Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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VIII.

Das Gezwitscher der Schwalben vor Hančičkas Fenster weckte diese aus einem gesunden und erquickenden Schlafe. Wußte sie im ersten Augenblicke nicht, wo sie sich befand, so standen im nächsten die Ereignisse des vergangenen Tages wieder lebhaft vor ihrem Geiste. Das Bett der Großmutter war bereits leer und auch schon wieder geordnet.

»Heim! heim!« rief sie und warf sich sofort in ihre Kleider.

Eine balsamische Luft strömte in die Stube, als sie das Fenster geöffnet. Ein wolkenloser tiefblauer Himmel wölbte sich über das herrliche, tannenbestockte Gebirge des nahen Czerkow. Im Garten unter dem Fenster perlte der Tau auf den frisch-grünen Blättern der Obstbäume, unter denen die mit dunkelroten Weichseln überfüllten eine herrliche Abwechselung darboten, während im kleinen Blumengärtchen neben Nelken, Rosen und anderen auch die Lieblingsblumen des Bauers, ausnehmend hohe Malven, in schönster Blüte standen.

Hančička begab sich alsbald in die untere Stube, wo sie von der Großmutter freundlich begrüßt wurde. Sie mußte sich sofort zum Frühstück setzen, das in Kaffee, Butterbrot und Honig bestand. Der Bauer war schon aufs Feld gegangen, Franz aber richtete Wagen und Zaumzeug zurecht, damit er mit seinem Einspänner im Böhmischen mit 71 Ehren bestehen könne. Als er mit seiner Beschäftigung zu Ende war, kam auch schon Hančička, die sich mit dem Frühstücke beeilt hatte, aus dem Hause, um Franz einen guten Morgen zu wünschen.

Dieser war in Feiertagskleidung. Er erkundigte sich, wie sie geschlafen und führte sie dann, bis das Pferd ganz abgefüttert, in den Stallungen herum. Sowohl im Vieh-, wie im Pferdestalle war die größte Sorgfalt zu erkennen. Das Mädchen hatte große Freude an allem, streichelte die Tiere, welche die Fremde mit scheinbar klugen Augen musterten und fand besonderen Gefallen an den jungen weißen Königshasen, von welchen ihr Franz zu ihrer großen Freude ein Paar zum Geschenke machte. Er führte sie dann auch in das Blumengärtl und pflückte ihr einen prächtigen Buschen von Nelken, Rosen und »wohlschmeckenden« Kräutern, von welchem das Mädchen ein Sträußchen ablöste, um es dem Burschen auf den Hut zu stecken. Auch ein mit Weichseln gefülltes Körbchen hatte die Großmutter im Wagen für dasselbe untergebracht.

Der Bauer war inzwischen nach Hause gekommen und überbot sich nun auch in Freundlichkeiten gegen das Mädchen.

»Möcht'st 'n g'sund antreffen, dein' Vatern!« sagte er bedeutungsvoll, als er ihr beim Einsteigen in den Wagen half. »Grüß mir'n, und d' Muatta extra. So, und jetzt roas' mit Gott. Franzl, bring's guat hoam!«

Gleich darauf fuhr Hančička mit dem jungen Bauern zum Thore hinaus. Im flotten Trabe ging es dahin.

Es war zum erstenmale, daß Hančička auf so flottem Fuhrwerke die breite, gut gehaltene Straße dahinfuhr. Sie plauderte mit Franz in der fröhlichsten Weise und dieser 72 fand an seiner munteren Begleiterin großes Wohlgefallen. Sie erzählte ihm von dem Leben und Treiben in Thranow, berichtete von dem vollständig unbewohnten Chodenschlosse, in dessen Räumen es so unheimlich sei, die sich aber Hančička und ihre Freundinnen gleichwohl mit Vorliebe zum Spielplatze erkoren hätten. Sie erzählte, wie sie da oft beim Versteckenspielen bis auf den Boden hinaufgekommen, wo sie sich freventlich in den Fahrstuhl des Freiherrn von Lammingen gesetzt hätten, in welchem der Tyrann aus Schreck über Kozinas Gespenst gestorben sei. Am Tage, meinte sie, hätten sie das schon gewagt, bei Nacht aber sei es in diesen Räumen grausig, denn der Lammingen, so sagten die Leute, gehe dort um, er setze sich in seinen Stuhl und rufe: »Kozina! Kozina! Wer wird mich erlösen?« Die arme Seele aber werde nicht erlöst, so lange das Geschlecht der Choden lebt.

Auf jenem Schloßboden, erzählte sie weiter, habe auch der alte Doktorjirka, der ganz allein ein unteres Stübchen im Schlosse bewohne, seine Wunderkräuter zum Trocknen ausgebreitet. Er habe sie samt Gespielinnen immer rechtzeitig davongejagt und ins Freie getrieben, wo sich im Schloßgarten der schönste Spielplatz darbot. Sie erzählte auch von ihren Verwandten in Aujezdl, wo sich Kozinas Höfel befand, das noch im Besitze eines Urenkels von ihm sei, von der schönen Stadt Taus und der stolzen Chodenveste auf dem Riesenberg.

Franz hatte dem frohen Geplauder des Mädchens mit sichtlichem Wohlgefallen zugehört, und nur zu bald kam das Fuhrwerk an die Stelle, wo der Weg von der Tauser Hauptstraße nach Chodenschloß abzweigt. Unwillkürlich mäßigte Franz die Gangart des Pferdes, gleichwohl währte es 73 nicht mehr lange, bis er mit der sehnlichst Erwarteten im Hofe einfuhr.

Es gab nun ein freudiges Begrüßen. Das Pferd wurde dem Knechte übergeben und Franz in die Wirtschaftsstube geführt, wo Frau Soukup ihm in der herzlichsten Weise dankte für die Fürsorge, die er ihrem Töchterchen hatte angedeihen lassen. Hančička erzählte flüchtig, wie es gekommen, daß sie sich vom Wallfahrtszuge getrennt; dann mußte sie sich umkleiden und den Vater aufsuchen, der von der Abwesenheit seines Töchterleins nicht unterrichtet worden war. Die Mutter belehrte sie darüber, wie sie sich zu benehmen hätte, und verschwieg ihr auch nicht, daß sich der Zustand des Vaters wieder verschlimmert habe, daß es ihm aber heute schon wieder viel besser gehe.

Dem Mädchen kam es schwer an, dem Vater die Wahrheit verschweigen zu müssen und über eine Müdigkeit zu klagen, von der sie in Wirklichkeit gar nichts verspürte. Auch daß sie ihm von den schönen Königshasen, die sie mitgebracht, nichts erwähnen durfte, that ihr leid. So erzählte sie ihm denn von Neukirchen und der Gnadenmutter dortselbst, zeigte ihm die Paternalien, welche sie von dort mitgebracht, und berichtete von vielen anderen Dingen, von denen sie annehmen konnte, daß sie den Vater interessierten.

Das Eintreten des Knechtes, welcher in Abwesenheit des Quistorenhansl vom Bauer wieder direkt Befehl erholte, beendete vorerst Hančičkas Besuch an des Vaters Krankenbette. Sie verließ die Stube mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen.

Nun zeigte sie Franz alles auf dem herrschaftlichen Gute, was sie von Interesse für ihn hielt; sie öffnete eine 74 kleine Seitenpforte und führte ihn ins Schloß, wo sie ihm alle Gemächer zeigte, so auch den Saal, in welchem an Lammingens Sterbetage das Bankett gehalten worden, bei welchem ihm Kozinas Geist erschienen. Schließlich führte sie ihn sogar noch auf den Boden hinauf, um den Stuhl des Genannten zu besichtigen, in welchem er vom Schlage gerührt worden, oder, wie Hančička wahrhaftig glaubte, durch den Geist ins Jenseits geholt wurde.

Endlich kam die Zeit heran, daß Franz an die Heimfahrt denken mußte. Franz hätte gerne mit dem Schloßbauer gesprochen, ihm Grüße von seinem Vater entrichtet, aber da derselbe die Ursache seines Hierseins nicht erfahren sollte, war es schwierig, ihn bei dem Kranken einzuführen. Schließlich aber meinte Franz, er könne ja vorgeben, des Viehhandels wegen hier zu sein und so seinen Besuch zu maskieren. So ging er denn, um den Bauern zu besuchen. Er ahnte nicht, von welchen Folgen dieser Besuch für ihn sein sollte. – 75


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