßte sich eine Thräne aus den Augen, indem er sagte:
»Und i gieb den mein' aa! A schöners Paarl, moant's nöt, Bäurin, giebt's auf und ab nöt im Böhmerwald. Jetzt kommt's aber awa in d' Stub'n. Auf so was g'hört si' a kräftiger Trunk und so viel i schon verspürt, is's Bier sakrisch guat.« –
Hančičkas Vater war trotz seiner äußeren Freundlichkeit doch innerlich mißgestimmt. Er hatte von der letzten Fahrt eines seiner schönsten Pferde, von der Rotzkrankheit angesteckt, nach Hause gebracht. Es wurde sofort in einem abgesonderten Stalle der besonderen Pflege von 155 Aloys übergeben, und der alte Jirka bereitete alle möglichen Tränke, darunter den unfehlbaren »Salzburgertrank.« Es gewährte Soukup einigen Trost, daß die übrigen Pferde bis jetzt vollkommen gesund geblieben und dieselben mit dem kranken Tiere in gar keine Berührung gekommen waren.
Die Sache wurde ganz geheim gehalten, da man glaubte, das Pferd würde bald wieder genesen und der Bauer würde umsonst mit unnötigen Plackereien von seiten des Gerichts heimgesucht. Deshalb hütete er sich wohl, den Gästen von dem Vorkommnis Mitteilung zu machen.
Jetzt wartete Soukup, bereits an dem gedeckten Tische sitzend, der anderen. Wohl ahnte er, was sich in der letzten Viertelstunde zwischen den beiden jungen Leuten abgespielt, aber er betrachtete die Sache mehr vom geschäftlichen Standpunkte. Lieber wäre es ihm freilich gewesen, wenn seine Tochter einen Choden erwählt hätte, denn daß der ganze Stamm nicht sonderlich darüber erbaut sein würde, wenn das einzige Kind eines der hervorragendsten Chodenabkömmlinge aus dem Gebiete hinaus und noch dazu über die Grenze, nach Bayern, sich verheirate, war selbstverständlich. Auf der andern Seite war der Sohn des Waldhofbauern eine der besten Partieen weit und breit und es schmeichelte ihm, seine Tochter auf solche Weise als Großbäuerin versorgt zu wissen.
Demnach meinte er auch, als der Waldhofbauer jetzt in Begleitung des jungen Paares ins Zimmer trat und auf eine Verlobung anspielte:
»D' Hančička is noch zu jung zum Verspruch und der Franz muß ja auch noch anderthalb Jahr beim Militär dienen; da steht eine Heirat noch in weitem Feld. Wenn 156 er einmal frei is und er denkt noch, wie heut, so steht ihm nichts im Weg von unserer Seit und, wie i's wohl erkenn', auch nicht von Hančička. Und also, setzen wir uns zum Mahl.«
»Z' erst aber schnupfen ma,« versetzte der Waldbauer, da nach seiner Meinung jede gute That mit einer Prise Schmalzler begonnen werden mußte. Die Liebenden aber aßen vorerst zusammen ein rotes geweihtes Ei, wie es hier zu Lande Sitte ist, damit die Liebe kräftig und fest bleibe.
Das Gesinde, welches in der Wirtschaftsstube das Festmahl verzehrte, hatte von den Vorkommnissen in der Herrenstube bald Kenntnis. Alle freuten sich darüber, nur Aloys erblaßte bei der Nachricht von diesem ersten Schritte, den Franz gethan. Dadurch waren alle seine schönen Zukunftspläne mit einem Male zerstört. Und er hatte die Sache doch so gut eingeleitet. Durch Fleiß und Uuterwürfigkeit hatte er sich in der That das Vertrauen Soukups in hohem Grade erworben. Bei den verschiedenen Pferdemärkten in Pilsen und Klattau hatte er auch Gelegenheit, für seinen Säckel zu sorgen und Frau Soukup gefiel es gar wohl, wenn die Ersparnisse des Burschen, welche er ihr in Verwahrung gegeben, so allmählich anwuchsen. Aloys aber rechnete sicher darauf, daß er auch das Herz Hančičkas, die ihm stets so freundlich entgegenkam, zu gelegener Stunde für sich gewinnen könnte. Nun sollten plötzlich alle diese Hoffnungen zu nichte werden.
»Natürli,« sagte er sich in seiner Bitterkeit, »'n Geld fliegt ja alles zua. Wär' i koa' arma Teufel, so braucht i mi gar nöt lang z' plag'n. 's Geld strebt wieder 'n Geld 157 zua; der Arme muaß si's Maul abwischen, er muaß bleib'n, was er is – a Tropf, so viel er si' aa plagt.«
So über diesen Gedanken brütend, erwachte in seinem verbitterten Herzen der Neid. Er beneidete seinen Nebenbuhler um alles, was diesem einen Vorrang vor ihm gab, in erster Linie um sein Vermögen.
Während sich sein Vater Tag und Nacht abgearbeitet und abgemüht hatte, war er doch dem Wucherer verfallen, der all seinen Fleiß zu nichte machte und endlich die Früchte einheimste, welche jener seit langen Jahren gesäet. Franzens Vater dagegen kam sein Geld gleichsam im Rausche zugeflogen. Wo der Waldhofbauer »hin tappte«, hatte er Glück. Aloysens Vater waren innerhalb weniger Tage sämtliche Rosse der Rotzkrankheit zum Opfer gefallen, der Waldbauer hatte daran nicht ein Stück verloren, obwohl damals die fürchterliche Seuche in der ganzen Umgebung geherrscht. Aloysens Vater mußte in der Not den schönsten Wald verkaufen, der Waldhofbauer erwarb ihn um billiges Geld. Der Waldbauernhof schien überhaupt gefeit zu sein gegen jegliches Unglück.
»Wenn's Unglück sein' Weg nur oa Mal aa dorthin findet!« Dieser Wunsch war die richtige Folge seiner bitteren Gefühle.
Da schoß ihm plötzlich ein teuflischer Gedanke durch den Kopf. Jetzt lag es in seiner Macht, dem Unheil einen Weg in den verhaßten Hof zu bahnen. Er brauchte nur den beiden schönen Pferden, mit welchen Franz so stolz angefahren kam, Schaden zuzufügen; sie sollten von der üblen Seuche befallen werden. Es war nicht schwer, das auszuführen.
Alles war noch im Hause bei der Festmahlzeit 158 versammelt, er konnte seine That ungestört zur Ausführung bringen. Rasch eilte er in den Krankenstall, warf Haber und Gsott in den Trog des kranken Pferdes, wischte ihm damit Nase und Maul und brachte dann dieses Futter zu des Waldbauers Pferden, mit denen er in gleicher Weise verfuhr. Er glaubte, daß ihn niemand gesehen und rieb sich zufrieden die Hände, vergnügt darüber, daß ihm die böse That gelungen.
Doch ein Bettelweib, mit einem Säugling im Arm und ein kleines Bübchen neben sich, saß unfern von den Stallungen und wartete, bis drinnen im Hofe abgegessen wäre, um von dem Uebriggebliebenen etwas zu erbitten.
Dem Weibe kam das ängstliche Umherspähen des Burschen und die Raschheit, mit der er von einem Stalle zum anderen eilte, verdächtig vor. Doch dachte es nicht weiter darüber nach, auch dann noch nicht, als nach einer Weile der Chodenbauer im Hofe mit Aloys zusammentraf und diesen fragte:
»Wie geht's? Daß d' mir nöt schnaufst von der Sach!«
Beide verschwanden hierauf im Krankenstalle, aus welchem sie erst nach längerer Zeit wieder heraustraten. Soukup klopfte Aloys auf die Schulter und sagte: »I bin zufrieden mit dir. Es soll dein Schaden nöt sein!« – 159