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Als Hoff sich vor der Wohnung in der Neuen Winterfeldstraße von Susanne Neubert verabschiedet hatte, schritt er tiefer hinein in das Häusergewirr des Bayrischen Viertels. Er mußte noch wandern und den Abend, diesen Heiligen. Abend seines Lebens, in sich nachklingen lassen.
Er wandelte langsam durch diese einsamen, sauberen, gradlinigen Straßen. Die Bogenlampen übertünchten die hohen Häuserfronten mit bleichem, bläulichem Schmelz. Wie Riesenkulissen ragten sie starr und gespenstig hinein in den violetten Nachthimmel. Die Wände dieser engen Steintäler hallten seinen Schritt blank metallisch wider. Sein Schatten hastete fliehend an ihm vorbei, wenn er den Lichtschein der elektrischen Lampen durchmaß.
Und seine Gedanken hasteten wie sein Schatten, Er sah sie wieder oben neben der Kirche stehen, das Haupt gebeugt – die Stirn von Andacht umsponnen, wie von einer Priesterbinde. Und dann dachte er daran, wie fröhlich sie auf der Hinfahrt war. Er grübelte über ihre sinnige Schönheit. Was war eigentlich an ihr, das ihn so entzückte? Die Gesichtszüge? Ja, rein und liebreizend waren die. Besonders das allerliebst gebogene Näschen. Und dann die Augen, die ewig wandelbaren. Wie ein klarer Gebirgssee hatten sie ihre Färbung und ihre Stimmung. Durchsichtig bis auf den Grund, ganz lichtblau lachten sie jetzt, und gleich darauf stieg es mystisch aus den liefen auf, und warme dunkle. Bläue träumte über den Wassern.
»Aber«, grübelte Hoff, »das alles ist es nicht. Ihre wahre Schönheit liegt tief in Schächten geborgen, Sie hat ein – offenes Gesicht – und man blickt hinein in die reiche Schönheit ihres Gemütes. Die leuchtet in ihren Zügen. Wie die bunten Wände einer Laterne erglühen von dem Licht in Ihrem Innern.«
Plötzlich blieb er stehen.
Ein junges Ehepaar ging vorbei, öffnete wenige Schritte von ihm ein Gartentor und erschloß unter allerhand zärtlichem Geflüster die Haustür. Beim Schein des gelblich glühenden elektrischen Lichtes sah Hoff sie eng aneindergeschmiegt die Treppen emporsteigen.
Da ging er eine Weile vornübergebeugt dahin und dachte gar nichts. Ein kalter Schmerz stach in der Brust.
Ja, was scherte ihn ihre Schönheit! Was kümmerte ihn ihre Sehnsucht nach Kindern und Heim! Sein Lebenspfad hatte andere Richtung. Ganz andere.
Jäh richtete er sich zu seiner strammen Höhe auf, ballte die Faust um den Spazierstock und bearbeitete das Pflaster, daß es klirrte.
Ja, sein Weg ging in anderer Richtung. Und er würde ihn gehen, stark und mannhaft und pflichtbewußt. Er würde tun, was ihm zu tun blieb.
Basta. Fort mit allen Träumen, Sein Weg war ihm von der Pflicht vorgezeichnet. Er würde ihn wandeln.
Ja. Und nicht läppisch mit dem Schicksal spielen. Das hatte keinen Sinn. Klarheit sollte sein. Er wollte ihr schreiben, das war das Vernünftigste, Ihr klipp und klar darlegen, wie seine Verhältnisse lagen. Daß es das beste für beide sei, sich zu trennen, trennen, jetzt auf der Höhe. Jetzt voneinander zu gehen, da sie zurückblicken konnten auf den Hügel am Werlsee, auf dem sie beide standen, geweiht von der Allmacht. Ja, – er wollte ihr schreiben.
Energisch machte er kehrt und ging in der Richtung auf den Nollendorfplatz zu. Ja, aber – verzögerte er den entschlossenen Schritt – lag denn zu solchem Zerreißen irgendein Grund vor? Machte er sich mit diesem schicksalspielenden Gewaltstreich nicht lächerlich? Von Liebe war bei ihr doch keine Rede. Also auch nicht von Gefährdung seiner Pflicht. Sie würde den Brief lesen, den Kopf schütteln und ihn für sehr töricht halten. Nein, sie liebte ihn nicht und dachte nicht an Heirat. Sicher nicht. Sie verstellte sich nicht. Das war nicht ihre Natur. Einen Kameraden suchte sie und den sah sie in ihm. Und weiter nichts.
Und auf einmal tat es ihm sehr weh, daß sie einen älteren Bruder in ihm finden wollte. Ja, gleich, als sie das auf der Höhe am See sagte, hatte es ihm – halb im Unbewußtsein – einen schmerzenden Stoß versetzt. Nein, sie liebte ihn nicht. Und würde ihn nicht lieben. Er war ein Tor und seine Eigenliebe sah Gespenster. Von Kindern hatte sie gesprochen, ja. Aber von dem Mann, den sie sich erträumte, sprach sie kein Wort. Nein, er glich dem Traumbild nicht.
Trotz seiner Trauer fühlte er sich befreit und entlastet. Es war gut so, wie es war. Entscheidungen brauchten nicht getroffen zu werden. Es ging alles weiter seine Bahn. Kameraden waren sie und damit gut. Geschwisterlich würden sie den Sommer durchwandern – in Schönheit und im Licht – und wenn der Herbst kam und die Blätter fielen, dann starb auch – nein, warum denn sterben? Es war ja alles so klar. Er tat seine Pflicht, lernte Esther Honnigmann kennen – am Ende wurden die beiden Frauen auch gute Freundinnen – ach, es war ja alles so einfach und sonnenklar, wenn man es nur richtig betrachtete. So klar war alles! Erleichtert und energisch schloß er die Haustür auf.
Durch den Spalt der Tür drang ein matter Lichtschimmer aus dem Wohnzimmer. Er trat ein. Die drei Frauen nähten am Fenstertisch beim Scheine einer kleinen Lampe.
»Ihr arbeitet noch?« sagte er, »es ist gleich eins.«
»Wir hören nun bald auf«, tröstete die Mutter und blickte zu dem Sohne empor.
Das gelbe Licht fiel von unten auf ihr Gesicht. Da sah Hoff zum ersten Male, wie die Haut welk über den Backenknochen hing, wie eingefallen ihre Wangen waren. Er blickte auf die Schwestern nieder. Lisbeth beugte ihre Augen, die von der Arbeit gelitten hatten, dicht auf das Weißzeug herab. Doch Hoff sah, daß ihre feine gerade Nase spitz war und bläulich, und daß tiefe schwarze Halbkreise die Augen umdüsterten. Auch Herta war bleich und übermüdet.
»Ihr müßt wirklich aufhören«, mahnte er besorgt. Aus dem Dunkel jenseits des kargen Lichtscheines tauchte vor ihm Susannes Gesicht auf in seiner weichen Frische, mit dem duftigen rosa Hauch, den die Frühlingsluft auf ihre Wangen wehte. Und plötzlich erstand in ihm eine Ahnung ihr entgegenstrotzender Feindseligkeit und ein Gefühl des Zusammenhaltens und Zusammengehörens mit diesen drei bleichen Frauen. Es legte sich ihm peinigend auf die Brust, daß er mit ihr draußen in Licht und Lenz einhergelaufen war, während sie hier saßen und um das tägliche Brot sich mühten.
Einem jähen Triebe folgend, nahm er einen Stuhl und setzte sich dicht neben Herta. Er legte den Arm um ihre Schulter und fragte leise: »Na, was macht meine Freundin Esther Honigmann?«
Ruckartig hoben die Mutter und Herta den Kopf. Ein heimlicher Blick des Einverständnisses wanderte von Frau Hoff zu Lisbeth hinüber. Der lachte: »Siehst du, da kommt er, der liebe gute Kerl. Ich kenne ihn doch.«
Herta aber ließ die Leinwand einen Augenblick in den Schoß sinken und antwortete: »Gut steht's. Sehr gut. Ich war fast den ganzen Nachmittag mit ihr zusammen. Deswegen müssen wir ja alle hier Nachtstunden machen. Aber« – sie nahm das Zeug wieder hoch – »das tut nichts. Denn jetzt, Ewald, wird es bald tagen.«
»Herta ist ganz begeistert«, fügte die Mutter ein.
»Das ist sie oft und leicht«, lächelte Hoff.
»Aber diesmal!« rief Herta – »Na wir werden ja sehen, wie ein gewisser skeptischer Herr in die Luft geht, wenn er sie sieht. Da werden wir lachen, mein Verehrtester. Und wer zuletzt lacht – nicht wahr?«
Sie fädelte einen neuen Faden ein und hielt die Nadel gegen die Lampe.
»Wo bist du mit ihr zusammen gewesen?« fragte er teilnahmsvoll.
»Ausgefahren sind wir. Hatte mich zu 'ner Autofahrt eingeladen. Ihre Mutter war auch dabei und eine jüngere Schwester. Auch ein reizendes Geschöpf. Ich wünschte, wir hätten mehrere Minister.«
Lisbeth hob den Kopf und lächelte sanft.
»Du, und die Mutter ist nett!« fuhr Herta emsig fort. »So schlicht und einfach. Kein bißchen protzig und so. Aber solche Leute haben natürlich Augen. Hab' wohl gesehen, wie sie meine Toilette beäugt hat. Na, sie war befriedigt. Konnte auch sein. Ich hatte mein helles Blaues an. Wenn die gute Kommerzienrätin ahnte, daß wir das hier zusammengestoppelt haben. Halt mal, Ewald!« Sie reichte ihm ein Stück Leinen.
»Stramm ziehen!« Und ritsch fuhr die Schere hindurch. »Und Esther – so fein ist die. Und bescheiden und klug. Ich habe natürlich keinen Ton von dir gesagt. Glaube, dann würde sie nie zu uns kommen. So ist die. Ich sag dir, du wirst dich gut mit ihr betten, obwohl man das wohl von 'ner Braut nicht gerade sagen soll.«
Sie lachten, und Hoff forschte: »Wie sieht sie denn eigentlich aus?«
»Brünett – du bist doch für das Dunkle. Solch feines blasses Gesicht. Und große Mandelaugen. Und 'ne schlanke hohe Figur – wie Lisbeth etwa. Als ob sie für dich modelliert wäre. Und du wirst ihr sicher auch gefallen. Wir waren in Hundekehle auf der Terrasse. Am Nebentisch saßen so 'n paar Schauspieler und Assessoren. Weißt du, Klebescheitel und so. Auf die sagte sie: ›Ekelhafte Kerle‹. Sie hat übrigens eine prachtvolle tiefe Stimme. Da sagte ich: ›Das Gelichter kann ich auch nicht verkaufen. Ich möchte einen gescheiten Mann, dem die Intelligenz ans den Augen sprüht.‹ – Da wurde sie ganz lebendig und rief: ›Ich auch. Innig muß er sein und stolz muß ich auf ihn sein können. Was er sonst ist, ist mir gleich‹. Aber die Mutter meinte: ›Nun, etwas sein muß er wohl auch.‹ Da hat es mir auf der Zunge gebrannt zu sagen: Vielleicht Assessor im Ministerium mit 'ner großen Karriere, Aber ich hab's verbissen, wenn's auch schwer war.«
»Das glaub ich«, lachte Hoff und stand auf.
»Da werde ich auch noch ein bißchen schaffen«. Wo alles wacht, will ich allein nicht schlafen.«
»Geh du nur schlafen, Ewald«, mahnte die Mutter. »Du bist den ganzen Nachmittag herumgelaufen und hast über deine Hexen nachgegrübelt. Und morgen brauchst du deine Kräfte im Ministerium.«
»Hast du denn schon was zum Abend gegessen?« erkundigte sich Lisbeth besorgt.
»Ja – danke«, sagte er und stand unschlüssig.
»Zu Bett – zu Bett«, ermunterte auch Herta, »Wir brauchen einen blühenden Eheaspiranten, Dalli!«
Da wünschte er gute Nacht und ging in sein Zimmer. Und erst später bereitete Lisbeth sich ihr Lager auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Mutter schlief mit Herta in der winzigen Stube dahinter.