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Anfang März
Geliebter Himmel, blasser,
Von Abendglut gebräunt,
Liebling der blanken Wasser
Und Seelenfreund –
Ich sitze dir zu Füßen,
Aus Krankheit wieder erwacht.
Genesung zu versüßen,
Dein ist sie, ach brauch deine Macht!
Nun, gleich Verse? Nein, dieser Anlauf schoß wohl doch übers Ziel hinaus, und da sitz ich freilich schon fest. Ach, und nun seh ich erst, was ich da richtig in der Hand halte! Einen Bleistift, einen ganz schönen, ganz langen und ganz gelben Bleistift, gelb wie eine Primel, nein, was bist du schön! du siehst ja wie ein Prinz aus! Laß mal zählen: Eins, zwei, drei, vier – sechs Ecken und sechs Kanten, ich kann sie von den Fingerspitzen bis ins Handgelenk fühlen, wenn ich schreibe, und es laufen nur ganz lange schlanke Buchstaben aus einem so schlanken Gegenstand. Lieber Himmel, ein Bleistift – und macht glücklich. Ich halte einen Bleistift! Den Satz könnt ich hundertmal abschreiben wie eine Strafarbeit, aber das sollte keine Strafe sein, und beim hundertsten Mal würd ich noch nicht wissen, was er richtig bedeutet.
Still! Ganz langsam! Schreib was andres! Schreib: Das – Leben – ist – süß. Punkt. So. Ach, warum muß ich nun weinen?
an einem andern Tage
Nachmittags aufwachen im Sofa, so leicht nun, gleich so klar, und im Fenster ein Holdes sehn, unbekannt was, alles so hell, kühl, und es summt nur noch immer im Kopf, und Geräusche sind so fern! Ach, das ist ja das süße Leben, immer wieder, immer wieder! – Dann aufstehn, geheim, als wärs noch verboten, die Beine sind freilich schwer, aber – sich langsam aufrichten, und nun dastehn, es zittert in den Knieen, aber man steht, und nun – sich langsam um den Tisch herumschieben, ach, und schon ist die ganze Welt verwandelt, es schwindelt, weil man nur steht. Horch, wie still es ist! In einem fremden Haus tief unten geht eine Tür. Das ist schön, wie die Tür geht. Und immer steht man, zum Fenster gewandt, die Hände auf den Tisch gestützt, im Fenster ists leer und klar, wie ist alles unbekannt! Die Bücher auf dem Tisch, die kleine rote Schale auf der Decke, die Decke selber, der Tisch, lauter harte, deutliche, glänzende Dinge, sind alle ganz neu wie Geschenke, und auf einmal mußt du an dir heruntersehn, du bist ja ganz weiß, du trägst ja ein ganz weißes Kleid, es ist so leicht wie eine Wolke, die Falten bewegen sich geheimnisvoll ganz von selbst, es duftet aus ihm, es knistert und bebt, und all das heißt: die Gesundheit. Es liest sich wie eine Überschrift im Lesebuch. Endlich mußt du ans Fenster, du bist wie ein kleines Kind, zum Fenster ists elend weit, aber du bist schon kühn, wenn man nur will, gehts, und auf einmal, mit drei kleinen Schritten bist du hurtig hinüber, und da knickst du auf den Stuhl, sagst: Ach Gott! – Nun ists aus, du bist ganz matt, du hast genug vom Leben für heut.
Freitag
Freitag, heut ist Freitag. Freitag – Dreitag – drei Tage sitzt du nun schon am Fenster und kannst schreiben. Oh mein Gott, daß nur das Leben, das nackte Leben so süß sein kann! Da steht eine Hyazinthe im Fenster, eine große, hellblaue Hyazinthe, in einem Topf mit moosgrüner Manschette, die ist schön anzufassen, so rauh. Die Hyazinthe dagegen ist glatt, sie ist ganz wie aus einem dicken, hellblauen Duft gemacht, so einen Stoff giebt es sonst nicht, vielleicht Reif, so dicker blauer Reif an Trauben und Pflaumen, mit Frühjahrhimmel gemischt und etwas weißer Wolke, und ganz wenig Schnee, und etwas Narzisse, und all das steht ganz zart und steif und nackend da, macht die Luft süß um sich her und ist ein großer Trost.
Draußen, da ist noch gar nichts, ein Garten, ganz kahl, schwarze Bäume, ein einziger grüner Busch ganz unten, der Rasen ist gelbgrau wie ein Fell, da steht eine Kapelle sehr sichtbar mit hohen Fenstern. Aber oben, da ist schon der Frühling, da sind ganz stillhaltende Wolken zum Anschaun wie auf Bildern, weiße, überall beschattet, dahinter ist eine blaue Leere, weich, kühl – und doch warm, in der es rieselt und sich wandelt unmerklich und vergeht. Plötzlich wird dir warm in einem ganz hellen Schein, es blendet, es überläuft dich was, dir zieht das Herz sich zusammen – –
am 7. März
Was ist mir denn?
Schrieb ich denn wirklich selber das, was ich heute lesen muß vom süßen Leben? Kann denn eine einzige Nacht einen Menschen so verwandeln? Als seien meine Augen hart geworden, und alle Dinge stehn wie in einem Spiegel ohne Luft. Ach nein, verwandelt hat mich die Nacht nicht, es stieg nur nach oben, was erst in dieser Nacht fertig wurde, der Baum von Eis in meiner Brust, und da steht er nun, und seine Zweige klirren mir am Herzen, und es ist ganz lautlos dabei.
Kalt, oh wie kalt ist der Tag und ist mir! Wohin geriet ich denn nur? In welches Leben? Ich weiß, ich träumte von Einem diese Nacht, für den ich keinen rechten Namen mehr habe. Weiß nicht mehr, was es war, es war kalt. Mir stachs eine eisige Nadel durch die Brust, und alles rollte sich zusammen und erstarrte. Da sitz ich nun, die Feder bewegt sich leicht übers kühle und weiße Papier, Schneefeld, Schneefeld! Wenn ich durchs Fenster schaue, seh ich es rieseln in der kalten grauen Luft, die schwarzen Zweige starren, Tropfen blinken am Glase, hier innen leb ich. Warum? Wozu? Was soll hieraus werden?
am 12.
Ich schrieb nichts auf in diesen Tagen, obgleich sie so lang waren wie die meilenlangen Winterseen, bläulich in der unendlichen Weiße, aufgehend in weißlichem Dampf unter dem dunkelgrauen Himmel, und in der maßlosen Stille klingt nur einmal ein heiserer Schrei, etwas Schwarzes steigt aus weißem Uferbaum, schwer im Flug wie ein langsamer Dämon streicht es seeüber, und von den Ästen, wo es abflog, fallen locker die weißen, leichten, eiskalten Kissen.
Immer liegt mir der See vor der Seele, ich schau drüberhin, ich muß immer sehen und sehn, nichts verändert sich, und ich merke endlich, daß ich immer auf den einen schwarzen Flecken im weißen Baum starre, wo der Vogel abflog. Der kleine Kalender sagt, es ist März, im Garten ist ein grüner Busch mehr, aber der Rasen blieb wie zuerst, ich ging einmal schnell drüberhin, dann dacht ich: Ach, keine Krokus werden da mehr stehn, – wo du gegangen bist. Das ist mir im Sinn geblieben, es klingt wie ein Stück Lied, so ein aufgetautes Stück.
Da stand ich vor der Orgel. Kühl war sie und fremd. Ich wagte keine Taste zu berühren. Sie war so kalt, als hätte sie in einem Haus aus Schnee gestanden. Einmal vor Jahren träumte mir, daß ich spielte; lebendiges Wasser rauschte unter meinen Füßen hervor, da tönte die Orgel, vox humana sang mit der Stimme der Amsel. Eingefroren, eingefroren, oh ihr Wasser des Lebens, ich töne nicht mehr!
am 13.
War denn dir so weiß alles vor Augen, Lazarus, armer, als dich das ewige Lächeln aufgetaut hatte aus dem Frost? Aber vor dir stand Einer, der wußte, was gut ist, auf seiner Schulter saß die schwarze Amsel und sang, Primeln fielen aus seiner erwärmten Hand; als er gegangen war, sah man da Kissen von Veilchen, wo seine Füße standen.
Die Tage kommen, die Tage gehn. Ich glaube manchmal, ich muß sterben, ehe der Tag herum ist, ehe das Dunkel kommt und endlich die Stunde des Schlafs. Wie lange muß ich dann noch liegen, immer fröstelnd in den Decken; die blauweißen Falten des Betthimmels über mir fließen herunter, bleich in der Dämmerung, wie aus Eis, in der lautlosen Luft rieselt das Eisige, langsam gefriert alles, ich suche, ich suche, und alles ist leer …
am 14.
Und du, Freund der Sonne, Gesegneter von Strahlenhand, ach, einmal auch mein Freund, du siehst über mich hinweg, auch du bist mir zu Schnee geworden. Sie haben dich mir wieder gegeben, hätten sie's lieber nicht getan!
Der Garten, das weiß ich nun wieder, war nicht der Garten, sondern die Lichtung der Insel. Immer wieder zog es mich dorthin, Grauen zog mich hin, ich erschrak, wie sie sich veränderte, wie sie zerfiel, wie die Blätter herunterwirbelten, ich glaube, ich muß sie immer aufgerafft haben und mit den Händen hochgehalten, oder träumt ich das nur, daß ich immerfort herumjagte und die Blätter schalt und aufraffte und in die Luft warf? Aber es nützte ja nichts, und dann waren eines Tages die Bäume leer. Oh, und diese Angst, unaufhörlich in der Brust! Meist vergaß ich ja alles, nur die Angst war da; plötzlich dann fiel mir das Gesicht ein, alle meine Angst galt dem Gesicht, das erscheinen könnte, im Gezweige, im Zwielicht, ich glaube, besonders in der Dämmerung abends muß es am schlimmsten gewesen sein. Ach, die grenzenlose Süßigkeit des ersten Erschreckens damals auf der wirklichen Insel hatte sich mir in unseliges Grausen verkehrt, und nun drohte das weiße Gesicht von überall, und immer atmete ich auf, es nicht zu sehn, und immer befürchtete ich es wieder. Es waren wohl die Gesichter der Andern, die immer wieder entsetzensvoll gegen mich vorbrachen, und ich schrie und wußte nicht wohin laufen vor Angst.
Ich vermißte einen Brief in diesen Tagen, Magda gab ihn mir ängstlich, ich las ihn, er sagte mir nichts. Er galt nicht mehr mir. Seltsam nur: als ich am Ende war, sah ich mich selber aufstehn, den Ech-en-Aton vom Sockel nehmen, eine Weile dann nicht wissen wohin mit ihm, sondern nur, daß er fort mußte, um jeden Preis fort, daß er sonst aus meiner Hand fallen und grauenvoll zerscherben würde. Dann war ich auf einmal im Schlafzimmer, vor einem Schrank, und stellte ihn blindlings hinein. Ein Schmerz zerriß mich blendend von oben bis unten, noch einmal in der Erinnerung.
Das also, das muß ich damals getan haben, als ich jenen Brief zum ersten Mal las.
Dann fragte ich Magda, und sie sagte mir, daß Jason den Kopf im Wäscheschrank gefunden hat.
Es ist noch winterlich draußen, alle Zimmer sind geheizt und trocken von der warmen Heizungsluft, und ich höre nicht auf, am ganzen Leibe zu zittern vor innerer Kälte. Ich wollte ein lebendiges Feuer haben und ließ meinen Ofen heizen. Erst war es schön, die Hände anhaften zu lassen an der glatten, glühenden Säule, gleich wurden sie ganz warm, aber die Wärme drang nicht weiter vor, und da fing ich an zu schaudern, eiskalt wie ich mich fühlte mit meinen feurigen Händen.
Der Arzt tröstete mich mit Frühling, Sommer und Sonnenwärme und riet eine Reise. Sonne, ach Sonne, du willst keine Seele erwärmen, die von innen gefror, und ich weiß, ich weiß wohl, was mir erlosch. Das ist die Wärme der Menschen, Wärme aus ihnen und Wärme zu ihnen. Der Eine nahm sie aus allen fort. Er nahm alles an sich: den Schmerz und das Glück, den Gram und die Wärme. Ich bin bitter geworden.
Eine Stunde
Lebt ich wie Götter, und mehr bedarfs nicht.
Oh wer es glauben könnte! Dem war die Brust quellend und reich, gesegnet von Nachwonne, der das schrieb. Wozu leb ich? Es ist ja leer alles, ganz leer. Darum soll ich jetzt leben? Mich ankleiden und essen, Orgel spielen, mit Menschen sprechen und lesen und diese und jene Erfahrung sammeln, den einen Tag wie den andern, dafür? Oh meine erloschene Liebe, dafür? Barmherziger Gott, mir bricht die ganze Brust in Schluchzen aus, wenn ich denke, daß ich alles, alles sparte auf den einen Tag, und – nichts mehr. Warum weinen? Nichts mehr bewegt sich, auch die Tränen stehn still.
Hallig Hooge, am 18. März
Mit einem Wort: Laokoon! Laokoon, oder die aussichtslose Verstricktheit: ein Alter, zwei Junge, drei Schlangen – sämtlich in meiner Figur dargestellt. Nur daß mein Mund nicht zum – unkünstlerischen – Schrei geöffnet ist, möchte ich festgestellt haben.
Herz, mein teuerstes, glaubst du wirklich, daß hier alles, worauf es ankommt, mir nicht so klar ist wie Glas? Es bedurfte nur Deines Briefes und in ihm der bezaubernden Schilderung meiner eignen, entschlafnen Person, infolge deren ich mich selber sitzen sah in Eurer andächtigen Runde, um mir die Augen völlig zu öffnen. Und nun sehe ich mich dasitzen allerdings wie so etwas Halbgöttliches und zwar – woher mir diese Erscheinung kam, blieb unbekannt – durchaus als jenen unflätigen, aber achtbaren schlafenden Faun in München, aus dessen reisiger Ungeschlachtheit dennoch etwas Göttliches raucht, ein Göttliches, das nichts andres ist als der Schlaf.
Nicht umsonst von den Alten als Gottheit verehrt: es ist wahrlich etwas Göttliches um den Schlaf des Menschen, um den Schlaf einer Seele, – das weiß ich und darf es sagen, der ich auf der Jagd nach diesem flüchtigsten aller Götter ihn verfolgt habe bis hinunter an das schwarze Tor, hinter dem es braust von den Schatten. Wahrhaftig, es war nicht unheroisch, zu schlafen in jener Stunde, da ich die Jagd aufgab und er nun stillschweigend aus den Stämmen hervortrat und die ermüdete Hand ergriff. Wie wenn es geheißen hätte in einem arkadischen Dorf: ein Gott sitzt an der Straße vor dem Tor, er wollte vorüber, da ergriff ihn die Müdigkeit, nun sitzt er im Schlummer dort ganz wie ein schlafender Mensch, und man kann ihn sehn. Und nun eilen sie in den glühenden Mittag hinaus und versammeln sich um jenen und staunen an seinem Schlaf. – So war auch Euch jene Stunde heilig, meine Anna, und gewiß: wenn es einer Sache nicht bedurfte hinterdrein, so waren es all unsre Worte.
Es bedurfte der Worte nicht! Denn nie hat es der Worte bedurft zu nachträglicher Deutung; Wissen ist schweigend, aber es ist mein Fluch, daß ich ihrer niemals entraten konnte. Was ich auch erlebte: nicht eher wurde es mir haltbar, ehe es mir denkbar erschien. Dies aber ist Gnade der Dichter: ein Stummes zu geben wie die Blume, deren Sprache der Duft ist, zu reden und dennoch zu schweigen, aus dem menschlichsten Stoff, aus der Sprache, die göttliche Form zu bilden, und doch nicht einen Hauch ihr zu mindern von ihrem Duft. Ich bin kein Dichter, aber immer möchte ich dies auch, und meine Worte sind nur Fallen und Schlingen, in denen vielleicht Unsterbliches hängt, – halb erwürgt. Gut und heilig jene Stunde des Schlafs, aber ungut und unheilig darüber jedes Wort; ungut und unheilig, da nur das Schweigen gilt und Ehrfurcht vor der großen Erscheinung, ungut und unheilig die Deinen, Anna, in denen Du mirs erklärtest, und hier die meinen, in denen ich mich zu Ende erklärte.
Mir wäre weit besser, ich läge da tot. Wenn ich auch als ein dreifach Umstrickter gestorben wäre, so war es doch eine königliche Verstrickung geworden, und es wäre nicht kleinlich gewesen, den beiden großen Pythons, Schuld und Tod, zu erliegen. Die sind nun auch klein geworden, sehn der gemeinen Ringelnatter ganz ähnlich, und andre von gleicher Statur gesellten sich zu: Schwäche, Arglist, die sagt: Hoheit sollten es versuchen … und Feigheit, die überreden will, es käme am Ende doch nur aufs Leben an, und auf einen Thron brauchte sich keiner zu setzen, der nicht wolle.
Klarheit, o himmlische Klarheit, warum niemals zu mir? Erkenntnisse hat mich auch Bogner viele gelehrt, so viel, daß, wenn es Pfähle wären, ein ganzes Venedig sich draus bauen ließe. Damals, als der kranke Heros neben mir saß, da glühte sein Herz in meinem Blut, und was ich erkannte, das war mir auch Leben. Längst wieder leblos und eisig geworden, klirre ich mit den schönen Erkenntnissen herum wie mit nutzlosen Prunkstücken, als sei damals Festtag gewesen und Alltag heut, und wann unterschiede sich Alltag und Festtag im Leben der Seele?
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hülfe kommt, – ach Anna, bist Du denn dort drüben? Ich denke viel an Dich, ich sehe Dich dann immer vor mir sitzen wie damals, als ich erwachte, und jenes Glück und die Zauber des schönen Erwachens atmen mich sanft wieder an.
Aber ich will nicht sein, hörst Du, ich will, ich will, ich will nicht wieder sein – nach diesem! –, der ich zuvor war, nur reicher um diese Erfahrung, daß am Ende alles tragbar ist. Als hätt ich ein Tier erlegt und seine Haut angetan, und täglich wird sie dünner vom Tragen. Ach, daß kein Hirsch je zu königlich war, man macht einen Jagdrock aus seinem Fell und drechselt Knöpfe aus dem heroischen Gehörn. Ich will das nicht, Anna, und diese Verstricktheit muß einmal zerreißen, oder ich zerreiße denn mich.
Georg
Der Brief blieb liegen, von Rechts wegen; die drohend herausgeballte Faust am Ende wäre Dir unleidlich zu sehn gewesen. Tage sind wieder vergangen, die kalte Verdrossenheit, die mich schon hatte, als ich noch schrieb, hielt seitdem an. Nimm ihn, er ist Dein Eigentum, leg ihn zum Übrigen, Du gute Geduld! Ich bin seit gestern entschlossen abzureisen und wäre schon davon, wenn ich nicht halb betäubt wäre von einer wilden Erkältung, die in meinem Kopf alle Ein- und Ausgänge verstopfte. So bleibt mir unklar, ob ich gleich nach Altenrepen fahre, oder erst – mit Deiner Erlaubnis – nach Helenenruh. Mein Fernbleiben von den Regierungsgeschäften ist nunmehr nicht zu entschuldigen, da ich leidlich leistungsfähig bin. Ich habe mir den Vollbart abgeschnitten, nur die Armeebürste auf der Oberlippe sitzen lassen, die beiläufig dunkelrot ist, und kann nun ganz gut für einen Prinzen oder angehenden Herzog gelten. Vor Altenrepen hält mich eine letzte Feigheit zurück; ich überlege …
am Abend
Der Brief sollte mit dem Kurier zurückgehn, da bringt er mir ein Telegramm von Tante Henriette mit der Nachricht vom Tode ihres Mannes. »Recht bekümmert« nennt sie sich darin, und so stelle ich sie mir vor. Ich fahre also morgen mit der Frühflut und denke am Nachmittag in Berlin zu sein. Das paßt mir als Übergang und Pause vor dem endgültigen Schritt.
Dank übrigens für Deinen Gruß durch die Cornelia! Sie besuchte mich hier, Du wirst von ihr gehört haben, daß sie sich wieder mit ihrem ehemaligen Verlobten zusammenzutun gedenkt, wenn der vier Wochen Nervenheilanstalt hinter sich hat. Ein entzückender Gedanke! Und so echt weiblich! Denn: wie herrlich sinnlos kann man sich da zum Opfer bringen! –
Wenn ich noch einmal über die letzten Wochen hinblicke, so sehe ich, daß ich in einer völligen Hoffnungslosigkeit lebe. Hoffnungslos mir selbst, da, wie ich schon sagte, nur um eine Erfahrung reicher; hoffnungslos für alles Tun und Lassen, was in diesen Erdreichen geschieht. Was aus diesem Stumpf etwa zu entwickeln sein mag, wissen die Götter.
Immerhin auf baldiges Wiedersehn!
G.
In Berlin, 20. März
Um Mitternacht schlug ich das Fenster auf, vielleicht daß der Schlaf draußen stünde, der mich wiederum mied. (Aber möglich, daß es hier ein andrer Schlaf ist, der Schlaf der großen Städte, für den ich noch die magische Formel nicht fand.) Rechts oben in der Höhe, hinter einem marmornen Gewirk von Wolkenweiß und mattem Blau, war der abnehmende Mond zu sehn, gerade über der Spitze des kleinen Matthäikirchturms, dessen Schattenriß schwarz und altertümlich inmitten des Platzes stand. Ein dumpfes Brausen, nicht das nahe der See, entfernt: die schlaflose Geschäftigkeit des Labyrinths. Da erschien mir am Himmel oben mein letzter Augenblick auf Hallig Hooge.
Schon wartete das Boot, ich hatte über den eilfertigen Vorbereitungen der Abreise den Abschied vergessen und ging jetzt noch einmal zu Ulrikas Grab. Der einsame weiße Stein mit ihrem Namen im graugelben Vorjahrgras glänzte spärlich in einem eben hervorbrechenden, sehr kühlen Morgenlicht, das meine Augen nach oben lenkte, obwohl es meinen Schatten vor mich über den Stein legte, denn ich stand mit den Augen zur See. Seltsam war der Himmel. Das ganze gewaltige Halbrund der Kuppel, in der ich stand, war in der Höhe reinblau, gedämpftes Morgenblau, aber rundum auf den Rand, bis zu Haushöhe schiens, war eine Lagerung von sechs, sieben Stufen weißer Quadern mit Fugen geädert von Blau. Die See darunter war dunkel, in kleinen Wellen kräftig bewegt; breitere Wogen zu meinen Füßen zerschellten zu reinweißem Schaum, laut brausend mit einzeln vernehmlichen Stimmen, und der Wind strich sausend herauf. Wunderbar aber waren diese, ringsum zum Kreise geschlossenen Terrassen von Wolken zu sehn; jeden Augenblick war mirs, als müßte ich Gestalten des Äthers auf sie hinaustreten sehn, leise farbig und glänzend aus der kühlblauen Wand, allein sie blieben immer leer, und nur, als ich mich suchend endlich umwandte, blendete mich die Morgensonne, die, den obersten Rand des Wolkengemäuers im Osten zerbrechend und schmelzend, goldene Hörner und Stäbe durch die Fugen nach unten zwängte, und dort glitzerte silbrig die See.
Ganz plötzlich, mit einem Zucken, fühlte ich den Frühling. Die Mulde unter meinen Füßen schien mir grüner, als sie nach der Jahreszeit sein konnte; rechts unten glänzte das Fachwerk weiß und blau, fern drüben das tiefe Rot an Cornelias Haus, grad gegenüber mir, in der Lücke des Deiches, lag das Boot schneeweiß unter Segel, wo Cornelias grüne Jacke leuchtete; links auf meiner Höhe stand mein alter Turm in dem Licht. Mich fröstelte im Wind, aber meine Sinne sogen Frühling aus den Farben des Toten, hier, wo das Jahr durch kaum eine blumige Farbe erscheint. Die zarte Neuigkeit spürt ich, unsichtbar aufgesprossen im Gras überall, eine Regung, einen Atemzug aus dem Innern. So sehr vergaß ich mich selber über diesem, daß ich den Deich hinabstieg und fortging, ohne der Toten zu gedenken.
Als ich dann im Boot saß, das grüne Eiland vor mir im Entgleiten sich langsam erhob und erhöht im dunklen Rollen der Wasser ruhte, erschien mirs auf einmal wie eine riesige Schildkröte. Auf ihren gewölbten Rücken hatten ich und die Andern uns gerettet, nackt in unserm Leben, Schiffbrüchige aus einem Sturm, wie ichs als Knabe in jenen Büchern des Behagens las. Monatelang hatten wir dort gehaust, so gut sichs eben hausen ließ, Gestrandete: einer starb, einer baute ein Floß und warf sich mit ihm in die See, nun schieden die Letzten. In diesem Augenblick glaubte ich zu sehn, wie das bislang geduldig still gelegene Tier sich erleichtert bewegte und – ich sahs von mir abgewandt liegen nach der offenen See hinaus – den Kopf hob und drehte, um nach mir zu sehn.
Da erinnerte mich der noch ragende Turm des Grabes in seiner Nähe, und erschreckend befiel mich die Verlassenheit der Toten, die dorten verblieben war, allein mit zwei Geräuschen, jenem des ewig sausenden Windes und jenem der wogenden See. Ein unendlicher Schmerz ergriff mich auf einmal, ich hätte dort liegen können wie sie, aber mir hätte es keinen Schaden getan. Sie war hülflos und zart, nun versank vor meinen Augen die Insel, ich konnte mir leicht einbilden, das riesige Tier fortrudern zu sehn und hinuntertauchen in die Dämmerungen der schweigsamen Tiefe. Die verarmte Tote! sie blieb allein, unbekannt den brüllenden Völkern des Meers, aus denen bald einer heraufsteigen würde zum verlassenen Eiland, dort zu sitzen in seiner schwermütigen Natur und ins dumpfe Muschelhorn zu stoßen. Die Sonne stieg höher herauf, den Schatten meines Segels legte sie auf die glänzenden Hügel des Wassers, aber mir ging aus dem Odem der windigen Kälte die schwere, die sternlose Herbstnacht auf über dem Eiland, und die abgeschiedene Seele erstand schattig und dürftig auf dem Kranze des Deichs, leise klagend um ein Ungebornes und um den Undank des Daseins für vieles reine Bemühn. – –
Webe mir denn ein starkes Kleid, blindäugige Mutter, Hoffnungslosigkeit, armlos den Webstuhl tretend mit ehernen Füßen, an dem die Fäden von selber fließen aus dem Unsichtbaren der ewigen Nacht. So läuft einmal alles hinaus auf ein Dürftiges: Haltbarkeit.
Ich erinnere mich: auf einem Ritt durch die Ebene um Helenenruh sah ich auf einer Wiese eine uralte, magre braune Stute, die beim Nahen des Wallachs sofort die Ohren hochstellte und herangejagt kam bis an das Gatter, das sie von uns trennte, und an dessen andrer Seite sie mit uns trabte bis an sein Ende, wo sie noch lange stand und uns nachsah, das heißt meinem Pferde, das kein Ohr und nicht den Kopf ihretwegen bewegte. In ihrem langen Halse war ein Loch, in dem bei jedem ihrer Atemzüge die Spitze eines Rohres zum Vorschein kam, und sie atmete laut rasselnd und schnaufend. Vielleicht daß diese haltbare Alte mich damals an Tante Henriette erinnerte, und deshalb erschien sie mir nun.
So wird auch der Seele, wenn der natürliche Eingang des Lebens versagt, ein neuer gebohrt, und der ganze Unterschied besteht in den lauteren Atemzügen. Besonders leise wird mein Leben ja fortan nicht mehr sein, und keiner wird, und ich selber kaum, die rasselnde Seele hören, die sich haltbar erweist.
am 22.
Soll ich aufschreiben, was heut sich begab? Wird dieses nun, dieses die Kraft beweisen, die ich in ihm zu erkennen glaubte, und die bei ihm Unsterblichkeit heißt, oder wird es mir schon unter den Fingern zur Haltbarkeit von blauer Tinte zerrinnen? Gott helfe mir, ich will es versuchen.
Gleichviel, wie ich, noch einmal mit mir allein, in den Tiergarten geriet und, wieder in plötzlicher Erinnerung an Hallig Hooge, zwischen den kaum ergrünten Büschen hindurch, wo erste Amseln über den Rasen schlüpften und erste warme Erleichterungen durch die alte Kühle der Lüfte zogen, in die Stadt gelangte, durch das Tor, die Linden hinunter und weiter gedankenlos auf der linken Straßenseite bis zur Charlottenstraße, wo eine eben anfahrende und haltende Elektrische Bahn mich zum Stehenbleiben nötigte. Ich sah zu, wie eine Dame sehr mühselig ausstieg, oben vom Schaffner, unten von einem Herrn gestützt, und in ihm erkannte ich langsam Hardenberg. Die Dame war seine Frau; ich sprach sie an, sie kamen aus dem Norden, wo sie sich um das Fortkommen irgendwelcher Kinder ohne oder mit verderbten Eltern bemühten, von denen die Frau gleich mit ihrer strudelnden Lebendigkeit und so erregt zu erzählen begann, daß ihr Mann und ich beim Gehen alle Mühe hatten, sie zwischen uns zu halten, dermaßen riß sie an uns mit ihren unbeherrschten Bewegungen. Da sie mir sagten, sie seien im Begriff, einen Freund zu besuchen, den ich sofort kennen lernen müßte, wenn er mir noch fremd sei, so schloß ich mich ihnen an; sie machten nur eine Anspielung auf die ägyptische Abteilung des neuen Museums.
Schwer zu glauben: vor einem Jahr war ich dort und sah nichts. Woher plötzlich die Augen? Gute Anna, kein Wunder könnte mir je wunderbarer erscheinen, als was ich nun sah. Ein Ding von dieser Wunderart hätte genügt, und ich sah hundert, sah Flure und Säle gefüllt mit Unglaublichkeit. Das ist Ägypten: ein würfelförmiger Block aus Granit, bedeckt mit Hieroglyphen; mitten in der Oberseite des Blockes der Kopf eines Kindes. Dahinter der größere Kopf des in dem Würfel hockenden Mannes, ein schlichtes Antlitz mit leider zertrümmerter Nase, das Haar, in strenge Linien gepreßt, links und rechts von dem Haupte in festen Massen niedergestrichen und, unterhalb wagerecht abgeschnitten, solchermaßen auf die Oberfläche des Würfels gestellt. In der ungeheuren Starre des Granit aber bewegen sich die hochgestellten Knie und die darum geschlungenen Arme des Mannes, zwischen denen das Kind steht, lebendig in sichtbaren Wellen des Lebens; ganz deutlich und klar ist da alles im Stein, Füße und Knöchel, Schienbeine und Knie, Ellenbogen und Arme und Hände und darinnen das leibliche Kind.
Alles, was ich sah, war unfaßlich. Das Antlitz des ewig geheimnisvollen Wesens Form sah mich hier so schleierlos und so mit großem Auge an, daß es schien, als sei kein Geheimnis mehr da. Hier ist alles unbekannt, und nur am sonst unverständlichen Schmerz ließ sich spüren, daß Bekanntheit sein sollte und einmal war, was für immer versunken schien. Tiefen sind hier, Räume, ein Wesen mit einem Wort, dessen äußerste Grenze uns immer unauffindbar sein wird. Denn was wir sehen, ist das für uns Sichtbare, was uns Ordnung scheint, unser Gesetz, aber nicht das seine, das aus einer anderen Wirklichkeit kam. Auf keinem Stern könntest du dich umsehn und dich so tief im Unbekannten finden und doch in der Wahrheit. Und wenn hier ein Wunder sein sollte, so wäre es dies, daß du doch atmen kannst in dieser Luft, dieser Welt.
Ich mußte mich umsehn, woher ich kam, und fand, daß ich ja aus Hellas hierher geriet. Plötzlich war mirs da, als ob eine seltsame Sonne schiene mitten in der gestirnten Nacht. Oh in Hellas war alles Blut und Odem, Sonne und Wind, Ströme und Wald und das Meer, Gottheit und Getier, ein Himmel voller Gestalt von Fischen und Männern, tausendfach gestaltige Natur, überall Blick und Wink und Gebärde. Das Lächelnde war dort und das Schöne, die Leier, die singende Lippe, der schwebende Fuß und das fliegende Haar. Da erschien mir das hellenische Bildwerk, aufgestellt mit tausend seinesgleichen um eine Mitte, von der ein Strahl ging zu jedem, aber ihrer aller Mitte lag außerhalb ihrer selbst, und sie alle, geordnet zusammen ergaben die Welt. Und ich sah das Menschliche in ihnen, aufleuchtend in seiner ganzen, höchsten Erfülltheit. Solange aber Menschliches waltet, solange ist Willen und Verlangen, Streben, Bewegung, Wandlung; Wandlung zum Gotte hinauf und Wandlung des Gottes herab, lauter schweifende Seligkeit, Schweben, Heiterkeit, Anmut, Würde, tausend Eigenschaften des Göttlichen in einer blühenden Zerstreutheit, und alles überglänzend und bindend der Segen, das ewige Auge. Jetzt aber, wie erschien mir in der Erinnerung auf einmal ein niegesehener, immer gefühlter Zug von Schwermut in der griechischen Form? Diese schönen Dinge scheinen zu wissen: irgend etwas fehlt, irgend etwas in ihrer Ordnung blieb ungelöst, sie ermangeln des Letzten.
Da sah ich vor mir die Vollendung aus Stein. Alles sah ich abgetan, alle Gebundenheit an Götter und Erde, an das Sonnige und Bewegte, an das Werden und die Erregung. Kein Wollen mehr, nur Gewißheit. Der Grieche, wenn er etwas machte, so wollte er doch, daß es schön sei, wollte die Erfüllung in der adligen Form. Der Ägypter wollte nur die Form; wollte nur: daß sie sei.
Menschenhände machten dies nicht. Vielleicht daß sie letzte Bindungen lösten fürs menschliche Auge, eine Oberfläche abschälten. Diese Dinge waren im Stein, verhüllt, seit ewig; sie machten sich frei. Und darum: in welcher Mitte auch das hellenische Werk zu stehen scheint, Mitte für tausend sehende Augen, denen es sich lächelnd erzeigt, Augen von Göttern und Dämonen, tausend blickenden Augen der Natur: hier ist die ungeheure Zentripetalität; hier ist das Ding, das um seine Mitte gebaut ist wie der Kristall, und diese seine Mitte ist auch die Mitte der Welt. Es ist gleichgültig gegen sehende Augen. Dies wird nicht gesehen. Es stellt sich nicht dar. Es ist. Aber herum von allen Seiten, von oben und unten gewölbt ist das ganze All der Gestirne.
Hardenberg sagte mir ein Gleichnis mit Worten für das, was ich selber empfand: jedes ägyptische Werk sei in jedem seiner Maße ausgerichtet nach den Sternen. Es war Religion. Sie wußten die Unsterblichkeit in der Form. Sie machten ein Bild, daß es sei und lebe, und die Seele trat ein und blieb in ihm wohnen. Sie stellten es nicht hin an diese oder jene Stelle der Welt, sondern dort, wo es erschien in seiner grenzenlosen Notwendigkeit, war der Raum ausgespart zuvor, und es paßte sich ein in die Welt.
Als mir aber solchermaßen die Augen aufgetan waren, wandte ich mich um.
Ich befand mich in einem halbdunklen Umgang ägyptischer Säulen voller Statuen und Bilder; zwei Stufen vor mir führten in einen von Oberlicht erhellten Raum hinab. Hatten meine Augen schon das Wunder gesehn, und verwandelte sein Blick in meinem Blick mir zum Heiligtum den Raum? Duftete nicht alles? – Da sah ich das Reine.
Mitten im Raume ein einfaches, kleines Gesicht, gelblich, mir zugewandt, sah mich an. Auf einem brusthohen Postament stand es in einem gläsernen Würfel, ein Kopf, kaum so groß wie meine Hand, Gesicht, Hals und der Ansatz von Schultern und Brust. Sah er mich an? Sein Blick ging plötzlich durch mich hin, als wäre ich aus Glas, und doch fühlt ich mich durchschnitten, daß ich fror. Es war kein Ansehn, es war ein ganz blinder Blick, jener, der durch alle Dinge der Welt hindurch gerichtet ist in das Ewige.
Nun wagte ich näher zu treten und deutlich zu sehn. Es war zarter als alles; viel zarter als eine Blume. Alles an ihm war Duft. Ich sah Wangen, sanfte, unter den Augen leise gewölbt, nach unten wie mit liebkosenden Fingern zusammengeschlossen zur weichen Spitze des Kinns; sah darüber den Mund, Lippen, voll und mit zärtlicher Genauigkeit umzogen, überhaucht von leisem Rot, und sie standen ganz wenig vor wie in einem unaufhörlichen Kuß. Zart, frisch, fast süß, glich die Nase der eines kleinen Tiers; die Augen endlich, flach, leise zur Mandel nach außen geschlitzt, blickten über mich hinweg, und das Ganze von unendlichem Ernst war wie ein Lächeln so leicht.
Ach, blind war dieser Blick wie die Seligkeit, blind wie das ernste Lächeln der Blume, das nichts ist als Gefühl und Echo des Lichts.
Ich sah Hardenberg und die kranke Frau neben mir; sie lächelten verstehend, und ich brachte hervor: Wohin sieht er denn?
In die Sonne, sagte Hardenberg ernst. Er sieht immer nur in die Sonne. – Und er nannte mir den Namen: Amenophis und erzählte mir einiges. Daß er einen Kult der Sonne begründete und für diesen Kult eine ganze Stadt. Daß es noch Reliefbilder von ihm giebt, wo er dargestellt ist mit Gattin und Töchtern, und die Sonne darüber senkt Strahlen auf alle, an deren Enden winzige Hände sind, die sie ihnen auflegt. Daß, als er starb, die Stadt – Heliopolis – verlassen wurde und bald zerfiel, daß sein Nachfolger, im ägyptischen Glauben, die Form bewahre die Seele, alle Bilder von ihm zerstörte, sein Dasein zu vernichten, und daß nur dieses blieb, ein kleines Bildhauermodell, sowie ein halb zertrümmertes andres. (Er war unvernichtbar; er blieb.) Daß alldies mehr als zweitausend Jahre her sei. Und er sieht in die Sonne unwandelbar.
Kein Wunder. Ein Weizenkorn, vor zehntausend Jahren in tönerner Schale, in einem Grabe bewahrt, behielt seine eingeborene Kraft und trägt Frucht in der heutigen Erde; also konnte auch die steinerne Blume unwelkbar bleiben bis heute.
Die Sonnenblume von ihrem festen Stengel aus folgt der Sonne nach überall: ihn kannst du aufstellen, wo du willst, im Licht oder in der Nacht: wann und wo du ihn anschaust, blickt er geradeswegs in die Sonne hinein.
Und ist dies nicht hoffnungslos? Die Sonne anbeten und sehn und niemals die Sonne sein können?
Sonne sein können, welch Wort! Es muß –
Oh du mein Gott, so wie er – Stoff sein der ewigen Hand! Sein im Wandel unwandelbar leicht wie ein Spiel! Fern der Erfüllung doch stets, stets auf dem Wege zu ihr – ach, wie aus endloser Mühsal doch blühte Geduld!
Reinlich getan jede Tat, reinlich gewirkt jedes Werk, griff aus dem Chaos ein Stück, und du ballst es zur Form. Dasein und Stein und Gedicht, Tagwerk und Sternengesang; alle sie schmelzen in diesen, den einzigen Chor.
Leben, ein jedes, es glüht, wandelnd in jedweder Form, die es vollbrachte, sich reinlich und reinlicher aus. Form ward es, schön und gewiß, Ordnung, ertönend Gesetz – ach, aus dem Leiden, so heilen wir lächelnd uns aus. Weltleid, es heilte in uns, Gottleid erlöst sich uns, wir, die Erlösenden, werden unendlich getrost.
Berlin, am 23. März
Tante Henriette, darf ich Dir sagen, hat sich – um ein ehemaliges Lieblingswort von mir zu gebrauchen – mit ganz besondrer Teilnahme nach Dir erkundigt und sich erzählen lassen; ebenfalls nach der »süperben Person« mit den »Flammenaugen«, und mich beauftragt, sowohl Dir wie ihr mit ihren huldreichsten Grüßen eine Einladung in ihr Haus zu übermitteln, falls ihr den Mut hättet zu einer magern alten Person, die »keinen Braten mehr abgiebt«, aber die es selber nötig hätte, sich »warme Krammetsvögel vor den Leib zu binden« (wie mir scheint eine kühne biblische Anspielung), um nicht zu erfrieren. Die Krammetsvögel solltet dann Ihr sein, und alles dieses mußt Du Dir vorgebracht denken in einem wahren Ton »rechter Kümmernis«. Sie ist in der Tat mehr mitgenommen, als man hätte ahnen mögen, vom Hingang des kleinen Alten; die Kümmernis reicht ihr bis zum Grunde, und der alte Mann, der mit einem ganz wenig törichten oder verwunderten, aber sonst vollkommenen Ausdruck von Friedfertigkeit seines etwas schiefgedrehten Kopfes daliegt und emsig zu schlafen scheint, muß beim Abscheiden nach so viel gemeinsamen Jahren doch ein beträchtliches Stück von ihr mit abgerissen haben. Dem Papagei hat es auch einen Ruck gegeben: bis gestern abend saß er still und steif, den Schnabel nach hinten gedreht, den Kopf auf der Schulter, auf seinem Querholz und blinzelte nicht einmal: heute morgen war er heruntergefallen und tot. Siebenundvierzig Jahre war er seines Lebens alt und hätte noch T. Henriette getrost überdauern können. Der Kanarienvogel ist zu dumm, trällert tagein tagaus und muß durch ein dunkles Tuch zum Schweigen gebracht werden.
Es sind doch nicht viele Dinge so erfreulich und selten wie der Anblick tüchtiger alter Menschen, und mir scheint, auch diese gehen eines Weges mit der Petroleumlampe, dem Indianer und Knoops beklagtem Elefanten. Hier ist die Busenfreundin von T. Henriette zu sehn, eine Gräfin Török aus Ungarn, gebürtige Wienerin; die ist so alt wie der Böhmerwald, ganz unförmig, im Gesicht so faltig wie ein Truthahn, bloß rosig, das Haar ist weiß, Augen und Augenbrauen sind kohlschwarz, und schwarze und weiße Haare hängen ihr überall aus den Gesichtsfalten. Die redet nun von früh bis spät ununterbrochen mit einer haarsträubenden Munterkeit, erzählt eine Geschichte oder Anekdote nach der andern, ihr Gedächtnis ist schon ein bißchen wirr, aber ihre Herzlichkeit und ihr erschütterndes Vergnügen an den Erscheinungen des Lebens sind erstaunlich. Dies war ihr Schicksal: Als Angehörige des Wiener Hochadels kaisertreu bis in die Fingerspitzen, verwandelte sie sich mit dem Augenblick ihrer Heirat vom Kopf zu den Füßen in eine ungarische Patriotin, und das will etwas heißen, denn es war vor 48! Ihrem Mann wich sie in allen politischen Lagen nicht von der Seite, folgte ihm, was damals noch anging, auf die Schlachtfelder, jung und schön, wie sie war, ein Trost und eine Befeuerung für alle ritterlichen ungarischen Herzen, pflegte die Verwundeten, und so weiter. Ganz plötzlich, Anfang der fünfziger Jahre starb ihr Mann, was für sie eine eigentümliche Folge hatte. Nach einigen Wochen der Verzweiflung erschien sie wieder wie zuvor, ihre Lebenskraft hat, wie Du siehst, seitdem nicht abgenommen, sie ist in allen Ländern der Welt zu Hause, war in Amerika und in Japan, in ›Zeylon, Zingiber, den fernsten Inden‹, läuft noch heute in jede Uraufführung, vergleicht die Elena Gerhardt mit der Patti oder Lucca, oder wie jene Verschollenen heißen mochten, Grete Wiesenthal mit der Camargo, schwärmt für Nijinski, liest Strindberg und Rilke, humpelt Dir sicher am Eröffnungstage der Freien Sezession an ihrem Stock entgegen und kann Dir von jedem Breughel oder Rembrandt sagen, ob er im Haag, in Kassel oder Wien hängt. Aber: bei alledem ist sie in steter Begleitung ihres Mannes. Es kommt vor, daß sie im Gespräch, zum Beispiel wenn ihr Gedächtnis versagt, zur Seite fragt: Wie? und dann sagt er ihr Bescheid, gleichviel ob die fragliche Sache sich zu seinen Lebzeiten ereignete oder nicht. T. Henriette sagt, manchen, der, unbekannt mit dieser Erscheinung, sich erkundigt habe, an wen sie eben diese Frage richtete, und den Bescheid erhielt: O ich fragte bloß meinen Józsy! – manchen, wie gesagt, habe dies schon betreten gemacht. Sie plant auch keine Reise oder entschließt sich zu sonst etwas, ohne ihren Józsy zu Rate zu ziehn, sie geht mit ihm in ihrem kostbaren alten Garten in Budapest spazieren, und man kann sie abends und auch nachts in ihrem Zimmer beträchtliche Zwiesprache mit ihm halten hören.
Gott segne diese seltene alte Frau, sie hat vielleicht niemals über die ewigen Dinge gegrübelt oder eine Frage über die Ordnung oder die Fehlerhaftigkeit des irdischen Daseins gestellt, sondern es ist wahrscheinlich, daß sie all dergleichen, ohne das sich sonst ein wahrhaft kluger und geistiger Mensch schwerlich denken ließe, ersetzte durch Lebenskraft, durch vigor, durch Feuer und Schwung. Siebenzig Lebensjahre lang blieb ihr jeder Morgen und jedes Ding neu und erstaunlich und bezaubernd an sich, wert des seelischen Feuers, wert deswegen und dadurch zu leben, mit einem Wort: sie verfügte über die magische Essenz, die alle Dinge um sie her in ihren persönlichen Reichtum verwandelt.
Ich möchte das auch können …
Denn es giebt solche Menschen, zu denen sie gehört, die tragen ihr Leben wie eine glänzend passende Form, wie einen seidenen, bunten Trikot, der allüberall glatt anliegt. Bei Andern, zu denen ich gehöre, scheint es vielmehr so zu sein, als wäre der Trikot für eine andere Figur geschnitten, und überall giebt es Falten und Beulen, hier kneift es, da schlottert es, man braucht das halbe Leben, um hineinzuwachsen, und schrumpft schon wieder drin zusammen, wenn er kaum eine halbe Stunde lang paßte.
Gute Nacht, Anna! Ich bleibe noch ein paar Tage, indem ich die Gelegenheit benutze, mich überall vorzustellen, wo ich in meiner jetzigen Form noch unbekannt bin. Peinlich einerseits, ein schmerzliches Glück andrerseits ist das namentlich bei älteren Leuten ganz rührende Entgegenkommen gegen den Sohn meines Vaters – hier und da mit ein wenig Skepsis verbunden wegen Vererbung der politischen Gesinnung. Gestern war ich im Reichstag (in den leeren Fensterhöhlen – und so weiter!), Parlamentarier habe ich ein ganzes Schock kennen gelernt, nun kommen Großindustrie und Banken an die Reihe, deren Häupter ich morgen bei einem Geschäftsfreunde von Papa versammelt finden werde. Im ganzen, ich würde nach der langen Stille und Einsamkeit der Halligwochen nicht wissen, wo mir der Kopf steht, bräche nicht immer wieder ›ein Streif wie schieres Silber durch den Spalt‹. Woher aber dieser und welcher Art, das Dir nachzuweisen, fehlt nun die Ruhe, und ich bin auch begierig, es mündlich zu tun. Sei gewiß, daß ich die erste Bresche in der ersten Altenrepener Woche benutzen werde, um zu Dir zu gelangen, und sei es auch nur für Minuten. Auf Wiedersehn, Herz, auf Wiedersehn! Dein
Georg
am 25. März, in Sizilien
Liebe Renate!
Ob Du Dich Irenens noch erinnerst?
Ihre Augen hatten die gleiche Eigenschaft wie die Deinen: sie wechselten mit jedem Licht, das in sie fiel; so schienen sie meistens blau, aber im Hellen wurden sie grün, in der Dämmerung schwarz, und stieg das Blut in sie hinein, wurden sie schwer blau und düster. Ihre Hüften hatten die längliche Rundung der schönen Empirefigur, ihr Gesicht war immer rosig, wir bewunderten ihre Bewegungen, die auch in der Leidenschaft anmutig blieben, und obgleich sie das Derbe liebte, erschien sie uns doch gerne amselhaft; in ihr stand ein geigender Engel knabenhaften Geschlechts wie hinter einem Morgenrot, ein goldener Schatten. Dann überfiel sie die seltsame Zwietracht, das Morgenrot zeigte phantastische Risse, Märzgewitter rauschten mit lockeren Blitzen hinein, dann entzog sie uns gänzlich die schwarzblaue Wolke.
Ich muß Dir schreiben, daß Du sie nicht wiedererkennen wirst, wenn Du sie siehst, was, wie ich hoffe, bald geschehen wird. Laß Dir sagen, daß ihr Gesicht nunmehr kleiner ist als meine Hand und so völlig von Elfenbein scheint, wie etwas noch Lebendes elfenbeinern scheinen kann; so leblos, so glatt und so hart. Ihre Augen darin sind von schwarzer Bronze, tot.
Es hat demnach den Anschein, als läge hier wieder eine jener beklagenswerten Verwechselungen vor, an denen die menschliche Gesellschaft so reich ist, und hier scheint irrtümlich in den Leib einer Baumnymphe oder Dryade die Kraft und der Wille eines Kentauren geraten und entsetzlich darin gehaust zu haben.
Irene, fragte ich, nahezu sprachlos, als ich sie sah, was hast du gemacht?
Sie zuckt die Achseln, sagt: Gebetet.
Was? sage ich, die ganze Zeit, nichts als gebetet? – Sie sagt: Ja. Andres gab es nicht mehr. Im Anfang, sagte sie, sei es schwer gewesen und reichlich unvollkommen. Bis dann eines Tages die Welt verdämmert war und sie allein lag auf ihren Knien, irgendwo im Raum, auf einem Stern, oder selber ein Stern, der an Gottes Himmel aufging. Sie begann zu glühen vom Gebet, dann glühte nur noch das Gebet, dann begann sie zu leuchten, dann ging sie auf. Aber nicht der Mensch und sein Wille ist schuld, sondern das Düster der Erde, wenn uns leiblich zu erlöschen scheint, was seelisch entbrannte.
Auch im Kloster scheinen sie nicht eben richtig geschliffene Augen gehabt zu haben, denn sie wurde nach etwas über halbjährigem Aufenthalt vor die Wahl gestellt: entweder zu bleiben für immer, oder zu gehn. Schließlich muß man zugeben, daß ein Kloster kein Asyl für Obdachlose sei. Irene freilich war nun ratlos, wäre es vielmehr gewesen, wenn sie nicht in der Nacht einen schönen Traum gehabt hätte. Ich an ihrer Stelle würde ja der Weisung von Träumen nicht ganz so unbedingt Glauben schenken, allein sie ist, wie sie ist. Was sie träumte, war ein ganz blaues Meer, ein hellblaues, südliches Meer, auf dem rosafarbene Glocken schwangen, und sie selber schwamm ihnen entgegen, und sie lösten sich an ihren Gliedern in einen so unbeschreiblichen Duft auf, daß sie noch darin gebettet war, als sie erwachte.
Die Auslegung des Traumes nahm die Gestalt an, daß wir uns jetzt seit einigen Wochen an der Küste des Mittelländischen Meeres befinden, nicht weit von Taormina, und daß Irene jeden Morgen bei Sonnenaufgang, nackt wie sie geschaffen wurde, in die See hinausschwimmt, so weit sie kann. Dies, sagt sie, wäre ihre Reinigung. Ihr Gebet dabei ist wieder dasselbe wie zuvor; es lautet:
Du bist klar,
Ich war klar,
Mach mich wieder, was ich war!
Daß ihre schon im Schwinden begriffenen Kräfte dabei absterben wie dünner Schnee, das ist vorläufig die erste Folge. Aber ihr Gesicht bräunte sich wieder langsam, in die Augen kam wieder ein leises Blau.
Da ich sie nicht hindern könnte, selbst wenn ich das wollte, so ist dieser Brief nichts als eine matte Spottgeburt meiner Unbeholfenheit. Eine Änderung scheint mir notwendig. Das beste wäre, Klemens käme im Augenblick, aber ich habe eine Abneigung gegen gewaltsame Eingriffe. Irene hört, wenn ich von Dir und Andern spreche, zwar zu, erwidert aber nichts. Es wäre trotzdem möglich, wenn Du ihr den Vorschlag machtest, sie irgendwo zu treffen, wo Wasser ist, an einem italienischen See zum Beispiel – denn der Frühling, der hier fast die Augen blendet, gelangte ja noch nicht zu Euch –, oder aber bis hier herunter zu kommen, doch habe ich so eine Ahnung, als wäre Dir das zu weit. Ich fürchte aber jeden Tag, sie zerschmilzt mir zwischen den Händen, und wenn wir im Garten sind und der Himmel sich bewegt zwischen den Mandelbäumen, so muß ich sie ansehn, ob sie noch ganz da ist, oder ob es nicht das blaue Flackern ihrer Seele war, die über die rosigen Wipfel enteilte.
Ich kann nicht gut briefschreiben, da ich keine Übung habe, und im ganzen wird dieser Brief Dir vermutlich erscheinen wie eins der alten Bilder vom Martyrium einer Heiligen: was man sieht, sind Farben, Gewänder und teilnahmslos reine Gesichter; was man nicht sieht, ist das Blut, die Not, und das Sterben. Wer aber Zeuge war dieser drei Dinge, dem werden sie ein seltsames Gift einflößen, dessen Wirkung es ist, daß er von allen Dingen der Welt reden kann, nur von diesen muß er schweigen.
Ich hoffe also, Du willigst ein, wenn ich sage: Auf Wiedersehn!
Jason
am 29. März
Liebe Irene!
Jason schreibt mir, daß Ihr in Sizilien seid, und daß er sehr besorgt um Dich ist. Ich selber war lange krank, das hörtest Du wohl von ihm, nun möchte ich gern mit Magda nach dem Süden, Sizilien ist uns freilich zu weit, Magda könnte auch nicht sehr lange bleiben, da sie im April zum ersten Mal öffentlich singen wird, – am Charfreitag. Möchtet Ihr uns nicht in Torbole oben am Gardasee treffen? Mehr als sechs Jahre, glaub ich, war ich dort mit meinem Vater in den Sommern und habe plötzlich die heftigste Sehnsucht. Es wird freilich noch eine Woche dauern, bis wir fortkommen können, teils weil ich Onkel noch überreden muß, mitzukommen, teils weil Magda sich vor ein paar Tagen eine leichte Erkältung zugezogen hat, so daß sie sich noch schonen muß. Es schadet ja aber nichts, um so weiter wird der Frühling dort schon sein. Ich hoffe sehr auf ein Wiedersehn, Irene! Sage Jason alles Liebe und Dank für seinen Brief! Von Herzen Deine