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Die Mutter Barbeau war sehr erstaunt, als sie sah, daß Sylvinet kein Fieber mehr hatte. Sie brachte ihm rasch zu Essen, das er mit einigem Appetit verzehrte. Da er seit sechs Tagen nicht mehr fieberfrei gewesen war, und an Speise und Trank nicht das Geringste hatte zu sich nehmen wollen, geriet man in einen wahren Enthusiasmus über die Kunst der kleinen Fadette. Ohne ihn aufzuwecken, ohne ihn irgend einen Trank einnehmen zu lassen, hatte sie ihn einzig und allein durch die Kraft ihrer Beschwörungen, wie man die Sache sich vorstellte, auf den Weg der Besserung gebracht.
Als es Abend geworden war, stellte sich das Fieber wieder ein und sogar sehr stark. Sylvinet schlummerte ein, arbeitete aber im Traume heftig mit den Armen umher, und als er erwachte fürchtete er sich vor den Personen, die ihn umstanden.
Die Fadette fand sich, wie am Morgen wieder ein und blieb etwa eine Stunde lang mit ihm allein. Die ganze Zauberei, die sie anwendete, bestand darin, daß sie ihm die Hände hielt und sehr sanft seinen Kopf berührte, und daß sie sein glühendes Gesicht von ihrem frischen Atem streifen ließ.
Wie am Morgen befreite sie ihn von seinem Fieber und den damit verbundenen Phantasien; als sie ging, bat sie wiederum, daß man Sylvinet nichts von ihrem Beistande sagen solle, und man fand ihn dann still und friedlich entschlummert, in gesundem Schlafe liegend. Von seinem Gesicht war die Fieberröte verschwunden, und er schien überhaupt nicht mehr krank zu sein.
Ich weiß nicht wie die Fadette auf diesen Gedanken der Heilmethode gekommen war. Hatte der Zufall sie darauf gebracht, oder hatte sie ihn durch Erfahrung gewonnen, etwa am Krankenbette ihres kleinen Bruders, den sie mehr als zehnmal vom Tode errettet hatte. Ohne irgend ein anderes Mittel anzuwenden, hatte sie dann durch bloßes Auflegen ihrer Hände und durch den Hauch ihres Atems ihn wieder gesund gemacht und ihm Kühlung verschafft, oder ihn in derselben Weise wieder erwärmt, wenn der Fieberfrost ihn schüttelte. Ihrer Meinung nach waren die Liebe und der gute Wille einer gesunden Person, durch die Berührung einer reinen, von frischem Leben durchpulsten Hand, imstande die Krankheit zu bannen, vorausgesetzt, daß diese Person von einem gewissen Geiste beseelt war, und ein großes Vertrauen auf die Güte Gottes hatte. Auch erhob sie jedes Mal, so oft sie die Hände auflegte, ihre Seele in andächtigen Gebeten zu Gott. Und was sie für ihren kleinen Bruder gethan hatte, das that sie jetzt für den Bruder Landrys. Bei keiner anderen Person, die ihr weniger teuer gewesen wäre und für die sie nicht ein so großes Interesse gehabt hätte, würde sie dasselbe Verfahren angewendet haben. Sie glaubte nämlich, die kräftige Wirksamkeit dieses Heilverfahrens beruhe auf der innigen und starken Zuneigung, welche man im Herzen für den Kranken hegen müsse, und daß dem, welchem dieselbe fehle, von Gott auch keine Macht über die Krankheit verliehen werde.
Und als die kleine Fadette in dieser Weise bei Sylvinet das Fieber besprach, wandte sie sich in ihrem Gebet mit denselben Worten an Gott, wie sie es gethan hatte, als sie das Fieber ihres Bruders gebannt hatte: »Lieber Gott, lasse es geschehen, daß die Gesundheit meines Körpers sich auf diesen Leidenden übertrage, und wie der sanfte Christus dir sein Leben zum Opfer brachte, um die Menschheit zu erlösen, so nimm, wenn es dein Wille ist, auch mein Leben dahin, um es diesem Kranken zu übertragen; für seine Genesung, die ich hier von dir erstehe, gebe ich es bereitwillig in deine Hand zurück.«
Die kleine Fadette hatte wohl daran gedacht die Kraft dieses Gebetes auch am Sterbebette ihrer Großmutter zu versuchen; aber sie hatte es nicht gewagt, weil es ihr schien, daß bei dieser alten Frau das Leben der Seele und des Körpers, durch die Wirkung des Alters und nach dem Gesetze der Natur, wie es der Wille Gottes selbst vorgeschrieben hat, – im Zustande des Verlöschens begriffen waren. Die kleine Fadette, welche, wie man sieht, mehr fromme Gläubigkeit als Zauberkünste in ihre Besprechungen mischte, hatte gefürchtet Gott zu mißfallen, wenn sie etwas von ihm erflehen würde, das er anderen Christen, ohne ein Wunder geschehen zu lassen, nicht gewähren konnte.
Ob nun ihr Verfahren nutzlos oder unfehlbar sein mochte, so viel ist gewiß, daß Sylvinet nach drei Tagen vom Fieber befreit war. Er würde nie erfahren haben, auf welche Art dies geschehen war, wenn er nicht das letzte Mal, als die Fadette kam, plötzlich erwacht wäre und gesehen hätte, wie sie sich über ihn beugte und ihre Hände sanft von ihm zurückzog.
Anfangs glaubte er eine übernatürliche Erscheinung zu erblicken, und er schloß die Augen wieder, um sie nicht mehr zu sehen. Als er gleich darauf seine Mutter fragte, ob es denn wahr sei, daß die Fadette ihm den Kopf und den Puls betastet habe, oder ob er das alles nur geträumt habe, antwortete die Mutter ihm, daß die Fadette wirklich drei Tage hintereinander Morgens und Abends gekommen sei, und daß sie ihn wunderbarerweise durch ihre geheimnisvolle Behandlung von seinem Fieber geheilt habe. Der Vater Barbeau, welcher lebhaft wünschte, daß Sylvinet von seiner Abneigung gegen die Fadette ablassen möchte, hatte nämlich endlich seiner Frau einige Winke bezüglich seiner weiteren Pläne gegeben.
Sylvinet schien von alledem, was er da durch seine Mutter erfuhr, nichts zu glauben; er behauptete sein Fieber sei von selbst vergangen, und die Worte und Geheimnisse der Fadette seien nichts als eitle Thorheiten. Während einiger Tage verhielt er sich ruhig und befand sich sehr wohl; der Vater Barbeau glaubte diese Zeit benutzen zu müssen, um ihm etwas von der Möglichkeit einer Verheiratung seines Bruders zu sagen, ohne jedoch den Namen derjenigen zu verraten, auf die er es abgesehen hatte.
»Ihr braucht mir den Namen der Zukünftigen, die ihr Landry bestimmt habt, nicht zu verschweigen,« antwortete Sylvinet. »Ich weiß es recht gut, daß es die Fadette ist, die es euch allen angethan hat.«
Die geheimen Nachfragen des Vaters Barbeau hatten in der That für die kleine Fadetta so günstige Resultate gehabt, daß er keinerlei Bedenken mehr trug und nichts sehnlicher wünschte, als Landry zurückrufen zu können. Er fürchtete nur noch die Eifersucht des Zwillings, und er gab sich alle Mühe diesen von seiner Verkehrtheit zurückzubringen; er stellte ihm vor, daß sein Bruder ohne die kleine Fadette niemals glücklich sein würde, und Sylvinet antwortete darauf:
»So mag es also geschehen, denn mein Bruder muß glücklich sein.«
Aber man wagte noch nicht irgend einen weiteren Schritt zu thun, denn gleich nach dem Sylvinet sich in das Unvermeidliche gefügt zu haben schien, verfiel er wieder in das Fieber.