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Strofen an die blaue Madonn

Sonnenflämmigen Schild vergaß ich, Fahn und Fanfaren der Schlacht,
Saß und horchte in mich hinein beim Lampensummen meiner Studierstube allein lange Nacht,
Nacht, die nur ab und zu ein Schrei aus Tierspitälern aufriß, daß ich bangte,
Oder aus stillen Straßen der Schritt des Betrunknen zerbrach, der heimwärts wankte.

Als mich die unendliche Spieluhr meiner Kindheit in Schlaf sang und mein Blut dich rief,
Blaue Madonn, Fantom, kamst du, stiegst du auf im Licht von Schnee und Mond, das mild in den Fenstern schlief,
Du, die du mein warst, Wandelbare, wo ich, Wandelbarer, in grauen Jahrtausenden gelebt,
Schienst Lächelnde, Lachende, Labende, groß in mein kleines Zimmer geschwebt.

Du, die ich, einzige Beute des Siegers, durchs brennende Pera trug,
Du, für die ich mit Alexander die Schlacht am Hydaspes schlug,
Kühle Keltin, mit der ich, Wiking, bei den Lofoten gestrandet versank,
Schwarzlockige Dirn, mit der ich, Matros Maghellans, in Tavernen Barcelonas nachtschwarzen Wein aus Kalabassen trank.

Als ich noch Hirt war im Schatten krämpigen Huts, warst du meiner Schalmei wehmütig Lied.
Diana, kugelbrüstig, mit sehnigen Knien, war ich mit dir auf Gazellenjagden im syrischen Ried.
Etruskische Kurtisan warst du, um die ich, Marchese, einen knirschenden Borgia erstach,
Georgierin, vogelköpfig, für die eins meiner Leben im Dochlächeln von Cäsaren, die im Irrsinn ausgingen, zerbrach.

Süße Prinzessin warst du, die ich im Dreißigjährigen Krieg aus brennendem Königsschloß in Polen gerettet, geraubt.
Ninon von Lenclos hab ich dir, Treublinder, keinen deiner Liebhaber geglaubt.
Mythische Ägypterin, hast du mich in Hügeln bei Assuan am Wegrand im Kornfeld getröstet.
Tätowierte Kannibalen auf Nuka-Hiwa haben mich um eine Stunde Lust an deinem Nabel am Marterpfahle geröstet.

Mandeläugige, fuhrst du mit mir zwischen Gärten von blauen Rosen auf schwimmenden Dörfern den Yangtsekiang zum Ozean hinab.
Tursin warst du, die auf Island mir wanderndem Troll Herberg einst gab.
In Lapplanddörfern habe ich mich an deinen Melonenbrüsten verpraßt einen Winterschlaf lang im moosigen Zelt.
Jüdische Harfnerin, tratst du zu mir, Räuberhauptmann, in Zedernwäldern von Lagerfeuern magisch erhellt.

Rehhüftige Keuscheste warst du, als, Abenteurer, mein Blut Geysire über mich sprang
Beim Anblick von Rothautfraun, die mir im Wigwam von Manitu sang.
Piratenbraut warst du, mit der ich hinter den Seglern der Sklavenhändler die Sundas umlogte.
Nubische Norne du, mit der ich, bronzner Beduin, auf weißem Kamel Zonen Zodiakallicht im Sudan galoppierend durchwogte.

Charlotte Corday warst du, die mich, Marat, im Bade gemeuchelt.
Marketenderin in Friaul, Venus Kallipygos, hast du mir, Landsknecht aus Uri, einen Sommer lang Liebe geheuchelt.
Seiltänzerin aus Mailand, die mit mir, lustigem Geiger, auf die Jahrmärkte Jütlands von Kirchturm zu Kirchturm reiste im Morgenrot.
Palaumädchen hast du mit mir eine Inseljugend verschaukelt in rotem Boot.

Nonne warst du, sonnig geneigt, die mich blinden Bettler am Domportal mit ihrer Hände japanischem Frühling bedacht.
Freundin warst du, Gütige, die mir, sterbendem Eremit, in Waldeinsamkeit letzte Zehrung gebracht.
Gefährtin, für die ich, Knabe im Fellschurz, mit befiedertem Pfeil im Azur den silbrigen Kapadler traf.
Mutter russischen Kindseins, mit Augen wie ferne Uralberge blau, die mich mit Wolgaweisen gewiegt und einsang in Schlaf.

Vielgestalt du, für die meine tausend Leben lodernd verbrannt,
Tratest wieder ein in den Kreis meines Daseins unheimlich gebannt,
Blaue Madonn, Vollendete du, die ich unendlich gesucht
In den Phasen des Hierseins allen, wirr und verflucht.

Halt mir zu gut, wenn ich nun prasse, daß mich nach dir verzehrende Sehnsucht mit Krankheit oft schlug,
Daß ich dich gesucht, als ich mein junges Herz pochend über rote Bordelltreppen trug,
Gesucht in blonder Gespielin, die den wirren Wald meiner Knabenträume bewegt,
Gesucht in der Tänzerin aus Valencia, die meine aufsteigenden Bahnen erregt,

Daß ich in schönen Schuten über Seelandkanälen, in heiteren Eisenbahnen durch fränkisches Hügelland dich zu mir zu träumen niemals vergaß,
Wenn Abend Wiesen und Wege umgarnte und Nacht Gebirge süddeutscher Heimat fraß,
Gesucht im Bürgermädchen von München, dem ich im Auto entzückendes Strumpfband stahl,
Bei frommer Studentin aus Prag, die erbleichte, als ich wüsten Kalauer riß im spiritistischen Saal.

Gesucht im Abschaum der Städte, und wo ich Silbergesporter über Parkette sang,
Gesucht in Dompteuse in Zirkusarena und Akrobatin, die durch glühende Reifen sprang,
Gesucht in Bühnenstars und Kinoköniginnen, wenn mein
      Herz in verdunkelten Theatern trommelte laut,
In dunstigen Kavalleristenkneipen und in Vorstadtschenken
      qualvoll gemein Zuhältersbraut.

Gesucht im Duft von Bordeaux, von Bergheuöden, im Geruch
      aus den Busenschächten
Zärtlicher Gattinnen, schlanker Kokotten, beschlummert in
      sternsturmdurchtosten Nächten,
Gesucht in verlassener Wasgauhütte einen Mond lang in
      tiefen Büchern verträumt,
Und als ich, Abgott der Ladnerinnen, auf Straßen Berlins
      blicktändelte aufgeräumt.

Versteh, daß, Durstiger, ich dich fand, Born allen Frauntums,
      Urmütterliche, die allem sich gibt,
Blaue Madonn, fand in den Vielen, die ich besaß,
      Brennender, die ich geliebt,
Fand in Scherben geschlagen, fand in Luxus gepflegt, verehrt
      und verachtet, geschmäht und bestaunt,
Fand, wo mir Meere gemurmelt, wo mir Landschaft gelacht,
      wo mir Städte seltsam geraunt.

Du hast dich zu mir geneigt in Mitternächten, als dunkle
      Turmuhren über verschlafne Städte hinsummten,
Im fahlen Frührot, an Häuserreihn, hab ich dich
      heimbegleitet mit Augen, nächtigen, unvermummten.
Schöne von Burne Jones hast du mit mir Stunden in
      D-Zügen, auf Sportplätzen, in Tanzsälen verbracht.
Am ätherischen Alabaster deiner Schultern wohlschlief ich in
      lavendeldüftigen Kissen traumlose Nacht.

Opferfreudige Schwester hast du mich gepflegt, als ich
      verwundet war, ausgeblutet, in fiebrigen Schauern kalt;
Freundlicher weißer Schmetterling, schwebte deine Haube
      durch die kühlen Gewölbe des Stifts, von
      Herz-Jesu-Psalmen durchhallt.
Wallonische Hure warst du, die, eine Ampel, in mir glomm,
      von der ein Erfüllter ich ging,
Langen Nachtmarsch, bis mich das tolle Furioso flandrischen
      Großkampfs furchtbar umfing.

Du bist bei mir, wenn ich schamvoll zu Gnadenbildern bete
      an Feldwegen, die ganz im Schnee sind,
Oder die Stirn neige in Mitleid zu Frauen, geschminkt, die es
      schmerzt, daß sie passées sind.
Du beschwingst meinen Schritt, wenn ich an Abenden voll
      amarantner Klarheit und Süße
Humpelnde Invaliden unterwegs, Apfelsinenmänner und
      Maronifrauen in Tordurchfahrten brüderlich grüße.

Ich weiß, daß ich dich antreffen werde, Metze, im
      düstersten Stadtgeviert,
Wenn ich in traurigen Tagen durch Straßen stumpfe, wo
      mich hungert und friert.
Aber in Dämmrungen sternlos und Nächten in unbekannten
      Zimmern, wo einzig mein Atem war,
Würgte oft schon mich Angst, daß ich dich verlieren könnte,
      Strahlende wunderbar.

Sieh, Unstern steht über allem, was ich begann.
Keiner begriff das Geschehn je, der nur dasaß und sann.
Nur der zagen Fingers das Dunkel um Dinge durchtastet, ein
      Sehend-Blinder,
Dem wächst Traumbaum auf, den trägt Mondboot froh in die
      Märchenländer der Kinder.

Gib mir, daß ich immer treibe zur Sonn im dunkeln Strome
      der Zeit,
Zur Tat und zum Tod laß mich sein immerdar glühend bereit.
Du sollst brennen in mir, gutes Licht, reine Flamm – und
      seist du auch fern,
Hauchst Himmel du aus – blaue Madonn – strömen Sterne in
      dir – blaue Madonn – und du lächelst und segnest
      mich gern. –


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