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Der Tod des Erzbischofs von Cambray. Fénelon wird sein Nachfolger. Frau Guyon und ihr Kreis. Der Erzbischof Harlay von Paris. Seine Vereinsamung. Seine Freundin. Sein Tod. Sein Nachfolger. Der Bischof von Langres. Die Krankheit des Herzogs von Lorge. Sein Rücktritt. Die Zerwürfnisse zwischen den Prinzessinnen. Das Rauchkollegium in Marly. Frau Guyon in Saint-Cyr. Ihre Austreibung. Fénelon mattgesetzt.
Bevor ich erzähle, was seit meiner Rückkehr von der Armee vorging, muß ich berichten, was sich während des Feldzugs bei Hofe zutrug. Herr von Bryas, der Erzbischof von Cambray, war gestorben, und der König hatte diesen fetten Brocken dem Abbé Fénelon, dem Erzieher der königlichen Kinder, gegeben. Bryas war Erzbischof, als der König Cambray nahm. Er war ein braver flämischer Edelmann, der während der Belagerung sehr eifrig für Spanien und alsbald nachher ebenso eifrig für Frankreich tätig war. Er versprach es dem König mit einem Freimut, der diesem gefiel, und machte sein Versprechen so rückhaltlos zur Tat, daß er sich die ganz besondere Wertschätzung des Königs und seiner Minister erwarb. So wurde er denn auch von ihnen wie von seiner Diözese sehr betrauert.
Fénelon war ein Mann von Stande, der aber nichts besaß. Mit einem großen Geiste und der Fähigkeit, sich einzuschmeicheln und zu bestricken, mit vielen Talenten, einem liebenswürdigen Wesen und bedeutendem Wissen, verband er einen großen Ehrgeiz. Er hatte lange Zeit an Das Seminar von Saint-Sulpice war 1635 von einigen Priestern gegründet worden und diente der Ausbildung Geistlicher unter der Leitung der bischöflichen Autorität. Fénelon hatte dort 1675 die Priesterweihe empfangen und drei Jahre lang in der Parochie die priesterlichen Funktionen ausgeübt, bis ihn der Erbzischof zum Superior der Nouvelles-Catholiques ernannte.alle Türen geklopft, ohne daß sie ihm geöffnet worden wären. Aufgebracht gegen die Jesuiten, an die er sich als an die Gnadenspender seines Standes zuerst gewandt hatte, und von denen er derart zurückgewiesen worden war, daß er sich nicht mehr mit ihnen einlassen konnte, schloß er sich an die Jansenisten an, um sich über den Mangel an Glücksgütern mit dem Namen zu trösten, den er durch sie zu erwerben hoffte. Er brauchte eine geraume Zeit, um sich einzuführen, endlich aber gelangte er dazu, an einigen Mahlzeiten teilzunehmen, die einige der einflußreichsten unter ihnen ein- oder zweimal wöchentlich bei der Herzogin von Brancas hielten. Ich weiß nicht, ob er ihnen zu schlau vorkam, oder ob er sich anderswo mehr versprach, als bei Leuten, bei denen nie etwas zu holen war als Wunden, jedenfalls wurde seine Verbindung mit ihnen nach und nach kühler, und er schlich so lange am Saint-Sulpice herum, bis er dort eine andere anknüpfen konnte, auf die er größere Hoffnungen setzte. Diese Priestergesellschaft fing damals an, in Paris bekannt zu werden und sich nach kleinen Anfängen auszubreiten. Ihre Unwissenheit, die Kleinlichkeit ihrer Praktiken, der Mangel jeder Protektion und das Fehlen irgendwie bedeutender Persönlichkeiten in ihren Reihen veranlaßte sie zu einem blinden Gehorsam gegen Rom und alle seine Maximen und ließ sie ängstlich vor allem zurückscheuen, was nach Jansenismus roch. Dabei unterwarfen sie sich den Bischöfen so sehr, daß sie nach und nach in viele Diözesen berufen wurden. Sie schienen den Prälaten eine sehr nützliche Mittelstellung einzunehmen, weil diese Herren in gleicher Weise den Hof fürchteten, weil sie Zweifel an seiner Orthodoxie hatten, als die Abhängigkeit von den Jesuiten, die sie unter ihr Joch beugten, Frau Guyon; Jeanne-Marie Bouvier de la Motte heiratete 1664 Jacques Guyon, den Sohn des Unternehmers des Kanals von Briare, und wurde 1676 mit 28 Jahren Witwe. Sie wurde von mehreren Geistlichen, dem Bischof von Genf, dem Pater la Motte und dem Pater la Combe, für den Mystizismus gewonnen. Nachdem sie einige Zeit in den Klöstern Savoyens und Piemonts verbracht hatte, war sie im Juli 1686 in einem Zustande derartiger Exaltiertheit nach Paris zurückgekehrt, daß man sie 1688 acht Monate lang bei den Filles de la Visitation einsperren mußte. Auf Betreiben der Frau von Miramion wurde sie wieder entlassen, und da Frau von Maintenon sich für sie interessiert hatte, wurde sie der Mittelpunkt der kleinen frommen Gemeinde, die Saint-Simon schildert.sobald sie sich bei ihnen eingenistet hatten, oder sie ohne Gnade zugrunde richteten. So wuchs denn der Anhang der Sulpizianer sehr rasch. Es war niemand unter ihnen, der sich mit dem Abbé Fénelon irgendwie hätte vergleichen können, so daß er nach Wunsch sein Übergewicht geltend machen und sich Protektoren verschaffen konnte, die ein Interesse daran hatten, ihn vorwärts zu bringen, um ihrerseits von ihm gefördert zu werden.
Seine Frömmigkeit, seine Doktrin, die er nach der ihren bildete, wobei er in seinem Herzen alles Unheilige abschwor, was er etwa unter denen, die er verließ, angenommen haben mochte, sein gewinnendes Wesen, seine Liebenswürdigkeit, seine Sanftmut, seine einschmeichelnde Art machten ihn für diese neue Kongregation zu einem wertvollen Freunde. Er aber fand bei ihnen, was er schon seit langem suchte, Leute, mit denen er sich verbünden konnte und die ihn tragen konnten und wollten. Während er auf die Gelegenheiten wartete, die ihn vorwärts bringen sollten, pflegte er den Verkehr mit ihnen mit großem Eifer, ohne sich ihnen jedoch ganz anzuschließen, was für seine hochfliegenden Pläne hinderlich gewesen wäre. Daneben war er stets bestrebt, wertvolle Bekanntschaften anzuknüpfen und sich Freunde zu machen. Er war eitel und wollte allen, den Mächtigsten sowohl wie dem Arbeiter und Lakai, angenehm sein und gefallen; seine Talente in dieser Beziehung unterstützten seine Wünsche aufs beste.
Damals, wo er noch unbekannt war, hörte er von Frau Guyon sprechen, die seitdem in der Welt soviel Aufsehen gemacht hat und zu bekannt ist, als daß ich mich hier eingehender mit ihr zu beschäftigen brauchte. Er sah sie, ihre Geister zogen sich an, und ihre Seelen vereinigten sich. Ich weiß nicht, ob sie sich in dem System und der neuen Sprache, die nachher von ihnen ausging, wirklich verstanden, jedenfalls bildeten sie es sich ein, und die Verbindung zwischen ihnen kam zustande. Obgleich Frau Guyon damals bekannter war als der Abbé, war sie es doch noch nicht so sehr, so daß ihr Bund unbemerkt blieb, weil niemand sich um sie kümmerte und selbst Saint-Sulpice nichts davon wußte.
Der Herzog von Beauvillier wurde Gouverneur der königlichen Prinzen, ohne daß er daran gedacht hatte, fast gegen seinen Wunsch. Beim Tode des Marschalls von Villeroy hatte ihn der König zum Chef des königlichen Finanzrates gemacht, weil er ihn sehr schätzte und volles Vertrauen zu ihm hatte. Dieses Vertrauen war so groß, daß er außer der Ernennung Moreaus, den er vom ersten Diener der Garderobe zum ersten Kammerdiener des Herzogs von Burgund erhob, dem Herzog von Beauvillier völlig freie Hand in der Ernennung der Lehrer, Untergouverneure und aller andern Diener des jungen Prinzen überließ, so sehr er sich auch dagegen sträubte.
Als er nun um einen Lehrer verlegen war, wandte er sich an die Kongregation von Saint-Sulpice, wo er seit langer Zeit beichtete, und deren Mitglieder er liebte und sehr begünstigte. Er hatte dort den Abbé Fénelon schon lobend erwähnen hören, man rühmte seine Frömmigkeit, seinen Geist, sein Wissen, seine Talente und schlug ihn endlich für diese Stelle vor. Der Herzog sah ihn, war von ihm entzückt und ernannte ihn zum Lehrer. Kaum war er es, so erkannte er auch schon, wie wichtig es für seine Laufbahn sei, den Herzog, der ihm soeben zu einem günstigen Anfang verholfen, und dessen Schwager, den Herzog von Chevreuse, zu gewinnen, mit dem er ein Herz und eine Seele war, da diese beiden das Vertrauen des Königs und Frau von Maintenons im höchsten Maße genossen. Das also war seine erste Sorge, und es gelang ihm so über alle seine Erwartung, daß er sehr bald der Herr ihres Herzens und Geistes und ihr Beichtvater wurde.
Frau von Maintenon speiste in der Regel ein-, manchmal auch zweimal die Woche bei Herrn von Beauvillier oder bei Herrn von Chevreuse zu Mittag, als fünfte mit den beiden Schwestern und deren Gatten. Die Glocke stand auf dem Tische, damit man keine Diener um sich zu haben brauchte und zwanglos plaudern konnte. Es war dies ein Allerheiligstes, vor dem der ganze Hof sich beugte, und zu dem Fénelon endlich zugelassen wurde.
Er hatte bei Frau von Maintenon fast ebensoviel Erfolg, wie er ihn bei den beiden Herzögen gehabt. Seine Geistigkeit bezauberte sie; der Hof bemerkte bald die Riesenschritte des glücklichen Abbé und drängte sich um ihn. Aber der Wunsch, frei zu sein und nur dem zu leben, was er sich vorgenommen hatte, auch die Furcht, den Herzögen und Frau von Maintenon zu mißfallen, die ein zurückgezogenes und sehr abgesondertes Leben liebten, ließen ihn Bescheidenheit und seine Funktionen als Lehrer vorschützen. Dadurch machte er sich den wenigen Personen, die er gewonnen hatte und die in dieser Zuneigung zu erhalten so sehr in seinem Interesse lag, noch teurer.
Bei dieser Sorge um sein Fortkommen vergaß er seine gute Freundin, Frau Guyon, nicht. Er hatte sie bereits den beiden Herzogen gerühmt und endlich auch Frau von Maintenon. Er hatte sie ihnen sogar vorgestellt, aber so, wie wenn es Mühe gekostet hätte und nur auf Die Abtei, die Fénelon zurückgab, war die Benediktinerabtei Saint-Valery-sur-Somme in der Diözese Amiens. Sie gewährte ihm ein Einkommen von ungefähr 20 000 Livres. Der Verzicht auf diese Pfründe erregte damals kein geringes Aufsehen, da man dergleichen von höheren Geistlichen, noch dazu, wenn sie bei Hof verkehrten, nicht gewöhnt war.Augenblicke, wie eine gänzlich Gott hingegebene Frau, welche die Demut und die Liebe zu frommer Betrachtung und zur Einsamkeit in den engsten Grenzen hielten, und die vor allen Dingen fürchtete, bekannt zu werden. Ihr Geist gefiel Frau von Maintenon außerordentlich, ihre Zurückhaltung, die sie mit feinen Schmeicheleien zu mischen wußte, gewann sie. Sie wollte sie über religiöse Fragen sprechen hören, man hatte aber Mühe, sie dazu zu bewegen. Als sie es endlich tat, schien sie nur von der Tugend und dem liebenswürdigen Wesen Frau von Maintenons bezwungen. In so gut gelegten Netzen wurde letztere denn auch gefangen.
In dieser Lage nun befand sich Fénelon, als er Erzbischof von Cambray wurde, und die Bewunderung für ihn wuchs, weil er keinen Finger zur Erlangung dieser großen Pfründe gerührt hatte, und weil er gleichzeitig eine Abtei zurückgab, die er als Lehrer bekommen und die bis Cambray sein einziger Besitz gewesen war. Er hatte sich wohl gehütet, sich um Cambray zu bemühen; der kleinste Funke von Ehrgeiz hätte sein ganzes Gebäude zerstört, und außerdem war es nicht Cambray, wonach er trachtete.
Nach und nach hatte er einige vornehme Schafe von der kleinen Herde, die Frau Guyon sich gebildet, an sich gefesselt, doch führte er sie nur unter der Leitung dieser Prophetin. Die Herzogin von Mortemart, Schwester der Herzoginnen von Chevreuse und Beauvillier, Frau von Morstein, die Tochter der ersteren, vor allem aber die Herzogin von Béthune, waren die hauptsächlichsten. Sie lebten in Paris und kamen nur verstohlen und für Augenblicke nach Versailles, wenn Frau Guyon während der Ausflüge des Hofes nach Marly, an denen der Herzog von Burgund und infolgedessen auch sein Gouverneur nicht teilnahmen, heimlich zu letzterem aus Paris kam und die genannten Damen unterrichtete. Die Gräfin von Guiche, die älteste Tochter des Herrn von Noailles, die ihr Leben bei Hofe verbrachte, schlich sich so oft weg, als sie konnte, um an dem Genuß dieses Mannas teilzunehmen. L'Échelle und du Puy, adlige Begleiter des Herzogs von Burgund, waren dort ebenfalls zugelassen, und alles das ging mit einer Heimlichkeit und einem Mysterium vor sich, die dieser Gunst einen besonderen Reiz verliehen.
Cambray war für die ganze kleine Herde ein Blitz aus heiterm Himmel. Sie sahen den Traum, Fénelon auf dem Pariser Erzbischofstuhl zu sehen, dicht vor dem Ziel zerrinnen; denn Paris war es, das sie alle für ihn wollten, und nicht Cambray, das sie verächtlich eine Landdiözese nannten. Denn da es sich nicht vermeiden ließ, daß er sich von Zeit zu Zeit dort aufhielt, wurden sie dadurch ihres Hirten beraubt. Paris hätte ihn an die Spitze des Klerus gestellt, an einen unmittelbaren und dauernden Vertrauensposten, wo jedermann mit ihm hätte rechnen müssen, und wo er in der Lage gewesen wäre, für Frau Guyon und ihre Lehre, die von ihnen noch als Geheimnis bewahrt wurde, alles zu wagen. Ihr Schmerz über das, was die übrige Welt als ein Glück erster Ordnung ansah, war also sehr tief, und die Gräfin von Guiche fand sich dadurch so gekränkt, daß sie sich der Tränen nicht erwehren konnte. Der neue Prälat hatte es nicht versäumt, die hervorstechendsten kirchlichen Würdenträger zu besuchen, die es ihrerseits als eine Auszeichnung betrachteten, bei ihm Zutritt zu haben.
Er wurde in Saint-Cyr, diesem hehren und so schwer zugänglichen Orte, und zwar vom Bischof von
Versammlung des Klerus; sie war am 28. Mai 1695 eröffnet worden. Der Klerus von Frankreich, der 1561 in feierlicher Versammlung zu Poissy vereinigt war, hatte damals zum erstenmal ein freiwilliges Geschenk von 1 600 000 Livres für den König votiert, um von jeder andern Steuer befreit zu sein. Seit 1625 fanden die Versammlungen regelmäßig und abwechselnd statt; die große hatte als Hauptaufgabe die Erneuerung des Schenkungskontraktes zu erledigen.
Die drei
Zeugen der noch nicht sicher bewiesenen Verheiratung Ludwigs XIV. mit Frau v. Maintenon waren nach Saint-Simon der Erzbischof von Paris, Louvois und Montchevreuil.
Die
Versammlung von 1682, eine außerordentliche, hatte am 12. März die berühmte Erklärung abgegeben, in der die Fundamentalprinzipien der gallikanischen Kirche über die Autorität des Papstes, den Gebrauch der apostolischen Macht usw. ausgesprochen werden.
Fénelon schrieb in einem Briefe an Ludwig XIV. über den Erzbischof Harlay 1693:
Vous avez un archevêque corrompu, scandaleux, incorrigible, faux, malin, artificieux, ennemi de toute vertu, et qui fait gémir tous les gens de bien. Vous vous en accommodez parce qu'il ne songe qu'à vous plaire par ses flatteries. II y a plus de vingt ans qu'en prostituant son honneur, il jouit de votre confiance. Vous lui livrez les gens de bien, vous lui laissez tyranniser l'Eglise, et nul prélat vertueux n'est traité aussi bien que lui.«Meaux, Bossuet, dem damaligen Diktator des Episkopats und der Doktrin, geweiht. Die königlichen Prinzen wohnten der feierlichen Handlung bei, Frau von Maintenon war zugegen mit ihrem kleinen und gewählten Sonderhof, niemand war eingeladen, und die Türen blieben verschlossen, so viel Leute sich auch durch ihre Gegenwart hatten angenehm machen wollen.
Es hatte in diesem Sommer eine Versammlung des Klerus stattgefunden, nämlich die große (alle fünf Jahre findet eine große und eine kleine Versammlung statt, zu denen jede Provinz vier bzw. zwei Deputierte entsendet). Harlay, Erzbischof von Paris, hatte den Vorsitz über diese Versammlung geführt, und er, der dank der erklärten Gunst und des Vertrauens des Königs, das er sein Leben lang besessen, stets über den Klerus geherrscht hatte, mußte dabei alle erdenklichen Verdrießlichkeiten erfahren. Seine Ausschließung von jeder Beteiligung an der Verteilung der Benefizien, die dem Pater de la Chaise nach und nach gelungen war, hatte ihn bereits dem König entfremdet; und Frau von Maintenon, bei der er es durch seinen Widerstand gegen die öffentliche Anzeige der Heirat, bei welcher er als einer der drei Zeugen fungierte, gänzlich verschüttet hatte, hatte ihn um den letzten Rest der Gunst des Monarchen gebracht. Das Verdienst, das er sich in der berühmten Versammlung von 1682 um das ganze Königreich erworben, ein Verdienst, das ihn immer mehr in der Gunst des Königs befestigt hatte, wurde zu seinen Ungunsten ausgelegt, als andere Maximen das Übergewicht hatten. Sein gründliches Wissen, die Beredsamkeit und der leichte Fluß seiner Predigten, die treffliche Wahl der Themen und die geschickte Leitung seiner Diözese, Das Schloß von Conflans-l'Archevêque, am Zusammenfluß der Marne und Seine, gehörte den Erzbischöfen von Paris seit 1672.selbst seine Fähigkeit in der Führung der Geschäfte und der Einfluß, den er auf den Klerus gewonnen hatte, all das verlor an Bedeutung gegenüber seinem Privatleben, seinen galanten Sitten, seinem Auftreten als Höfling großen Stils.
Obgleich alle diese Dinge seit Antritt seines Episkopats von ihm untrennbar waren und ihm niemals geschadet hatten, wurden sie in den Händen Frau von Maintenons zu Verbrechen, als ihr Haß sie seit einigen Jahren überredet hatte, ihn zu verderben; und so hörte sie nicht auf, ihm Unannehmlichkeiten zu bereiten. Dieser umfassende, gerechte und gründliche, dabei aber doch blumenreiche Geist, der auf dem Gebiete der Diözesanverwaltung aus ihm einen großen Bischof und auf dem der Welt einen sehr liebenswürdigen großen Herren und einen vollendeten Hofmann, aber im edelsten Sinne machte, konnte sich an diesen Niedergang und den damit verbundenen Mißkredit nicht gewöhnen. Der Klerus, dem das nicht entging, und dem der Neid nicht fremd war, hatte seine Freude daran, sich für die, wenn auch sanfte und höfliche Herrschaft, der er sich fügen mußte, zu rächen, und leistete ihm Widerstand, rein aus dem Vergnügen, es zu wagen und zu können. Die Leute, die nach Bistümern und Abteien strebten und seiner unter den gegebenen Umständen nicht mehr bedurften, verließen ihn. Alle die unendlich vielen und ihm durchaus angeborenen Vorzüge des Körpers und Geistes verwelkten. Er wußte sich keine Rettung, als sich mit seiner treuen Freundin, der Herzogin von Lesdiguières, zurückzuziehen. Er sah sie tagtäglich, entweder bei ihr oder in Conflans, woraus er einen entzückenden Garten gemacht hatte, den er so peinlich hielt, daß, während sie sich beide darin ergingen, Der Erzbischof von Reims war Charles-Maurice le Tellier. Vgl. Reg.immer in einer gewissen Entfernung Gärtner nachfolgten, um ihre Spuren mit dem Rechen auszulöschen.
Die Nervenzufälle machten dem Erzbischof viel zu schaffen; bald nahmen sie zu und verwandelten sich in leichte epileptische Anfälle. Er merkte es und verbot seiner Dienerschaft so ausdrücklich, davon zu sprechen und Hilfe zu holen, wenn sie ihn in diesem Zustande sähen, daß sie ihm nur zu gut gehorchte. So verbrachte er seine zwei oder drei letzten Jahre. Der Kummer, den ihm diese letzte Versammlung verursacht hatte, gab ihm den Rest. Sie endigte mit dem Monat Juli; unmittelbar darauf suchte er Conflans auf, um der Ruhe zu genießen.
Die Herzogin von Lesdiguières übernachtete dort nie, aber sie war jeden Nachmittag dort, und immer waren die beiden ganz allein. Am 6. August verbrachte er den Morgen bis zum Mittagessen in gewohnter Weise. Sein Haushofmeister kam, um ihm zu melden, daß angerichtet sei. Er fand ihn in seinem Schreibzimmer auf einem Kanapee nach rückwärts umgesunken; er war tot.
Der Pater Gaillard hielt die Leichenrede in Notre-Dame; die Materie war mehr als mißlich und das Ende schrecklich. Der berühmte Jesuit wußte sich zu helfen; er lobte alles, was Lob beanspruchen konnte, und ging dann über die Moral schnell weg. Er gab ein Meisterwerk der Beredsamkeit und der Pietät.
Der König fühlte sich sehr erleichtert, Frau von Maintenon noch mehr. Der Erzbischof von Reims erhielt seine Stelle als Obervorsteher der Sorbonne, der Bischof von Meaux die als Superior des Kollegs von Navarra, und der Bischof von Noyon sein blaues Ordensband.
Die Vergebung seiner Kardinalswürde erfordert ein Der Bischof von Orléans war Pierre du Cambout de Coislin.etwas längeres Eingehen. Der sie erhielt, war der Bischof von Orléans, und er erhielt sie auf eine um so angenehmere Weise, als weder er noch einer von den Seinigen die Zeit gehabt hatten, daran zu denken. Der Erzbischof von Paris war Samstag den 6. August mittags gestorben; der König erfuhr es erst am Abend. Als er Montag den 8. August morgens in sein Kabinett getreten war, um wie gewöhnlich seine Tagesordnung zu bestimmen, ging er gerade auf den Bischof von Orléans zu, der sogar zur Seite trat, weil er glaubte, der König wolle weiterschreiten. Dieser nahm ihn jedoch, ohne ein Wort zu sagen, und führte ihn so am Bändel bis zum andern Ende des Kabinetts zu den Kardinälen von Bouillon und von Fürstenberg, die sich miteinander unterhielten, und sagte sofort zu ihnen: »Meine Herren, ich glaube, Sie werden es mir Dank wissen, wenn ich Ihnen einen Konfrater wie den Bischof von Orléans gebe, den ich zum Kardinal ernenne.« Bei diesem Wort warf sich der Bischof, der auf nichts weniger gefaßt war und nicht wußte, was es zu bedeuten hatte, daß der König ihn so davonführte, ihm zu Füßen und umschlang seine Knie. Großer Beifall seitens der beiden Kardinäle, dann aller, die im Kabinett zugegen waren, endlich des gesamten Hofes und der ganzen Öffentlichkeit, wo der Prälat sich einer außerordentlichen Verehrung erfreute.
Es währte nicht lange, da wurde auch die Erzbischofswürde von Paris vergeben: sie wurde die Frucht des weisen Opfers, das der Herzog von Noailles gebracht hatte, indem er das Kommando über seine Armee dem Herzog von Vendôme zuschanzte, und die Besiegelung seiner vollkommenen Wiederaufnahme in die Gunst des Königs. Sein Bruder war 1680 zum Bischof von Cahors Der Bischof von Langres war Louis-Marie-Armand de Simiane de Gordes.geweiht worden, das er sechs Monate darauf mit Châlons-sur-Marne vertauschte. Diese Versetzung verursachte ihm Gewissensskrupel; er lehnte sie ab und unterwarf sich erst auf ausdrücklichen Befehl Innozenz' XI. Auf diesen Prälaten fiel die Wahl des Königs für Paris. Es geschah vielleicht zum erstenmal, daß der Pater de la Chaise nicht um Rat befragt wurde; Frau von Maintenon wagte vielleicht ebenfalls zum erstenmal, ihre Angelegenheit daraus zu machen. Sie zeigte dem König dringende Briefe der Herren Tiberge und Brisacier, Superioren der ausländischen Missionen, die sie beim Könige in Mode gebracht hatte, um den Jesuiten entgegenzuwirken, deren Ansehen ihr lästig war. Sie legte Wert darauf, daß der Erzbischof von Paris nicht von ihnen abhängig sei, damit er es von ihr sei. Da bot Herr von Noailles alle Bürgschaft: mit einem Wort, sie setzte ihren Willen durch, und der Bischof von Châlons wurde, ohne daß er es ahnte und ohne Wissen des Paters de la Chaise, ernannt. Die Kränkung war heftig, und die Jesuiten haben es diesem Prälaten auch nie verziehen.
Der Bischof von Langres starb gegen Ende des Jahres. Er war ein Simiane, Sohn und Bruder der Herren von Gordes, die beide Ritter des Heiliggeistordens und Kapitäne der Gardes du Corps waren. Der letztgenannte verkaufte seine Charge an Herrn de Chandenier und wurde später Ehrenkavalier der Königin. Der Vater, der 1642 starb, ließ oftmals die Karrosse Ludwigs XIII. halten. Er sagte zu ihm: »Sire, Sie wollen nicht, daß man platzt, lassen Sie also bitte halten«, und er stieg aus, um zu pissen. Der König lachte und sah ihm aufmerksam zu. Mein Vater, der hundertmal Zeuge davon war, hat es mir erzählt. Der andere starb 1680; er war der Vater von Frau von Rhodes. Der Bischof von Langres wurde also am Hofe groß und schon sehr früh Erster Almosenier der Königin. Er war ein echter Edelmann und der beste Mensch, und alles liebte ihn. Man nannte ihn gerne den guten Langres. Er hatte nichts Schlechtes an sich, nicht einmal in seinem Lebenswandel, aber er war nicht zum Bischof geschaffen. Er spielte alle Arten Spiele und immer mit den allerhöchsten Einsätzen. Der Herzog von Vendôme, Monsieur le Grand und einige andere von dieser Gesellschaft legten ihn zwei- oder dreimal beim Billard hinein. Er sagte kein Wort und begab sich nach Langres, wo er sich damit beschäftigte, die Kniffe des Billardspiels zu studieren, und sich zu diesem Zwecke aus Furcht, man könne es erfahren, einschloß. Kaum war er wieder in Paris, da drangen jene Herren auch schon in ihn, mit ihnen Billard zu spielen. Er weigerte sich mit dem Hinweis, daß sie ihn ja bereits geschlagen und daß er während der sechs Monate seines Aufenthalts in Langres nur Chorherren und Pfarrer gesehen habe. Nachdem er sich gehörig hatte drängen lassen, gab er endlich nach. Er spielte zuerst mäßig, dann besser und ließ die Einsätze steigen; endlich schlug er sie alle nacheinander, und nachdem er viel mehr zurückgewonnen, als er verloren hatte, machte er sich über sie lustig. Er hatte große Sehnsucht nach dem Heiliggeistorden, starb aber in hohem Alter, ohne ihn erlangt zu haben.
Der Marschall und die Marschallin von Lorge kamen von Vichy zurück und beeilten sich sehr, nach Versailles zu gehen, wo sie vom König mit allen Zeichen der Freundschaft und Auszeichnung empfangen wurden. Der Marschall erschien bei Hofe in noch schlechterer gesundheitlicher Verfassung als vorher in Paris, und fast Kommandostab: der Kapitän der diensttuenden Garden führte einen Ebenholzstab mit Elfenbeinknauf. Der Marschall von Lorge übergab ihn am 19. Dez. 1695. – Die Szene in Marly ereignete sich am 2. Dez. 1695, noch vor der Rückkehr des Herzogs von Lorge. – Saint-Simon ging zum erstenmal am 24. April 95 nach Marly, kurz nach seiner Hochzeit.unmittelbar, nachdem er den Kommandostab wieder übernommen hatte, sah er sich genötigt, ihn dem Marschall von Villeroy zu übersenden. Der König sah ein, daß er nach zwei so schweren und dicht aufeinanderfolgenden Krankheiten nicht mehr imstande sein würde, Dienst zu tun, und wollte sich mitten in einem Feldzuge nicht den Unzuträglichkeiten aussetzen, die sich aus dem Befinden des Generals ergeben konnten. Es war ihm peinlich, selbst mit dem Marschall darüber zu sprechen, und so beauftragte er Herrn von la Rochefoucauld, der zu allen Zeiten der vertrauteste Freund des Marschalls gewesen war, es ihm zu verstehen zu geben und vor allem dahin zu wirken, daß er sich nicht darauf versteife, mit ihm darüber sprechen oder ihm schreiben zu wollen.
Herr von la Rochefoucauld aß also bei ihm in Paris zu Mittag und nahm ihn nach dem Essen mit der Marschallin beiseite. Die Pille erschien ihnen bitter. Der Marschall von Lorge glaubte sich imstande, die Armee zu befehligen; er wollte eine Audienz beim König und erhielt sie. Der König war die Rücksicht und Freundschaftlichkeit selbst, wurde aber nicht andern Sinnes, und Herr von Lorge unterwarf sich freiwillig, obgleich es ihn sehr schmerzte, nutzlos zu werden, namentlich im Hinblick auf mich und seine Neffen. Wir waren ebenfalls sehr betrübt darüber wegen des außerordentlichen Unterschiedes, den dies für unser Ansehen bei der Armee wie auch überall sonst hatte.
Wenige Tage darauf nahmen wir an einem Ausfluge des Königs nach Marly teil. Es war für mich der erste, und es spielte sich dort eine merkwürdige Szene ab. Morgens sowohl wie abends präsidierten dort der König und der Dauphin zur selben Stunde in demselben Zimmer, jeder an einer Tafel. Die Damen verteilten sich ganz zwanglos an diesen beiden Tischen, nur daß die Prinzessin von Conti stets am Tische des Dauphin und ihre beiden Schwestern stets an dem des Königs saßen. In einer Ecke desselben Zimmers waren fünf oder sechs Gedecke, wo sich bald die einen, bald die andern, ebenfalls ganz zwanglos niedersetzten, jedoch ohne daß jemand präsidierte. Der Tisch des Königs stand zunächst dem großen Saal, der andere stand näher an den Fenstern und der Tür, durch die der König, wenn er von der Tafel aufstand, zu Frau von Maintenon ging. Diese speiste damals oft am Tische des Königs und setzte sich ihm gegenüber (die Tische waren rund). Sie speiste nur an diesem Tische, abends hingegen stets allein bei sich. Diese Erläuterung war zum Verständnis des Folgenden nötig.
Die Prinzessinnen waren, wie man oben gesehen hat, nur äußerlich ausgesöhnt, und die Prinzessin von Conti war innerlich sehr verstimmt über die Neigung des Dauphin für die Choin. Sie wußte sehr wohl darum, wagte aber nicht, es sich merken zu lassen. Einmal bei der Mittagstafel, als der Dauphin auf der Jagd war und die Prinzessin von Conti den Vorsitz an seinem Tische führte, unterhielt sich der König damit, mit der Herzogin von Condé zu scherzen. Zum größten Erstaunen der Gesellschaft vergaß er den Ernst, der ihn sonst nie verließ, und warf sie mit Oliven. Der Eifer des Gefechts veranlaßte die Herzogin, einige Schluck Wein zu trinken; der König tat ein- oder zweimal so, als tränke er auch, und dieses Spiel dauerte, bis die Früchte kamen und die Tafel aufgehoben wurde. Als dann der König an der Prinzessin von Conti vorüberkam, um sich zu Frau von Maintenon zu begeben, sagte er, vielleicht weil er sich an dem Ernst stieß, den er an ihr bemerkte, zu ihr ziemlich kalt, ihr Ernst passe nicht zu seiner und der Herzogin Trunkenheit. Die Prinzessin fühlte sich beleidigt und ließ den König vorübergehen. Dann wandte sie sich zu Frau von Châtillon, in dem Durcheinander, da jedermann sich den Mund ausspülte, und sagte zu ihr: sie ziehe es vor, ernsthaft zu sein als ein Saufsack (womit sie auf einige längere Mahlzeiten anspielte, die ihre Schwestern kürzlich zusammen gehalten hatten).
Diese Bemerkung wurde von der Herzogin von Chartres aufgefangen, und sie antwortete ziemlich laut mit ihrer langsamen zitternden Stimme, sie wolle lieber ein Saufsack als ein Lumpensack sein. Sie erinnerte damit an Clermont und einige Offiziere von den Gardes du Corps, die um der Prinzessin willen entweder davongejagt oder entfernt worden waren. Dieses Wort war so hart, daß es keine Erwiderung fand. Es machte alsbald die Runde durch Marly, dann durch Paris, und wurde schließlich überall bekannt. Die Herzogin von Condé, die nicht allein viel Anmut und Geist, sondern auch die Gabe besaß, beißende Spottlieder zu dichten, verfertigte einige, die auf denselben Ton gestimmt waren.
Die Prinzessin Conti war in Verzweiflung; sie hatte nicht die gleichen Waffen und wußte sich nicht zu helfen. Der Herzog von Orléans, der bei Neckereien sonst immer vorne dran war, fand in diesem Falle, daß beide Teile das Maß überschritten hätten. Auch der Dauphin mischte sich hinein und bat die Damen zu einem Diner nach Meudon. Die Prinzessin von Conti fuhr allein hin und kam zuerst an, die beiden andern Prinzessinnen wurden vom Herzog von Orléans hingebracht. Die Schwestern sprachen wenig, alles war fruchtlos, und sie fuhren genau in derselben Stimmung zurück, wie sie gekommen waren.
Das Ende dieses Jahres verlief in Marly stürmisch. Die Herzogin von Chartres und die Herzogin von Condé hatten sich aus Abneigung gegen die Prinzessin von Conti einander wieder mehr genähert. Beim nächsten Ausfluge hielten sie nach dem Coucher des Königs im Zimmer von Frau von Chartres, die im Schlosse wohnte, ein improvisiertes Mahl: der Dauphin saß bis spät im Saal beim Spiel. Auf dem Wege zu seinem Schlafgemach trat er bei den Prinzessinnen ein und fand sie Pfeifen rauchend, die sie sich bei der Schweizerwache hatten holen lassen. Der Dauphin, der die Folgen voraussah, wenn der Tabaksqualm durch das Schloß zog, veranlaßte sie, diese Tätigkeit einzustellen, aber der Rauch hatte sie bereits verraten. Der König wusch ihnen am andern Morgen gehörig den Kopf, worüber die Prinzessin von Conti triumphierte.
Die Zerwürfnisse wurden indessen immer häufiger, und der König, der gehofft hatte, sie würden von selbst aufhören, verlor endlich die Geduld, und als die Prinzessinnen eines Abends in Versailles nach der Abendtafel in seinem Kabinett waren, machte er ihnen darüber sehr ernste Vorhaltungen und schloß mit der Versicherung, wenn er noch weiter davon reden höre, werde er sie für lange Zeit auf ihre Landsitze schicken. Die Drohung wirkte; Ruhe und Anstand kehrten zurück und ersetzten die Freundschaft.
Der neue Erzbischof von Cambray freute sich unterdessen über seine Erfolge bei Frau von Maintenon. Die gute Stütze, die er in ihr fand, berechtigte ihn zu großen Hoffnungen, er glaubte diese jedoch nur dann mit Sicherheit in ihrem ganzen Umfange verwirklichen zu können, wenn er sich der vollen und ausschließlichen Herrschaft über ihren Geist bemächtige. Nun war aber der Bischof Godet von Chartres auf das engste mit ihr befreundet; er war der einzige Beichtvater von Saint-Cyr, das zu seiner Diözese gehörte, und außerdem der Gewissensrat Frau von Maintenons: sein Lebenswandel, seine Frömmigkeit, die Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten, alles war untadelhaft. Er machte nur kurze und seltene Reisen nach Paris, wo er im Seminar von Saint-Sulpice wohnte, und zeigte sich noch seltener bei Hofe, wo er stets wie ein Blitz auftauchte. Frau von Maintenon sah er bei diesen Gelegenheiten lange und häufig in Saint-Cyr und erreichte im übrigen durch seine Briefe alles, was er wollte. Es war also ein ernster Gegner, den es hier aus dem Felde zu schlagen galt. So fest verankert sein Einfluß aber auch war, so fühlte Fénelon sich doch durch sein schulfuchsmäßiges Aussehen beruhigt. Er hatte ein langes, unreines, hageres, ganz sulpizisches Gesicht, ein simples Wesen und eine einfältige Miene. Seinen Verkehr bildeten nur niedere Priester. Fénelon, der ihn danach und nach seinem Äußeren einschätzte, hielt ihn für einen Mann ohne Welt, ohne Talente, von wenig Geist und beschränktem Wissen, der nur, weil Saint-Cyr zufällig in seiner Diözese lag, zu seiner Stellung gelangt wäre, für einen Mann, der ganz in der Ausübung seiner Funktionen aufginge und ohne andere Stütze und andere einflußreiche Bekanntschaft sei. Er zweifelte daher nicht, daß er ihm bald durch den neuen Mystizismus der Frau Guyon, an dem Frau von Maintenon bereits so großes Gefallen fand, das Wasser würde abgraben können. Es war ihm wohl bekannt, daß sie nicht unempfänglich sei für Neuheiten aller Art, und so hoffte er auch den Bischof von Chartres zu stürzen, dessen Unwissenheit Frau von Maintenon schließlich merken und verachten würde, um dann nur noch durch seine – Fénelons – Augen zu sehen.
Um zu diesem Ziele zu gelangen, suchte er Frau von Maintenon zu überreden, Frau Guyon in Saint-Cyr zuzulassen, wo sie Zeit hätte, sie zu sehen und ganz anders zu prüfen, als während der seltenen und kurzen Nachmittage im Hôtel Chevreuse oder Beauvillier. Er hatte Erfolg. Madame Guyon ging zwei- oder dreimal nach Saint-Cyr. Dann forderte sie Frau von Maintenon, die immer mehr Gefallen an ihr fand, auf, dort zu übernachten, und von Mal zu Mal – die Besuche erfolgten dicht hintereinander – verlängerte sich ihr Aufenthalt. Nach ihrem eigenen Geständnisse suchte sie sich dort Personen, die geeignet wären, ihre Jünger zu werden, und fand sie auch. Bald bildete sich in Saint-Cyr eine kleine, ganz abgesonderte Herde, deren Maximen und mystische Sprache dem ganzen übrigen Hause sehr fremdartig und bald auch dem Bischof von Chartres höchst sonderbar vorkamen. Dieser Prälat war nichts weniger als das, was der Erzbischof von Cambray sich eingebildet hatte. Er war sehr gelehrt und vor allem ein gründlicher Theologe. Damit verband er einen nicht geringen Geist, Milde, Festigkeit, selbst ein gewinnendes Wesen. Was aber bei einem Manne, der in seinem Handwerk groß geworden und nie aus dessen Bannkreis herausgetreten war, am meisten überraschte, war die Gewandtheit, mit der er sich bei Hofe wie in der Gesellschaft benahm. Selbst die feinsten Höflinge hätten Mühe gehabt, es ihm darin nachzutun, und hätten von ihm lernen können. Dieses Talent war aber für die andern nicht sichtbar, da er sich seiner nur bediente, wenn es wirklich notwendig war. Seine Uneigennützigkeit, seine Frömmigkeit, seine seltene Rechtschaffenheit schränkten die Gelegenheit dazu auf ein Minimum ein, und die Freundschaft Frau von Maintenons machte seine Anwendung überhaupt unnötig.
Sobald er Wind von dieser fremden Lehre bekam, sorgte er dafür, daß zwei Damen aus Saint-Cyr in der Anstalt zugelassen würden, auf deren Gesinnung und Urteil er zählen, und die auch auf Frau von Maintenon Eindruck machen konnten. Seine Wahl fiel auf zwei, die ihm vollkommen ergeben waren, und er gab ihnen genaue Verhaltungsmaßregeln. Diese neuen Proselyten schienen zuerst entzückt und nach und nach bezaubert. Sie schlossen sich mehr als irgendeine andere an ihre neue Gewissensleiterin an, welche ihren Verstand und ihr Ansehen im Hause erkannte und sich zu einer Eroberung beglückwünschte, die ihr die Ausführung einer andern, nach der sie strebte, erleichtern würde. Sie ließ es sich daher angelegen sein, die jungen Damen ganz zu gewinnen, machte sie zu ihren Lieblingsschülerinnen und erschloß sich ihnen, als den Fähigsten, die aus ihrer Lehre wirklich Nutzen ziehen und ihr im Hause Anhängerinnen verschaffen könnten. Sie und der Erzbischof von Cambray, den sie von allen ihren Fortschritten unterrichtete, triumphierten, und die kleine Herde frohlockte.
Der Bischof von Chartres, mit dessen Zustimmung Frau Guyon nach Saint-Cyr gekommen und in der Anstalt externe Lehrerin geworden war, ließ sie ganz gewähren. Er behielt sie aber im Auge, und seine Getreuen erstatteten ihm genau von allem Bericht, was sie an Lehren und Andachtsübungen lernten. Er unterrichtete sich genau von allem, prüfte es sorgfältig, und als er glaubte, es sei an der Zeit, brach er los.
Frau von Maintenon war aufs höchste betroffen über alles, was er ihr über diese neue Schule mitteilte, und noch mehr über das, was er ihr durch den Mund und die Aufzeichnungen seiner beiden Vertrauten bewies. Frau von Maintenon forschte noch andere Schülerinnen aus und ersah aus ihren Antworten, daß sie, mochten sie nun mehr oder minder eingeweiht und mehr oder minder des Vertrauens ihrer neuen Lehrerin teilhaftig sein, doch alle demselben Ziele zustrebten, und daß dieses Ziel und der Weg zu ihm höchst seltsam waren. Ihre Verlegenheit war nicht gering, und bald gesellten sich schwere Gewissensskrupel dazu. Sie entschloß sich, mit dem Erzbischof von Cambray zu sprechen. Dieser aber, der nicht ahnte, daß sie so genau unterrichtet sei, verwickelte sich und vermehrte den Verdacht. Plötzlich wurde Frau Guyon aus Saint-Cyr ausgewiesen, und man war dort nur noch darauf bedacht, auch die leisesten Spuren ihrer Lehre zu verwischen. Das machte keine geringe Mühe, denn sie hatte einige Schülerinnen bestrickt und vollkommen an sich und ihre Lehre gefesselt. Diesen Umstand benutzte der Bischof von Chartres, um die Gefährlichkeit dieses Giftes ins rechte Licht zu setzen und den Erzbischof von Cambray höchst verdächtig erscheinen zu lassen.
Eine so große und so unerwartete Niederlage betäubte Fénelon, warf ihn jedoch nicht nieder. Er half sich mit Geist, mit mystischen Autoritäten, mit Festigkeit in seinen Vorsätzen. Seine hauptsächlichsten Freunde stützten ihn. Frau Guyon kehrte am 9. Juli 1695 nach Paris zurück und wurde erst in den letzten Dezembertagen ausfindig gemacht. Sie wurde nicht in die Bastille, sondern nach Vincennes gebracht, wie Saint-Simon weiter unten selbst sagt.
Zufrieden damit, daß er sich in dem Geiste und Vertrauen Frau von Maintenons wieder vollkommen gefestigt hatte, wollte der Bischof von Chartres einen Mann, der so einflußreiche Freunde hatte, nicht gleich so heftig angreifen. Sein Beichtkind aber war verstimmt, daß es an den Rand des Abgrundes geführt worden war, und wurde gegen den Erzbischof von Cambray immer kühler und gegen Frau Guyon immer aufgebrachter.
Man brachte in Erfahrung, daß diese in Paris fortfuhr, heimlich Besuche zu empfangen und verbot es ihr bei so hoher Strafe, daß sie sich noch mehr verbarg. Sie konnte es jedoch nicht lassen, insgeheim weiter zu lehren, und ihre kleine Herde ebensowenig, sich truppweise und an verschiedenen Orten um sie zu versammeln. Man kam bald hinter dieses Verhalten, und die Folge war der Befehl, Paris zu verlassen. Sie gehorchte, unmittelbar darauf aber verbarg sie sich in einem kleinen unscheinbaren Hause der Vorstadt Saint-Antoine. Die scharfe Aufmerksamkeit, mit der man ihre Schritte beobachtete, legte, da man sie nirgends ausfindig machen konnte, die Vermutung nahe, sie möchte wieder nach Paris zurückgekehrt sein, und nach langen Nachforschungen richtete sich der Verdacht auf ein bestimmtes Haus, dessen Türe sich nach den Berichten der Nachbarn nur öffnete, wenn gewisse geheimnisvolle Zeremonien beobachtet wurden. Man wollte sich Gewißheit verschaffen. Einer Magd, die mit Brot und Gemüse zurückkehrte, folgte man so dicht und so geschickt auf dem Fuße, daß man mit ihr zugleich ins Haus trat. Frau Guyon wurde gefunden und auf der Stelle in die Bastille geführt. Es erging der Befehl, sie dort gut zu behandeln, zugleich aber das strengste Verbot, jemand zu ihr zu lassen und zuzugeben, daß sie Briefe schreibe oder empfange. Das war ein Blitzschlag für den Erzbischof von Cambray, für seine Freunde und für die kleine Herde, die sich infolgedessen nur um so öfter versammelte.
Die Folgen dieser Affäre überdauerten das Jahr 1696. Es ist besser, hier abzubrechen und zur gegebenen Zeit darauf zurückzukommen.