Rahel Sanzara
Die glückliche Hand
Rahel Sanzara

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XIII

Eines Tages erhielt Lotte die Nachricht, daß ihr Geliebter seine Examen bestanden und sich bereits um eine Stelle in der augenblicklich sehr regsamen, neuaufbauenden inneren Verwaltung seines Landes beworben hatte. Am Schlusse des Briefes erklärte er ihr feierlich, daß sie sich nun endgültig als seine Braut zu betrachten habe, so wie er hiermit sein Eheversprechen schriftlich wiederhole. Dies also solle ihre Verlobung sein, und wenn Lotte es so wünsche, könne sich ja jeder von ihnen auch einen Ring kaufen und ihn sich zu einer noch zu vereinbarenden Stunde an einem Tag, den sie bestimmen möge, anstecken, er in Paris, sie in Berlin.

Diese etwas romantische Verlobung war für Lotte in ihrem erhobenen Glückszustand ein ganz natürlicher Vorgang, ein Ausgleich in ihrem Schicksal, der nur dadurch nicht ganz vollwog, daß die einzige Verlobungsanzeige, die sie verschickte, nämlich an ihre treue Schwester Laura, sich mit einer Anzeige kreuzte, die deren Tod enthielt. Für Mariu aber bedeutete dieser Schritt mehr und weniger als für Lotte. Er bewies damit wenn auch nicht Treue, so doch Anhänglichkeit, und wenn auch nicht Mut, so doch Trotz.

In dem Kreise seiner Landsleute, unter denen er sich in Paris bewegte, waren viele, sehr schöne Mädchen und Frauen seiner Heimat, elegant gekleidet, geschminkt, parfümiert, heiter, kokett und sanft, zu Müßiggang und Lebensgenuß geneigt, denen auch Mariu durchaus nicht mißfiel. Es kam in den zwanglosen Zusammenkünften dieser Kreise, bei denen man froh von Wein und Jugend war, zu übermütigen, zärtlichen Bindungen, die keinen Augenblick ernstgenommen und oft genug gewechselt wurden. Auch Mariu tauschte diese sinnlichen Zärtlichkeiten und leichtfertigen Umarmungen, aber es zeigte sich, daß er im tiefsten Grunde von dem gewalttätigen mütterlichen Zauber der gar nicht so hübschen, im Vergleich zu seinen Landsmänninnen schwerfälligen, unscheinbaren Lotte zu sehr gepackt war: ihre Liebesbeziehung, die süß und schrecklich zugleich wie das ungemeisterte Leben selbst gewesen war, lag ihm noch im Blut, ihm, der auch noch nicht gelernt hatte, das Leben zu meistern.

Nicht wenig stärkte aber auch sein Trotz das Andenken an Lotte. In dem Kreis seiner Landsleute war die Gesinnung derzeit eher deutschfeindlich als deutschfreundlich. Für Mariu aber waren die Rettung seines Lebens nach schwerer Krankheit, die wenigen angenehmen Eindrücke seiner Jugend nach den vielen Schrecknissen des Krieges, das glückliche Heimatempfinden nach den bitteren Erfahrungen des Vertriebenseins, doch zu sehr mit Deutschland verknüpft – und, obwohl auch er zu dem den Romanen eigenen Luxusbedürfnis neigte, hatte er doch den innigen Reiz eines zwar dürftigen und einfachen, aber harmonischen Lebens im Zusammenhausen mit Lotte und ihrem Vater kennengelernt. So sehr er sich in der heimatlichen Atmosphäre, die ihm durch seine Studiengenossen und -genossinnen zugetragen wurde, wohlbefand, um so mehr lockte ihn auch immer wieder der tiefe, herbe Zauber jener Jahre in der Fremde, und, trotz des dringenden Abratens seiner Freunde, gab er eines Tages eben gerade offiziell seine Verlobung mit einer Deutschen bekannt. Er erklärte, er sei dazu verpflichtet, denn sie habe ihm das Leben gerettet, und er könne als Ehrenmann nicht anders handeln.

Fürs erste schien dieser Schritt seine Aussichten auf eine Stellung in dem Staatsdienst wirklich ungünstig zu beeinflussen, denn obwohl er einen sehr wichtigen und ausschlaggebenden Fürsprecher gefunden hatte, erhielt er auf einmal keine Antwort mehr in seinem schon ziemlich weit gediehenen Briefwechsel mit dem betreffenden Amt. Er teilte es verzweifelt Lotte mit, doch sie schrieb beruhigend zurück, er solle nur mit ihr auf ihre »glückliche Hand« vertrauen. Und wirklich blieb ihr dieses Glück auch jetzt treu, nach einiger Zeit kam die angestrebte Anstellung doch zustande, da Mariu eben für das ausersehene Ressort besondere Kenntnisse und Fähigkeiten zu versprechen schien.

Ein halbes Jahr später feierte Lotte stolz und glücklich ihre Hochzeit. Es war nur eine standesamtliche Trauung, da jeder der Gatten einer anderen Religion angehörte, an der jeder zwar nicht in dem Maße hing, daß sie eine ausschlaggebende, etwa trennende Rolle spielte, noch aber wollte sich einer dem anderen gern in dieser Frage unterordnen, so daß auch das Verbindende in religiöser Beziehung fortfiel. – Lotte gab ein nettes kleines Fest, zu dem man ihr das Schwestern-Speisezimmer der Klinik zur Verfügung stellte, und an dem alle ihr bekannten Krankenschwestern, soweit sie sich vom Dienst freimachen konnten, weiter zwei junge Assistenzärzte und eine von Lottes letzten, dankbaren, auf dem Wege der Genesung sich befindlichen Patientinnen teilnahmen. Die Braut wurde reich beschenkt, die ganze Klinik hatte sich zusammengetan und einen kostbaren Teppich gestiftet, durch Erfüllung ihres Testamentes erhielt Lotte von Schwester Laura zufällig gerade an diesem Tage einen reichlich assortierten Silberkasten zugestellt, der sehr erstaunt betrachtet wurde und die Frage aufbrachte, ob die echte Männerfeindin doch einmal Erwartungen gehegt habe? Dann aber ging man weiter, die Gaben zu bewundern: Bilder, Handarbeiten, Kristallstücke – Geldgaben von Patienten steckten in schön verzierten Briefumschlägen zwischen herrlichen Blumenspenden. Es wurden heitere Festgedichte verlesen, die Schwestern sangen in einem vierstimmigen Chor das Lied vom Heideröslein, zuletzt tanzten alle untereinander nach einem Grammophon, denn es mangelte an Tänzern. Lottes großartiges Abgangszeugnis wurde feierlich über »Hochzeitskerzen« verbrannt, denn mit dem Krankendienst solle es nun ein für allemal vorbei sein! Es sei zwar der schönste weibliche Beruf, den es gebe, aber Gattin und Frau im eigenen Heim zu sein, sei vielleicht doch eben das glücklichste Los, schränkte die Oberschwester in einer kurzen Ansprache den Jubel über diese kleine Symbolhandlung ein, ohne jedoch damit eine nachhaltigere Wirkung zu erreichen. Da im nächsten Augenblick sogar Champagner gereicht wurde, schien sich im Gegenteil der Trubel noch zu steigern.

Erstaunt und befremdet bemerkte Mariu Lottes hochgerötetes Gesicht, ihr kreischendes Lachen, ihre fahrigen Blicke, wie blind vor Glück – indessen er selbst, seine exotische Schönheit, sein gepflegtes Äußere, seine elegante Kleidung eine etwas bedenkliche Bewunderung bei der Mehrzahl der Schwestern erregten, die Lottes Geschmack etwas »unsolid« fanden und dies auf ihre »schriftstellerische Ader« zurückführten. Lotte jedoch genoß ihr spätes Glück in vollen Zügen – ihm zuliebe brachte sie es fertig, sich an diesem Tage, wie aller Vergangenheit, auch nicht der Mutter zu erinnern, vor derem Andenken sie nicht glaubte verantworten zu können, daß sie ohne kirchliche Trauung geheiratet hatte. Sie zwang es weiterhin sich ab, ohne Trauer die elterliche Wohnung aufzulösen, Abschied von der Stadt ihrer Jugend und den Gräbern von Eltern und Kind zu nehmen: sie wollte jetzt nichts als ihr neues Leben, ihr endlich wahres Glück! So glücksbereit folgte sie mit einer ganz stattlichen Aussteuer und einer kleinen Mitgift, welche aus einer Ersparnis bestand, die sie vom Sparbuch Hermann Schuhmacher abhob und das Konto damit löschte, dem Gatten in sein Land.

 

Dort ging äußerlich alles gut voran. Mariu, dessen Fähigkeiten und Intelligenz durch die harten Erlebnisse seiner Jugend diszipliniert, dessen ganzes Wesen mit einem Ernst durchsetzt war, der scheinbar von dem Lande seines Exils auf ihn abgefärbt hatte, erwies sich als ein Beamter von seltener Eignung. Er erreichte bald hohes Ansehen, die Gunst der Vorgesetzten und immer verantwortungsvollere Arbeit. Die Ehe mit Lotte legte ihm eine gesellschaftliche Zurückgezogenheit auf, die ihm den Ruf eines festen und geklärten Charakters verschafften, und den eines Patrioten, der keine anderen Freuden kenne, als die Arbeit für sein Vaterland.

So kam es, daß Mariu bei wachsender Sicherheit und Selbständigkeit im Berufsleben, die eine neue, wachsende Selbstachtung mit sich brachten, bald die Jahre, in denen Lotte ihn erhalten hatte, nicht mehr als ein entscheidendes und förderndes Erlebnis anerkennen wollte, sondern heimlich bei sich »die beschämende Schwäche seiner Jugend« nannte, welche er durch seine Heirat nun mehr als gutgemacht, von der er sich nach und nach befreit fühlte – ja, zuletzt erschien er sich selbst als ein allzusehr bedrücktes Opfer dieser alten Verpflichtung.

Mit diesem neuerworbenen moralischen Gleichgewicht erlosch aber zu seinem eigenen Erschrecken der Sinn seiner Ehe kaum zwei Jahre nach der Hochzeit, es verringerte die Bedeutung der Frau neben ihm, die ihm nun längst nicht mehr einziger moralischer und praktischer Halt im Leben sein konnte. Die Überlegenheit seiner Bildung, seiner Jugend, seines Aussehens wurde dem Mann immer klarer und ließ ihn Lotte zu seiner eigenen Pein als unter ihm stehend empfinden.

Nach kurzen Wochen der Freude lebte Lotte wie ein verlorener Schatten in ihrer Ehe dahin. Da ihr die Gabe schneller Anpassung fehlte, war sie bald sehr einsam, nur geringgeschätzt in dem fremden Lande. Die Freude an ihrer schönen Wohnung in einer der elegantesten Straßen Bukarests, das Interesse an ihrem sich nach und nach vergrößernden Haushalt waren ihr bald vergangen, da sie, abhängig von Dienstboten, denen gegenüber sie sich der fremden Sprache wegen befangen und unterlegen fühlte, auch von Geschäften, die nicht das hatten, was sie kaufen wollte, ihre heimatlichen Sitten und Gewohnheiten nicht einführen konnte. Allerdings sträubte wiederum auch sie sich in einer Art trotzigen Heimwehs dagegen, die Sitten und Gebräuche ihrer neuen Umgebung anzunehmen. Der heißerwünschte Zustand, Frau im eigenen Heim zu sein, konnte sie nun nicht befriedigen, und was sie nie von sich geglaubt hätte, trat ein: sie vermißte ihren Beruf, die Tätigkeit als Tagesschwester, ihre Nachtwachen im stillen Stübchen. Sie mußte sich aber, als sie dies ihm einmal gegenüber äußerte, von Mariu den Verweis gefallen lassen, davon ja mit niemandem zu sprechen, denn Krankenpflegerinnen, die nicht Nonnen seien, würden in seinem Lande nur gleich Dienstboten geachtet. Lotte wollte aufbrausen über diese harte Kränkung, erinnerte sich aber plötzlich an den Ausspruch der Mutter, daß man Krankendienst nur als Gottesdienst betrachten könne. Das machte sie stumm. Sie versuchte, um ihre Zeit auszufüllen, als Ersatz für ihr Geschichtenschreiben Tagebuch zu führen, wollte auch ausführlich berichtende Briefe an die Schwestern in der Heimat abfassen, genau nach Einteilung, 1. um ihr Glück zu schildern, 2. das Interessante ihrer neuen Umgebung, 3. ihre Empfindung für die verlassene Heimat – und sie dachte daran, solche Briefe in einer kleinen Sammlung unter dem Titel: »Glück in fremden Landen« an ihren früheren publizistischen Stellen zu veröffentlichen. Doch wie sie sich eingestehen mußte, daß es höchstens Annehmlichkeiten, doch kein eigentliches Glück in ihrem neuen Leben gab, so kam sie auch über die Niederschrift des Datums nicht hinaus. Sie versuchte zu lesen, um auf diesem Wege ihre Phantasie wieder anzuregen, aber kein Buch konnte sie mehr fesseln. Ihre Gedanken, ihre Sinne waren im Grunde vollständig und ganz auf den Mann gerichtet, von dem sie nicht ergründen konnte, ob er unglücklich war mit ihr, oder ob sein verändertes, unzugängliches Wesen notwendigerweise zu dem verantwortungsreichen Beruf eines Staatsbeamten gehöre. Er wurde ihr fremd. Oft war es ihr ganz unmöglich, in ihm ihren Mariu, den sie einst wie ein kleines Kind in seiner schlimmen Krankheit gereinigt und gepflegt hatte, und den sie sich, um die drohende Entfremdung zu bannen, gern in diesem Zustand aus der Erinnerung heraufbeschwor, wiederzuerkennen, noch freilich auch den liebenswürdigen Kameraden ihres alten Vaters oder gar den sie mit wilden Liebkosungen bedrängenden Verführer. Das machte sie unglücklich, aber oftmals gab es noch Schlimmeres für sie: wenn sie ihn schlafend sah an ihrer Seite, die langen, schöngebogenen Wimpern über die gelblich getönten Wangen gesenkt, die vollen Lippen kindlich entspannt, da war er ihr wiederum so nahe vertraut, daß sie vor dem mütterlichen Gefühl erschrak, das in ihrem Herzen aufflutete. Sie wollte ihm doch Gattin sein! Vertraute in einem anderen Sinne! – Doch eifersüchtig duldete er nicht einmal eine Frage oder Bemerkung ihrerseits über seine Arbeit, die er sich zum Inhalt des Lebens gemacht hatte. Zu einer Aussprache zwischen den Gatten kam es nie.

Eine Zeitlang beschäftigte sich Lotte viel mit ihrem Äußeren, machte alle die Mühen, Aufregungen und Wege durch, die zur Erreichung einer gewählten, eleganten Garderobe, der sorgfältigen Pflege von Haut und Haaren nötig schienen – sie ließ sich von schönen Stoffen, hohen Stöckelschuhen und extravaganten Handschuhen, von erlesenen Parfüms und Spitzenwäsche ebenso verlocken wie von der verschwenderisch entfalteten Liebenswürdigkeit der Geschäftsleute, bis sie eines Tages dicht hinter der gepflegten Anlage eines der belebtesten Plätze der Stadt eine zerlumpte Zigeunermutter sitzen sah, die einen Säugling an ihrer mächtigen, gelblichbraunen Brust hielt, während ihre ganze übrige Schar von Kindern in jeder Altersstufe, alle elend, alle von oben bis unten verschmutzt und halbnackt, sich bettelnd gegen Lotte drängte. Sie aber hatte nicht eine Münze mehr in ihrer neuen schicken Lackledertasche, dagegen standen ihr die Summen vor Augen, die sie eben auf einem kleinen Geschäftsbummel ausgegeben hatte, und sie fühlte sich plötzlich wie sich selber weit entschwunden. Traurig besah sie daheim vor dem Spiegel ihre derbknochige Figur im modernen blaufarbenen Crêpesatin-Komplett, ihr onduliertes Haar, ihre gepuderten Wangen. War das sie? – Sie setzte sich an ihren hübschen Toilettentisch nieder und entfernte sorgfältig den Lack von ihren Nägeln und dachte dabei: »eigentlich müßte ich jetzt weinen« – aber es kamen keine Tränen.

Von dem Zeitpunkt an, da Mariu, wie er glaubte, seine Verpflichtung an Lotte gutgemacht zu haben, begegnete er ihr immer kälter, und seine sich in gleichem Maße erhitzende Leidenschaft für die Nation ließ ihn seine Frau zuletzt fast mit der gleichen mißtrauischen Feindseligkeit betrachten, mit der alle seine Landsleute sie schon von jeher angesehen hatten. Das alles regte sich unter einem kühlen, korrekt-höflichen Umgangston zwischen den beiden Eheleuten, den Mariu angab, und unter dem er auch seine Ungeduld, Gereiztheit und Tyrannei verbarg. – Er interessierte sich zum Beispiel durchaus für Lottes Schneider- und Friseurfragen, er hatte nichts dagegen, daß sie Geld dafür ausgab, und viel Geld, wie es Lotte in ihrer Bescheidenheit schien – im Gegenteil, es war ihm nur lieb, rechnete er sich in der Stille doch jedesmal die Summe von seiner »alten Schuld« ihr gegenüber ab. Er bekrittelte Schnitt und Ausführung jedes Kleides ganz genau, fand ihr Parfüm je nachdem »angenehm« oder »unpassend«, lief selbst in die Geschäfte, um etwas umzutauschen oder zu beanstanden, und bat sich aus, daß man Frau Doktor Foscani sorgfältiger bediene! Doch das alles geschah nicht aus Interesse für Lotte selbst. Sie durfte seit einiger Zeit keine Briefe mehr in die Heimat schreiben, denn es könne unangenehm sein, daß seine Gattin solche von dort empfange, auch gehöre sie doch nun einmal nicht mehr dahin, und der Gedanke an eine schriftstellerische Tätigkeit ihrerseits brachte ihn außer sich – ob sie denn nicht alles habe, was sie brauche? Wieso käme sie denn überhaupt auf diese alte, alberne Zeilenschinderei zurück? – Demgegenüber schämte sich Lotte anzugeben: aus innerer Unzufriedenheit. – Aber sie durfte auch nicht Unterricht in der Sprache des Landes nehmen, in dem sie nun lebte, da sie diese, wie er in versteckter Geringschätzung bemerkte, in ihren Jahren erklärlicherweise doch nicht mehr ganz begreifen und jedenfalls schlecht aussprechen werde, und dies für ihn und sie nur fatal sein würde.

Und doch glaubte Lotte trotz allem glücklich oder wenigstens zufrieden sein zu müssen. Sie redete sich zu, »wie einem lahmen Gaul«: hatte sie nicht als eine der sehr wenigen Schwestern unter den vielen, die sie kannte, geheiratet? Und noch dazu einen schönen, jungen, akademisch gebildeten Mann? Daß sie ihm erst zu seinem Studium verholfen hatte, das hatte er sie durch sein überlegenes, hochmütiges Wesen längst vergessen lassen. – Und noch etwas ruhte in Lotte und ließ sie die leere und nichtige Gegenwart um der Hoffnung auf eine erfülltere Zukunft willen nicht so spürbar werden: jetzt schien ja doch endlich die Zeit gekommen, in der sie ein Kind haben konnte, ein Kind, das sie mit Genuß und Freude würde aufziehen können, ohne Sorge, ohne ihre natürliche, mütterliche Stellung zu ihm aufgeben zu müssen, ohne sich ihm durch Geldverdienen zu entfernen und zu entfremden. Doch das Zusammenleben von Mann und Frau hatte den früheren, wütend-wollüstigen Stachel behalten, hatte sich nicht befriedet und gelöst. Entnervt und zitternd lag Lotte nach den Umarmungen da. Ein kleines Leiden stellte sich ein, das sie an einen Mariu mahnte, der nicht nur stets ihr gehört hatte, und lange mußte sie auf die ersehnten Zeichen warten.

Als ihr Leib endlich empfangen hatte, war er nicht fähig, das neue Leben zu halten. Eine schwere Fehlgeburt brachte Lotte an den Rand des Grabes. Vielleicht war es die Schuld des in der Eile nächstbesten, herbeigerufenen Arztes, mit dem sich Lotte in der fremden Sprache nicht verständigen konnte, dem jedoch Mariu vollständig vertraute und sich weigerte, Lottes Bedenken gegen seine Behandlungsweise zu übersetzen, die er als beleidigendes Mißtrauen gegen die ärztliche Kunst in seinem Lande überhaupt auffaßte – jedenfalls stellten sich zuletzt septische Erscheinungen und hohes Fieber ein. Als Lotte sich nach langem Krankenlager wieder erhob, war sie völlig entkräftet. Ihr Gesicht war grau und faltig geworden, und war sie neben dem wohlgestalteten Mann, dessen schöne, regelmäßige Züge durch den Ausdruck geistiger Energie noch gewonnen hatten, nie eine reizvolle Frau gewesen, so trat nun der Altersunterschied deutlich zutage. Die Erscheinung der fahlgesichtigen, durch Krankheit entstellten Frau neben der blühenden und kraftvollen Erscheinung des Mannes hatte etwas Erschreckendes, fast Widernatürliches für den Betrachter, um so mehr, da Lotte, traurig und bedrückt, an der Entfaltung ihres wahren Wesens verhindert, nicht über den Zauber die äußeren Mängel ausgleichender Überlegenheit und Liebenswürdigkeit verfügte.


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