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Das Zusammenleben mit der Frau begann nun für den Mann fast unüberwindlich schwer zu werden – es gestaltete sich immer krampfhafter und quälerischer. Trotzdem konnte sich Lotte noch einmal guter Hoffnung fühlen, und als sie mit aller Vorsicht und Schonung den dritten Monat überstanden hatte, bat sie ihren Mann in einer überquellenden Sehnsucht nach der Heimat, nach Berlin reisen zu dürfen, um dort mit ärztlicher Hilfe die Schwangerschaft durchzuhalten. Sie war auf Widerstand gefaßt und hatte sich mit ebensolchem gewappnet. Zu ihrer großen Überraschung aber willigte Mariu ohne weiteres ein – »damit gutgemacht würde, was das vorige Mal versäumt worden sei« –, er gab ihr sogar eine ältere Wärterin zur Hilfe und Begleitung für die Reise mit, und Lotte durfte in einem Sanatorium, etwas außerhalb der Stadt gelegen, mit Hilfe aller ärztlichen Künste ihrer Niederkunft entgegenleben.
Das war die glücklichste Zeit in ihrer Ehe. Die Gatten schrieben einander, Lotte in verjüngter, dankbarer Zärtlichkeit an den Mann, Mariu an die Frau in warmer Besorgnis um ihre Gesundheit und um das Wohl des erwarteten Kindes. Doch als kurz nach dem achten Monat die Geburt unter furchtbaren Schwierigkeiten, aber doch glücklich vonstatten gegangen war, und Lotte einem zarten Knaben das Leben schenkte, war die Ehe vollständig zerstört. Wohl schluchzte der herbeigereiste Mann bei dem Anblick seines winzigen, zwischen Watte und Wärmeflaschen gepackten Sohnes, doch nicht nur vor Glück. Lotte, die es sich nicht anders denken konnte, als nun so bald wie möglich mit Mann und Kind zurückzukehren – in die Fremde, die sie sich nun doch noch zur Heimat werden fühlte –, wurde von dem Gatten beschworen, nur ja noch recht lange zu bleiben, ganz ihrer Gesundheit zu leben, die doch für das Kind so wichtig wäre, indes er leider nur kurzen Urlaub erhalten habe.
Trotz aller Tränen und Bitten Lottes, trotz ihrer Vorwürfe, daß er es fertig brächte, sich schon wieder von dem Kinde zu trennen, und trotzdem dieser Vorwurf ihn sichtlich traf, setzte der Mann es doch durch, allein abzureisen. Aber er schrieb sehr gütevoll, wollte genau Tagebuch geführt haben über des Kleinen Befinden und Gedeihen, schickte ausreichend Geld, so daß Lotte auch weiterhin in dem Sanatorium bleiben konnte, in welchem sie nun auch einmal voll und ganz die Vorzüge eines »Erster-Klasse-Patienten« genießen durfte, die ihr aus der früheren Berufszeit so gut bekannt waren. Eine ganze Zeitlang durfte sie sich ungestört in dem Glauben wiegen, alles geschehe wirklich nur um ihres und des Kindes Wohles willen.
Die Erinnerung freilich an das wilde, heimliche Glück der ersten Geburt, da sie sich in allem so leicht selbst geholfen hatte, da sie für eine Stunde lang ein Geschöpf gewesen war, in Kraft und Wonne der Natur verbunden, wollte sich ihr wohl manchmal aufdrängen zum Vergleich mit diesem Wochenbett, wo Ärzte, Schwestern und Helfer mehr von der Geburt wußten, als sie, die im Dämmerschlaf gelegen, und sich nach Aussage des Arztes »unsachgemäß« benommen hatte. – »Dabei weiß er doch noch nicht einmal, daß ich Krankenschwester war«, dachte Lotte betrübt. Es bedrängte sie die Ahnung, daß ihr ganzes Dasein nach jenem ersten Glück gezielt und gestrebt hatte und daß sie es nie mehr würde erleben können! Doch sie wollte sich diesen Empfindungen nicht hingeben, sie schmiegte sich freudegierig an ihr Kind, wenn sie auch durch alle die künstliche Wärme hindurch, mit der es umpackt war, sein Körperchen nicht fühlen konnte, so wie sie damals den nackten kleinen Leib ihres Erstgeborenen dicht an sich gefühlt hatte.
Dank ihrer guten Natur erstarkte Lotte nach und nach, wurde gesund, freute sich an dem allmählichen Gedeihen des zarten Kindes und bestand bald darauf, seine Pflege vollständig selbst zu übernehmen. Traurig blieb sie nur darüber, daß sie ihr Kind nicht nähren konnte, und daß sie, wie »damals«, wieder allein mit ihm zur Taufe gehen mußte, ohne Mann und Vater. Daß auf diese Weise das Kind in ihr Glaubensbekenntnis aufgenommen wurde, bereitete ihr weniger Genugtuung als Kränkung über des Vaters Desinteressement, das ihr nun doch eine geheime Unruhe über sein ganzes Verhalten einzuflößen begann.
Nach und nach meldete sie sich bei der und jener der alten, bekannten Schwestern, sie kamen sie zu besuchen, erzählten Klatschgeschichten von Ärzten und Patienten aus der Klinik oder auch von den gerade nicht anwesenden Kolleginnen – es wurde viel gelacht und gekichert, und der heimliche, dennoch zuweilen erkennbare Neid, mit dem ihr längst entwurzeltes Glück betrachtet wurde, stimmte Lotte fast fröhlich und schien es ihr wieder wahr und fester zu machen. Doch kurz vor Weihnachten, als Lotte sich nun endgültig zur Rückreise zu dem Manne rüsten wollte, kam der endgültige Schlag.
Der Mann schrieb ihr nun ohne Umschweife, daß eine unerwartete »Annäherung« zwischen ihm und der Tochter seines Vorgesetzten »eingetreten« sei, die ihn leider zwinge, sich frei zu machen und dieser Dame die Ehre wiederzugeben – sonst verliere er Amt und Stellung, und damit würde sein Leben zu Ende sein. Alle näheren Vorschläge, die Ausführung jener Andeutung »sich freimachen zu müssen«, schien er Lotte überlassen zu wollen, denn er enthielt sich darüber jeder Äußerung.
Der erste Impuls Lottes war natürlich der, den Kampf aufzunehmen, erst recht hinzufahren, nicht zu weichen, ihrem Kinde Heimat und Vater zu erhalten. Doch der kluge Mariu hielt eine wirksame Waffe in dem sonst so zurückhaltenden Brief bereit. Der Briefumschlag enthielt noch eine Beilage. Es war die von rosa Seidenpapier umhüllte Photographie eines höchstens siebzehnjährigen bildschönen, elegant gekleideten Mädchens, bei dessen Anblick Lotte wie zu Tode getroffen aufstöhnte.
Aller Widerstand in ihr zerbrach. In aufgeregten, selbstquälerischen Bildern sah sie den Mann an der Seite dieses Mädchens. Sie sah ein schönes, heiteres, elegantes Paar vor sich, das in der Sprache seiner Heimat miteinander scherzte, gleichberechtigt in der Gesellschaft sich bewegte, Glück und Duft der Jugend um sich hatte.
Mitten in dem zerfleischenden Schmerz einer verstoßenen, gedemütigten, sich selbst als reizlos erkennenden Frau regten sich zu tieferer Verzweiflung dennoch in Lotte die ursprünglichen Empfindungen wieder für ihren Mann: die alten mütterlichen Gefühle für den um so viel jüngeren Menschen. Nicht, daß Lotte sich dadurch zu einem freiwilligen Verzicht erhob, nein, selbst wenn sie Mariu jetzt wieder mehr denn je als den verwaisten Schützling ansehen mußte, dem sie einst weitergeholfen hatte, das Kind von beiden, das ihr jetzt am nahesten stand, war das Neugeborene. Um seinetwillen kämpfte Lotte einen hartnäckigen Kampf. Nur die äußersten Drohungen des Mannes, daß er sofort die Wohnung verlassen, daß er Amt und Stellung niederlegen, nach Amerika auswandern würde – Drohungen, von denen sie beinahe fürchtete, daß er sie wahr mache, so leidenschaftlich waren sie abgefaßt –, konnten Lotte davon abhalten, mit ihrem Kind zu ihm zu fahren und die Ehe wenigstens der Form nach wieder aufzunehmen. Sich von dem Kind zu trennen, schien ihr aber von allem noch am unmöglichsten, und welchen Aufregungen, widrigen Situationen lief sie Gefahr, sich mit dem Säugling in der fremdsprachigen Stadt auszusetzen, wo sie gegen den wohl wirklich böswilligen Gatten keine Hilfe und Freunde erwarten durfte? Um das Wohl des Kindes willen also gab sie nach, und der Mann versprach ihr dafür, zu der mündlichen Aussprache, die sie verlangte, zu ihr zu kommen. Nach vielen Ermahnungen an dieses Versprechen setzte er auch endlich einen Termin fest, sandte aber kurz vorher noch einen Brief, in dem er »offen und ehrlich« beichtete, wozu er wohl mündlich nicht den Mut gefunden hatte, und ausführlich schilderte, welche Abneigung er im Grunde gegen Lotte als Frau in der ganzen letzten Zeit der Ehe empfunden habe, so sehr er sie als Mensch achten müsse und die Erinnerung an sie stets hochhalten werde. Er wolle und könne aber nicht mehr mit ihr zusammenleben, selbst dann nicht, wenn jene andere Verpflichtung nicht bestände.
Offen und ehrlich war diese Erklärung wohl. Einstmals hatte die Eifersucht des Mannes auf Lottes erstes Kind die düstere Fackel ihrer Liebe in Brand gesetzt – der Anblick Lottes als der Mutter seines Kindes hatte nun in tiefster Befriedigung auch den letzten schwachen Funken dieser Glut wieder in ihm gelöscht.
In dem neuen, von keiner beschämenden Vergangenheit belasteten, ritterlich-zärtlichen Gefühl für das junge Mädchen, in diesem schattenlosen Gefühl, in das er während der Zeit der Trennung von Lotte hineingeglitten war wie in eine Erlösung, mußte Mariu sich als Mann frei und natürlich wiederfinden wie noch nie. Auch Lotte, in ihrem sie selbst verratenden, für sein Glück mehr als das ihre schlagenden Herzen wurde von dieser Ahnung gestreift. Instinktiv brachte sie daher bei der endlich zustande kommenden Aussprache nur immer wieder den einen heftigen Vorwurf gegen den Mann auf: daß er sein Kind verlasse. Doch als er sich, wenn wohl auch nicht ganz ernsthaft, dazu erbot, es zu sich zu nehmen, schrie sie ihm wild ins Gesicht:
»Mir gehört es, und ich ziehe es auf! Und wenn ich mir an ihm nichts weiter aufziehen sollte, als solch ein undankbares, treuloses Subjekt wie dich!«
Mit diesem bezeichnenden Ausbruch, dem Ausbruch einer über ihr Kind schwer enttäuschten Mutter, endete die letzte Zusammenkunft ohne Zeugen zwischen Mann und Frau – an einem Frühsommertag im Zimmer des Sanatoriums, auf dessem geöffneten Balkon das Baby in der Sonne schlief und warme Luft, Duftschwaden von blühendem Gesträuch, Vogelzwitschern aus dem Garten her bis zu den beiden streitenden Menschen drangen.