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Im Zimmer des Kranken befanden sich zur Zeit, als Franz bei ihm eintrat, zwei Knechte in Geschäftssachen. Er war etwa bis in die Mitte der Stube gekommen, als der Bauer nach ihm aufsah.
Plötzlich vergrößerten sich dessen Augen, die Franz zu durchbohren schienen, er richtete sich hastig auf und mit beiden Händen nach dem Burschen weisend, schrie er:
»Der ist's beim wahrhaftigen Gott! Halt's 'n fest! Das ist der Straßenräuber!«
»Moant's mi?« fragte Franz, aufs höchste überrascht und zugleich besorgt, denn er glaubte, der Bauer spreche in Fieberphantasie.
»Packts 'n, Knecht!« befahl dieser jetzt wieder. »Packts 'n, den Hund, den Padouchu (Schuft), oder ich jag euch zum Teufel!«
Bevor sich's Franz versah, hatten ihn die Knechte mit fester Hand erfaßt.
»Aber Bauer, Oes irrt's Enk,« sagte Franz. »I bin der Sohn vom Waldbauern z' Boarisch Prennet –«
»A Lump bist!« schrie der Bauer, »a Mörder! Du bist's g'wesen, der mi am Fronleichnamstag nachts bei der Station Kubitzen ang'falln und mir d' Uhr abverlangt hat. Du hast mi ausrauben wollen und hast mir den Hieb da versetzt, der mir fast 's Leben kost' hätt'. Leugn's, wenn's d' es kannst!«
76 »Heiliger Gott!« rief jetzt Franz, dem es wie Schuppen von den Augen fiel. »So hätt' i mi g'irrt – nöd der Quistorenhansl war's?«
»Du warst es!« klagte ihn Soukup wiederholt an.
»I moan – Bauer, auf Ehr und Seligkeit, dös war ja a Mißverständnis!«
»Dös wär' mir das rechte Mißverständnis!« meinte Soukup. »Da schau her, wie 's d' mi zuag'richt' hast. Thut's mir 'n aus den Augen!« rief er den Knechten zu; »ich könnt' mi dran vergreifen. Sperrts 'n in d' Kammer nebenan und schickt's um d' Gendarm nach Klentsch. Auskommen wenn er euch thut, jag i euch aus'n Dienst mit Weib und Kind!«
»Aber Bauer!« wehrte Franz, »nehmt's doch Vernunft an –«
»Fort aus meine Augen!« schrie der Kranke.
Franz wehrte sich zwar gegen die beiden starken Knechte, aber diese hatten ein Tuch vom Tische genommen und es gelang ihnen, damit Franzens Hände auf den Rücken zu binden. Dann stießen sie ihn in die Nebenkammer, wo sie ihm rasch einen Strick um die Füße schlangen und ihn zu Boden warfen. So an Händen und Füßen gebunden, drohten sie ihm, ihn auch noch tüchtig durchzuprügeln, wenn er sich nicht ruhig verhalten würde.
Das alles hatte sich so rasch abgespielt, daß weder die sich in der Küche befindende Bäurin, noch ihr Töchterchen, welch beide damit beschäftigt waren, das Mittagessen herzurichten, etwas davon vernahmen. Sie waren daher nicht wenig überrascht, als einer der Knechte von dem 77 Geschehenen Mitteilung machte und hinzufügte, daß er sich beeile, die Gendarmerie zu holen.
Mutter und Tochter glaubten im ersten Augenblick, der Vater sei wahnsinnig geworden, aber der Knecht versicherte, der Bursche habe es selbst halb und halb eingestanden, und nun wußten sie nicht mehr, was sie denken sollten. Sie eilten daher ins Krankenzimmer, um sich von der Wahrheit des Vernommenen zu überzeugen.
»Jetzt ist er selbst ins Garn gangen!« rief ihnen der Kranke zu. »Nöt umsonst habt's zur Mutter Gottes bet't. Der kommt mir nimmer aus.«
Frau Soukup erlaubte sich sehr kräftige Gegenvorstellungen und bemühte sich, ihren Mann zu überzeugen, daß hier ein Irrtum unterlaufen müsse und daß es nicht angehe, den Sohn eines allbekannten und treubewährten Ehrenmannes auf solche Weise zu beschimpfen. Sie wollte selbst mit Franz sprechen, aber der Bauer verbot es bestimmt.
»Wenn d' mir jemand mit dem G'fangenen reden laßt,« rief er dem mit einem großen Prügel vor der Kammerthüre wachehaltenden Knechte zu, »weißt, was 's dir eintragt.«
Die Frau wandte neuerdings all ihre Beredsamkeit auf, ihren Mann ruhiger zu stimmen.
Hančička aber hatte, nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt, rasch einen Entschluß gefaßt. Sie begab sich unbemerkt aus dem Zimmer und eilte hinter das Haus zu dem Fenster jener Kammer, in welcher Franz eingeschlossen war und das in einen kleinen, verschlossenen Hof des Schlosses führte. Ein Ruck, und der Fensterflügel öffnete sich. Schnell entschlossen stieg sie ein, schnitt 78 mit dem Messer, das sie aus Franzens Seitenbesteck entnahm, Strick und Binde durch und bat den nun seiner Hände und Füße wieder mächtigen Burschen, ihr rasch zu folgen.
Beide stiegen sie nun aus dem Fenster, und es gelang Hančička, da die alten, morschen Fensterrahmen ohnedem nicht gut schlossen, dasselbe mittelst ihrer kleinen, schmalen Finger wieder zuzuziehen. Dann führte sie Franz zu einem kleinen Pförtlein, das aus dem Hofe ins Schloß führte und das sie zu öffnen verstand. Sie wies den Flüchtling an, über eine schmale Wendeltreppe emporzusteigen. Sie sagte ihm, er würde gleich zur Haupttreppe gelangen und dann den Weg auf den Boden des Schlosses von selbst finden. Dort sollte er sich unter dem alten Gerümpel versteckt halten, bis sie ihn hole, und er das Weite suchen könne.
All dies war das Werk weniger Minuten.
»Deandl, i bin unschuldi,« versicherte Franz, als sie an der Treppe standen. »Der Quistorenhansl woaß's, es is a unglücklicher Irrtum.«
»Ich glaub dir's, Franzl,« antwortete Hančička; »aber jetzt b'hüt dich Gott – bis auf später.«
Damit schloß sie schnell das Pförtchen ab und eilte zurück in ihres Vaters Haus. Franz war allein in dem großen, öden Schlosse. Die Stufen der Treppe knarrten unter seinem Tritt, so leise er auch aufzutreten versuchte. Bald hatte er die Haupttreppe erreicht und nun schlich er in gräßlichster Aufregung hinauf zum Boden auf demselben Wege, den er vor kaum einer Stunde mit dem Chodenmädchen in fröhlichster Laune zurückgelegt hatte.
Um des Schloßbauers Wohnung hatten sich alsbald 79 wieder die neugierigen Nachbarn versammelt, um den richtigen Missethäter kennen zu lernen. Der Doktorjirka aber war selbst in die Stube gekommen, um alles aus erster Hand zu erfahren.
Frau Soukup hatte inzwischen ihrem Manne doch gebeichtet und ihm von dem Verschwinden ihrer Tochter und deren Wiederauffindung Mitteilung gemacht. Sie rühmte die außerordentliche Gastfreundschaft, deren Hančička im Hause des Waldbauern teilhaftig geworden; aber es fruchtete alles nichts.
»Das mag alles sein, wie 's will,« entgegnete der Kranke; »deshalb ist der Bursch doch ein Räuber, und er muß der öffentlichen Gerechtigkeit übergeben werden.«
Auch Hančička bat für Franz; aber der Vater blieb hartnäckig und unbeugsam.
»Du hast kein Recht, einen braven Burschen, gebunden wie ein Stück Vieh, liegen zu lassen,« rief die Frau. »Das ist unbarmherzig und deiner unwürdig. Du machst dich deines stolzen Urahn unwert. Die Choden waren niemals grausam gegen ihre Feinde.«
Das wirkte.
»So nimm ihm den Strick von den Füßen!« befahl er dem Knechte, »damit er sich setzen kann. Aber die Händ' bleiben gebunden, bis die Gendarmen kommen.«
Der Wächter drehte den Schlüssel der Kammerthüre um und öffnete diese. Frau Soukup drängte sich hinzu, während der alte Quacksalber sich hinter die Thüre flüchtete, denn er glaubte nicht anders, als daß der Räuber sofort herausspringen werde.
Hančička aber harrte mit einem etwas schelmischen Lächeln der nun folgenden Ueberraschung.
80 Diese gab sich zuerst durch einen Schreckensruf des böhmischen Knechtes kund, mit dem sich der Freudenausruf der Bäurin vermischte.
»Was ist's?« fragte der Schloßbauer.
»Nix sein!« stotterte der Knecht. »Verschwunden! Verschwunden!«
»Verschwunden?« schrie der Bauer.
»Mensch sein fort,« berichtete der Knecht mit zitternder Stimme, »aber Hut sein da. Er wird kommen wieder, sein Hut holen.«
»Das müßte ein Esel sein!« meinte der alte Jirka, der sich nun auch wieder hervorwagte und mit Kennermiene in die leere Stube blickte. Er durchsuchte dann, als er sicher war, daß sie wirklich leer sei, alle Ecken und Winkel, blickte unter den Tisch und öffnete in seinem Eifer sogar die Tischschublade. Dann stürzte er zum Fenster, das er zu seiner Ueberraschung geschlossen fand.
»Er muß noch hier sein, das Fenster ist geschlossen,« rief Jirka.
Der Knecht aber hob die am Boden liegenden, zerschnittenen Stücke von Franzens Banden auf und sagte nicht ohne ein gewisses Gruseln:
»Da hat der Teufel sein Spiel!«
»Das sag ich auch!« pflichtete Jirka bei.
»Oder ein Engel,« versetzte Frau Soukup. Zufällig traf ihr Blick Hančička, deren ganz umgewandeltes, sorgloses Wesen ihr sofort aufgefallen war.
Hančička drückte der Mutter zum Einverständnis die Hand.
Vor dem Hause entstand jetzt eine Bewegung. Ein Gendarm, den der nach Kleutsch geschickte Knecht 81 unterwegs getroffen, war mit diesem sofort nach Trhanow geeilt. Mit gezogenem Säbel trat er rasch in die Stube und fragte:
»Wo ist der Verbrecher?«
»Verduftet! Destilliert! Herr kaiserlich königlicher Gendarm,« antwortete Jirka. »Sie finden nichts, als Luft. Der Kerl hat sich aufgelöst – er war mit dem Teufel im Bunde!«
»Unsinn!« entgegnete der Mann des Gesetzes. »Ihr habt ihn entwischen lassen. Man muß ihn sogleich verfolgen.«
Er begab sich in die Kammer und untersuchte vor allem das Fenster. Seinem geschärften Blicke entging es nicht, daß der Riegel an dem wackeligen Fensterrahmen von außen wieder leicht geschlossen worden war. Der Flüchtling war also da hinaus und jedenfalls über die Gartenmauer ins Freie geklettert.
»Wie lang kann das her sein?« fragte er.
»Vielleicht eine Viertelstunde,« meinte Soukup.
»Dann heißt es eine Streife veranstalten!« entschied der Gendarm. »Herr Soukup schickt Eure Knechte sofort nach allen Richtungen aus. Ich biete die Bauern im Dorfe auf. Es ist keine Zeit zu verlieren.«
In kürzester Zeit war eine Anzahl bewaffneter Männer aufgeboten, die nach allen Richtungen hin eilten, um auf den vermeintlichen Verbrecher zu fahnden. Mit fieberhafter Aufregung aber wartete Soukup das Ergebnis ab.
Es war alles vergebens. Niemand hatte etwas gesehen; keine Spur von dem Flüchtlinge war zu finden. Die Leute kamen gegen Abend alle unverrichteter Sache zurück.
82 Der alte Jirka aber war jetzt seiner Sache sicher.
Er kam mit Weihrauch und geweihtem Wasser und räucherte die Kammer aus, denn daß hier der böse Feind im Spiele war, mußte jedes Kind erkennen.
»Das begreift selbst Hančička, ein unerfahrenes Kind!« meinte er.
Diese aber lachte und erwiderte ihm:
»Seid unbekümmert, Jirka; ich glaub schon das Rechte!« 83