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Doch das blieb nicht so. Schon bei der endgültig ausgesprochenen Scheidung hatte der Mann es erreicht, daß sein Unterhaltungsbeitrag von einem bestimmten Termin an wesentlich herabgesetzt wurde und hatte dafür die Rückzahlung der kleinen Mitgift Lottes angeboten. Nach einiger Zeit mußte Lotte doch aus dem schönen Sanatorium zurück in die Stadt und in ein Mittelstandsheim in einer billigeren Gegend ziehen. Aber auch dies war nicht von Dauer. Kaum hatte Mariu nach der Scheidung wieder geheiratet, als er nicht mehr imstande war, die alten Beträge regelmäßig an Lotte zu schicken. Seine junge Frau stellte – von sich aus völlig mit Recht – ganz andere Forderungen an ihren Gatten, als Lotte es getan hatte. Sie besaß zum Stolz ihres Mannes den Ruhm, die eleganteste Frau, nicht nur der Gesellschaft, sondern in Konkurrenz mit Bühnenstars auch der Stadt zu ein, Fahrten nach Paris waren nötig, um ihre Ansprüche zu befriedigen, sie war heiter, temperamentvoll und genußsüchtig. Sie und der Gatte nahmen regelmäßig an dem gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt teil, eine Villa wurde als Wohnung gemietet, der Haushalt nicht nur vergrößert, sondern durch kostbare Gegenstände, Bilder, Teppiche, Boiserien auch verschönert, das Dienstpersonal vermehrt, ein Auto angeschafft. Wohl erhielt die junge Frau anfangs noch eine Apanage von den Eltern, doch sie verlangte auch Aufmerksamkeiten und Geschenke von ihrem Gatten, zu denen vor allem auch kostbare Schmuckstücke gehörten, und alle diese Ansprüche stiegen, als sie ihm eine Tochter geboren hatte. Dagegen hörten, als Mariu durch die Protektion seines Schwiegervaters zu einem sehr angesehenen Posten avanciert war, die Unterstützungen der Schwiegereltern, die nun eine zweite schöne und noch verwöhntere Tochter verheiraten mußten, an den jungen Haushalt Marius ganz auf. Und doch stiegen noch die Ausgaben für gesellschaftliche Repräsentation und die Ansprüche der jungen Frau, die ein zweites Kind erwartete und monatelange, kostspielige Badereisen unternahm. Bald hatte Mariu Schulden, und Lotte mit ihrem Kinde stand vor dem Nichts.
Natürlich versuchte sie zuerst, um den ihr zugesicherten Unterhalt zu kämpfen. Mit Bitten und Vorstellungen, »nicht an den Gatten, sondern an den Vater des Kindes«, wie sie in ihren Briefen beteuerte, hatte sie begonnen. Sie hatte ihm eine Anzahl reizender Aufnahmen von dem Knaben geschickt, und diese hatten Mariu auch ans Herz gegriffen. Gern hätte er den Sohn, da ihm nur zwei Töchter in der neuen Ehe geboren worden waren, und den er so ganz nur als den seinen, nicht auch den von Lotte empfand, bei sich gehabt, doch wagte er diesen Wunsch seiner jungen Frau nicht einmal mitzuteilen, die schon eifersüchtig darunter litt, daß sie ihm keinen Sohn geschenkt hatte. Mariu erwies sich auch als zu schwach den Umständen gegenüber, in die er verstrickt war, um nur halbwegs für den Knaben sorgen zu können: immer wieder war der Betrag, den er für »sein Söhnchen« bestimmte, und selbst wenn er ihn vorsichtshalber von vorneherein immer kleiner ansetzte, für etwas anderes »draufgegangen«. So kam es, daß Mariu heimlich die Bildchen von Lottes Kind mit Küssen bedeckte, sie dann aber in einem besonderen Fach seines Schreibtisches verbarg, Lottes Briefe überhaupt nicht zu beantworten wagte, und auch die Bildchen bald wieder völlig vergaß.
Lotte, indessen von ihrer kleinen Mitgift zehrend, nahm sich einen Rechtsanwalt und beschritt den Klageweg, ohne aber auf diesem sofort etwas zu erreichen. Schon allein die Wartezeiten, ehe die Beantwortungen ihrer Eingaben eintrafen, genügten, ihre kleine Reserve zusammenschmelzen zu lassen, und hätten sie zuletzt zum Verhungern bringen müssen, wenn sie nicht, von so viel Not getrieben, ihr altes Leben wieder begonnen hätte.
Da es ihr im Anfang noch peinlich war, in der Klinik, in der man sie als Frau Doktor Foscani kannte, um Arbeit zu bitten, wandte sie sich vorerst an eine Vermittlungsstelle für Krankenpflege. Wieder hatte sie Glück. Der Leiter der Vermittlung erinnerte sich ihrer, und ohne daß Lotte erst von ihrer früheren Organisation sich ihre Tätigkeit und deren Dauer bestätigen lassen mußte – denn sie besaß keinerlei Berufspapiere mehr, die sie ja in einem übermütigen Zutrauen an ihr Eheglück vernichtet hatte –, erhielt sie eine Pflege bei einem wohlhabenden, alleinstehenden älteren Herrn zugewiesen, einem sehr angenehmen Patienten mit einer Oberschenkelfraktur, der sie dreiviertel Jahr lang beschäftigte. Sie brachte ihn ohne jede Komplikation so weit, daß sie ihn das Gehen wieder lehren konnte, und übernahm mit ihrer geschickten Hand die Massage der Nachbehandlung. Er hätte sie zum Dank gern auf seine Erholungsreise in die Schweiz mitgenommen, doch das schlug Lotte ab, sie konnte die Stadt nicht verlassen, in der ihr Kind lebte.
Lotte hatte also aus Berufsgründen ihr schon etwas angegrautes Haar auffärben, und mit wütendem Schmerz im Herzen für ihr Kind eine billige Pflege suchen müssen. – Auf ihr Inserat erhielt sie unter anderen Angeboten das von einer verheirateten Krankenschwester, »mit auskömmlichem Einkommen«, wie sie schrieb, »mit hübscher, sonniger, komfortabler Wohnung und einem arbeitsamen, festangestellten, ruhigen, kinderlieben Mann« – sie selbst aber habe keine Kinder und wisse mit ihrer vielen freien Zeit, die sie von ihrem frühern Berufe her nicht gewohnt sei, nichts anzufangen. Sie versprach daher, mit besonderer Freude und mit ihrer Erfahrung als ehemalige Krankenschwester das Kind aufzuziehen, vorausgesetzt, daß es gesund sei und keinerlei schwierige Veranlagung zeige. Das Kostgeld war äußerst gering.
Lotte mußte einsehen, daß dies eine ungewöhnlich günstige Gelegenheit für ihr Kind sei. Aber sie, die bereits begann, wieder in die alte stumpfe Resignation über ihr Schicksal zurückzuverfallen, eines Schicksals, das sie stets in das Gegenteil dessen zwang, wozu sie sich geschaffen fühlte, sie lehnte sich noch einmal auf.
Ihr Kind würde es an dieser Pflegestätte haben wie bei einer Mutter, das spürte sie. Und diese Mutter würde einen Mann haben, der vielleicht dem Kinde ein Vater wurde. Sie aber, Lotte, die bereit war, die nur dazu da war, dem Kinde beides zu sein, Vater und Mutter, würde ihm dann nichts mehr bedeuten. Sie würde ihr Glück an die ohnedies schon glücklichere »Schwester« abtreten, und würde nicht einmal mehr Glück geben können! – Ihre Verzweiflung endete in Trotz, sie zerriß dieses Angebot, um sich ein anderes dafür auszusuchen, bei dem es sich um einen einfachen Haushalt in einer hübschen Neubausiedlung handelte, in welchem bereits drei Kinder vorhanden waren. Dort, so dachte sich Lotte aus, würde sie neben der vielbeschäftigten Hausfrau die ersehnte Mutter sein, die zu Besuch kam, Geschenke brachte, und ihr Kind vor den anderen Kindern verwöhnte.
So wurde der Knabe mit drei Kindern recht und schlecht aufgezogen, was sich aber zum Vorteil seiner freien Charakterentfaltung herausstellte. Er verstand es auch gar schnell, durch sein bald einschmeichelndes, bald tyrannisches Wesen sich den Hauptplatz in der neuen Gemeinschaft zu sichern.
Wieder verdiente Lotte Geld und mußte weiterhin ihre ganze Lebenskraft darauf verwenden, Geld zu verdienen. Sie hätte nach Jahr und Tag im Laufe der Alimentenklage als Mitvormund des Kindes eine Beschlagnahme in Höhe der schuldigen Summe von dem Gehalt ihres Mannes erreichen können. Aber zu dieser Zeit war sie schon wieder so im Zuge ihres Schicksals eingespannt, daß sie jenen Schritt nicht mehr tun wollte. Sie wollte »ihrem Mariu« nicht in seiner Karriere schaden, die schließlich doch auch ihr Werk war. »Ich habe es schwer, aber er hat es wohl auch nicht leicht«, seufzte sie vor sich hin, »aus Gemeinheit tut er es nicht – er schafft es eben nur nicht, ich kenne doch seinen Charakter –«. Das war Lotte, die Mutter, die überlegen ihr Kind beurteilte. »Es ist ja auch nicht das erstemal, daß ich wie ein Mann für ein Kind allein sorgen muß!« schloß sie mit einer Trauer, die von Stolz umkleidet war, ihre Gedanken ab. Ja, in der neuerkannten Überlegenheit über den untüchtigen Mariu, der ohne sie sofort in Schwierigkeiten kam, überwies sie sogar eine gewisse Summe an die Adresse ihres Mannes, damit er ihr die Gegenstände, die ihr Eigentum waren, zurücktransportieren lassen könne. – Wieder hatte Lotte bald ein Sparbuch, diesmal auf den Namen Karlchen Foscani.
Der Knabe überstand alle Gefahren, die seiner Jugend und zarten Konstitution drohten, ohne weiteres, während seiner Pflegemutter ein Kind, ein besonders kräftiges Mädchen, an Scharlach starb. Das Pflegekind Karl aber kam zur Schule und hörte sich die Erklärung, daß er das Kind geschiedener Eltern sei, hochinteressiert, doch völlig ungerührt an. Er war sogar stolz darauf, denn es war etwas Besonderes, das er nur noch mit einem anderen Kinde in der Klasse teilte, und nachdem die Mutter dieses Kindes eine neue Ehe eingegangen war, stellte Lottes Knabe tief befriedigt fest: »Nun bist du so gut wie nicht mehr geschieden – wir sind aber noch richtig geschieden, meine Mutter ist sogar böse mit meinem Vater!« – Dieses Kind fühlte sich keineswegs als »arme Waise«, obwohl er mehr Waise war, als sein verstorbener Bruder, der empfindsame, krauslockige Knabe Hermann es gewesen war.