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Der Kondor

In einem elenden Menageriekäfig, zwischen einem Brüllaffen und einem Paar abgemagerter Hyänen, saß ein Kondor gefangen. Es war noch ein junges Tier. Seine Flügel hatten noch nicht die volle Größe, und in den Kielen der Schwungfedern befand sich noch Blut. Vor Monaten hatten ihn die Hände eines Jägers aus dem unbewachten Nest genommen. Nun saß er hinter den rostigen Eisenstäben seines Käfigs und dachte an die Heimat ... Stundenlang saß er da und starrte mit trübem Blick in die halbdunkle Bude hinein, in der es nach Pferdefleisch roch und alle Gegenstände den scharfen Geruch der Raubtiere angenommen hatten, die ruhelos hinter den Stäben ihrer Gefängnisse auf und ab schlichen. Seine Federn waren struppig und unordentlich, so jung sein Gefieder noch war, seine Bewegungen waren matt und lässig; nur in den Augenblicken, wo ihm ein Traum die einsame Größe seiner Heimat zeigte, die blauen Berge und die schroffen Felsen Perus und die wilden Täler, die sich dort zwischen den Bergen hinziehen, leuchtete sein Auge auf, und mit wilden Flügelschlägen versuchte er sich zu erheben, von Sehnsucht gequält ... Aber die kurze harte Kette über den Zehen des linken Fußes mahnte ihn an sein Schicksal und zog ihn wieder auf sein Sprungholz zurück, auf dem er einen Tag nach dem andern verbrachte. Dann legte er wieder die Flügel zusammen, zog den Kopf zwischen die Schultern und schaute mit trüben Blicken auf die Leute, die vor seinem Käfig standen und ihn neugierig betrachteten.

Er war einer der Hauptanziehungspunkte für die Besucher der Tierbude und wurde als »echter Felsenadler aus den Kordilleren Amerikas« im Verzeichnis geführt, einem kleinen, schmutzigen, gedruckten Stück Papier, auf dem in dicker, schwarzer Schrift das Wort »Katalog« zu lesen war und das nach Pferdefleisch roch, wie alles, was zur Bude gehörte. Dabei war es ein Glück, daß es in der Bude nach Pferdefleisch roch, wenigstens für die Tiere, die man darin eingesperrt hielt, denn Pferdefleisch war für sie die einzige Wonne ihres Lebens, ihre Morgen- und Abendandacht. Wenn es aber zuweilen fehlte und man erst auf Besucher warten mußte, um von neuem einkaufen zu können, knurrten die Tiere ungeduldig hinter ihren Gitterstäben und warfen tückische Blicke auf die Leute, die satt und zufrieden die Bude betraten, um die Tiere zu betrachten.

Jede Vorstellung begann damit, daß der »Tierbändiger«, der am Schluß die Wölfe über die Schnur springen ließ, ihnen glühende Reifen vorhielt und sie mit der Peitsche zwang, hindurchzuschlüpfen, den Kondor vorführte. Er wurde mit der Sitzstange aus dem Käfig genommen, man breitete seine Flügel aus und zeigte, wie weit sie klaffterten, und dann liebkoste der Wärter ihn und gab ihm ein Stückchen Fleisch. Meistens ließ das Tier alles ruhig mit sich geschehen. Matt und schläfrig, bewegte es sich kaum auf seiner Stange. Aber zuweilen leuchtete es in seinen Augen auf, als zöge ein königlicher Traum an ihnen vorüber, ein Traum von einem Flug über Berggipfel hinweg, von der Jagd auf lebendige Beute und dem freien Horste auf schwindelnden Felsenwänden. Es war nur ein kurzes Aufleuchten, ein Aufflackern, eine vorüberhuschende Erinnerung. Aber wer diese funkelnden, königlichen Blicke auffing, voll tückischen Hasses auf die, die ihn quälten, erschrak und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Nach einigen Monaten wußte es der Besitzer: »Cäsar« hatte die Schwindsucht. Es war das ewige Kreuz, daß die besten Tiere seiner Bude nach einiger Zeit an der Schwindsucht eingingen. Daran hatte er den Schimpansen verloren, den er im vorigen Jahre für teures Geld erstanden hatte, den großen Amazonenpapagei und den Ara, der alle Besucher durch die Pracht seiner Federn fesselte. Langsam, allmählich begannen die Tiere zu kränkeln und gingen trotz der aufmerksamsten Pflege nach einiger Zeit ein.

Eines Tages wurde der Kondor wieder »vorgeführt«. Der Wärter strich ihm mit der Hand über den Rücken und zog die Flügel auseinander, wie er es sonst tat. Aber welche Fieberphantasie mochte dem königlichen Tiere plötzlich den Blick blenden, ihm das Blut ins Gehirn treiben und dem Blick seiner Augen den Ausdruck maßloser blinder Wut geben? War es die Krankheit? War es der Ingrimm über die langsame Todesmarter, die ihm zuteil geworden war, war es die Wut darüber, daß man ihn eingesperrt hielt und nun langsam das Mark seines Lebens dahinschwand, unaufhaltsam? Wütend hatte er sich plötzlich auf den Wärter gestürzt, dem er sonst nie zu nahe gekommen war. Mit einem einzigen Schnabelhiebe hatte das von einer Vision aufgestachelte Tier seinem Pfleger ein Auge ausgehackt und die beiden Füße mit den Krallen in seine Wangen eingeschlagen. Ein Schrei des Entsetzens erfüllte den Raum; man eilte herbei und warf sich auf das wilde, mit den Flügeln schlagende Tier, in dem der Geist seiner Rasse mit einem einzigen Schlage erwacht schien. Und dann verging der Wutanfall so plötzlich wie er gekommen. Mit unbewegter Ruhe hockte das Tier wieder auf seiner Stange und ließ sich in seinen Käfig zurückbringen. Dort saß es, als sei nichts geschehen, und starrte mit dem müden Blick ins Leere, den es vom ersten Tage an gehabt hatte, als es in diesen Raum gebracht worden war.

Am folgenden Morgen fand man den Kondor tot in seinem Käfig. In seinem Todeskampfe hatte das gefesselte Tier sich in die Kette verstrickt, und nun lag es da, als wenn es die eiserne Fessel im letzten Augenblick noch hätte zerbrechen wollen.

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