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Jan lag, den rechten Fuß kräftig gegen die Bordwand gespreizt, in einer kleinen Segeljolle, hielt die Taue in der Hand, sah ihrem Zerren und Lockern über die Rolle zum Großbaum aufmerksam zu. Er fuhr bei gutem Nord.
Ueber die Welt und sich selbst nachzudenken, war jetzt angenehm, denn man war im Besitz. Die laue Spätherbstluft der Mittagsstunden umfächelte ihn. Von den Ufern grüßten verstreute Birken in goldenem Laube. In breiten Riegeln standen die hochgewachsenen Föhren wie ruhige Hallen, in denen immer friedlicher Sonntag ist. Er hatte sich eine kleine Villa mit einer hübschen Veranda gekauft, pflegte Spätsommerblumen, kümmerte sich nicht um Menschen, las keine Bücher und war immer irgendwie unterwegs. Drüben streckte sich Potsdam in ernster soldatischer Ruhe mit Türmen und Häusern in den frisch ausgeblasenen blauen Herbsthimmel.
Irgend etwas reizte Jan wettzufahren. So kühn als möglich ging er in die Schräglage und strich pfeilschnell wie ein Falter mit einer Schwinge über die blaue Wasserfläche zum Wannsee hinauf. Es machte ihn froh, einen nach dem anderen zu überholen.
Mit voller Wucht kreuzte er um ein Horn und geriet ohne Absicht dicht an einen flinken kleinen Segler. Ein Zusammenstoß schien unvermeidlich, aber mit kühnem Ruck am Steuer ging Jan aus dem Wind. Der Großbaum surrte wie ein schwerer Hammer dicht über seinem Schädel auf die andere Seite. Dicht neben dem Boot, das ruhiger aus der Fahrt gegangen war, hielt sein Segler. Jan warf einen flüchtigen Blick hinüber und erkannte Thea in Begleitung einiger Herren, die ihre gepflegten weißen Flanellhosen und ihre Marinemützen besonders feierlich betonten.
»Schicksal ist Kitsch«, fuhr es ihm durch den Sinn. Er brachte sein Boot in Fahrt und verschwand rasch mit der starken Brise nach der Seemitte.
Jan glaubte, daß Thea ihn nicht gesehen habe. Er wollte keine Bindungen an das frühere Erleben.
In ihm war stiller Menschenhaß, weil er sich seiner Schwäche den Menschen gegenüber bewußt war.
Indes konnte er es nicht hindern, daß er unruhig blieb und ihm weder der Abend noch die nächsten Tage Freude machten.
Nach wie vor streifte er in der Gegend.
So war etwa eine Woche vergangen.
Auf seinem Frühstückstisch lag Post.
Mißtrauisch besah Jan die weißen rechteckigen Flächen. War er immer noch in Verbindung mit Menschen? Gab es immer noch Leute, die an ihn schreiben mußten?
Er zögerte, denn er ahnte die Verwicklung der Dinge, war gewissermaßen verwachsen mit der düsteren Seite des Lebens. Furcht konnte nicht helfen, Erwartung irgendwelcher Art lächerlich sein. Vielleicht war aber auch Vorsicht geboten.
Jan ließ sich heißes Wasser bringen und öffnete die Briefe mit leicht zitternder Hand. Als er den ersten überflogen hatte, gab es ihm einen Ruck. Als er den zweiten zu Ende gelesen hatte, ließ er den Kopf gramvoll auf die Brust sinken.
Der erste Umschlag enthielt eine Aufforderung der Berliner politischen Polizei. Sie war durchaus freundlich und persönlicher Natur. Ein ihm von früher bekannter Kommissar bat um seinen Besuch gegen das Ende der Woche. Der zweite war eine Einladung Theas zu einer Segelfahrt.
Jan war sich klar darüber, daß er nicht viel Zeit verstreichen lassen dürfe. Er kannte die Freundlichkeit der politischen Polizei und wußte, daß er schon am nächsten Tage beobachtet werden würde. Seine Rubel waren verkauft und längst in westliche Währung verwandelt. Aber man konnte von der Bank Auskunft verlangt haben. Mit dem Verkäufer seiner Villa war er nicht direkt in Verkehr getreten. Der Makler hatte außerdem gut verdient. Immerhin, die Verbriefung war nicht geheim zu halten. So mochte man wohl auf ihn aufmerksam geworden sein.
Kündigte sich Yvonne Snider an, lauerte Jan van Kerken, der andere? Gab ihn die ungarische Geheimpolizei frei oder fahndeten die Ukrainer? Rasch war die Zahl der Gegner gewachsen. Jan fühlte, daß man nicht mit Ketten spielen könne. Trotzdem vermaß er sich dies zu tun. Was wollte Thea? Warum tauchte diese längst verblaßte Karte in seinem Spiel mit Trümpfen um sein eigenes Ich auf? Zuviel war es, was er durchzudenken hatte, zuviel als daß er es zu einem einheitlichen Plan hätte gestalten können.
Um sich zu zerstreuen, ging Jan in sein kleines, teppichbelegtes Eckzimmer. Er versuchte in einem Buche zu lesen, fand aber keine Ablenkung und griff wahllos aus einem Bündel ungelesener Zeitungen eine heraus.
Plötzlich fesselte ihn eine fette Ueberschrift. Hier stand Schwarz auf Weiß: Paßfälscher mit Zuchthaus bestraft. Jan van Kerken faßte dies als eine Art Zufall auf, den Zufall zu nennen, man aus innersten Gefühlen heraus keinen Grund hat. Da war ein Mann, der kein Verbrechen begangen, nicht einmal eine Polizeistrafe hatte. Er konnte sich nicht ausweisen über seinen Paß, noch viel weniger darüber, wie er eigentlich hieß. Dieser Angeklagte wußte nicht anzugeben, woher er den Paß bezogen habe noch diejenigen zu benennen, die ihm das Dokument ausgefolgt hatten. Der Staatsanwalt türmte einen Indizienbeweis vor ihm auf mit der Schlußfolgerung, daß er das Haupt einer Fälscherbande sei. Zeugen behaupteten, sie hätten nie Leute dieser Art bei ihm gesehen. Er selbst beteuerte anders zu heißen und nannte einen Namen, aber dort hatte sich kein Mensch mehr seiner erinnert. Nur die Hülse eines Namens wurde auf den Gerichtstisch niedergelegt, die jeder besonderen Kennzeichen entbehrte. So stand dieser Mensch unbewehrt und jeder Möglichkeit zur Rückkehr in die menschliche Gesellschaft bar, vor dem unwirtlichen Gebirge eines vernunftgemäß aufgetürmten Indizienbeweises.
Es wurde diesem Menschen ein Brandmal aufgebrannt, an dem er nicht schuldig war. Es wuchs diesem Menschen die Gestalt eines Fälschers, der im Unsichtbaren hauste und dem er in einer schwachen Stunde erlegen war, zu seiner eigenen herauf.
Mitten am hellen Tage, von Menschen umlagert, die ihn ergründen oder richten wollten, umfaßte ein Gespenst den Angeklagten und preßte ihn in eine andere Erscheinung hinein. Kalt trat das Verdammungsurteil durch die gedruckten Zeilen des Artikels in Erscheinung, den niemand mehr richtig schreiben konnte, weder der Richter noch der Staatsanwalt, noch der Angeklagte selber, weil die Dämonie des Schicksals ihre dürren, gespreizten Habichtskrallen dazwischen gelegt hatte.
Jan Traberg konnte diese Zeitungsseite nicht mehr ertragen.
Seit Tagen hatte er davon geträumt, wieder Jan Traberg zu heißen, irgendeine kleine Strafe zu erdulden, eine Summe zu bezahlen oder bescheiden in ein Gefängnis zu kriechen, fernab der Welt. Vielleicht konnte man dies tun. Aber dann mußte man Spießruten laufen.
Versonnen ging Jan van (Kerken durch die Zimmer, setzte sich dann an seinen Schreibtisch, nahm den Hörer ab, suchte im Kreisrund der schwarzen ausdruckslosen Ziffern seine Bank, und ließ mit Zinsverlust sein Kapital bereitstellen. Gleich darauf rief er bei seinem Makler an und teilte ihm mit, daß ihm die Einsamkeit hier außen doch nicht recht gefallen wolle. Wie sie stehe, wolle er die Villa loshaben. Der Makler nannte eine Summe. Jan bejahte lebhaft und sagte zu. Der Makler machte kein schlechtes Geschäft und war höflich.
So besaß Jan zwei altvertraute Dinge wieder, die zugleich seine bitterste Feinde waren, seinen Zwang zur Weltflucht und seine Koffer, deren Inhalt ihn der Mühe enthob zu arbeiten, Schweiß zu vergießen, und deshalb Frieden zu haben.