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In den lichten Räumen des Himmels, unter den seligen Scharen der Engel, herrscht eine stille, frohe Geschäftigkeit. Die heiligste Erdennacht, die Nacht, in der das Christkindlein einst im Stalle zu Bethlehem zur Welt kam, naht heran. Da falten die Kinderchen, ehe sie abends einschlafen, alle noch einmal die Hände und vertrauen dem lieben Gott ihre heimlichsten Wünsche an; die Engel aber haben gar viel zu tun, um jedem der kleinen Erdenbürger gerade das zu schaffen und vorzurichten, was die Herzchen haben möchten. Als Oberaufsicht über die fleißigen Scharen, die freudig und unermüdlich ihre treuen Hände rühren, hat der liebe Gott den Weihnachtsmann angestellt. Das ist ein steinalter, bärtiger Herr, der immer etwas ernst und grimmig tut, aber doch die beste Seele ist, die man sich denken kann. Herrlich versteht er's, den kleinsten Engelsfingerchen zu lehren, wie man Puppenwangen hellrosig anmalt und aus spinnwebfeinem Seidenzeug Puppenkleider näht. Den Großen unter der Engelschar sagt er, wieviel Schlittschuhpaare, Trommeln, Soldatenmützen und Baukasten nötig sind, um alle Jungenherzen auf Erden zufrieden und froh zu machen; er weiß es ganz genau, welches Spiel die Bürschchen gerade am liebsten haben, und er zählt die Nüsse und Äpfel ab und taucht sie in den Goldglanz des Himmels, um sie recht blitzend und leuchtend zu machen.
Während die Engel so tätig sind, um die Kinder in der Christnacht zu beglücken, geht ein heimliches, seliges Flüstern durch ihre Reihen. Sie sprechen von Gottes Liebe und Barmherzigkeit, von der Erdenkinder Tugenden und Fehlern und von der Seligkeit, die darin liegt, für andere zu sorgen, anderen Freude und Glück zu bereiten.
Ein einziges Engelchen spricht nicht mit, rührt auch die zarten Finger kaum. Es ist das Seelchen eines jüngst verstorbenen Mägdleins und ist erst seit gestern im Himmel; ja, eigentlich ist's nur auf Probe hier, denn es war auf Erden leider nicht das bravste und gehört von Rechts wegen gar nicht in die himmlische Herrlichkeit. Nur auf sein Bitten und auf das Bitten seines Mütterchens, das so traurig auf Erden zurückgeblieben ist, hat der liebe Herrgott ihm Einlaß gewährt.
In die große, wunderbare Pracht und Schönheit des Himmels kann sich das Kleine noch kaum finden. – Träumerisch spielt es mit dem Püppchen, dem es den Florrock mit Goldflitter besetzen soll; und wie es das Spielzeug betrachtet und das dazu, welches seine Genossen in den Händen haben, wird ihm ganz sehnsüchtig zu Mute, und weinerlich sagt es:
»Bekommen wir denn hier auch zu Weihnachten beschert?«
Ein holder, ernster Mädchenengel, der gerade vorüberschwebt, streift ihm sanft über die hellen, seidenweichen Härchen.
»Nein, du Kleines,« sagt er mit liebem Lächeln. »Hier ist alle Tage Christfreude, alle Tage Jubel und Glück! Wir leben und schweben in lauter Glanz und Schönheit, sehen den Heiland immer von Angesicht und wissen nichts von Leid und Schmerz.«
»Aber so ein Püppchen, wie ich's auf Erden hatte, möchte ich gern,« sagt das Engelchen wieder, dem seine Himmelsspielsachen nun auf einmal gar nicht mehr gefallen.
»Nein, Herzchen, diese Püppchen müssen die kleinen Erdenmädchen haben, du hast ja hier viel schönere Dinge,« lautet die sanfte Antwort.
Das Kleine hat leider ein ganz klein wenig von seinem irdischen Eigensinn mit in den Himmel genommen. Es war ja eben nur auf Probe da und noch nicht heiligfromm und gut wie die anderen.
»Ich will aber so gern eins haben,« sagt es, indem es die blauen Augen bittend aufschlägt.
Da schwebt der große Engel hinweg und liegt dann einen Augenblick lang bittend vor Gottes Thron. Darauf kehrt er mild und gütig lächelnd zu dem Engelchen zurück und sagt: »Du magst dies Püppchen haben, aber ein Mägdlein auf Erden wird nun nichts bekommen können!«
Das Kleine hört kaum auf die letzten Worte. Es spannt die klaren, lichtblauen Flüglein aus und flattert, das Puppenkind ans kleine Herz drückend, selig davon. Leicht, wie ein Vögelchen, wiegt es sich in dem klaren. Glanz des Himmelsraumes. Jede schöne Blüte, jeden Stern zeigt es seinem Püppchen. Es ist, als sähe es nun erst selbst die unbeschreibliche Schönheit des Himmels.
In dem Glück über seine Puppe vergißt es aber ganz, an den Gaben für die Erdenkinder mitzuarbeiten. Es tändelt und freut sich über die Maßen; die anderen aber schaffen immer emsiger, immer liebevoller, denn die heilige Nacht rückt immer, näher und näher.
Nun geht auf Erden schon der letzte kurze Wintertag vor dem hohen Feste zu Ende. Die Kinderherzen schlagen voll glückseliger Ungeduld, denn heute, ach heute, am lieben heiligen Abend, sendet ja Gott seine Engel, die die Christbäume anzünden und darunter die ersehnten Gaben legen!
In dem tiefblauen Abendhimmel blitzen nun schon die goldigen Sterne aus. Von den Türmen klingen die Weihnachtsglocken, und die Kinder ducken sich in die Winkel und sagen mit heißen Wangen Gebete her, als könnten sie's sonst nicht aushalten vor Freude und Sehnsucht.
Da schwebt endlich, unsichtbar für die Augen der Menschen, in feierlicher Pracht die Schar der himmlischen Boten hernieder. Ein paar leuchtende Engelsgestalten tragen die Christtanne, an deren Glanz sich die Lichter für die Weihnachtsbäume der Menschen entzünden. Vor ihnen und um sie her flattern mit froh verklärten Gesichtchen die kleinen Engel, die Kinderseelen, reich beladen mit allerhand Spielsachen, mit Äpfeln und Nüssen und viel blitzendem, knisterndem, lustigem Kram.
Friedlich liegt die kleine Stadt mit ihren schlanken, beschneiten Türmen, ihren spitzen Giebeln und den hellen Fensterreihen zu Füßen der heiligen Schar.
»Nun verteilt euch,« sagt der eine Cherub zu den lieblichen Kleinen. Jedes bekommt seinen Auftrag, und selig lächelnd schweben sie von dannen, um die Kinder, die Lieblinge des Heilands, zu beglücken.
Nur eins bleibt zurück, eins, welches keinen Auftrag erhalten hat. Es ist das Engelchen, welches sich das Püppchen wünschte und es auch erhielt. »Und ich?« fragt es ganz traurig und beklommen.
»Ja du!« sagt der eine schöne Mädchenengel freundlich ernst, »du hättest freilich gar nicht mitkommen sollen, denn du hast ja nichts für die Erdenkinder getan, und das Püppchen, welches du verschenken solltest, wurde dir selbst geschenkt. Sieh dort, unter dem zackigen Giebeldach, wo das rötliche, kleine Lampenlicht flimmert, wohnt das kleine Mädchen, welches die Puppe eigentlich bekommen sollte. Flieg einmal hin, und wenn du willst, so singe der Kleinen, welche nun nichts erhält, wenigstens ein Weihnachtsliedchen vor.«
Damit senkten sich die holden Christboten in die schmalen Gassen der kleinen Stadt hernieder, und das Engelchen, welches allein und traurig zwischen dem Abendhimmel und der dämmernden Erde weilte, folgte der Weisung und schwebte langsamen Fluges auf das bezeichnete winzige Fenster zu.
Da bildeten die Eisblumen eine so dichte, harte Kruste über dem Glas, daß ein Menschenkind schwerlich hätte durchschauen können. Das Engelchen aber fand leicht den Weg in das Stübchen, welches noch dunkel war und nur durch den Feuerschein vom Ofen her schwach beleuchtet wurde. Eine kleine Tanne stand auf dem Tisch, und vor ihr saß mit gefalteten Händen eine blasse Frau und wartete, daß die Engel kommen und ihr das Bäumchen schmücken und anzünden sollten. In einem Winkel des Stübchens lag in ärmlichem Bett schlummernd und lächelnd ein Kind, dessen schmalem, weißem Gesicht man es ansah, daß es eben von schwerer Krankheit genesen war.
»O, wenn die Engel ihr doch ein Püppchen brächten,« sagte die harrende Frau leise vor sich hin. »Sie hat es sich in allen ihren Schmerzen, in allen ihren Fieberträumen so sehr gewünscht!«
Dem Engelchen, das ungesehen in den Lüften schwebte, wurde es sonderbar zu Mute. Nein, nein, sie brachten ihr keins – ach, und warum? Aus den weichen, feinen Falten seines lichten Gewandes zog es das eigene, geliebte Püppchen im Flitterrock hervor. Wie lieb, ach wie lieb hatte es das steife, leblose Ding mit seinem Wachskopf und den winzigen drollig-runden Händchen! Hergeben mochte es das teuere Spielzeug nicht. Lange hielt es dasselbe still an sich gepreßt, es war so still, so still in dem kleinen Raum, daß man's deutlich hörte, wie die arme Mutter heimlich schluchzte, und wie des schlafenden Kindes Atem ging.
Nun aber verbreitete sich mit einem Male ein sanfter, trauter Glanz; die Engel kamen und steckten brennende Lichtchen auf den Tannenbaum. »Und ein Püppchen, ein Püppchen!?« sagte die Frau, halb fragend, halb bittend.
Ein Püppchen! Ja, da lag eins, ein niedliches, herziges Ding, unter dem Christbäumchen. Eben schlug das Kind im Bett die Augen auf und sah jubelnd auf die Gabe. Im letzten Augenblick, als die großen Engel sich schon wieder hinwegwandten und die Augen der Frau traurig auf den leeren Tisch starrten, hatte das Englein sich von seinem Liebling getrennt und ihn dem Kinde beschert, für das er bestimmt gewesen war.
Von fern lauschte es nun auf den Jubel, auf das glückliche Plaudern von Mutter und Kind. Eine Seligkeit, die es bisher nie gekannt hatte, erfüllte es, die wahre Seligkeit des Himmels: »Zu geben, andere zu beglücken.« – –
Als um Mitternacht vom Turme herab die Posaunen den Menschen verkündeten: »Friede sei auf Erden!« schwebte das Engelchen mit seinen Genossen wieder der sternenfunkelnden Himmelsheimat zu.
Sie sahen die Erde unter sich ruhn in ihrem weißen, feierlichen Glanz, sahen die schweigenden Wälder, die gefrorenen Ströme und die lieben engen Städte, aus deren Straßen noch viele, viele Lichtlein blinkten!
»Das ist lauter Liebe,« sagte das Engelchen, »drum ist's so hell und so warm! Nicht wahr?«
Sein Herzchen schlug ihm in seliger Lust. Es fühlte, wie sein ganzes Wesen nun anders, reiner, heiliger geworden war. Es hatte seine Prüfung bestanden.
Fortan war es nun nicht mehr auf Probe im Himmel, sondern durfte darin bleiben für immer und alle Ewigkeit.
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