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IX

Tod des Marschalls von Tourville. Tod des Grafen Starhemberg. Der Herzog von Orléans und sein Beichtvater. Szene zwischen ihm und dem Könige. Erkrankung des Herzogs. Sein Tod. Frau von Maintenon. Verhalten des Königs. Aufregung in Saint-Cloud. Eine drollige Szene. Die Herzogin von Orléans. Der König und der Herzog von Chartres. Der König will keine betrübten Gesichter sehen. Es wird gespielt. Die Trauer der Herzogin von Burgund. Die Herzogin von Chartres fühlt sich erleichtert.

 

Frankreich verlor den größten Seehelden, nach dem Zeugnis der Engländer und Holländer, den es seit einem Jahrhundert gegeben, und gleichzeitig den bescheidensten: das war der Marschall von Tourville, der noch nicht sechzig Jahre alt war. Er hinterließ nur einen hoffnungsvollen Sohn, der bei seinem ersten Feldzuge getötet wurde, und eine sehr junge Tochter. Tourville besaß alle seemännischen Eigenschaften und Kenntnisse in der Vollendung, von denen des Schiffszimmermanns an bis zu denen eines ausgezeichneten Admirals. Seine Gerechtigkeit, seine Milde, sein Phlegma, seine Höflichkeit, die Klarheit seiner Befehle, die Signale und viele andere sehr nützliche Einzelheiten, die er ausgesonnen hatte, seine Einrichtungen, seine Genauigkeit, seine Voraussicht, eine große, durch die natürlichste und ruhigste Tapferkeit geschärfte Bedachtsamkeit, alles das trug dazu bei, es wünschenswert erscheinen zu lassen, bei ihm zu dienen und von ihm zu lernen. Seine Vizeadmiralscharge wurde und legte keinen Wert auf Medikamente und Ärzte: » Elle avait un cœur de héros contre la douleur, et faisait fi des médecins autres que le sien, Raymond Arlot, de la faculté de Montpellier, se traitant à l'inverse des procédés ordinaires, buvant à la glace, refusant de se laisser saigner ou purger, ne prenant que des poudres sudorifiques, faisant beaucoup d'exercice, changeant de linge quatre fois par jour, mangeant les mêmes aliments qu'à l'ordinaire … ( Lettres de Madame de Sévigné, II, p. 423 ff. III, p. 503.)Châteaurenault gegeben, der damals in Amerika war, um von dort die Gallionen zurückzuführen.

Deutschland seinerseits verlor einen weniger notwendigen und älteren Mann, der sich aber durch die Verteidigung Wiens, dessen Gouverneur er war, und das von den Türken belagert wurde, unsterblich gemacht hat, nämlich den berühmten Grafen Starhemberg, der Präsident des Kriegsrats war, die schönste und wichtigste Charge am Hofe des Kaisers.

 

Der Herzog von Orléans war immer noch in Saint-Cloud, wohin er sich zurückgezogen hatte, und immer noch in derselben Verfassung des Herzens und Geistes. Dieses sich vom Könige Fernhalten bedeutete für ihn bei seiner angeborenen Schwäche und seiner lebenslang gewohnten großen Unterwerfung unter den König und seiner Anhänglichkeit an ihn, den Verlust seines Daseinszweckes; war er es doch gewohnt, mit ihm privatim brüderlich ungezwungen zu verkehren und von ihm ebenfalls als Bruder mit jeder Art von Aufmerksamkeit, Freundschaft und Rücksicht behandelt zu werden, wenigstens in allem, was nicht darauf hinauslief, eine Persönlichkeit aus ihm zu machen. Weder ihm noch der Herzogin tat je auch nur der kleine Finger weh, ohne daß der König augenblicklich zu ihnen kam und noch oft danach, solange eben das Übel dauerte. Bereits seit sechs Wochen hatte die Herzogin tägliche Fieberanfälle, gegen die sie nichts tun wollte; denn sie behandelte sich nach ihrer deutschen Weise und legte keinen Wert auf Medikamente und Ärzte. Der König, der abgesehen von der Affäre des Herzogs von Chartres insgeheim gegen sie aufgebracht war, wie man bald sehen wird, hatte sie während sein früherer Beichtvater: der Pater Mathias de la Bourdonnaye, gest. Paris 27. April 1699.dieser Zeit nicht besucht, obgleich der Herzog ihn gelegentlich der kurzen Fahrten, die er nach Marly machte, ohne zu übernachten, sehr darum gebeten hatte. Der Herzog, der nichts von der persönlichen Differenz zwischen der Herzogin und dem Könige wußte, hatte dies für eine öffentliche Bekundung stärkster Nichtachtung genommen, und da er ehrsüchtig und empfindlich war, fühlte er sich aufs äußerste dadurch verletzt. Dazu quälten seinen Geist noch andere Schmerzen. Er hatte seit einiger Zeit einen Beichtvater, der, obwohl Jesuit, ihn so kurz hielt, wie er nur konnte: es war dies ein Edelmann aus der Bretagne, der »der Pater du Trévou« hieß. Er beschnitt ihm nicht nur Vergnügungen eigener Art als Buße für sein vergangenes Leben, sondern auch viele von denen, die der Herzog für erlaubt hielt. Er erklärte ihm schroff, er wolle um seinetwillen nicht verdammt werden, und wenn seine geistliche Führung ihm zu hart erschiene, verschlage es ihm nichts, wenn er sich nach einem andern Beichtvater umsehe. Er fügte noch hinzu, der Herzog möge sich wohl vorsehen, er sei alt, durch Ausschweifungen verbraucht, fett, kurzhalsig und werde allem Anschein nach am Schlagfluß sterben, und zwar bald.

Das waren schreckliche Worte für den wollüstigsten Prinzen, den man seit langem gesehen, für einen Prinzen, der wie kein anderer am Leben hing, es immer im weichlichsten Müßiggang hingebracht hatte und von Natur so unfähig wie möglich zu irgendeiner Beschäftigung, zu irgendwelcher ernsten Lektüre und zur Selbstbesinnung war. Er fürchtete sich vor dem Teufel, er erinnerte sich, daß sein früherer Beichtvater nicht als solcher hatte sterben wollen und ihm vor seinem seine Vorschriften über das Spiel: der Herzog von Orléans spielte sehr hoch; 1678 hatte er einmal gegen Dangeau, Langlée u. a. 100 000 Taler verloren und hätte sein goldenes Tafelgeschirr und einen Teil seiner Kleinodien verkaufen müssen, wenn ein ergebener Kammerdiener ihn nicht aus der Verlegenheit gezogen hätte; 1687 hatte er noch einmal so große Verluste, daß man glaubte, er würde diesmal dem Spiele entsagen.Tode dieselben Vorstellungen machte. Der Eindruck, den sie auf ihn ausübten, zwang ihn, sich ein wenig auf sich selbst zu besinnen und seit einiger Zeit sich einer Lebensweise zu befleißigen, die für seine Verhältnisse als streng gelten konnte. Er versenkte sich wiederholt ins Gebet, gehorchte seinem Beichtvater, gab ihm Rechenschaft, wie er seine Vorschriften über das Spiel, über seine anderen Ausgaben und über viele andere Dinge befolgt hatte, ertrug in Geduld seine häufigen Strafpredigten und dachte viel darüber nach. Er wurde traurig, niedergeschlagen und sprach weniger als sonst, d. h. noch wie drei oder vier Frauen, so daß alle Welt bald auf diese große Veränderung aufmerksam wurde.

Es war etwas viel auf einmal, diese inneren Schmerzen und die äußeren, die vom Könige ausgingen, für einen Mann, der so schwach war wie der Herzog und so wenig gewöhnt, sich zu zwingen, und es war nicht gut anders möglich, als daß sie in Bälde eine große Umwälzung in einem Körper hervorriefen, der von so großer Fülle und so sehr an das Essen gewöhnt war wie der seinige, aß er doch nicht nur während der Mahlzeiten gehörig, sondern auch zwischendurch fast fortwährend.

Mittwoch den 8. Juni (1701) kam der Herzog von Orléans von Saint-Cloud nach Marly, um mit dem König zu Mittag zu essen und trat, wie er es zu tun pflegte, in sein Kabinett, als der Staatsrat es verließ. Er fand den König verstimmt über den Kummer, den der Herzog von Chartres absichtlich seiner Tochter bereitete, da er sich an ihm selbst nicht rächen konnte. Er war verliebt in Fräulein von Séry, Ehrenfräulein der Herzogin von Orléans, und legte sich gar keinen Zwang auf. Der König brachte sogleich das Gespräch die er sogar in ihrem Wagen mit ihr habe reisen lassen: St.-Simon spricht in seinen Ergänzungen noch mehrmals davon; Frau von Sévigné und andere haben aber nur den König mit seinen beiden Mätressen, Mme. de la Vallière und Mme. de Montespan, im Wagen gesehen, nicht aber Maria-Theresia.darauf und machte dem Herzog harte Vorwürfe über die Aufführung seines Sohnes.

Der Herzog, für den es in der Verfassung, in der er sich befand, dieser Begrüßung nicht bedurfte, um ihn böse zu machen, antwortete bitter, den Vätern, die ein gewisses Leben geführt hätten, stände es wenig an, mit ihren Kindern ins Gericht zu geben, auch fehle es ihnen dazu an Autorität. Der König, der das Gewicht dieser Antwort fühlte, lenkte das Gespräch auf die Geduld seiner Tochter und sagte, wenigstens sollte man doch solche Steine des Anstoßes aus ihren Augen entfernen. Der Herzog, der nunmehr seiner Erregung die Zügel schießen ließ, erinnerte ihn auf eine beißende Art, wie er es der Königin mit seinen Mätressen gemacht, die er sogar in ihrem Wagen mit ihr habe reisen lassen. Empört darüber übertrumpfte ihn der König noch, so daß sie anfingen, sich gegenseitig anzuschreien.

In Marly waren die vier großen Appartements im Erdgeschoß gleich und bestanden nur aus drei Gemächern. Das Zimmer des Königs stieß an den kleinen Saal und war um diese Zeit voll von Hofleuten, die den König sehen wollten, wenn er zur Tafel ging; und wie an den verschiedenen Orten, ohne daß man den Grund dafür angeben könnte, der oder jener abweichende Brauch herrscht, blieb die Tür des Kabinetts, die überall sonst stets geschlossen war, in Marly stets offen, wenn nicht gerade Staatsratssitzung war, und es war nur ein Türvorhang vorgezogen, den der Türhüter nur hob, wenn er jemand eintreten ließ. Bei dieser heftigen Auseinandersetzung trat er ein und sagte zum Könige, man könne draußen jedes Wort verstehen, worauf er wieder verschwand.

Das andere Kabinett des Königs, das an dieses anstieß, Nachtstuhl des Königs: Chaulieu ( Lettres inédites p. 140-141) schrieb von einem Schlosse des Marquis von Béthune: »Jedes Schlafzimmer hat seinen Nachtstuhl ( chaise percée), mit Samt überzogen und mit Fransen geziert, mit einem Porzellanbecken und einem Leuchtertische zum Lesen. Der Marquis von Béthune hat seinen Nachtstuhl neben den meinigen bringen lassen, und wir verbringen die Tage an diesem Ort der Freude … Sowie ich wieder zurück bin, werde ich auch einen bekommen. Ich weiß außer Montaigne und mir niemand, der das Kapitel vom Nachtstuhl mit solcher Gründlichkeit behandelt hätte.« – Ein Modenstich von 1688 stellt die Dame von Rang » étant à ses nécessités« dar. – Die bevorrechtetsten Hofleute waren zugelassen, wenn der König auf seinem Nachtstuhl thronte.wurde weder durch eine Tür noch durch einen Vorhang geschlossen; stieß an den andern kleinen Saal und war in seiner ganzen Breite durch die Installation des Nachtstuhles des Königs beschränkt. Die Lakaien des inneren Dienstes hielten sich immer in diesem zweiten Kabinett auf und hatten den ganzen Dialog, den ich eben berichtet habe, von Anfang bis zu Ende mit angehört.

Ludwig XIV.

Die Mitteilung des Türhüters hatte zur Folge, daß der Ton gedämpft wurde, machte aber den Vorwürfen kein Ende. Der Herzog, der außer sich war, hielt dem Könige vor, er habe ihm, als er seinen Sohn verheiratete, das Blaue vom Himmel herunter versprochen, er habe indes nicht einmal einen Gouverneurposten aus ihm herauspressen können; er habe den sehnlichen Wunsch gehabt, seinen Sohn Dienst tun zu lassen, um ihn von diesen Liebeleien abzulenken, und sein Sohn habe es ebenfalls sehr gewünscht, was er ja übrigens wisse, und habe ihn dringend um diese Gunst gebeten; da der König es aber nicht gewollt habe, könne er sich nicht dazu verstehen, ihn zu hindern, seinen Trost im Vergnügen zu suchen. Er fügte noch hinzu, er sehe nur zu sehr ein, wie wahr das gewesen sei, was man ihm gesagt habe, nämlich daß er nur Unehre und Beschämung von dieser Heirat haben werde, ohne je einen Vorteil daraus zu ziehen.

Der König, mehr und mehr in Hitze geratend, erwiderte ihm, daß der Krieg ihn demnächst zwingen würde, mehrere Pensionsaufhebungen vorzunehmen, und daß er, da er sich seinen Willensäußerungen gegenüber so widerstrebend zeige, mit seinen Pensionen beginnen werde, bevor er sich selber Einschränkungen auferlege.

In diesem Augenblick wurde dem Könige gemeldet, daß das Fleisch aufgetragen sei. Sie verließen einen Moment darauf das Kabinett, um ihre Plätze an der Tafel einzunehmen, der Herzog von Orléans feuerrot im Gesicht, mit zornfunkelnden Augen. Sein hochrotes Gesicht veranlaßte eine von den Damen, die an der Tafel saßen und einige Hofleute, die dahinter standen, um das Gespräch in Gang zu bringen, zu der Bemerkung, der Herzog habe allem Anschein nach einen Aderlaß sehr nötig. Dasselbe sagte man vor einiger Zeit in Saint-Cloud; er hielt es vor Verlangen danach kaum aus, wie er selbst gestand, und der König hatte ihn sogar mehrmals dazu gedrängt, trotz ihres Zwistes. Tancrède, sein erster Chirurg, war alt, ließ schlecht zur Ader und hatte ihn gefehlt: er wollte sich nicht von ihm die Ader schlagen lassen, um ihm jedoch keinen Schmerz zu bereiten, hatte er die Güte, den Aderlaß von keinem andern vornehmen lassen zu wollen und daran zu sterben.

Als er von Aderlaß reden hörte, sprach der König ihm abermals davon und fügte hinzu, er wisse nicht, was ihn abhalte, ihn in sein Zimmer zu führen und sogleich den Aderlaß vornehmen zu lassen.

Das Mittagsmahl ging wie gewöhnlich vorüber, und der Herzog aß dabei außerordentlich viel, wie er es bei allen seinen beiden Mahlzeiten tat, ganz abgesehen von der reichlichen Morgenschokolade und von all dem, was er an Früchten, Backwerk, Konfitüren und Leckereien aller Art, womit die Tische seiner Kabinette und seine Taschen stets angefüllt waren, während des ganzen Tages verzehrte.

Am Abend nach dem Essen, als der König noch mit dem Dauphin und den Prinzessinnen wie in Versailles in seinem Kabinett war, traf Saint-Pierre von Saint-Cloud ein und verlangte den König im Namen des Herzogs von Chartres zu sprechen. Man ließ ihn in das Kabinett eintreten, wo er dem Könige sagte, der Herzog von Orléans habe während des Abendessens einen schweren Schwächeanfall gehabt, man habe ihn zur Ader gelassen, er befinde sich jetzt zwar etwas besser, aber man habe ihm Brechweinstein gegeben.

Die Sache ging so zu: er aß wie gewöhnlich mit den Damen, die in Saint-Cloud waren, zu Abend. Als er, während das Zwischengericht aufgetragen wurde, der Herzogin von Bouillon einen Likörwein einschenkte, bemerkte man, daß er stotterte und auf etwas deutete. Da es ihm manchmal begegnete, daß er spanisch zu ihnen sprach, fragten ihn einige Damen, was er meine, andere wiederum schrien auf: alles in einem Augenblick, – und er sank vom Schlage getroffen auf den Herzog von Chartres, der ihn auffing. Man trug ihn hinten in sein Appartement, schüttelte ihn, ging mit ihm auf und nieder und ließ ihn stark zur Ader. Man gab ihm eine starke Dosis Brechweinstein, holte jedoch so gut wie gar kein Lebenszeichen aus ihm heraus.

Der König, der sonst um ein Nichts zum Herzog von Orléans eilte, ging zu Frau von Maintenon, die er wecken ließ. Er war eine Viertelstunde bei ihr, dann, gegen Mitternacht, kam er wieder in seine Gemächer, befahl, daß seine Wagen fahrbereit gehalten würden, und trug dem Marquis von Gesvres auf, nach Saint-Cloud zu gehen, und wenn der Herzog sich schlechter befinde, zurückzukehren und ihn zu wecken, damit er hinführe. Darauf ging er zu Bett.

Abgesehen von dem gespannten Verhältnisse, das zwischen ihnen herrschte, glaube ich, daß der König Schaffhausener Wasser: über dieses Wasser, dem man antiapoplektische Eigenschaften zuschrieb, scheint nichts Genaueres bekannt zu sein.argwöhnte, es handle sich um irgendeinen Kunstgriff, um über das, was zwischen ihnen vorgefallen, hinwegzukommen, daß er infolgedessen zu Frau von Maintenon ging, um sich mit ihr darüber zu beraten, und daß er es vorzog, gegen alle Schicklichkeit zu verstoßen als sich dem auszusetzen, der Angeführte zu sein. Frau von Maintenon liebte den Herzog nicht: sie fürchtete ihn, er erwies ihr wenig Höflichkeiten und trotz aller seiner Schüchternheit und mehr als Ehrerbietigkeit waren ihm im Gespräch mit dem Könige mehr als einmal Bemerkungen über sie entschlüpft, die seine Geringschätzung und die Scham, die er über die öffentliche Meinung empfand, bekundeten. Sie fühlte sich daher nicht gedrungen, den König zu veranlassen, sich ihm aufmerksam zu beweisen und noch weniger bei Nacht zu reisen, seinen Schlaf zu opfern und Zeuge eines so traurigen Schauspieles zu sein, das ganz dazu angetan war, ihn zur Selbsteinkehr zu bewegen. Sie hoffte wohl auch, daß, wenn die Sache schnell gehe, der König sich das alles ersparen würde.

Einen Augenblick nachdem der König im Bett lag, traf ein Page des Herzogs ein: er sagte dem König, Monsieur befinde sich besser und habe soeben den Prinzen von Conti um Schaffhausener Wasser gebeten, das bei Schlagflüssen vortrefflich ist. Anderthalb Stunden nachdem der König zu Bett gegangen war, erschien Longeville im Auftrage des Herzogs von Chartres, weckte den König und sagte ihm, der Brechweinstein habe keinerlei Wirkung, und der Herzog befinde sich sehr schlecht.

Der König erhob sich, machte sich auf und traf unterwegs den Marquis von Gesvres, der ihn benachrichtigen kam; er hielt ihn an und teilte ihm das gleiche mit. Man kann sich denken, welche Aufregung und welche Verwirrung diese Nacht in Marly und welcher Schrecken in Saint-Cloud, diesem Palast der Lust herrschten. Alles, was in Marly war, eilte, wie es gerade fortkam, nach Saint-Cloud: man schloß sich denen an, die zuerst fertig waren, und alles, Männlein und Weiblein, warf und packte sich ohne Wahl und ohne Umstände in die Wagen.

Der Dauphin fuhr mit der Herzogin von Condé; er war mit Rücksicht auf die Gefahr, der er eben entronnen, so betroffen, daß ein Stallmeister der Herzogin von Condé, der zugegen war, nichts weiter tun konnte, als ihn, der am ganzen Leibe zitterte, in den Wagen zu schleppen, ja beinahe zu tragen.

Der König traf vor drei Uhr morgens in Saint-Cloud ein. Der Herzog war, seit er von dem Unwohlsein befallen wurde, keinen Augenblick wieder zur Besinnung gekommen, nur einen Schimmer von einem Augenblick, gerade als gegen Morgen der Pater du Trévou gegangen war, die Messe zu lesen, und selbst dieser Schimmer kehrte nicht wieder.

Die schrecklichsten Schauspiele weisen häufig Momente lächerlicher Gegensätze auf. Der Pater du Trévou kehrte zurück und rief den Herzog an: »Monsieur, erkennen Sie Ihren Beichtvater nicht? Erkennen Sie nicht den guten kleinen Pater du Trévou, der zu Ihnen spricht?« und bewirkte dadurch, daß die weniger Betrübten ziemlich unpassend lachten.

Der König schien sehr niedergeschlagen. Er war von Natur leicht zum Weinen geneigt, so schwamm er denn ganz in Tränen. Er hatte stets nur Anlaß gehabt, den Herzog zärtlich zu lieben. Obwohl sie sich seit zwei Monaten schlecht standen, riefen diese traurigen Augenblicke seine ganze Zärtlichkeit wieder wach. Vielleicht machte er sich den Vorwurf, seinen Tod durch die Szene am Morgen beschleunigt zu haben; auch war der Herzog zwei Jahre jünger als er und hatte sich sein Leben lang ebensogut und noch besser befunden wie er. Der König hörte die Messe in Saint-Cloud, und als gegen acht Uhr morgens keine Hoffnung mehr für den Herzog war, veranlaßten ihn Frau von Maintenon und die Herzogin von Burgund nicht länger dort zu bleiben und kehrten mit ihm in seinem Wagen zurück.

Als er im Begriff war aufzubrechen und unter beiderseitigen Tränen einige liebevolle Worte an den Herzog von Chartres richtete, wußte dieser junge Prinz den Augenblick zu nützen: »Ach! Sire, was soll aus mir werden?« rief er und umschlang seine Schenkel; »ich verliere Monsieur, und ich weiß, daß Sie mich nicht lieben.« Überrascht und sehr gerührt umarmte ihn der König und gab ihm die zärtlichsten Worte, die er finden konnte.

In Marly angekommen, ging er mit der Herzogin von Burgund in die Gemächer Frau von Maintenons. Drei Stunden darauf erschien Fagon, dem der König befohlen hatte, den Herzog nicht zu verlassen, bevor er nicht tot wäre oder sich besser befinde, welch letzteres nur durch ein Wunder eintreten konnte. »Nun, Herr Fagon,« rief der König, sowie er seiner ansichtig wurde, »ist mein Bruder tot?« »Jawohl, Sire,« antwortete er, »kein Mittel hat mehr wirken können.«

Der König weinte viel. Man drängte ihn, einen Bissen bei Frau von Maintenon zu essen, aber er wollte wie gewöhnlich mit den Damen zu Mittag speisen, und die Tränen rollten ihm oftmals während des Er aß eine Stunde früher (oben fälschlich: später) als gewöhnlich: für gewöhnlich wurde das Souper um 10 Uhr serviert.
» Nichts vom Kloster«: hier liegt ein Irrtum Saint-Simons vor; man hatte der Herzogin von Orléans vorgeschlagen, sich für den Fall des Todes des Herzogs in das Kloster Maubuisson zurückzuziehen, wo ihre Tante Äbtissin war, da sie sich aber nicht dazu entschließen konnte, schlug man ihr Meudon oder Châville vor, endlich aber wurde beschlossen, daß sie nach Versailles gehen solle. In ihrem Heiratskontrakt steht von der Alternative, die Saint-Simon mitteilt, nichts, konnte auch nichts stehen, da sie dem Protestantismus erst zehn Tage nach der Unterzeichnung abschwor. Artikel 10 und 11 stipuliert den Aufenthalt in Montargis und ein Wittum von 40 000 Livres.
Essens, das nur kurz war, herab. Danach schloß er sich bei Frau von Maintenon bis sieben Uhr ein und machte dann eine Spazierfahrt in seinen Gärten. Er arbeitete mit Chamillart und dann mit Pontchartrain, um das Zeremoniell der Leichenfeier festzusetzen und erteilte seine Befehle darüber dem Zeremonienmeister Desgranges, da Dreux, der Großmeister, bei der Armee in Italien war. Er aß eine Stunde früher als gewöhnlich zu Abend und legte sich sehr bald danach schlafen. Gegen fünf Uhr hatte er den Besuch des Königs und der Königin von England erhalten, der nur einen Augenblick dauerte.

Nach der Abfahrt des Königs verlief sich die Menge ein wenig von Saint-Cloud, so daß der sterbende Herzog, den man auf ein Ruhebett in seinem Kabinett geworfen hatte, den Küchenjungen und niedern Hausbeamten überlassen blieb, deren Mehrzahl aus Liebe oder aus Berechnung sehr betrübt war. Die hohen Beamten und andere, die Chargen und Pensionen verloren, ließen die Luft von ihren Wehklagen widerhallen, während all die Frauen, die in Saint-Cloud waren und ihre angesehene Stellung und ihr ganzes Vergnügen verloren, schreiend und mit fliegenden Haaren wie Bacchantinnen hin und her liefen.

Die Herzogin von Orléans befand sich unterdessen in ihrem Kabinett. Sie hatte nie große Liebe noch große Hochachtung für den Herzog gehabt, aber sie fühlte ihren Verlust und ihren Sturz und schrie in ihrem Schmerz: »Nichts vom Kloster! man spreche mir nicht vom Kloster! ich will nicht ins Kloster!« Die gute Prinzessin hatte nicht etwa den Verstand verloren: sie wußte, daß sie nach ihrem Heiratskontrakt, wenn sie Witwe wurde, zwischen einem Kloster oder dem Aufenthalt in dem Schlosse Montargis wählen mußte. Sei es nun, daß sie aus dem einen leichter als aus dem andern herauszukommen glaubte, sei es, daß sie fühlte, wie sehr sie den König zu fürchten hatte, obgleich sie noch nicht alles wußte, und er ihr die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Freundschaftsbezeigungen erwies: jedenfalls hatte sie vor dem Kloster noch größere Furcht. Nachdem der Herzog seinen Geist aufgegeben hatte, bestieg sie mit ihren Damen den Wagen und fuhr nach Versailles, gefolgt von dem Herzog und der Herzogin von Chartres und allen Personen, die zu ihnen gehörten.

Am andern Morgen – Freitag – begab sich der Herzog von Chartres zum Könige, der noch zu Bett lag, und dieser sprach sehr freundschaftlich mit ihm. Er sagte zu ihm, er müsse ihn fortab als seinen Vater betrachten, er werde für seine Größe und seine Interessen Sorge tragen und alle die kleinen Anlässe zur Verstimmung, die er gegen ihn habe, vergessen und hoffe, daß er sie seinerseits vergesse, er bitte ihn, daß die Freundschaftsbeweise, die er ihm jetzt gegeben, dazu dienen möchten, ihn mehr an ihn zu fesseln und ihm sein Herz wiederzugeben, wie er ihm das seine wiedergebe. Man kann sich denken, daß der Herzog von Chartres darauf eine Antwort gab, die den König befriedigte.

Nach einem so schrecklichen Schauspiel, nach so vielen Tränen und so vieler Rührung zweifelte niemand, daß die drei Tage, die noch von dem Aufenthalt in Marly übrigblieben, außerordentlich traurig sein würden. Als aber an diesem selben Tage nach dem Tode des Herzogs Palastdamen gegen Mittag die Gemächer der Frau von Maintenon betraten, wo sich daß er Opernprologe sang: hauptsächlich von Quinault, der die andern Librettisten bei weitem in der Kunst, die allgemeine abgöttische Verehrung für den König auszudrücken, übertraf. Der Herausgeber der Œuvres de Louis XIV., Grouvelle, sagt (Bd. I, Einleitung, S. 208) » Les vers (d'Horace et de Virgile) ne peuvent se comparer à ces scènes lyriques chantées en présence du Roi, et, ce qui paroît incroyable, chantées par Louis lui-même avec l'accent de la passion et les larmes de l'attendrissement … Cette manie (des falschen Ruhmes) l'emportoit au delà des bienséances si bien observées par lui en toute autre chose.«der König mit ihr und der Herzogin von Burgund befand, vernahmen sie in dem an das seinige stoßenden Zimmer, in dem sie sich befanden, daß er Opernprologe sang. Einen Augenblick darauf fragte der König, als er die Herzogin von Burgund sehr niedergeschlagen in einem Winkel des Zimmers sitzen sah, überrascht Frau von Maintenon, was sie denn habe, daß sie so melancholisch sei, und fing an sie aufzumuntern und dann mit ihr und einigen Palastdamen, die er hereinkommen ließ, damit sie sie alle beide belustigten, zu spielen.

Mit dieser Privatszene hatte es nicht sein Bewenden. Nachdem man vom gewöhnlichen Mittagsmahl aufgestanden war, d. h. ein wenig nach zwei Uhr und sechsundzwanzig Stunden nach dem Tode des Herzogs von Orléans, fragte der Herzog von Burgund den Herzog von Montfort, ob er mit ihm Krimpel spielen wolle. »Krimpel!« rief Montfort äußerst erstaunt aus, »Sie denken wohl nicht daran! Monsieur ist ja noch ganz warm.« – »Verzeihen Sie mir,« erwiderte der Prinz, »ich denke recht wohl daran, aber der König will nicht, daß man sich in Marly langweile, er hat mir befohlen, dafür zu sorgen, daß alle Welt spiele, und – da er fürchtet, daß niemand der erste zu sein wage – mit dem guten Beispiel voranzugehen.« So setzten sie sich denn zum Krimpelspiel nieder, und bald stand der Saal voll von Spieltischen.

So war es um die Betrübnis des Königs, so um die Frau von Maintenons bestellt. Sie empfand den Verlust des Herzogs von Orléans wie eine Befreiung, und es kostete sie Mühe, ihre Freude zurückzuhalten; noch viel schwerer aber war es ihr gefallen, betrübt zu erscheinen. Sie sah, daß der König schon ganz getröstet war; nichts lag ihr besser als auf seine Zerstreuung bedacht zu sein, und nichts sagte ihr mehr zu, als das Tempo des gewöhnlichen Lebens zu beschleunigen, damit weder mehr vom Herzog noch von Betrübnis die Rede wäre. Was die Gebote der Schicklichkeit anlangt, so ließ sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Die Sache war aber doch anstößig und wurde auch, ganz im stillen freilich, als sehr anstößig empfunden.

Der Dauphin schien den Herzog von Orléans, der ihm Bälle und andere Unterhaltungen mit aller erdenklichen Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit gab, zu lieben: schon am Tage nach seinem Tode ging er auf die Wolfshatz, und als er zurückkehrte, fand er den Saal voll von Spielern, so daß er sich ebensowenig Zwang auferlegte wie die andern. Der Herzog von Burgund und der Herzog von Berry sahen Monsieur nur auf dem Paradebett und konnten seinen Verlust nicht sehr schwer empfinden. Die Herzogin von Burgund nahm ihn außerordentlich schwer: er war ihr Großvater, sie liebte ihre Mutter zärtlich, diese liebte den Herzog von Orléans sehr, und dieser erwies der Herzogin von Burgund alle Freundschaft, Sorge und Aufmerksamkeit und unterhielt sie mit allen möglichen Belustigungen. Obgleich sie nicht sehr stark in der Liebe war, liebte sie den Herzog von Orléans und litt stark unter dem Zwange, den sie ihrem Schmerze antun mußte; dieser blieb denn auch im Verborgenen lange wach.

Man hat oben in zwei Worten gesehen, wie der Schmerz der Herzogin von Orléans beschaffen war. Was nun den Herzog von Chartres angeht, so war der seinige außerordentlich. Vater und Sohn liebten sich zärtlich. Monsieur war weichherzig, der beste Mensch von der Welt und hatte niemals einen Zwang auf seinen Sohn ausgeübt, noch ihm Hindernisse in den Weg gelegt. Mit seinem Herzen litt auch sein Geist: abgesehen von dem großen Glanz, den für ihn ein Vater, der Bruder des Königs war, bedeutete, war er für ihn eine Schutzmauer, hinter der er seine Zuflucht vor dem Könige fand, in dessen völlige Gewalt er nunmehr geriet. Seine Größe, sein Ansehen, die Unabhängigkeit seines Hauses und seines Lebens waren unmittelbar in seine Hand gegeben. Sein Eifer, die Schicklichkeit seines Verhaltens, eine gewisse Ordnung in seiner Lebensweise und, was für ihn noch schlimmer war als all das, ein ganz anderes Benehmen seiner Frau gegenüber, das war ausschlaggebend für alles, was er vom Könige erwarten konnte.

Die Herzogin von Chartres war, obwohl der Herzog von Orléans sie gut behandelt hatte, entzückt, daß sie eine Schranke los war, die zwischen ihr und dem Könige stand und ihrem Herrn Gemahl alle Freiheit ließ, mit ihr zu verfahren, wie es ihm gefiel, daß sie der Verpflichtungen ledig, die sie öfter als ihr lieb war, vom Hofe fortzogen, um dem Herzoge nach Paris oder Saint-Cloud zu folgen, wo sie sich wie in einem fremden Lande fühlte, unter all den fremden Gesichtern, die sie nur dort allein sah, und die größtenteils sehr wenig gut mit ihr standen, und unter dem Druck der Geringschätzung und der Launen der Herzogin, die ihr nicht erspart blieben. Sie rechnete also darauf, den Hof nicht mehr verlassen zu müssen, nichts mehr mit dem Hofe des Herzogs von Orléans zu schaffen zu haben, und daß die Herzogin von Orléans und der Herzog von Chartres in Zukunft genötigt sein würden, ihr gegenüber ein Verhalten und Rücksichten an den Tag zu legen, die sie bis jetzt noch nicht erfahren hatte.


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