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Sechstes Capitel.
Die französischen Kreuzzugskinder.


Darauf hörten sie es auf weichen Pantoffeln geschlurft kommen. »Seiner und meiner Gnaden!« sprach Jost.

Und es war der alte liebe Erzbischof im Morgentalar, der schon kam, seinen treuen Jost zu fragen, wie es ihm ergangen und gehe.

Besser; antwortete ihm Jost. Da steht mein Doctor! und zeigte auf den Spanier; aber Schmerzen sind über Narrheit, und Gesundheit geht über die Weisheit, oder ist sie selber, aber gewiß ihre Tochter, weiß ich nun.

Sr. Gnaden bekam einen gewissen Respect vor dem Titel Doctor; denn sein rechtes Auge besonders war ein Candidat des schwarzen Staars. Und der freundliche Greis lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich niederzulassen, und gab dasselbe Zeichen der Huld dem Raimund, den sein Jost ihm soeben seinen treuen Jugendfreund genannt; und so war ihm der fremde ernste Mann sogleich empfohlen; denn was ihm geschehen und warum, und was er fühlte und wie er dachte, das war ihm wie keinem andern Menschen glücklicherweise nicht anzusehen. Er setzte sich selbst einen Stuhl zu Füßen des Bettes, und der schwache alte gute Mann wäre mit dem schweren Stuhle beinahe selbst umgefallen, und die beiden Freunde, die übereilt ihm dabei helfen wollten; und er lachte, und Alle mußten und durften doch lächeln.

Während er nun mit seinem Jost sprach, und mit der Linken dessen linke Hand hielt, betrachteten ihn die Männer; das silberweiße Haar, das unter dem veilchenblauseidenem Käppchen hervor die schöne glänzende Stirn umquoll ... die gleichsam gottgetreuen Augen ... die in den heraufgezogenen Muskeln der Backen gleichsam festgewordene lächelnde Menschengüte ... und die sanfte wohlwollende Stimme, die gewiß nie fluchen, nur segnen konnte ... und die schneeweißen Hände, die mit dem Rosenkranz scheinbar nur spielend, ihm selbst aber ein inniges Zeichen waren, daß Alles, was er thue und spreche, nur ein heimliches Gebet sei. Und doch liebte er die Heiterkeit, ja die Freude; denn er liebte sichtbar seinen Narren, den Jost, als Widerpart der Sorgen und Nöthe, der die Wahrheit angenehmlich hörbar mit der Pritsche predigte und dazu mit Schellen an Mütze und Kappe läutete.

Der seiner goldenen Bitte schon immer durch Rührung bahnbrechende Jost unterließ nicht, seinen Freund Raimund dem guten Greise zu bedauern, der, nach langen Jahren aus Frankreich zurückgekehrt, nur um eines Hahnschreis Länge zu spät seinen Bruder nicht wiedergefunden, der vor Erbeben über das Schicksal seiner Tochter gestorben.

Hm! Schicksal! sprach Sr. Gnaden dazu. Aber wenn Ihr aus Frankreich kommt, mögt Ihr uns endlich gründlich von den Kindern berichten, die von da in das Gelobte Land ziehen, um es zu erobern. Hm! Es sollen ihrer Dreißigtausend das Kreuz genommen haben. Matthias Paris. – Hm! Und hier am Rhein zu Berg und Rhein zu Thal und aus den Städten und Dörfern des reichen schönen Flußgebiets in Deutschland sollen ihrer Zwanzigtausend sein. Hm! Und hier allein aus unserm gottesfürchtigen Köln mit Deutz und Weichbild an Siebentausend. Chronicon Sicardi. Hm!

Aber sie lassen sich nicht zählen, bemerkte Jost, sowie kein Fleischer die Ochsen und kein Schäfer die Schafe zählt, aus Furcht der Strafe, die über den König David »in drei Sorten« zur Wahl verhangen worden; so läßt auch hier unser Herzog der jungen Kreuzfahrer, oder der Kreuzfahrjungen, der stolze verwegene Hirtenknabe Nikolas, seine Schafe nicht zählen. Vielleicht weil er nicht so selbstsüchtig ist, wie der vormalige Hirtenknabe David, der kopf- und lebensscheu die ihn nicht selbst treffende Strafe gewählt, sodaß der Engel ihm 70,000 Juden in einer Nacht erschlagen, welchem lieben Engel der Arm vor Müdigkeit fast abgefallen, indeß der David fein sauber in seinem Bette geschlafen, wie ein um sein Volk unbekümmerter, unbarmherziger König. Zweifelhaften Menschen ist nicht wohlgethan: die Wahl zu lassen oder Alleinmacht dem selbstsüchtigen kleinen David.

Und der fromme Kirchenfürst wiederholte sein Sprichwort oder seine Sprichsilbe: Hm! und drohte dem Jost mit dem Finger; frug darauf aber Herrn Raimund auf seine Ehre und sein Gewissen, ob die ganze Geschichte denn wahr sei? und ob er ein Heer Kreuzkinder, ja nur ein Kreuzkind mit Augen gesehen? Denn die Sache sei Allen so schnell über den Kopf und Glauben gekommen, der Winter habe solange gedauert, der übernatürlich gefallene Schnee habe alle Wege und allen Verkehr verhindert, daß er selbst sogar nur einen oder den andern Sendboten von dorther erhalten.

Und der Arzt berichtete ihm nun bedächtig: Ich mußte in Lyon drei Tage liegen bleiben, und als ich den ersten Zug dieser großen Wanderheuschrecken der zischenden, weinenden, singenden Lemminge sah, da wußte ich nicht mehr, wo ich hingerathen? was die grüne Erde für ein unsinniger Kopf geworden, den ein Riese so in der blauen Luft schweigend fortrolle! Die Sonne schien mir ein am Himmel ausgeschnittenes Loch, um in ein gewisses geräumiges Haus zu sehen, worin die absonderlichsten Spectakelstücke und uralte Attalanen aufgeführt würden. Aber das Einzelne, schaubare und hörbare Nahe, ja Ergreifliche erklärt das Wunderbare und macht es gemein und alltäglich. Eine Rose und ein Bienenstock erklären sich selbst am besten. Kurz also: es kam auf einem mit Teppichen behangenen niedrigen Wagen der Herzog der Kinder, sitzend oder thronend; der Hirtenknabe St.-Etienne, zu deutsch Stephan, von einer Ehrenwache bewaffneter Knaben umgeben; und andere Knaben zogen den Thron zum Thore hinein, durch die Straßen auf den Markt, und Tausende von Kindern, Knaben und Mädchen, folgten in geordnetem Zuge weinend und singend, und wieder weinend: »Gott, gib uns das wahre Kreuz zurück, und außerdem all all erdenkbares Glück«; und das Volk sang, ja schrie das barbarisch aus tausend Lebensnoth mit. Das war wol herzbrechend, himmelstürmend!

Hm! sprach Sr. Gnaden dazu; aber wer war denn der neue Heilige, der Knabe, wenn wir durch des Heiligen Vaters Barmherzigkeit auch schon Cardinäle von neun, ja von sieben Jahren gehabt haben?

Von dem wurde nun Abends in den Weinhäusern erzählt: Der Marschall der Kinder ist ein Hirtenknabe aus Vendôme. Genauer aus dem Dorfe »Cloies« an der Loire. Matthias Paris nennt ihn einen Knaben, aufgeregt durch Teufelsvorsorge, des Feindes des Menschengeschlechts, an Alter einen wirklichen Knaben, aber an Sitten pervilis. Da es den Kreuzfahrern in dem, nur den Juden und nicht den Christen von Gott gelobten Lande sehr schlecht ging, und die Christen zu Hause sie als verloren aufgaben, so hielten die alten Weiber und Priester Umzüge zur Auffoderung, das Heilige Grab zu befreien, als wenn das Grab elend und krank und im Sterben läge. Sie haben Bittfahrten gehalten, um die Hülfe Gottes zu erflehen. Denn, sagten Einige in den Weinhäusern, wofür man betet oder beten soll anbefohlenermaßen, das wird dem Volke wichtig gemacht, das soll ihm lieb und theuer sein, und andere Seiten- oder Gegenwünsche ihm gotteslästerlich gemacht. Deswegen sind falsche Fürbitten so gefährlich; setzten Andere hinzu.

Bei den Worten überfiel Sr. Gnaden ein starker Husten, wogegen ihm der Arzt ein Mittel aus seiner kleinen Büchse nahm: Stückchen krystallisirten weißen Zucker, den auch die Sarazenen, die Mauren in Sicilien erfunden hatten, so gut wie sie das Menschenauge kennend gesagt: die Engel und die Kreuze am Himmel wären nichts als Gestaltungen des Auges der Menschen, das seiner Beschaffenheit nach eine ganze Wand von niederträufelndem Regen nur als einen Bogen, und erst als einen farbigen bunten Regenbogen sähe, und sich begegnende Wolken als Kreuze und allerhand Wolkenbildungen als Heilige.

Sr. Gnaden sagten nichts dazu, sondern zerkrachte den Zucker mit seinen vortrefflichen Zähnen, lobte ihn, den heidnischen Zuckererfindern zum Trotz, und bat um weitere Auskunft. Und der Arzt gab sie ihm in Folgendem, wozu sein Freund Raimund, zufolge seiner Bauchrednerkunst, gern Anmerkungen eingeschaltet hätte; aber es waren keine weitern Personen, nicht einmal ein Bild da, dem die Hörer sie hätten aufbürden können.

Jost's beide Knaben fingen an zu weinen, schmiegten sich zu beiden Seiten an den gnädigen Herrn ihres Vaters, der sie mit seinen Armen umschloß, und sie bedeutete, still zu sein und zu hören. Ihr Vater hatte Lust, sie an den Haaren etwas zu zausen, aber er konnte nicht hinlangen und rollte sie nur mit zornigen Augen an. Der Arzt erzählte jetzt weiter: Dem Knaben Stephan ist nun alle Noth und Schande des ganzen Abendlandes, das mit aller furchtbaren, ja wüthigen Macht Nichts ausgerichtet, auf sein Herz gefallen. Er hat eine Erfahrung aus seinem Traume gepredigt, daß der sehr schöne und sehr traurige Heiland in Gestalt eines armen Pilgers sich ihm offenbart, und ihn als Kreuzprediger für die unschuldigen Kinder bevollmächtigt; ja, er habe ihm einen eigenhändigen Brief an den König von Frankreich ausgehändigt an den noch lebenden Philipp August, den er den Kindern gezeigt und unzählige Knaben damit zur Annahme des Kreuzes gebracht. Vor den frommen König nach St.-Denis gefodert, und von ihm zur Prüfung befragt: was ihm die Nacht geträumt? habe er es dem Könige nur etwas leise ins Ohr geraunt, daß der König erblaßt sei. Auf die nunmehrige Bitte des Königs, ihm den Brief auszuhändigen, habe er getrost danach in seiner Hirtentasche gesucht, sich beklopft am ganzen Leibe und zuletzt mit dem ehrlichsten Gesichte voll Erstaunen und Zorn gerufen: Den hat mir der Teufel gestohlen! Und als der König die umstehenden Priester befragt: ob Jesus erscheinen könne, Diesem und Jenem, und wenn er wolle ... und ihm schreiben, wie einst dem König Abgarius? ... da haben sie über die entsetzliche Frage geschrien und auch dem Teufel die ja nur geringfügige Macht zu stehlen mit Ueberzeugung zugesprochen. Darauf hat der Stephan zu St.-Denis vor der Königin noch größere Wunder verrichtet; er hat durch Mauern gesehen, in die Ferne gesehen und gesagt, was die Leute da thun? ja sogar wie es Gestorbenen gerade jetzt in der Hölle geht? und Antworten der Kinder auf seine Fragen an sie im Himmel gehört, sodaß Alle erstaunt und verstummt sind vor seinen Engelsgaben.

Sein Gang und sein Bezeigen vor dem König und die Erzählung seiner Wunder umher im Lande, welche Erzählung eine wahre Thatsache geworden, haben dem frommen Hirtenknaben darauf ein solches Ansehen und seinen Ermahnungen und Feldpredigten eine solche Wirksamkeit gegeben, daß in kurzem sich eine zahllose Menge von ja sichtbaren und handgreiflichen Knaben um ihn versammelt, und nun drängend und treibend wieder auf ihn gewirkt. Andere Knaben sind in andern Gegenden als Kreuzprediger aufgetreten, die ihren Beruf auch durch Wunder beweisen mußten, und auch bewiesen, worauf sie das von Stephan begonnene Werk mit großem Erfolge gefördert. Alle lieben begeisterten Kinder, die das Kreuz genommen, betrachteten, wie ich mit meinen Augen gesehen, den Stephan von Vendôme als ihren Herrn und Meister über Leben und Tod, und waren fest überzeugt, daß sie unter seiner Anführung den furchtbarsten Sieg über die Sarazenen erfechten würden mit bloßen Händen ... durch ihre bloße Erscheinung, oder höchstens obendrein durch den gesegneten Pilgerstab. Sie verehrten ihn als einen hörbaren, sichtbaren, zu ihnen redenden Heiligen, und jeder pries sich glücklich, der von seinem lebendigen Leibe schon eine Reliquie erwischen, erschleichen, ja erkämpfen konnte. In Lyon hatte er sich seine zu vollen, ihm aus gewissen kleinen Uebeln unangenehmen, wenn auch sehr schönen blonden Locken kurz abschneiden lassen, und ich habe den Kampf mit angesehen, den Knaben und Mädchen aus seinem Zuge um ihren Besitz mit wahrer Begeisterung führten. Unter meinen Reisemerkwürdigkeiten habe ich einen kleinen verworrenen Wusch Haare davon, die ich von einem kleinen dummen hungerigen Knaben für eine Wurst mir eingetauscht. Andere waren glücklich, die sich nur einen Faden von seinem Rocke verschafft hatten, oder schlugen sich um den Krug mit Wasser, daraus er getrunken und schlürften andächtig mit zum Himmel gekehrten Augen die Neige aus.

Hm! Hm! erklang dazu wieder die Sprichsilbe.

Und es machte dem Doctor innerliche Freude fortzuerzählen: Den folgenden Tag rückte der Major domus oder Generaloberst St.-Etienne's, der Hirtenknabe von Chartres, in die Stadt. Von diesem erzählte man Abends dann neue Dinge. Chronik des Johannes Iperius. Als er von einer Uebungsprocession zurückgekommen, auf welcher seine Schar um die Gnade Gottes für die Gläubigen gebetet, gesungen und gekniet, also um Gottes Ungnade gegen die – Ungläubigen gefleht, da habe er gesehen, daß seine Heerde Schafe die Saatfelder indessen verwüstet, von welchen er sie verjagen und mit seinem getreuen Hunde Tiras forthetzen wollen; da habe sein Tiras geheult und nicht gehorcht, sondern mit dem Schwanze gewedelt; die Schafe selbst aber seien alle vor ihm auf die Knie niedergefallen und haben zu ihm um Gnade geblökt. Auf dieses Wunder hin sei er in den eigenthümlichen Geruch eines Heiligen gekommen, und aus allen Gegenden sind Hunderte von Kindern ihm zugeströmt, wirkliche Menschenkinder, die wirklich gegessen, getrunken, geschlafen und französisch gesprochen haben; nicht nur hohle Gespenster und gezauberte und bezauberte Puppen böser Geister.

Darauf haben sie mit großem Gepränge und mit vielerlei eigenthümlichen willkürlichen Gebräuchen in den Städten, Burgen und Weilern von Frankreich ungestört, ja bestaunt und beschenkt, feierliche und Bettelaufzüge unter Thränen gehalten, indem sie Paniere, Rauchgefäße, Wachskerzen und Kreuze unter Gesängen umhergetragen. Selbst junge Mädchen, Jünglinge, Weiber und Greise schlossen sich an diese Processionen an; die Arbeiter auf den Gassen der Städte und Dörfer oder auf den Aeckern und Wiesen verließen, wenn ein solcher Zug vorüberkam, die Ochsen am Pfluge und folgten den Knaben. Denn sie weinten entsetzlich! Und überall wurden dem Kinderzuge vom Volke Lebensmittel, Erfrischungen und andere Almosen gespendet, und sie aßen desgleichen entsetzlich.

Viele Bürger von Lyon stritten miteinander; diese meinten: weil die Kinder alle wie mit Einem Munde auf die Frage: wohin sie denn eigentlich wollten? »zu Gott!« antworteten, könne man doch wol der Hoffnung Raum geben, daß also Gott durch die Jugend große Dinge auf der Erde vollbringen werde, wie denn immer nur durch neue Kinder alles Neue auf die Welt komme, nach dem Worte: »Kommt wieder Menschenkinder!« Auch wären sie ja so vernünftig, sich nur für das Heilige Grab zu waffnen, darin Gott als sein Sohn geruht; denn sie sähen ja selbst mit ihrem Kinderverstande ein, daß es für den Heiland im Himmel weder nöthig noch möglich sei. – Andere behaupteten: nur ruchlose Betrüger hätten sie aufgeregt. Spiritu deceptionis arrepti«, sagt Roger Bacon, » currebant post quendam malignum puerum

So in Zweifel, was er glauben und was er thun solle, denn das sei ganz verschieden, habe der erste Sohn der christlichen Kirche, der König Philipp August, der sich selbst solange als möglich von einem Kreuzzuge zurückhalte – erst das Gutachten der gelehrten Meister der hohen Schule zu Paris gefodert, in welchem der größte Theil der Geistlichkeit und manche Laien die Begeisterung der Jugend als das Werk boshafter Zauberer verurtheilt, worauf er – und noch erst, nachdem die Kreuzkinder schon aus- und fortmarschirt – »geeignete Maßregeln« verfügt, um die Knaben von Ausführung ihres Vorhabens abzuhalten. H. Chronik: Coenobii Mortui maris. I. c. – Wie klug, etwas zu spät thun!

»Der Herr sei gelobt!« rief jetzt Sr. Gnaden dazu, daß wir dort einen solchen Vormann an dem Könige haben, uns Klerisei hier zum Schutz vor Rache, daß wir die Kinder von ihrem Zuge haben abpredigen wollen!

Der fromme menschenfreundliche Erzbischof reichte ihm die Hand zum Danke für seine ihm tröstliche Nachricht mit den Worten: Wer sähe nicht, daß Ihr ein Jude seid; aber auch ein menschennützlicher Mann, ja Mensch; und die Juden sollen bis an das Ende der Welt bleiben – was schadet da Einer mehr! das wäre lächerlich! Also: meine Hand von Rache für Unglauben, oder irgendeinen andern Glauben. Ein billiger Mensch erwartet ruhig den Sieg des Guten, ohne Schuld auf sich zu laden! Man kann Alles umgehen durch festen getreuen Sinn. – Und zu noch mehrer Sicherheit unserer guten Gesinnung fällt mir ein: daß ja der Patriarch von Aquileja sogar die erwachsenen Kreuzfahrer zurückhält, und sogar das Interdict nicht fürchtet, laut welchem den Städten und Dörfern jeder Geistliche, jede Messe, jede Vergebung der Sünden, jede letzte Oelung und jede Einsegnung im Grabe vorenthalten wird. Aber es ist bedenklich-gefährlich, die Menschen ohne Das leben zu lassen, indeß sie doch merken, daß Gott ihnen auch ohne Das gnädig zu bleiben scheint, indem und weil die Sonne ihnen frühe so fort so herrlich aufgeht ... und Weib und Kinder so fort sie so lieben ... und sie glücklich sind. Das ist gefährlich sie inne werden zu lassen. – Nur die Sachsen, das treue Volk, höre ich, sind fortgezogen nach dem Gelobten Lande, aber in der Fremde dahinten wo sitzen geblieben; auch die Kreuzfahrer sind in dem Konstantinopel so sitzen geblieben, wo diese unsere Römischen die Griechischen nunmehr als unsere Todfeinde nach und nach auszurotten oder zu bekehren brennen, nachdem sie mit ihrer verhaßten Hauptstadt das ganze griechische Reich und das starre Volk besiegt und klug gemacht zu haben – glauben; das heißt diesmal: wähnen. Und selbst der Heilige Vater, der an allem Unschuldige, seufzt nur: »Indeß wir Alle schlafen, rühren sich nur die Kinder!« und will sie ziehen lassen, weil – er muß. So lassen auch wir sie denn ziehen! Gott segnet den Verstand und ist dem Unverstande noch gnädig. Es mag ein Schweres sein, die Kirche zu regieren, und gar erst die gespaltene wieder zu vereinen; und dem lieben Volke – seine immer neuen tausendfachen und tausendfältigen Fehler immer barmherzig vergebend, unermüdet lehrend, und aus seinen Irrthümern schonend, wie Kindern rathend und helfend, mit ungeschwächtem Vertrauen und neuem Muth auf den rechten Weg zum Himmel zu bringen!

Der redliche Greis ließ jetzt ein langgedehntes Hm! vernehmen, und betete dann still einen Psalm, wovon sie nur die Worte: »Ehe denn die Berge ...« und: »Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag ...« – vernahmen.

Darüber schlief er in Gedanken gar ein, und die beiden tiefgerührten Freunde schieden still von dem Narren, der dem jüdischen Arzt mit Hand und Lippen stillen Dank zollte, und dem Raimund stille Versicherungen und Versprechungen mit den Augen zuwinkte.



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