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9.

Liebesfrohe Musik spielte im Prater und die Leute sangen:

Es wird a Wein sein
Und wir werden nimmer sein.
Es wird schöne Madiln geb'n
Und wir werden nimmer leb'n ...

Yvonne lachte. Jan lachte auch. Wien sprach ihn an, dieses Dasitzen im Schatten der Bäume am blauen Sommertag, dieses Vergnügtsein der Leute ringsum, denen doch die Volksnot und eigene Armut bis zum Halse heraufstand. Oh, es war schon eine Lust, hier zu leben.

Die Empfehlungen hatten gewirkt. Die Arbeit war die gleiche wie in Berlin und noch viel dankbarer. Täglich verkehrte er mit ausländischem Journalisten, bekam ehrliche Arbeit, Aufträge von hierher und dorther und jene einträglichen, wortlosen, zu nichts verpflichtenden Geschenke, wie sie ein gesundes Volk, das dankbar ist, einem nützlichen Gaste gerne gibt. Auch viele Schillinge machten einen Haufen.

Bei Aemtern und Behörden fand er offene Türen, reiste viel, sah viel.

Aber wenn er es genau bedachte, hatten sich die Dinge in Wien verändert. Das Geld verwandelte sich in Seide und Samt, in Schmuck und Verschwendung für Yvonne. Jan war nicht gewohnt, für ein Sieb zu arbeiten, nicht so sehr Abenteurer, um ein nützliches Ende zu vergessen.

Zweifellos lag es daran, daß Wien katholisch war. Hier mußten sie zusammen wohnen, sahen in ihren schönen Räumen einander auf die Finger, und Yvonne war in den Dingen, die sie selbst angingen, nicht kleinlich. Sie wetteiferte mit jeder Dame, deren Kleidung ihr auffiel, und sparte weder Mühe noch Geld. Sie hatte stets einen Schwarm von Freunden und Verehrern um sich, die sich gerne in ihrem Glanze sonnten, und Jan schlängelte in diesem buntschillernden Gewebe, das ihm fast mühelos jede gewünschte Verbindung brachte, herum.

Zuweilen war Jan etwas ärgerlich, denn er hatte von den Aufgaben seiner Frau eine viel häuslichere Vorstellung. Doch war dieses Problem nicht akut, denn er räumte Yvonne nicht diesen Platz ein.

Freilich mußte er aufpassen.

Yvonne war gar nicht so klug wie sie vorgab. Sie trug auffällig das Erbe zweier Rassen und hatte deshalb stets den willkürlichen Wechsel entgegengesetzter Gefühle in sich selbst zu ertragen. Weiter darüber nachzudenken, war lächerlich, denn was gingen ihn eigentlich Yvonnes Gefühle an. Sie wären Gegenstand eines Kontraktes gewesen, den er sich von ihr niemals hatte abnötigen lassen.

*

Yvonne hatte wieder einmal ihren großen Tag gehabt, ihren jour fix. In ihren eleganten Wohnräumen lebte sie auf. Nette Leute waren dagewesen, gemütliche Wiener mit gefährlichen Hintergedanken, glatte Slawen mit kindischer Augenblickshitze, auch Frauen, ebensoviele Frauen wie Männer, denn Yvonne schätzte das kurze Vergötterungsglück eines Salons, der nur Herren zeigte, durchaus nicht.

Man hatte von allen möglichen Dingen gesprochen und wo ihr Wissen zu Ende war, half ihr das bezaubernde, genau einstudierte Lächeln und ein einfaches menschliches Wort ausgezeichnet. Sie sah sich noch einigemale in den Spiegel und wollte sich umkleiden ...

Mit einemmale kam ihr zum Bewußtsein, daß sie doch etwas vergessen hatte. Herr Glicovich, der wohl aus irgendeinem Winkel Kroatiens vor Jahren den Weg nach Wien gefunden hatte, wartete in einem Salon noch auf ein paar gute Worte. Jan hatte Interesse an ihm und es war ihr Geschäft, dieses Interesse zu vertreten.

Sie ging hinüber, um ihn möglichst bald zu verabschieden, denn sie war müde und hatte für den Abend noch mancherlei Pläne. Herr Glicovich war ein hagerer Mensch, bartlos mit Koteletten, die seine Züge weichlicher machten, als sie in Wirklichkeit waren. Es war nichts Bemerkenswertes an ihm als seine Seßhaftigkeit.

Yvonne plauderte mit ihm über alltägliche Dinge und empfand Widerwillen, weil ihre Müdigkeit zunahm. Herr Glicovich lenkte das Gespräch harmlos auf Holland. Man sprach über holländische Gewohnheiten und Anschauungen. Höflich erkundigte sich Herr Glicovich nach ihrer Heimat, Sie nannte ohne Bedenken Gent und als es sich zeigte, daß Herr Glicovich Holland sehr gut kannte, aber über Antwerpen falsche Vorstellungen hatte, stellte sie ihn richtig und verriet, von der Sekunde mitgerissen, daß Antwerpen die Heimat ihres Gatten sei. Sie bereute das schon im nächsten Augenblick, denn in Glicovichs Augen glitzerte es ein wenig. Er lenkte das Gespräch auf andere Dinge, war sehr höflich und liebenswürdig und versprach wiederzukommen.

*

Jan saß gemütlich und leise vor sich hinpfeifend in einem bequemen Stuhle, als man ihm zwei Tage später Herrn Glicovich meldete. Der Mann hatte in Kroatien und Serbien gute Verbindungen. Jan dachte, daß es gut wäre, sich mit ihm zu halten, denn er hatte das dunkle Gefühl, daß er möglichst weit nach Osten freie Bahn haben müsse. Jan stand also auf und erwartete Herrn Glicovich.

Dieser trat ein, gefolgt von einem Herrn mit einer Nase, die ein Museumsstück war.

Jan straffte sich und begriff.

Er zermarterte sein Gehirn, um die logische Verbindungsbrücke der Spuren festzustellen. Glicovich war kein Polizeiagent, also hatte sich sein Begleiter nicht entschlossen. Auf dieser kleinen Hoffnung mußte er stehen und kämpfen.

Jan heuchelte Unwissenheit.

»Darf ich die Herren bekannt machen?« säuselte Glicovich, »Sie tragen durch einen seltsamen Zufall beide denselben Namen: Herr Jan van Kerken, ebenfalls Herr Jan van Kerken. Sonderbar – Sie gestatten, daß ich lächle. Die van Kerken scheinen in Holland so zahlreich wie die Meier in Berlin oder die Huber in Wien.

»Sie täuschen sich«, schnitt der schwarze Herr van Kerken Glicovichs Rede ab. »Es gibt gar nicht viele unseres Namens und ich weiß, daß Ihr Jan van Kerken einem Antwerpener Zweig unserer Familie angehört.«

Dies sagte er vollkommen ruhig und sachlich wie eine feststehende Angelegenheit.

Jan zuckte bei der Erwähnung Antwerpens zusammen.

Im übrigen unterhielt man sich sehr angeregt und der schwarze Jan van Kerken fragte höflich, ob er, nachdem er eingeführt sei, seinen Besuch wiederholen dürfe.

Jan, der Wanderer, konnte nichts dagegen einwenden und so schieden sie in bester Freundschaft.

Als die Türe ins Schloß fiel, sank Jan in sich zusammen. In Holland konnte er sich verwandeln in Berlin konnte er nicht mehr als Unbekannter verschwinden, in Wien konnte er überhaupt nicht mehr untertauchen. Gerade in Wien stellte sich ihm jetzt sein Verhängnis in den Weg.

Wieder saß er wie damals auf der Kirchenruine im Meer. Um ihn stieg und brandete es, ohne daß er etwas tun konnte, denn sein Platz schien unverrückbar gegeben.

Wer war jetzt der Mann, der aus dem ungewissen dämmerigen Nebel das Boot brachte zu neuer Fahrt?


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