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Das Stelldichein

Der Marquis de Troailles, ein blutjunger Attaché der französischen Mission in Wien, genoß das heitere Leben der hellen Stadt mit der bewunderungswürdigen Ausdauer eines neu Angekommenen. Seine anmutige Erscheinung, der Liebreiz der feinen Züge, die etwas von einem vortrefflich gezogenen Pferd besaßen, seine bei aller Gewandtheit bescheidene Höflichkeit, nicht zuletzt auch der Ruf großer Reichtümer – er war der einzige Sohn ihn vergötternder Eltern – schufen ihm bald die angenehmsten Verbindungen. Und bereits besaß der vielfach Gerühmte, heimlich Beneidete auch einen nicht zu verachtenden Feind, was das Interesse, das man an dem schönen Fremden nahm, nur noch steigern konnte. Ohne viel nach bestehenden Beziehungen zu fragen, hatte der Marquis unter anderen der Gräfin Fanny Hohenmauth, der Gattin eines hohen Funktionärs der Monarchie, seine begehrende Huldigung zu Füßen gelegt und, gewöhnt, nicht allzu lange zu tändeln, nachdem er der entzückenden Frau ein paarmal an drittem Orte begegnet war, sie allein zu Hause zu finden die günstigste Gelegenheit wahrgenommen. Durch die düsteren Spiegelsalons mit den vom Fußboden aufreichenden chinesischen Vasen und den vergoldeten Pfeiler-Konsolen war er, vom Lakaien geführt, in das Boudoir der Gräfin gelangt, die ihn – sie hatte sich eigentlich überraschen lassen – etwas verlegen empfing. Gräfin Fanny wußte, warum sie bangte. Es war die Stunde, da sie jeden Augenblick George Seymours Besuch gewärtigen mußte. Dies aber war der Gebieter der reizenden Dame. Nachdem sich der Marquis mit einem Blick vergewissert hatte, daß sie allein sei, küßte er der Gräfin mit zarter Inbrunst die schmale Hand, und, indem er sie in der seinen behielt, sah er, das von einer leichten Röte überhauchte Jünglingsantlitz erhebend, mit einem seiner schmachtendsten Blicke in die kornblumenblauen Augen. Ihre Befangenheit stieg, da er sich mit der Sicherheit des geborenen Frauensiegers auf ein Knie niederließ und an die leis Erschauernde folgende Worte richtete: »Gräfin, Sie sehen, daß ich alles auf der Degenspitze trage: Ehre, Leben und Herz. Ich liebe Sie vom ersten Augenblick an, da ich das Glück gehabt hatte, Sie zu schauen. Ich bin Ihrer mit allen Gedanken des Tages und der Nacht. Ich kenne kein anderes Ziel als Sie. Hier lege ich mein Geschick in Ihre kleinen Hände!« Nach diesen in gedämpftem Tonfall und rasch, aber deutlich gesprochenen Worten erfaßte der Marquis auch die andere Hand der Dame, vereinte beide sanft, indem er sie mit der Rechten umfaßte, und legte die Linke leicht an die Stelle, wo unter dem Spitzenjabot sein junges Abenteurerherz pochte. Da schlug die kleine Stutzuhr auf dem weißen Marmorkamin die vierte Stunde. »Stehen Sie auf, Marquis«, sagte die Gräfin mit einer Stimme, in der dem Knienden Verheißung zu beben schien, »stehen Sie auf! Es könnte jemand kommen.« Der Marquis jedoch, ohne sich von der Stelle zu rühren, rief: »Sagen Sie, ob Sie mich lieben können, Gräfin, ob ich Sie lieben darf!« Da dem durch die Angst geschärften Gehör der Gräfin soeben aus den anstoßenden Gemächern nahende Schritte vernehmbar wurden, entwand sie mit einer vom Entsetzen gestärkten Bewegung des Oberkörpers ihre Hand der Umklammerung des ungestümen Liebhabers, und, indem sie einen Schritt zurücksprang, flüsterte sie, nur um diesen gefährlichen Auftritt zu beendigen, mit geschlossenen Augen – der Marquis deutete das Zeichen günstig –: »Vielleicht.« Sofort stand er auch wieder auf seinen Füßen, schob den Degen zurecht und legte die Hand auf die Lehne eines mit lilarotem Damast überzogenen Fauteuils. Die Schritte erklangen nun unmittelbar hinter seinem Rücken. Er wandte sich um. Der Bediente meldete Mr. George Seymour, und der Gemeldete folgte ihm fast auf den Fersen. Der Marquis sah ihn an und erkannte in ihm seinen Feind.

George Seymour war ein hochgewachsener Mann von einigen Dreißig. Vollendet war die Schmalheit seiner Hüften, vollendet die Breite seiner Schultern, auf denen ein runder mächtiger Nacken saß. Dieser trug einen dämonischen Kopf. Das Gesicht hatten Leidenschaften zerrissen. Der Mund schien eine aufgebrochene Spalte. Die unsteten Augen zwang Willenskraft.

Die Gräfin war einer Ohnmacht nahe. Die beiden Diplomaten begrüßten einander kalt. Und als der Marquis nach einem kurzen gleichgültigen Gespräch ging, schlug jener, der sich wieder gesetzt hatte, gelassen Bein über Bein. Diese Bewegung erfüllte den Scheidenden mit einer unsäglichen Wut.

Zwei Tage darauf bei einer großen Cour sagte der Marquis zu der schönen Gräfin: »Gräfin, ich will nichts wissen von einem Nebenbuhler. Aber auf daß Sie sicher seien, habe ich mit Ihrer Kammerfrau ein Abkommen getroffen.« Die Gräfin erbleichte. Die Kühnheit solchen Vorgehens war ihr wie eine Verheißung gewalttätiger Ereignisse.

Das Einverständnis mit der Kammerzofe hatte sich einfach genug erzielen lassen. Der Bediente des Marquis war beauftragt worden, noch an demselben Abend, als Hector de Troailles der Gräfin seinen ersten, so ungewöhnlichen Besuch abgestattet hatte, sich dem Mädchen zu nähern und ihr die Liebe seines Herrn anzutragen. Er hatte den Befehl zur vollsten Zufriedenheit beider Teile ausgeführt. Er konnte alsbald dem Marquis berichten, daß Pepi, die übrigens ein äußerst liebenswürdiges Geschöpf wäre, sich der Ehre solcher Zuneigung völlig bewußt sei. Darüber, wie sein Gebieter dazu gekommen sein mochte, ihrer gewahr zu werden, hatte dem Verschlagenen der Augenblick hinweghelfen müssen. Er beließ der Angelegenheit den Rosenschimmer eines duftigen Geheimnisses, was das junge Ding nur um so sehnsüchtiger zu stimmen geeignet war.

Am dritten Tage nach jenem ersten Besuch, gegen elf Uhr nachts, fand sich der Marquis, der durch seinen Bedienten alle Wege hatte ebnen lassen, unter den Arkaden des zweiten Hofes im Palais Hohenmauth ein. Eine einsame Laterne beleuchtete den langen Korridor, der zu den Küchen und Gesinderäumen führte. Den dunklen Mantel zusammennehmend, trat der Jüngling in den Hof. Rund um den mit Steinen gepflasterten inneren Raum liefen, wie im Vorderhaus, in nahezu doppelter Stockhöhe Galerien.

Er hatte nicht allzu lange gewartet, als ein leichter Schritt aus der Tiefe des finsteren Korridors sich vernehmen ließ. Zaghaft kam Pepi heran und fühlte sich alsogleich zärtlich umfangen. Das Mädchen unter die Leuchte ziehend, wo er es mit einem prüfenden Blick musterte, sagte der Marquis: »Meine süße Kleine, wo ist deine Kammer?« Nach dieser kurzen Ankündigung eines romantischen Liebesunternehmens, das der Zofe seit zweimal vierundzwanzig Stunden den Kopf benahm, und nachdem er sie noch herzhaft abgeküßt und an sich gepreßt hatte, gab er ihr durch eine entschiedene Wendung seines Körpers zu verstehen, daß er nunmehr mit ihr zu gehen bereit sei. Das arme Ding, das sich beileibe nicht eines so raschen Verlaufs des Abenteuers versehen hatte, versuchte einige Abwehr. Aber der energische Arm des jungen Mannes zwang sie zu einer kleinen Wendelstiege, die von oben her düster erleuchtet war. Ohne weiteren Widerstand, willenlos, ließ sie sich von dem mit der Örtlichkeit bald Vertrauten führen. Der Marquis genoß in den sanften Armen dieser demütigen Magd seiner Wünsche ein anmutiges Vergnügen, das ihm um so gefälliger dünken mußte, als er das Manöver mit der Kammerjungfer eingeleitet hatte, ohne im entferntesten die Möglichkeit eines so annehmbaren Genusses zu gewärtigen.

Einige Tage hatte er seine bescheidene Kleine mit den Abfällen sozusagen einer großen Passion zu beglücken gewußt, als er die Zeit für gekommen erachtete, das Abenteuer in seinem Sinne zu nutzen. Mittlerweile war er auch in anderer Richtung nicht müßig gewesen. Er hatte sich wieder einmal, und zwar zur Stunde, da Seymour bei der Gräfin sich einzufinden pflegte, im Boudoir der verehrten Frau gezeigt und nicht versäumt, den schweigsamen Engländer, den er diesmal durch Beharrlichkeit mit ihm fortzugehen nötigte, in der Vertrauen einflößenden Sorglosigkeit frischer Jugend auf das charmante Verhältnis aufmerksam zu machen, das ihm durch einen liebenswürdigen Zufall im Hotel Hohenmauth sich ergeben hätte. Der Unglückliche ahnte nicht, daß Seymour durch diese Mitteilung, hinter der er nichts anderes als eine Finte zu argwöhnen imstande war, nur um so wachsamer seinen Schritten nachzuspüren bewogen ward. Er glaubte, alles getan zu haben, den schwerfälligen Gefährten über einen etwaigen Verdacht zu beruhigen, dessen völlige Grundlosigkeit darzutun die unumwundene Aufklärung ihm bei seiner Menschenunkenntnis genügend schien.

Bei einer Pirutschade war es, daß sich der Marquis, der, mit den anderen Kavalieren wetteifernd, Gräfin Fanny die üblichen Huldigungen dargebracht hatte, scheinbar harmlos herantretend, indem sich der Wagen wieder in Bewegung setzte, diese schnellen Worte ihr fast ins Ohr zu flüstern unterfing: »Gräfin, ich werde morgen nacht gegen zwölf in Ihrem Schlafgemach auf Sie warten.« Während die Lipizzaner in immer rascherem Trabe sich den anderen Gespannen anschlossen, hatte die Gräfin an der Seite ihres schwerhörigen Gatten Zeit, über die Kühnheit dieser Ankündigung sich zu beruhigen. Selbstverständlich würde sie dem mehr als tollen Unternehmen zu steuern wissen. Der Abend des kommenden Tages war einem großen Empfang geweiht, den der spanische Botschafter den Vertretern der Mächte und der Elite der Gesellschaft gab. Spät genug angesetzt, mochte sich das Fest, wenn sich die Mitglieder des Hofes zurückgezogen hatten, wohl weit über Mitternacht erstrecken. Immerhin war es von dem Marquis eine Vermessenheit sondergleichen, mit der Neigung des Grafen zu langwierigen Spielpartien rechnend, eine verhältnismäßig so frühe Stunde zum Stelldichein unter dem ehelichen Dache seiner Dame zu wählen. Die Gräfin ertappte sich in einiger Verlegenheit bei Erwägungen über die Möglichkeiten, nicht etwa wie der Marquis von seinem frevelhaften Beginnen durch energische Zurechtweisung abzubringen wäre, sondern wie die Ausführung des in seiner Verruchtheit so verführerischen Unternehmens sich wohl gestalten würde. An diesem Nachmittag ergab sich keine Gelegenheit, den Marquis zu warnen; denn schon hatte sich die zuerst beabsichtigte schroffe Zurechtweisung des jungen Mannes in mißbilligenden Tadel, dieser aber im Verlaufe der stummen Erörterung in eine dem Leichtsinnigen nicht vorzuenthaltende Warnung verwandelt, ohne daß die Gräfin sich dieses Umschwunges ihrer Anschauung völlig bewußt geworden wäre.

Als Gräfin Fanny am anderen Tag erwachte und ihr auf silberner Platte von Pepi das Frühstück serviert wurde, fiel ihr – es war hoher Mittag – das für diese Nacht bevorstehende Ereignis ein und, indem sie sich eines früheren andeutenden Wortes des Marquis, das sie anfangs wohl verblüfft hatte, später jedoch von ihr im geselligen Taumel wieder vernachlässigt worden war, entsann, glaubte sie, ein übriges getan zu haben, wenn sie dem Mädchen mit strengen, aber nicht weiter bei der peinlichen Sache verweilenden Worten die gefährliche Betrauung verwiese. Kaum aber hatte sie der mit gesenkten Augen sie bedienenden Zofe auch nur den Namen des Marquis genannt, als das Mädchen, sich und sein vermeintliches süßes Geheimnis verraten wähnend, weinend der Gräfin zu Füßen fiel und sie um Gottes und aller Heiligen willen beschwor, ihre Gnade ihr nicht zu entziehen. Die Verwirrung der Magd deutete die Gräfin in ihrem Sinne, sie verbat sich jedes weitere Wort, verwies Pepi ernstlich ihre Unvorsichtigkeit, und, innerlichst gerührt über die mutige Hartnäckigkeit des schönen Jünglings, der sich wirklich schon aller Mittel und Wege, zu seinem Ziele zu gelangen, versichert zu haben schien, entließ sie sie mit der zweideutigen Weisung, in Hinkunft ihr eigenes Wohlergehen besser im Auge zu behalten. Keinen Moment war ihr bewußt geworden, daß, hätte das Mädchen wirklich als die vertraute Unterhändlerin des Marquis vor ihr gestanden, die Herrin ihren Zorn ganz anders hätte zeigen müssen. Pepi entfernte sich mit Zittern. Ein Briefchen am Morgen von dem findigen Bedienten ihr zugesteckt, hatte den Besuch des vornehmen Geliebten für diese Nacht in Aussicht gestellt. Sie wußte sich keine Möglichkeit, den Besuch hintanzuhalten, war aber entschlossen, den Marquis diesmal nicht in ihre Stube einzulassen. »Diesmal«, wiederholte sie sich. Denn mit heißem Erröten mußte sich das arme Ding gestehen, daß ein jäher Abbruch der süßen Verbindung ihr Herz auf Lebensdauer versehren würde.

Der Abend kam heran. Die Gräfin ließ sich von Pepi beizeiten ankleiden. Im hohen Spiegel des Trumeaus fing sie gelegentlich scheue Blicke der Zofe auf, die zu bemerken sie sich selbst verwehrte. Während Pepi mit bebenden Fingern das reiche Haar ordnete, waren die Gedanken der beiden Frauen bei dem kühnen Abenteurer, der unterdessen, von Seymour zur Besichtigung eines aus England eingetroffenen jungen Pferdes eingeladen, das unruhige Tier auf der Reitbahn zwischen seinen Schenkeln auf die aus seinen Muskeln noch zu entwickelnden Fähigkeiten prüfte. Mit verschränkten Armen, lauernden Blickes, stand der Besitzer inmitten des mit feinem Sand bestreuten Kreisrundes, während langsam die Frühlingsdämmerung einfiel. Durch einen seiner Spione war er in Kenntnis des von dem Franzosen mit Pepi für heute verabredeten Stelldicheins, und argwöhnisch wie nur je der an die Bequemlichkeit einer andauernden Liaison gewöhnte Liebhaber einer nicht eben unzugänglichen Frau, hatte er dieses wie jedesmal seine besonderen Vermutungen. Auch war sein Plan schon zum Entschlusse gereift. So oft der Marquis das Kammermädchen aufsuchte, hatte George Seymour die Gräfin, die er fast täglich zu sehen Gelegenheit hatte, nicht aus den Augen gelassen. Auch war ein Bedienter des Hauses bestochen, der über die Zusammenkünfte zu berichten hatte.

Strahlend in Jugend und Schönheit, der die innerliche Erregung einen neuen Reiz verlieh, erschien die Gräfin auf der spanischen Botschaft. Sie war so umringt, daß geraume Zeit weder Seymour noch der Marquis sich ihr zu nahen in die Lage kamen. Der Engländer sagte, als er ihr die Hand küßte – nur der Apostolische Nuntius hielt sich neben ihr, ein paar jüngere Herren waren, als sie den Günstling kommen sahen, nicht ohne Scheu vor dem berühmten Fechter zurückgetreten –: »Der Kutscher hat Ordre.« In den Diensten der Gräfin stand seit einigen Wochen ein englischer Kutscher, den Seymour dem Grafen abgetreten hatte, jenem blind ergeben, todsicher. Es war das Übereinkommen getroffen worden, daß der Kutscher die Gräfin an gewissen Abenden, wenn ihr Mann dem geliebten Spiel oblag, auf eine Stunde zu Seymour führte, dann aber, wofern er den Grafen nicht abholte, leer nach Hause fuhr, während sie später zur pünktlich festgesetzten Heimkehr einen von Seymour bereitgehaltenen Wagen bis an die Hinterpforte des Palais benutzte. Seit Wochen schon hatte der alternde Gatte die Gemächer seiner jungen Frau zur Nachtzeit nicht besucht. Übrigens waren diese kurzen nächtlichen Zusammenkünfte eine Gunst, die die vor Seymours Jähzorn zitternde Gräfin ihm nicht abzuschlagen wagte, obgleich sie jedesmal mehr tot als lebendig heimkehrte.

Die Ankündigung hatte sie wie ein Blitzstrahl getroffen. Sie behielt so viel an Geisteskraft, ihm nicht sofort abzusagen, was wohl nur Unheil hätte stiften können. Aber ihr Kopf rang nach einer annehmbaren Ausflucht, die sich im Verlaufe des vorgeschrittenen Abends würde ins Treffen führen lassen. Als sie nach dem spät servierten Souper mit qualverdunkelten Blicken ihren Herrn suchte, war er nicht zu entdecken. Er hatte sich bereits in seine Wohnung begeben, denn er hielt weitere Verabredungen nicht für nötig. »Heut haben Sie Ihre Seladons bald verlassen, teuerste Gräfin«, sagte eine näselnde Stimme neben ihr, als sie, die Hand an die hoch wogende Brust gedrückt, einen Augenblick geistesabwesend auf ihre Fußspitzen starrte. Es war eine alte Exzellenz, die sich diese Vertraulichkeit gegen die junge Frau herausnahm. Sie lächelte mit ihren schimmernden Zähnen. Sie sann. Was tun, um Gottes willen, was tun! Denn daß auch der Marquis seiner Ansage sich getreu erweisen würde, stand ihr über jedem Zweifel.

Dieser hatte, ohne sich von jemand zu verabschieden, seinen Wagen bestiegen, und sich zu einer Straßenkreuzung fahren lassen, die, in einiger Entfernung des Hotels Hohenmauth, abgelegen genug war, das Ziel der Fahrt zu verbergen. Zu Fuß – er entließ den Kutscher – setzte er den Weg fort, alle Glückseligkeit des Freibeuters im Herzen. Bald stieg die dunkle Masse des alten Hauses vor ihm auf. Die Toreinfahrt stand offen. Der Pförtner schlief wie gewöhnlich. In seinen Mantel gehüllt, glitt der Marquis an der gegenüberliegenden Wand vorbei durch einen Gang zum zweiten Hofe. Wieder sah er über sich das hohe Kreisrund der altertümlichen Emporen, deren eine – das wußte er – vor dem Schlafgemach der Gräfin gelegen war. Der Mond hatte einen Hof. Der heftige Frühlingswind gelangte nicht hinab in den stillen Kessel, aber die am Himmel treibenden Wolken verrieten seine junge drängende Kraft.

Pepi, die in dem oberen Stock an einem der aneinanderstoßenden Glasfenster der geschlossenen Galerie, voll Bangen, geharrt hatte, erschien aufgeregt hastig. »Die Gräfin weiß alles«, stieß sie aus keuchender Brust hervor. »Du hast ihr doch nicht gestanden?« rief der Marquis. Das Mädchen mußte sich erst besinnen, ob und was sie gestanden haben mochte. Sie erinnerte sich wirklich nicht mehr des Inhalts der demütigen Unterredung, obwohl ihr alle Begleitumstände bis auf den Glanz der durch ihre Hand gleitenden Haarflechten ihrer Herrin bewußt waren. Nach einigen schlecht genug versinnlichten Kreuzfragen hatte der Marquis sich soweit vergewissert, daß die Dame seiner Wünsche nicht etwa in die allzu fleischlichen Umwege eingeweiht wäre, die ihn zum Ziele zu führen bestimmt waren. Der Eifersucht des Weibes in der Gräfin hätte er seine Sache nicht ausliefern wollen. Als er nach einigem Sträuben in Pepis Kammer angelangt war, verlangte er, wie von einer plötzlichen Neugierde gestachelt, das Schlafzimmer der Gräfin zu sehen. Im Gefühl doppelten Unrechts gegen die Herrin, die sich ihr im besonderen erst heute so gütig erwiesen hatte, ließ ihn das Mädchen ein. Er verweilte lang im Anblicke der einzelnen Gegenstände des schweigenden, von Weiß beherrschten Raumes. Stumm hielt die Zofe Wacht über allzu vorwitzige Blicke des unbefugten Besuchers. Da er eine dritte Türe bemerkte – die eine führte zum Ankleidezimmer, die zweite in einen kleinen Vorraum, an den sich das vordere Stiegenhaus schloß –, wollte er wissen, wohin man durch sie gelange. Pepi öffnete, und ruhige Mondeshelle drang in das Gemach, umspülte das bereitete Bett. Sie traten auf eine Art von verglaster Altane, eine der Emporen, die um den Hof sich reihten. Er sah durch das Fenster – es stand halb offen – in eine ziemliche Tiefe auf die Steinfliesen des zweiten Hofes hinab. In diesem Augenblick erscholl ein dumpfes Rollen hinter Mauern. »Die Gräfin!« rief das Mädchen erschreckt. Auch den Marquis hatte dieses Geräusch merkwürdig ins Herz getroffen. Es war nicht die gewohnte sieghafte, nur nach Erfüllung durstige Zuversicht, die in dem Auflauschenden ihre stolzen Flügel breitete, es war wie die dumpfe Ahnung eines ungewissen Schicksals, das ihn überschattete. Auch stieg plötzlich die Erinnerung an das gütige Gesicht seiner fernen Mutter wie eine mahnende Vision vor seinen inneren Augen auf. – Schon aber hatte die Kammerfrau ihn fast fußfällig beschworen, das Schlafzimmer augenblicklich zu verlassen. Er zögerte. Er konnte sich nicht trennen von der Ruhe dieser erwartenden Wände, dem schlichten Betpult, auf dessen dunkelbrauner Diele sie ihre tägliche Andacht verrichten mochte, dem schneeigen Bett, auf dem das Mondlicht flutete. Da man im Korridor unten eine Glastür gehen hörte, erzitterte das Mädchen am ganzen Körper, und indem sie ihre Bitte eindringlicher und ihre eigene gefährdete Person in den Vordergrund schiebend wiederholte, wollte sie den Marquis, an den sie sich, wenn er nicht an ihrer Brust lag in der Stille der Nacht, kaum heranwagte, leis an der Schulter in das Nebengemach drängen. Er aber war, als hätte er Zeit und als ginge ihn die ganze Sache nichts an, in seltsamen Heimatsgedanken, zu denen ihn der trotz den wilden Wolken mild leuchtende Mond stimmte, wieder durch die geöffneten Türen auf die Altane getreten und stand, die Hand auf die Fensterbrüstung gelegt, in den Anblick des lichtgebadeten Hofes versunken. Diesen Moment benutzte die vor Sorge um ihre Sicherheit ganz außer Besinnung gebrachte Kammerzofe, hinter ihm die Tür zu schließen und mit einer raschen Bewegung auch alsogleich zu versperren. Er sah sich auf der Empore unmittelbar vor dem Schlafzimmer mit sich selbst und dem Mond eingeschlossen. Er klopfte, aber er hörte wieder eine Tür gehen und unterließ die Wiederholung des vorläufig wohl vergeblichen Versuches, das Mädchen an sein Versäumnis zu mahnen.

Pepi war der Gräfin entgegengeeilt, die, unfähig, sich den Gefahren zu stellen, die ihr aus dem Zusammentreffen der beiden Rivalen drohten, ihren Gatten durch das Vorschützen einer plötzlichen Unpäßlichkeit vermocht hatte, vom Spieltisch, unwillig genug, aber nach außen höflich wie immer, sich zu ungewohnter Zeit zu erheben und sie auf ihre dringende Bitte nach Hause zu begleiten. Der von Seymour, den er fürchtete wie den Teufel, angewiesene Kutscher hatte, da er also den Grafen ins Schloß zu bringen sich genötigt sah, sofort nach seiner Ankunft im Stalle die Pferde einem der schlaftrunkenen Stallburschen übergeben und war spornstreichs zu dem Engländer gelaufen, ihn über das Geschehnis aufzuklären. Seymour, dessen Wagen im Hofe hielt, ließ den Mann, nachdem er seine Meldung, ohne ein Wort zu erwidern, entgegengenommen hatte, stehen, wo er stand, und fuhr unverzüglich zum Hotel Hohenmauth. Er ließ den Wagen ihn erwarten, als handelte es sich um eine Staatsvisite, und begab sich, ohne Degen, mit seinen festen Schritten zum Portier. Dort ließ er sich die Rückkunft des Grafen und der Gräfin bestätigen, dankte kalt für die Auskunft und schritt, als wäre es heller Tag, ruhig durch den Gang, durch den der Marquis gekommen war, in den zweiten Hof. Der Pförtner, der sich längst abgewöhnt hatte, sich über die Absichten gewisser Herren Gedanken zu machen, blickte ihm kopfschüttelnd nach, doch da er den Wagen halten sah, dessen Laternen ihren Schein in die Einfahrt sandten, während das Schnauben der Pferde im Gewölbe widerhallte, sprach er sich mit einer unwillkürlichen Handbewegung von aller Schuld frei und trollte sich wieder zu seinem Weibe, ihr für den Rest der Nacht die Betreuung des Hotels überlassend.

Seymour, der, sowie er sich dem mondbeschienenen Platz näherte, sich wieder in die Wächterrolle fand, die er seit einiger Zeit angenommen hatte, blieb unter dem Hoftor stehen und musterte sorgfältig mit dem scharfen Auge des Jägers zuerst den Hof selbst, dann seine Umgebung. Langsam hob er seine Blicke zu den Emporen. Voll beschienen vom Mond stand, noch immer träumend – denn die Gräfin hatte, ihre Furcht kaum bemeisternd, bei ihrem Gatten verweilt –, oben hinter den Scheiben der gegenüberliegenden Altane der Marquis. Seymour erkannte ihn sofort. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem Platze der gewohnten Waffe. Aber er ließ sie alsbald sinken, denn ein unheimlicher Gedanke war mit der Deutlichkeit einer Erscheinung plötzlich vor ihm aufgetaucht. Leise verließ er seinen Posten und stieg, vorsichtig Schritt vor Schritt setzend, die Treppe, die ins erste Stockwerk führte, hinauf. Von dem kleinen Vorplatze zweigte ein schmaler Gang ab. Er durchschritt ihn, betrat ein Zimmer, in dem eine Wanne stand, und befand sich mit einer Wendung nach rechts in dem hinten an das Schlafgemach der Gräfin anstoßenden Raum, durch den die Kammerzofe gewöhnlich, indem sie einige Garderobestätten passierte, über eine kleine Wendeltreppe unmittelbar aus ihrer im Erdgeschosse gelegenen Kammer sich zu ihrer Herrin begab. Hier hielt Seymour und überlegte. Entweder wartete der Marquis auf die allgemeine Ruhe im Hause, oder er war hinausgetreten, während die Gräfin sich entkleidete. Die Stille im Schlafgemach beruhigte ihn über diese Annahme. Fanny war noch nicht in ihrem Zimmer eingetroffen. Er erinnerte sich, daß er ja wie ein Rasender herangefahren war; seit der Nachricht des Kutschers waren keine zehn Minuten verstrichen. –

Die Gräfin hatte Tee kommen lassen, den sie in Gesellschaft ihres Mannes trank. Sie fühlte sich wohler. Er sah ihr einigermaßen mißtrauisch unter die Lider. Was bedeutete diese plötzliche zärtliche Annäherung der Frau, die ihm seit Jahren schon aus dem Wege ging? Sein geschwächtes Gehör hatte ihn frühzeitig verbittert. Als sie ihn dann allein ließ, saß er nachdenklich, die Hand auf dem silberbeschlagenen Stock, während sein Schatten, da die Kerzen langsam niederbrannten, riesengroß an der Wand hinaufwuchs ...

Mit hochklopfendem Herzen erwartete Pepi draußen die Gräfin. Diese wollte das Mädchen fragen, unterließ es aber. Nur nicht verlassen durfte sie heute die Zofe. Sie befahl ihr, das eigene Bett bei ihr im Zimmer aufzuschlagen. Pepi erschrak. Sie hatte sich noch keine rechte Vorstellung davon gemacht, wie sie den Marquis befreien sollte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als den Liebhaber einzugestehen.

Aller ihrer Zweifel überhob sie jedoch eine schreckliehe Erscheinung. Als sie der Gräfin, mit dem hochgehaltenen Doppelleuchter voranschreitend, die Tür geöffnet hatte und zurücktrat, blieb die Herrin, wie von einer entsetzlichen Ahnung gewarnt, an der Schwelle stehen. Ihr Zögern hatte kaum einen Augenblick gedauert. Sie faßte sich, überschritt die leichte Erhöhung und stand George Seymour gegenüber. Mit einem durchdringenden Schrei ließ Pepi, die ihr gefolgt war, den Leuchter fallen. Sie glaubte, einen Mörder zu erblicken. Dunkel herrschte im Gemach, denn auch der Mond war von einer Wolke verfinstert. Seymour ergriff das Mädchen bei der Rechten, schleuderte sie in die Mitte des Zimmers und deutete mit einer gebieterischen Handbewegung auf die Türe, die ins Nebengelaß führte. Sie entfloh, geduckt wie ein Schläge fürchtender Hund. Die Gräfin hatte beide Hände an ihre heftig atmende Brust gepreßt. Ihr schwindelte. Er fing sie auf, geleitete sie zu einem Diwan, ließ sie darauf niedergleiten und verschloß mit zwei raschen Umdrehungen des Schlüssels die Tür zum Korridor. Ruhigen Schrittes trat er dann zur Balkontür und zog die Gardinen zu. Ein vorsichtiger Blick streifte den in die äußerste Ecke des gläsernen Käfigs geduckten Marquis, der instinktiv die Augen schloß. Dann begann Seymour sich gelassen zu entkleiden ...

Der Marquis war, auf Knien und Händen schleichend, bis unter das noch offenstehende Fenster seines unfreiwilligen Lauscherpostens gelangt. In fieberhafter Aufregung erwog er nur den einen Gedanken: wie hinab in den Hof gelangen, denn die Verhältnisse des Hauses waren weit über den gewöhnlichen. Ein Sprung war unmöglich. Er vermied jede Bewegung, da er sich unfehlbar durch seinen Schatten auf den Vorhängen hätte verraten müssen ... Eine grausige Frage sprang plötzlich in ihm auf: Hatte Seymour ihn bemerkt? Er verwarf diesen Einfall sofort. Dann hätte er ihn ja nicht hier belassen dürfen. Es wäre zu einem Entscheidungskampfe gekommen. Er tastete unwillkürlich nach seinem Degen; der fehlte. Er erinnerte sich, ihn bei Pepi an die Kommode gelehnt zu haben ...

Unten in der Toreinfahrt stand das an allen Gliedern zitternde Mädchen und strengte sich an, den Geliebten zu erblicken. Wohin war er verschwunden? Er konnte doch nicht während ihrer kurzen Abwesenheit unvorsichtiger- oder tollkühnerweise in das Schlafgemach getreten sein? Jetzt bemerkte sie etwas wie einen Schatten an der Tür, die nach innen führte, und ersah die vorgezogenen Stoffe. Was ging dort oben vor? Ihr stand das Herz still ... Sie erraffte sich. Ohne die Folgen ihres Beginnens zu erwägen, eilte sie zum Pförtner. Bei seinem matterleuchteten Fenster stockte sie. Nein, das war der richtige Ausweg nicht. Der Gedanke an den Grafen machte sie schaudern. In ihrem armen Kopfe drehten sich die Geschehnisse dieser Nacht wie im Wirbel. Rettung für den Eingeschlossenen mußte geschafft werden ... Und an dem von der langen, schwarzen Bank im Vorzimmer aus seinem Halbschlummer überrascht auftaumelnden Kammerdiener vorbei, stürzte sie, ohne anzuklopfen – er hörte das Pochen ja doch nicht –, in das Zimmer, wo noch immer, auf dem Krückstock gestützt, der Graf vor sich hinträumte. Bei dem Anblick des Mädchens sprang er empor. Seine gelbe, magere Hand klammerte sich an die Tischkante. Heiser stieß er heraus: »Was gibt's?« »Die Gräfin ...« Mehr konnte Pepi nicht stammeln. Bis in die Kehle schlug ihr das Herz. Einen Leuchter ergreifend, stolperte der Graf durch die Türe. Neugierig schloß sich der Kammerdiener dem seltsamen Zug an ...

Der Marquis in seinem Glasgehäuse hörte, daß eine Tür aufgestoßen wurde. Seiner Sinne beraubt vor Angst – wem anders als ihm konnte es gelten –, fuhr er auf und schwang sich über die Brüstung des Fensters. Da hing er nun über dem schweigenden Hof, voll beschienen vom Mondlicht, beide Arme innen um die Täfelung geklammert, in einer verzweifelten Lage ... Der Graf klopfte an die Tür zum Schlafzimmer seiner Gemahlin. Seymour, sich halb erhebend, bedeutete ihr, zu antworten. Sie rief: »Wer ist da?« »Ich!« schrie der Graf. »Bist du zu Bett? Mach auf!« Die Gräfin klammerte sich an Seymour. Er stieß ihren Arm weg und flüsterte: »Ich gehe. Mach ihm dann auf.« Und er begann sich anzukleiden. Während sie mit fliegenden Pulsen Licht schlug und den drängenden Gatten mit einer dem Schluchzen nahen Stimme beschwichtigte – schon war sie an der Tür, um Seymour zur Eile anzutreiben –, zog dieser mit einem Ruck die Vorhänge vor dem Balkon auseinander. Er hatte sich diesen Triumph aufsparen wollen, denn er war von Anfang an gewillt, den Feind zum Sprung und so zum Selbstmord zu zwingen. Er konnte Fanny nicht verlassen, ohne ihr gezeigt zu haben, daß, wo George Seymour herrsche, ein Nebenbuhler verloren sein müsse. Als der Marquis, dessen Augen wie gebannt an der Türe hingen, die Vorhänge sich bewegen sah, ließ er mit einem Schrei die Brüstung los. Der dumpfe Aufschlag seines Körpers hallte herauf. »Da liegt dein Knäblein«, sagte Seymour. Der Mondschein floß um ihn. Schon aber hatte er auch die Klinke zur Kammer niedergedrückt und war verschwunden.

Die Tür, vom Grafen mit einem Fußtritt gesprengt, flog ins Zimmer. Er stürmte zur Balkontür, riß sie auf, stürzte hinaus und lehnte sich weit über den Rand. Unten lag ein Mann ...

Seymour hatte im Schatten des Torwegs seinen Blick über den Hof wandern lassen. Wenige Schritte vor ihm schwamm der zerschmetterte Leichnam des Marquis in einer großen Blutlache. Oben beugte sich der weiße Kopf des Grafen vor ...

Seymour schritt durch den Gang und das erste Tor – die Pförtnerin, die Pepi gefolgt war, stand schon eifrig tratschend bei den Lakaien – zu seinem wartenden Wagen und sagte dem Kutscher, ihn an der Schulter aus dem Schlummer rüttelnd: »Nach Hause!«


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