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Neuntes Capitel.
Das Carneval.


Die Carnevalswoche war nun eben nicht verdorben, sondern die Verkleidungen, Masken und Maskenzüge, das Schneidern und Nähen, und Pappen und Kleistern, und Färben und Malen, Versuchen und Rüsten, das andere Jahre nach den verschiedenen Absichten kleiner und großer Gesellschaften sich richtete, hatte dieses merkwürdigste Jahr der Stadt Alles nur auf Einen Gegenstand Bezug – auf den Kinderkreuzzug; oder, als das Zweite: auf die brennende Hurd, die den Tag vor dem Jammer des Abschieds angesetzt war. Die Boten waren in die Städte und das Land weit und breit ausgesandt, und es ließ sich schon den Tag vor der Hurd eine große Menge Thränen- und Klagesüchtiger bis zur Ueberfüllung der Stadt erwarten, schon ohne die Scharen von Kreuzkindern und ihren Geleitgebern von weit und breit herum.

Auf der Lindenburg wurde Irmengard zu der langen Reise doch mit dem Nächsten, Nöthigen reichlich versorgt. Denn der Maler van Graveland hatte ihr eine prächtige goldene Halskette geschenkt, die Anverwandten hatten ihr alle Finger voll theuerer Ringe gesteckt, um in Mangel und Noth eine Zubuße zu haben. Uebrigens hatte sie sich wieder in vollen Glauben gepredigt. Sie nahm gar keine Speise und keinen Trank, als solche, die aus der Stadt oder aus dem Dorfe ihr von ihrer getreuen Frohmuthe besorgt ward; da das schlaue Mädchen des Doctors Medicinbrauerei bemerkt, belauscht, in ihren Wirkungen klar und deutlich an den vielen andern Kindern, und besonders an dem Don Angelus wahrgenommen und ohne Zweifel ihrer Irmengard verrathen hatte. Denn die Kinder verloren wirklich allen Appetit, selbst nach dem Unentbehrlichsten; am meisten schmachteten sie nach Ruhe und Schlaf, und ihre kaum zähmbare fromme Aufregung war zur Gelassenheit, Gleichgültigkeit, ja zu Lächeln geworden. Das war am meisten an dem langbeinigen guten Viaductor Angelus zu sehen, der sich es wohl sein ließ, und in Wahrheit nicht einmal den Weg von Köln nach Bonn wußte, oder nur zu welchem Thore man hinausgehen müßte. Er hatte der Eingebung vertraut, auch darauf, daß er zu Jedermann in der Fremde gleich in der Sprache desselben werde reden können wie Wasser. Des Nachts, so rühmte er sich, könne er alle Sprachen und unterhalte sich geläufig darin mit allen verschieden gekleideten Ausländern. Nur früh noch trete in ihm eine Stockung ein; es falle in ihm wie eine Thür oder Klappe zu; doch hoffe er mit Zuversicht, daß die wie sonnenscheuen Sprachen auch am Tage herausbrechen würden, und nicht blos wie Eulen des Nachts in ihm schlurfen; denn reden brauche man ja doch nur am Tage! So hatte er sich weder vor Italienisch, Griechisch oder vor Türkisch gefürchtet. Jetzt war er ganz still und gewissermaßen froh.

Der Maler war auf der Burg draußen geblieben, sodaß der todte stille Herr Rath bald fertig gemalt war. Nur um Irmengard predigen zu hören, war Raimund auch zu den Ursulinerinnen gegangen – aber er hatte sie gesehen, und als Engel gemalt mit Flügeln und Palmenzweig, und er sagte von dem Bilde, obgleich schnell gemacht, sei die Irmengard doch gewiß sein bestes, schönstes und seelenvollstes, wie lebendiges Werk; zu welchen so obenhin gesagten Worten der Jude dem Maler eine verbindliche Verneigung machte. Raimund aber war entzückt davon in reinem Herzen, besuchte wieder sein Goldtönnchen, versandte davon der Sicherheit wegen und auf die Reise für alle Fälle mehr als hinlänglich an sichere Häuser und treue Handelsfreunde in einige Städte des Südens, und stattete seine Börse damit reichlich aus. Den hier bleibenden Schatz befahl er dem alten Hagebald zugleich mit dem neuen Freunde Ramon, der sein Gold mit dazuthat. In der Stadt und in allen Häusern sah es aus und ging es zu, als wenn in einigen Tagen und endlich diesmal gewiß der Jüngste Tag hereinbrechen sollte; ja manche Kinder sangen wirklich den Vers!

Wenn der Jüngste Tag soll werden,
Fallen die Sternlein auf die Erden,
Kommt der liebe Gott gezogen
Auf einem schönen Regenbogen,
Neigen sich die Bäumelein,
Singen die lieben Engelein:
»Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn!
Ihr sollt vor Gottes Gerichte gehn;
Wohlan, wohlan, auf diesen Plan
Der liebe Gott will uns Alle han.«

Alles Befehlen und alles Gehorchen war aufgehoben. Alles ging in den Häusern ganz ehrbar, ja feierlich zu, vom Aufstehen bis zum Zubettegehen. Die Suppe ward mit Andacht gegessen, als vielleicht die letzte Suppe; und wer am gerührtesten war, der legte zuerst den Löffel hin, oder ging gar vom Tische weg hinter den Ofen, und wer ihn am liebsten hatte, der ging ihm nach, und sie herzten und küßten da einander. Die Kinder thaten den Aeltern und den Geschwistern Alles zu Liebe, und die Aeltern ihnen. Jedem kleinen Kreuzfahrer ward noch sein Leibessen gekocht, gebraten oder gebacken; und eine alte Mutter oder ein alter Vater sprach wol zu dem Frieden und der Zufriedenheit: Könnte es bei uns nicht immer so sein? Ach, und wie bei uns, so lieb und treu ist es gewiß jetzt in allen hundert Städten und Dörfern umher im Lande! Schon deswegen, als Beispiel und Vorbild: wie schön unser deutsches Reich sein kann und kaum wol jemals werden wird, ist euer Kreuzzug gar nicht mit Geld zu bezahlen, ihr Kinder – ja, wenn auch hier und da eins von euch nicht wiederkäme, sondern unterwegs oder dort von Engeln zum Himmel getragen würde. Und doch sprach wol eine Mutter darüber zu ihm: »Vater, versündige dich nicht!« und er zuckte die Achseln.

Der Rath Aldewin, der gute Vater seiner wahrhaft mütterlichen Tochter im Kerker, war ganz im Stillen in die Familiengruft beigesetzt, und er hatte durch sein Beispiel und seinen Tod den Vätern und Müttern aller Welt nur eine und zwar diese höchste Bitte verlassen: Steh' deinen Kindern immer redlich bei, den glücklichen, und den unglücklichen noch mehr, in aller ihrer Noth, und erst recht in Menschenschande und in Sünde vor den Menschen. Wer weiß, was in der Sonne Schande ist? und was erst gar im Himmel keine Sünde ist vor Dem, der Alles vergibt und vergab; sonst käme der Heiligste selbst nicht in den Himmel. Er hatte sich geschämt, ihr erst zu vergeben.

Diese Worte hatte er zu seinem Weibe Irmentrud gesagt, und dann noch leise vor sich hin gesprochen: Auch mit den Weibern muß man es so halten. – Das war verständlich jetzt für Don Ramon.

Am Freitag, als am Tage vor der Hurd, war die Frau Rath mit Raimund nun zu ihrer Tochter in der Abenddämmerung in den Kerker gegangen, wo sie auf überraschende milde Weise auch ihren natürlichen Schwiegersohn bei ihr gefunden. Raimund lernte das sanfte, schöne, natürliche Weib da kennen und ehren, und er flüsterte ihr leise zu, was morgen durch die Weiber in guter Hoffnung und durch die Weiber der Katharer, die jede Todesstrafe verabscheuten, und durch die Weiber der Juden im Chor zu ihren Gunsten geschehen würde. Der Jost, einzig der Narr wußte noch Rath, sprach er. Er ist mein Jugendfreund, und der Erzbischof ist der Freund meines Freundes Ramon, des Juden, der fest bei ihm steht in Gunst; denn seiner staarblinden Augen wegen bedarf er ihn mehr als alle andere unwissende Christen.

Zum Abschiede fiel der zum Feuertode verdammte junge Menschenjude, als natürlicher Schwiegersohn, seiner armen Schwiegermutter zu Füßen, und voll Angedenken an ihren edeln gestorbenen Mann sagte sie ihm jetzt nur desgleichen das Wort: Auch mit der Tochter Manne muß man es so halten! – Ach! ich müßte mich schämen, dir nicht zu vergeben! Lebt oder sterbet Beide wohl – nur wohl! – Ohne Tod kein Wiedersehen, und Wiedersehen vergilt das Scheiden und ist eine neue überschwängliche Freude, ein Himmelsanfang.

Wenigstens auf Erden; da ist es probat, das heißt: bewiesen. Das dachte nur Raimund, herzlich gerührt und weinend, dazu.



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