George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Landry fügte sich und kehrte zu der Weinlese zurück. Er war selbst erstaunt, daß er sich nicht mehr so unglücklich fühlte, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber das Bewußtsein geliebt zu werden ist ja so süß, und wenn man wirklich eine tiefe Liebe empfindet auch das Vertrauen so groß, daß daraus alles leicht erklärlich wird. Er war selbst sehr erstaunt darüber und es war ihm dabei so wohl zu Mute, daß er es sich nicht versagen konnte mit Cadet Caillaud davon zu reden. Auch dieser war erstaunt darüber und bewunderte die kleine Fadette, die es so gut verstanden hatte, von der Zeit an, daß sie Landry liebte und von ihm wieder geliebt wurde, sich jeder Schwachheit und Unbesonnenheit enthalten zu haben.

»Es freut mich,« sagte der junge Caillaud, »an diesem Mädchen so viele gute Eigenschaften kennen zu lernen; ich für mein Teil habe sie zwar niemals schlecht beurteilt und kann wohl sagen, wenn sie mir Beachtung erwiesen hätte, dann würde sie mir gewiß nicht mißfallen haben. Ihrer schönen Augen wegen ist sie mir oft viel eher schön als häßlich erschienen, und seit einiger Zeit, wo sie mehr Sorgfalt auf sich verwandte, hätte jeder es bemerken müssen, daß sie mit jedem Tage hübscher wurde. Aber sie hatte nur Augen für dich, Landry, und begnügte sich damit den anderen nicht gerade zu mißfallen. Sie trachtete nach keines anderen Wohlgefallen als nach dem deinigen, und du kannst es mir glauben, daß eine Frau von solchem Charakter mir sehr behagen würde. Überdies habe ich sie ja von ihrer frühesten Kindheit an gekannt und bin immer der Meinung gewesen, daß sie ein gutes Herz hat. Wenn man die Leute auf ihr Gewissen hin fragen wollte, was sie von ihr hielten, und was sie denn eigentlich von ihr zu sagen wüßten, so würde jeder genötigt sein ihre Partei zu nehmen. Aber die Leute sind nun einmal so beschaffen, daß wenn zwei oder drei Personen sich daran machen jemanden herunterzusetzen, dann fallen sie gleich alle miteinander darüber her und bringen ihn in einen schlechten Ruf, ohne selbst zu wissen warum, als ob es ein Vergnügen wäre jemanden, der sich nicht verteidigen kann, nur so unter die Füße zu treten.«

Es war für Landry eine große Erleichterung den jungen Caillaud in dieser Weise reden zu hören, und von diesem Tage an schloß er eine große Freundschaft mit ihm. Er fand seinen Trost darin, ihm seine Kümmernisse anzuvertrauen, und eines Tages ging er in seiner freundschaftlichen Teilnahme sogar soweit, daß er ihm sagte:

»Mein guter Caillaud, du thätest klug nicht mehr an die Madelon zu denken; sie ist es gar nicht wert, und sie hat uns beiden Verdruß genug angerichtet. Du stehst im gleichen Alter, und es drängt dich nichts dich zu verheiraten. Da ist nun meine kleine Schwester Nanette, die so hübsch ist wie ein Röschen. Sie wird bald sechzehn Jahre alt, ist sanft und freundlich und sehr wohl erzogen. Komm nur manchmal uns zu besuchen; mein Vater hält viel von dir, und wenn du unsere Nanette erst recht kennen gelernt hast, wirst du dich überzeugen, daß du nichts Besseres thun könntest, als mein Schwager zu werden.«

»Wahrhaftig! Da sage ich nicht nein,« erwiderte der junge Caillaud. »Wenn das junge Mädchen nicht anderswo schon zugesagt hat, werde ich jeden Sonntag zu euch kommen.«

Am Abend des Tages, an welchem die kleine Fadette die Gegend verlassen hatte, machte Landry sich auf den Weg zu seinem Vater, um ihm das ehrenhafte Benehmen dieses Mädchens, von welchem er eine so schlechte Meinung gehabt hatte, mitzuteilen. Zugleich wollte er ihm sagen, daß er sich, unter dem Vorbehalt der Zukunft, für die Gegenwart seinem Gebot unterwerfen würde. Als er am Hause der Mutter Fadet vorüberging, wurde ihm das Herz sehr schwer; aber er faßte sich und waffnete sich mit Mut, indem er sich sagte, daß ohne Fränzchens Abreise es noch lange gedauert haben könnte, bis ihm das Glück zuteil geworden wäre, sich von ihr geliebt zu wissen. Er sah nun auch die Mutter Franziska, welche mit Fränzchen verwandt und ihre Patin war. Sie war jetzt gekommen, um an Fränzchens Stelle die alte Großmutter und den Grashüpfer zu verpflegen. Sie saß vor der Thür und hatte den Grashüpfer auf dem Schoße. Der arme Jeanet weinte und wollte durchaus nicht zu Bette gehen, weil seine Fadette noch nicht wieder da sei, und weil er bei ihr seine Gebete hersagen müsse, und daß sie ihn zu Bette bringen solle. Die Mutter Franziska bot alles auf ihn zu trösten, und Landry hörte mit Vergnügen zu, wie sie ihn mit sanften und freundlichen Worten zu beruhigen suchte. Aber sobald der Grashüpfer Landry erblickt hatte, entschlüpfte er den Händen der Fanchette, rannte, auf die Gefahr hin, eins seiner mageren Beinchen dabei einzubüßen, dem Zwilling entgegen, und warf sich ihm zu Füßen. Seine Kniee umklammernd, bestürmte er ihn mit Fragen und beschwor ihn, sein Fränzchen ihm wieder zurückzubringen. Landry schloß den kleinen Krüppel, selbst in Thränen ausbrechend, in seine Arme und tröstete ihn so gut er es vermochte. Er wollte ihm eine von den Trauben mit den schönen großen Beeren geben, welche die Mutter Caillaud ihm in einem Körbchen zurecht gelegt hatte, damit er sie in ihrem Auftrage der Mutter Barbeau mitbringen sollte. Allein Hänschen, der sonst naschhaft genug war, wollte nichts annehmen, wenn Landry ihm dagegen nicht versprechen würde, ihm sein Fränzchen wiederzubringen, was Landry wohl oder übel mit einem Seufzer zu thun versprach, weil Jeanet sich sonst der alten Fanchette nicht wieder gefügt haben würde.

Vater Barbeau hatte von der kleinen Fadette einen so großen Entschluß kaum erwartet. Er war zufrieden damit, aber er war ein zu gerechter und guter Mann, um über ihren Schritt nicht doch ein gewisses Bedauern zu empfinden. – »Es betrübt mich, Landry,« sagte er, »daß du nicht den Mut hattest auf den Umgang mit ihr zu verzichten. Hättest du gehandelt, wie die Pflicht es dir vorschrieb, dann würdest du nicht Schuld an ihrer Entfernung sein. Wolle Gott, daß dieses Kind in seiner neuen Stellung nicht zu leiden hat, und daß seine Abwesenheit seiner Großmutter und seinem kleinen Bruder nicht zum Nachteil gereichen wird. Wenn auch viele Leute böses von ihr reden, so giebt es dagegen auch einige, die sie verteidigen und die mir versichert haben, daß sie ein sehr gutes Herz habe und für ihre Familie eigentlich unentbehrlich sei. Wenn es eine Lüge ist, daß sie, wie man mir sagte, guter Hoffnung sei, dann werden wir es schon erfahren und wir wollen sie verteidigen, wie es sich gehört. Sollte es aber unglücklicherweise doch wahr sein, und du, Landry, es verschuldet haben, dann wollen wir ihr beistehen, und sie nicht ins Elend geraten lassen. Daß du sie nicht heiratest, das ist alles, was ich von dir verlange, Landry.«

»Mein Vater,« sagte dieser, »wir haben über diese Angelegenheit sehr verschiedene Urteile. Wenn ich, wie Sie glauben, schuldig wäre, dann würde ich mir im Gegenteil von Ihnen die Erlaubnis erbitten, sie heiraten zu dürfen. Aber, da die kleine Fadette noch so unschuldig ist, wie meine Schwester Nanette, habe ich mir jetzt noch nichts von Ihnen zu erbitten, als daß Sie mir den Kummer verzeihen mögen, den ich Ihnen verursachte. Später werden wir dann von ihr reden, wie Sie es mir versprochen haben.«

Unter dieser Bedingung mußte der Vater Barbeau sich für jetzt zufrieden geben. Er war zu klug, um die Dinge zu überstürzen und wußte sich mit dem zu begnügen, was er erlangt hatte.

Seit dieser Zeit war im Zwillingshofe von der kleinen Fadette nicht mehr die Rede. Man vermied es sogar ihren Namen zu nennen, denn Landry wurde blaß und rot zugleich, sobald es geschah, daß in seiner Gegenwart irgend einem der Anwesenden ihr Name entschlüpfte, und es war leicht zu bemerken, daß er sie so wenig vergessen hatte, wie am ersten Tage nach ihrer Abreise.


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