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Die Mutter Barbeau konnte sich über die Geschicklichkeit der kleinen Fadette nicht genug wundern, und am Abend sagte sie zu ihrem Manne: »Sylvinet geht es besser, als er sich seit sechs Monaten befunden hat; von allem, was ich ihm heute vorgesetzt habe, hat er gegessen, ohne wie gewöhnlich seine Gesichter dazu zu schneiden; und das Merkwürdigste ist, daß er von der kleinen Fadette wie vom lieben Gott spricht. Alles, was man nur Gutes von jemanden sagen kann, hat er mir von ihr erzählt, und er wünscht sehr, daß sein Bruder heimkehrt, um Hochzeit zu halten. Es ist wirklich, als ob ein Wunder geschehen wäre, und ich weiß nicht, ob es nur ein Traum ist oder Wahrheit.«
»Mag's nun ein Wunder sein, oder kein's,« sagte der Vater Barbeau, »so viel ist gewiß, dies Mädchen hat einen mächtigen Verstand, und ich glaube sicherlich, daß es Glück bringen muß, sie in der Familie zu haben.«
Sylvinet begab sich drei Tage später auf den Weg nach Arthon, um seinen Bruder zu holen. Er hatte es sich von seinem Vater und der Fadette als eine besondere Belohnung erbeten, daß er der Erste sein dürfe, Landry sein Glück zu verkündigen.
»Da kommt mir ja das Glück von allen Seiten,« rief Landry, außer sich vor Freude den Bruder in die Arme schließend; »da du es bist, der da kommt, um mich zu holen, und da du ebenso zufrieden zu sein scheinst, wie ich selbst es bin.«
Wie man sich denken kann kehrten die beiden Brüder, ohne weiteren Aufenthalt, miteinander nach Hause zurück. Es gab keine glücklicheren Menschen als die Leute auf dem Zwillingshofe, als sie alle miteinander sich zum Abendessen, die Fadette und den kleinen Jeanet in ihrer Mitte, um den Tisch versammelt hatten.
So führten sie unter sich, während eines halben Jahres, ein stilles glückliches Leben, denn auch die kleine Nanette wurde dem Kadet Caillaud zugesagt, dem Landry, nächst den Mitgliedern seiner eignen Familie, am meisten befreundet war. Es wurde beschlossen, daß die beiden Hochzeiten zugleich gefeiert werden sollten. Sylvinet hatte für die Fadette eine so große Freundschaft gefaßt, daß er nichts that, ohne sie um Rat zu fragen, und sie hatte einen so großen Einfluß auf ihn, daß er sie als seine leibliche Schwester zu betrachten schien. Er war nicht mehr krank, und auch von Eifersucht konnte nicht weiter die Rede sein. Wenn er hin und wieder noch mal traurig zu werden und in Träumerei zu versinken schien, ermahnte ihn die Fadette, und gleich wurde er wieder heiter und gesprächig.
Die beiden Trauungen fanden an demselben Tage vor derselben Messe statt. Da es den beiden Familien nicht an Mitteln fehlte, wurden die Hochzeiten mit solchem Überfluß abgehalten, daß der Vater Caillaud, der in seinem Leben noch nie aus der Fassung gekommen war, am dritten Tage doch einen kleinen Rausch zu haben schien. Nichts wäre imstande gewesen die Freude Landrys und der ganzen Familie, ja man könnte sagen der ganzen Gegend zu trüben. Die beiden reichen Familien, und die kleine Fadette, die für sich allein so reich war wie die Barbeaus und die Caillauds zusammengenommen, bezeigten sich gegen alle Welt außerordentlich freigebig und mildthätig. Fränzchen hatte ein viel zu gutes Herz, um nicht von dem Wunsche beseelt zu sein, allen denen, die sie mit bösen Nachreden verfolgt hatten, das Böse mit Gutem zu vergelten. In der Folge, als Landry ein schönes Anwesen gekauft hatte, das er nach eigner Einsicht und den klugen Anweisungen seiner Frau aufs Beste bewirtschaftete, ließ sie dort sogar ein hübsches Haus erbauen, zu dem Zweck, um darin auf vier Stunden des Tages den unglücklichen und verlassenen Kindern der Gemeinde ein behagliches Unterkommen zu gewähren. Im Verein mit ihrem Bruder Jeanet unterzog sie sich der Mühe diese Kinder zu unterrichten, sie die wahre Religion zu lehren und sogar den dürftigsten in ihrer Not beizustehen. Sie erinnerte sich daran, daß sie selbst ein unglückliches, verlassenes Kind gewesen war, und ihre eignen schönen Kinder, denen sie das Leben gab, wurden frühzeitig dazu angehalten freundlich und mitleidig gegen solche zu sein, die nicht reich waren und der zärtlichen Pflege entbehren mußten.
Was aber wurde wohl aus Sylvinet, inmitten des Glückes seiner Familie? Er wurde etwas, das niemand begreifen konnte, und was Vater Barbeau viel nachzudenken gab. Etwa einen Monat nach der Hochzeit seines Bruders und seiner Schwester, als sein Vater ihn aufforderte, sich auch nach einer Frau umzusehen, antwortete er, daß er keine Lust habe sich zu verheiraten; daß er aber seit einiger Zeit einem Gedanken nachhänge, den er ausführen werde, daß er sich nämlich als Soldat wolle anwerben lassen.
Da es bei uns zu Lande in den Familien keinen Überfluß an Männern giebt, und folglich nicht mehr Arme als für den Ackerbau nötig sind, gehört es zu den seltenen Erlebnissen, daß jemand freiwillig unter die Soldaten geht. So war auch jedermann sehr erstaunt über diesen Entschluß, für den Sylvinet selbst keinen anderen Grund anzugeben wußte, als seine Laune und seinen Geschmack am Militärwesen, den ihm bisher niemand zugetraut haben würde. Alles, was seine Eltern, seine Geschwister und selbst Landry auch sagen mochten, konnte ihn von seinem Vorhaben nicht abbringen, und man war gezwungen sich um Rat an Fränzchen zu wenden, die der feinste Kopf und der beste Berater in der Familie war.
Sie beredete sich zwei volle Stunden lang mit Sylvinet, und als sie sich trennten, sah man, daß er geweint hatte und ebenso Fränzchen. Sonst aber sprach aus ihren Mienen so viel ruhige Entschlossenheit, daß man keinen weiteren Einwand erhob, als Sylvinet mit aller Bestimmtheit erklärte, daß er bei seinem Vorhaben beharre, und auch Fränzchen dazu sagte, daß sie seinen Entschluß nur billigen könne, und daß sie glaube vorher sagen zu können, daß derselbe ihm im Laufe der Zeiten großes Glück bringen werde.
Da man nicht recht wissen konnte, oh sie in dieser Hinsicht nicht noch viel mehr voraussah, als sie sagen wollte, wagte man gewiß gar keinen Widerspruch mehr, und selbst die Mutter Barbeau fügte sich in das Unvermeidliche, freilich nicht, ohne viele Thränen zu vergießen. Landry war geradezu in Verzweiflung über den Entschluß seines Bruders, aber seine Frau sagte ihm:
»Es ist so Gottes Wille, und wir alle haben die Pflicht Sylvain gewähren zu lassen. Glaube nur, daß ich recht gut weiß, was ich dir da sage, und frage mich jetzt nicht weiter.«
Landry gab seinem Bruder das Geleite so weit es nur möglich war, und als er ihm endlich sein Reisebündel übergab, das er ihm bis dahin auf seinen Schultern getragen hatte, war ihm nicht anders zu Mute, als ob er ihm das Herz aus dem Leibe hingegeben hätte, um es mit fortzunehmen. Als er zu seiner geliebten Frau zurückkehrte, hatte diese viel an ihm zu pflegen, denn einen ganzen Monat lang war er wirklich krank vor Kummer.
Sylvain aber wußte nichts von Kranksein und setzte seinen Weg fort bis an die Grenze, denn man war jetzt in der Zeit der großen und glorreichen Kriege des Kaisers Napoleon. Trotzdem er niemals den geringsten Begriff vom Militärwesen gehabt hatte, beherrschte er sich doch so vollkommen, daß man ihn bald vor allen anderen als einen tüchtigen Soldaten erkannte, der in der Schlacht tapfer war, wie jemand, der nur die Gelegenheit sucht, sich töten zu lassen; und doch war er dabei der Disziplin unterwürfig und sanft wie ein Kind, aber hart gegen sich selbst und seine körperlichen Bedürfnisse gering achtend, wie es nur bei den ältesten seiner Kameraden zu finden war. Da er eine genügende Bildung erhalten hatte, um zu höheren Graden befördert werden zu können, brauchte er auch nicht lange darauf zu warten. Und nach Verlauf von zehn Jahren, die allerdings der Strapazen, der Beweise des Mutes und der guten Führung genug enthielten, wurde er zum Kapitän ernannt und erhielt noch dazu das Kreuz der Ehrenlegion.
»Ach! wenn er doch nur endlich wiederkäme,« sagte die Mutter Barbeau zu ihrem Manne, am Abend eines Tages, an dem sie einen allerliebsten Brief von ihm erhalten hatten, der voller Liebenswürdigkeiten war für die beiden Alten, für Landry, für Fränzchen und schließlich für Alt und Jung in der ganzen Familie.
»Jetzt ist er nun sozusagen General,« meinte die Mutter Barbeau, »und somit wäre es für ihn wohl an der Zeit sich auszuruhen.«
»Der Rang, den er jetzt hat, ist schon hoch genug, ohne daß es noch einer weiteren Beförderung bedarf,« sagte der Vater Barbeau; »und für eine Familie von Landleuten, wie wir es sind, ist die Ehre wahrlich schon groß genug!«
»Die Fadette hat es ihm richtig prophezeit, daß es so kommen würde,« hob die Mutter wieder an. »Wie gut sie es gewußt hat!«
»Das ist alles einerlei,« sagte der Vater, »aber es wird für mich immer ein Rätsel bleiben, wie er nur so plötzlich auf diesen Gedanken gekommen ist, und wie eine solche Veränderung in seinem Wesen vor sich gehen konnte, da er doch sonst so ruhig war und seine Bequemlichkeiten liebte.«
»Ja, mein Alter,« sagte die Mutter, »darüber weiß unsere Schwiegertochter mehr, als sie sagen will; aber eine Mutter, wie ich es bin, hintergeht man nicht so leicht, und ich glaube, daß ich ebenso viel davon weiß, wie unsere Fadette.«
»Es wäre wirklich Zeit, auch mir etwas davon zu sagen,« erwiderte der Vater Barbeau.
»Nun gut,« sagte die Mutter, »unser Fränzchen ist eine gar zu große Zauberin, und in dem Grade wie sie Sylvinet bezaubert hatte, das war wohl mehr, als sie selbst wünschte. Als sie sah, daß der Zauber eine so starke Wirkung hervorbrachte, hätte sie ihn gern ganz aufheben, oder doch wenigstens abschwächen mögen. Aber dies stand nicht mehr in ihrer Macht, und als unser Sylvain merkte, daß er zu viel an die Frau seines Bruders dachte, folgte er dem Rufe der Ehre und der Tugend, indem er von uns fortging. Die Fadette hatte diesen Entschluß gebilligt und ihn darin bestärkt.«
»Wenn es so steht,« sagte der Vater Barbeau, indem er sich nachdenklich die Ohren rieb, »dann fürchte ich, daß er sich nie verheiraten wird; denn die Badefrau von Clavières hat damals gesagt, wenn er sich einmal in eine Frau verliebt hätte, dann würde er nicht mehr so übertrieben närrisch mit seinem Bruder sein. Aber, sie sagte zugleich, daß er in seinem ganzen Leben nur ein einziges Mal eine Frau lieben würde, weil er ein zu empfindsames und leidenschaftliches Herz habe.«
Ende.