George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Ebenso lernte er aus ihren Gesprächen und im Verkehr mit ihr die Eigenschaften der verschiedenen Kräuter und die daraus bereiteten Mittel zur Heilung von Menschen und Tieren kennen. Es dauerte nicht lange, so versuchte er auch die Wirksamkeit derselben bei einer Kuh des Vaters Caillaud, deren Leib aufgedunsen war, weil sie zuviel Grünes gefressen hatte. Der Tierarzt hatte sie schon aufgegeben und gesagt, daß sie nicht eine Stunde mehr leben könne. Aber Landry gab ihr einen Trank ein, dessen Bereitung ihn die kleine Fadette gelehrt hatte. Er that dies ganz im geheimen, und als am anderen Morgen die Arbeiter, traurig über den unabwendbaren Verlust einer so schönen Kuh herbeikamen, um sie in eine Grube zu werfen, fanden sie das Tier aufrechtstehend, mit klaren Augen, die Nüstern dem Geruch des Futters öffnend, und die Gedunsenheit war fast ganz verschwunden. Ein anderes Mal war ein Füllen von einer Viper gebissen; Landry verfuhr auch hier nach den Anweisungen der kleinen Fadette, und die Heilung gelang ihm eben so leicht. Endlich versuchte er in la Priche auch ein Mittel gegen die Hundswut an einem Hunde, der auch davon geheilt wurde und niemanden biß. Da Landry seinen Verkehr mit der kleinen Fadette sehr zu verheimlichen bemüht war, und sich auch seiner Kenntnisse nicht rühmte, schrieb man die Heilung der ihm anvertrauten Tiere der sorgfältigen Pflege zu, die er ihnen angedeihen ließ. Indessen der Vater Caillaud, der sich auch darauf verstand, wie dies jeder tüchtige Pachter und Landwirt thun muß, war für sich darüber erstaunt und sagte:

»Der Vater Barbeau hat kein Geschick die Tiere zu behandeln und hat auch kein Glück damit, denn er hat im letzten Jahre sehr viele verloren, und das war nicht das erste Mal, daß es so gewesen ist. Landry hat in dieser Hinsicht eine sehr glückliche Hand, und das ist etwas, das man schon mit auf die Welt bringen muß. Es ist dem einen gegeben oder nicht gegeben; und wenn man selbst, wie die Heilkünstler, auf die Schule gehen wollte, um es zu studieren, so würde das gar nichts helfen, wenn das Geschick dazu einem nicht angeboren ist. Ich sage euch aber, daß Landry dazu geschaffen ist, und daß er stets das Richtige herauszufinden weiß. Das ist eine große Gabe, die er der Natur zu verdanken hat, und für ihn ist sie, um eine Meierei zu bewirtschaften, von größerem Wert als ein großes Kapital an Geld.«

Diese Meinung des Vaters Caillaud war keineswegs die eines oberflächlichen und einsichtslosen Mannes, nur täuschte er sich darin, daß er Landry eine besondere Naturgabe zuschrieb. Dieser besaß keine andere Gabe, als daß er die Mittel, die man ihn gelehrt hatte, sorgsam und verständig anzuwenden wußte. Was aber sonst im allgemeinen die Naturgabe betrifft, so ist es damit durchaus kein Hirngespinst, denn die kleine Fadette besaß sie wirklich. An der Hand der wenigen verständigen Unterweisungen, welche sie von ihrer Großmutter erhalten hatte, entdeckte und erriet sie, wie jemand, der sich auf Erfindungen verlegt, die heilkräftigen Eigenschaften, welche der liebe Gott gewissen Kräutern verliehen hat, und zugleich erforschte sie die verschiedenen Arten ihrer wirksamsten Verwendung. Sie brauchte deshalb noch lange keine Hexe zu sein und hatte alle Ursache sich gegen einen solchen Ruf zu verteidigen. Aber sie besaß einen beobachtenden Geist, der dazu neigte Untersuchungen, Vergleiche und Versuche anzustellen, und es ist sicherlich nicht zu leugnen, daß dies eine besondere Gabe der Natur ist. Der Vater Caillaud ging in dieser Auffassung noch etwas weiter. Er war der Meinung, daß diesem oder jenem Viehzüchter oder Landwirt in Bezug auf das Vieh eine glücklichere oder weniger glückliche Hand angeboren sei, und daß seine Anwesenheit im Stall allein schon hinreichend sei eine gute oder schädliche Einwirkung auf die Tiere hervorzubringen. Man muß zugeben, wie in den unrichtigsten Anschauungen immer noch etwas Wahres enthalten sein kann, daß sorgfältige Pflege, Reinlichkeit und pünktliches Verfahren die Macht haben etwas zum Guten hinauszuführen, was durch Nachlässigkeit oder Dummheit hätte zum Schlimmen gewendet werden können.

Landry hatte von jeher Sinn für alle diese Dinge gehabt, und deshalb wurde seine Freundschaft für die kleine Fadette nur noch erhöht durch die Dankbarkeit, die er für ihre Unterweisung empfand und durch die achtungsvolle Bewunderung, welche ihm die Begabung dieses jungen Mädchens einflößte. Er wußte es ihr jetzt auch von ganzem Herzen Dank, daß sie ihn auf den Spaziergängen und in den Unterhaltungen, die sie miteinander führten, dazu genötigt hatte seine Gedanken von der Liebe abzulenken; ebenso mußte er erkennen, daß ihr die Interessen und der Vorteil ihres Liebhabers mehr am Herzen gelegen hatten, als das Vergnügen sich beständig den Hof machen und sich liebkosen zu lassen, wie das anfangs so sehr seinen eigenen Wünschen entsprochen hätte.

Landry war bald so verliebt, daß er sogar das Gefühl der Beschämung, das ihn anfangs verhindert hatte seine Liebe zu einem kleinen Mädchen, das als schlecht erzogen, häßlich und boshaft verschrieen war, vor den Leuten blicken zu lassen, – ganz und gar beiseite geworfen hatte. Wenn er in dieser Hinsicht noch eine Vorsicht beobachtete, so geschah dies seines Zwillingsbruders wegen, dessen Eifersucht ihm bekannt war, und den es schon die größte Überwindung gekostet hatte, sich endlich ohne Verdruß darin zu finden, daß Landry die Liebelei mit der Madelon gehabt hatte. Und was war diese unbedeutende und ruhige Liebelei gewesen im Vergleich zu dem, was er jetzt für Fränzchen Fadet empfand.

Wenn Landry in seiner Liebe zu leidenschaftlich war, um die Klugheit beobachten zu können, so verlangte die kleine Fadette dagegen von ihm ein so unbedingtes Schweigen, daß ungefähr ein Jahr darüber verging, bevor etwas von dem Verhältnis bekannt wurde. Für ihren Geist hatte das Geheimnisvolle etwas Verlockendes; außerdem wollte sie Landry nicht zu sehr auf die Probe stellen durch das Gespött der Leute, und schließlich liebte sie ihn auch viel zu sehr, als daß sie ihm nicht gern die Verdrießlichkeiten in seiner Familie hätte ersparen mögen. So war also ein Jahr vergangen, ehe das Verhältnis bekannt wurde. Landry hatte Sylvinet allmählich dahin zu bringen gewußt, ihn nicht mehr überall auf Schritt und Tritt zu überwachen, und das Terrain der nicht sehr bevölkerten, überall von Schluchten und Hügeln durchsetzten, sehr waldreichen Landschaft ist heimlichen Liebesverhältnissen sehr günstig.

Als Sylvinet sah, daß Landry sich nicht mehr um die Madelon bekümmerte, war er hocherfreut, obgleich er schon begonnen hatte, diese Teilung seiner Liebe als ein unvermeidliches Übel hinzunehmen, das durch Landrys Schüchternheit und die ruhige Besonnenheit des Mädchens allerdings auch ziemlich erträglich gewesen war. Er fand eine große Beruhigung in dem Gedanken, daß Landry jetzt nicht mehr gedrängt sei, ihm sein Herz zu entziehen, um es an eine Frau zu hängen, und da er nicht mehr von der Eifersucht gequält wurde, ließ er auch seinem Bruder an den Fest- und Ruhetagen eine größere Freiheit in seinen Beschäftigungen und Erholungen. Landry fehlte es nicht an Vorwänden sein Kommen und Gehen nach Belieben einzurichten, und namentlich an den Sonntag Abenden verließ er den Zwillingshof schon beizeiten, kehrte aber erst um Mitternacht nach la Priche zurück. Er konnte dies sehr leicht ausführen, denn er hatte sich eine kleine Lagerstatt in dem »Capharnion« herrichten lassen. Der Leser wird mich vielleicht wegen dieses Ausdruckes tadeln, weil der Schulmeister ihn beanstandet und verlangt, daß man Capharnaum sagen soll. Aber, wenn der Lehrer das Wort auch kennt, so ist er mit der Sache selbst doch nicht vertraut, denn ich bin genötigt gewesen, ihm begreiflich zu machen, daß dies in der Scheune, ein den Ställen zunächstliegender Ort ist, wo die Joche, die Ketten, die Geräte und Werkzeuge aller Art, wie sie für die bei der Arbeit verwendeten Tiere und überhaupt zum Ackerbau erforderlich sind, aufbewahrt werden. Auf diese Art konnte Landry zu jeder Stunde, wann und wie es ihm beliebte zu seinem Lager kommen, ohne jemanden aufzuwecken. So hatte er stets den Sonntag bis zum Montag Morgen ganz zu seiner Verfügung. Der Vater Caillaud und sein ältester Sohn, die beide sehr gesetzte Männer waren, niemals in die Wirtshäuser gingen, und durchaus nicht aus jedem Feiertage eine Festlichkeit machen wollten, pflegten im Gegenteil grade an solchen Tagen alle Sorgen für die Meierei und die ganze Überwachung derselben, selbst zu übernehmen. Wie sie sagten, thaten sie dies, damit die auf dem Anwesen beschäftigten jungen Leute, welche in der Woche mehr zu arbeiten hatten als sie, sich nach Lust und Belieben herumtummeln und belustigen könnten, wie es der Wille des lieben Gottes sei.

Während des Winters, wo die Nächte so kalt sind, daß es auf freiem Felde sehr erschwert ist, ein Liebesgespräch zu halten, fanden Landry und die kleine Fadette eine gute Zuflucht in dem Jacot-Turme, einem alten Taubenschlage, der seit vielen Jahren von den Tauben verlassen, aber noch gut gedeckt und verschließbar war, und Landry hatte den Schlüssel dazu. Er gehörte zur Meierei des Vaters Caillaud, der den Überfluß seiner Vorräte darin aufbewahrte, und da er auf der Grenzscheide der Ländereien von la Priche, nicht weit von la Cosse, in der Mitte eines Kleefeldes lag, hätte es selbst der Teufel schlau anstellen müssen, um das junge Liebespaar bei seinen Zusammenkünften zu überraschen. Wenn das Wetter milde war, gingen sie unter das Strauchwerk, das aus jungen gestutzten Bäumen besteht, womit das Land übersäet ist, und wo Diebe und Liebespaare eine sichere Zufluchtsstätte finden. Da es in unserer Gegend aber keine Diebe giebt, werden diese Baumgruppen ausschließlich von den Liebespaaren benutzt, die unter dem schützenden Geäst nichts von Furcht und Langeweile wissen.


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