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Einleitung.

Wenn ich in langen dunklen, Nächten schlaflos lag, den starren Blick unablässig auf die Vergangenheit gerichtet, nahten sich mir Gestalten, Gräber öffneten sich und Schatten stiegen auf. Wie sie mehr und mehr in den Lichtkreis der Erinnerung traten, erkannte ich sie wieder, die Lebenden und die Toten, die mir einst nahe gestanden in Liebe oder Leid. Das müde Herz erwachte und folgte mit neugierigem Interesse den Bildern, die sich vor mir aufrollten. Wie auf ein fremdes blickte ich auf mein eigenes Leben, und wie ein fremdes erzählte ich es mir.

Voll Spannung hörte ich mir zu: War's so? War's wirklich so? Bin ich es, die diesen Weg gegangen, diesen langen mühevollen Weg? Und wie kommt es, daß ich noch lebe, daß ich nicht verblutete an all den Wunden, die mir das Leben geschlagen?

Und dann dachte ich, ich will es auch anderen erzählen, schlicht und wahr, wie ich es mir selbst erzählte, nicht nur weil es mir erzählenswert erschien, sondern auch weil ich mich davon befreien mußte.

Aber da kamen mir Bedenken: wer wird mir das glauben?

Viele werden mir nicht glauben – wenige aber werden es.

Für diese, die großen und vornehmen Herzen, will ich mein Buch schreiben. Es wird ihnen meine Klagen bringen und meine Grüße, und sie werden mit mir sein im Geiste.

Jahre vergingen. Ich wartete. Es sollte voller Friede in der Seele sein, damit auch keine Spur von Haß und Rache in das Buch käme.

Dann ging ich an die Arbeit.

Fast zu Schweres hatte ich mir aufgebürdet. Eine nach der anderen öffneten sich die kaum vernarbten Wunden, und wenn je ein Buch in Schmerz und Qual geschrieben wurde, so ist es »Meine Lebensbeichte«.

Was ich erwartete, traf ein. Viele sagten, es sei nicht wahr, andere, es sei rücksichtslos; auch hätte ich die Ehre des Vaters um des Sohnes willen schonen sollen.

Ja, es ist wahr, – doch es ist nicht die ganze Wahrheit. Ich wollte schonen – meine Gegner verstanden nicht, sie meinten darin eine Handhabe zu finden, mich anzugreifen. So zwingt man mich auch das Letzte zu sagen.

Das Letzte? Nein. Es wäre zu viel des Abscheulichen.

Vor mir liegen Blätter von Sacher-Masochs eigener Hand, die sein Vergehen an mir eingestehen, eine schmachvolle Verurteilung und das eventuelle Strafmaß erwägen ... ein anderes Blatt, das dunkelste aus seinem Leben, bedecke ich mit meinen Händen, um nicht zu lesen, was dort steht ... um nicht in Versuchung zu geraten, dieses Furchtbare ans Licht zu ziehen. (Möge mir die Unschuldig-Mitschuldige an dem Verbrechen, das da begangen wurde, dafür wenigstens dankbar sein.)

Ich habe von jenen grausigen Dingen in »Meiner Lebensbeichte« nur so viel erzählt, wie zum Verständnis meines Schicksals nötig war. Das soll auch weiter so bleiben; doch werde ich die darauf bezüglichen Papiere bei meinem Notar und Rechtsanwalt hinterlegen für den Fall, als nach meinem Tode die Verleumdung nochmals das Haupt erheben sollte.

Ich will zu meinem Buche zurückkehren.

Ja, es ist rücksichtslos, doch nicht mehr gegen andere, als gegen mich selbst – und mit Rücksichten schreibt man keine Wahrheiten, ich aber wollte ein wahres Buch schreiben.

Menschenschicksale sind die Lehrbücher kommender Generationen; wer die Wahrheit verschleiert, fälscht sie und hindert die Menschheit am Erkennen des Lebens. So denke ich über Memoirenliteratur.

Und die Ehre des Vaters!

Vererbt sich die Ehre etwa wie ein Hofgut? Ist sie nicht ein Besitz, den sich jeder selbst erwerben muß? Ist der Vater ein Schurke, kann der Sohn nicht doch ein Ehrenmann sein, und umgekehrt?

Ich würde es aufrichtig bedauern, wenn je die Ehre meines Sohnes mit der seines Vaters verwechselt würde.

Doch eins will ich jenen vielen gern zugestehen: Was ich erlebt, was mein Schicksal war – ich trug es in mir und alle Schuld ist mein.

 

Ich lebte im Ausland ohne allen Verkehr nur meiner Arbeit, der Sorge, für mich und mein Kind Existenzmittel zu schaffen. Da sandten mir von Zeit zu Zeit mildtätige Menschen Zeitungsblätter zu, die schmähende Artikel über mich enthielten.

Ich wollte auf Grund nachweisbarer Tatsachen berichtigen: keins der Blätter nahm meine Berichtigung auf. Da ich weder Geld noch Freunde hatte, um mein Recht durchzusetzen, die Anschuldigungen der Welt gegenüber also schweigend hinnahm, war ich für sie auch die Schuldige.

Dann hörte ich, daß man in meinem Namen in österreichischen Zeitungen – in Österreich bin ich die legitime Witwe Sacher-Masochs – bettelte, und daß Frau Berta [!] v. Suttner – die als Österreicherin und Katholikin, wie als Freundin Sacher-Masochs und der Hulda Meister, die Verhältnisse sehr gut kannte – öffentlich für diesen Bettel eintrat.

Da die Meister, laut der mir von dem deutschen Konsulat in Paris zugegangenen Abschrift ihres Testaments, ein schuldenfreies Landgut in Lindheim (Hessen), ein Depot bei der Frankfurter Bank und ein solches bei dem Bankier Emden in Frankfurt hat, war ich berechtigt in der inszenierten Bettelei eine absichtliche Irreführung des Publikums zu sehen.

Wieder sandte ich Berichtigungen an die Blätter – und wieder nahm man keine Notiz davon.

Nach und nach verlor ich auf mir unerklärliche Weise die wenigen Verbindungen, die ich mit deutschen Zeitungen hatte.

Das war ärger, denn es war das Brot, das man mir vom Munde nahm.

Eine schleichende Bosheit untergrub mein Leben.

 

Kurz nachdem »Meine Lebensbeichte« erschienen, schrieben mir meine Verleger, sie hielten mein Werk für eine Entgegnung und Abwehr der schmachvollen und maßlosen Beschimpfungen, die Freiherr von Schlichtegroll in seinem Buche, über mich ausgoß.

Welches Buch? Ich wußte von nichts.

Das glaubte man mir in Berlin nicht. Ich sollte davon nichts wissen!

Die Herren sandten mir »Sacher-Masoch und der Masochismus«.

»Eine literarische Studie« nennt der Verfasser diese Broschüre und mit Recht – es gibt eine solche Literatur und auch Leute, die sie eifrig studieren.

Kaum war »Meine Lebensbeichte« erschienen, kündigte Herr Schlichtegroll auch schon wieder ein neues Werk über mich an.

So viel Anhänglichkeit konnte mich rühren.

Ich las auch diese Schrift.

Ein schmutziges Buch aus einem schmutzigen Geist entstanden.

Es gibt Gegner, mit welchen man nicht kämpfen kann – dieser »Freiherr« ist ein solcher.

Ich werde ihm die Freude an seiner Literatur nicht schmälern und ihn nur dort zurechtweisen, wo er sich an den Tatsachen gar zu grob vergreift.

Die unanfechtbaren Dokumente.

So nannte Frau Gabriele Reuter im »Tag« das angebliche Tagebuch Sacher-Masochs und dessen Briefe, die Herrn Schlichtegroll als Material zu seiner Schmähschrift gegen mich dienten.

Das Tagebuch Sacher-Masochs!

Es wurde eigens zu dem Zweck geschrieben, um gegen mich veröffentlicht zu werden, – da mußte es auch in dem beabsichtigten Sinne abgefaßt sein.

In mehr als einem seiner Briefe drohte mir Sacher-Masoch, wenn ich mich nicht seinem Willen füge, ein Tagebuch zu – veröffentlichen, das mich vernichten sollte.

Warum Frau G. Reuter in die Glaubwürdigkeit Herrn Schlichtegrolls mehr Vertrauen setzt als in meine, mag sie wissen.

Vor allem versucht der Verfasser jener Schrift durch Verstellen des Datums und durch Berichten nebensächlicher Dinge den Glauben zu erwecken, als wüßte er die Dinge besser als ich. Ein Beispiel:

Auf Seite 162 korrigieren mich die unanfechtbaren Dokumente dahin, daß sie behaupten, die Wochenschrift, die Sacher-Masoch in Budapest herausgab, habe nicht den Titel »Belletristische Blätter«, aber »Blätter für literarische Unterhaltung« geführt.

Zufällig habe ich noch den »Kopf« jener Wochenschrift zur Hand, den ich hier wiedergebe.

bild

Seite 191.

Hier sagt Herr Schlichtegroll: »Sacher-Masoch schrieb an seinen Bruder Karl und legte ihm klar, wie alles gekommen. (Sacher-Masoch war, wie ich in »Meiner Lebensbeichte« erzähle, mit unserem älteren Knaben Sascha heimlich nach Lindau gereist.) Er bat, er möge sich nach Leipzig begeben, dort seine Interessen wahrnehmen und alles auflösen. Und Karl kam. Er besuchte Hulda Meister, besuchte den Verleger, besprach sich mit Armand, er erwies sogar Wanda die Ehre zu ihr zu gehen.«

Die Wahrheit ist, daß Sacher-Masoch von der Reise seines Bruders nach Leipzig erst erfuhr, als dieser bereits da eingetroffen war; nicht er, aber ich habe ihn berufen, wie das folgende Faksimile beweist.

»Graz, 29. 6. 1882.

Liebe Wanda!

Zum zweitenmal in der Nacht erhalte ich Deine Telegramme, welche mich – in die größte Aufregung, versetzten. Du kennst meine Liebe zu Leopold und so schwer es mir in jeder Richtung gewesen wäre, würde ich, wenn es seiner Gesundheit nach der Ansicht von Sachverständigen gälte, sofort abgereist sein. Allein aus Deinen Telegrammen werde ich nicht klar; ich weiß nicht einmal, ob Leopold davon Kenntnis hat, und deshalb richte ich diesen Brief, um Dich nicht vielleicht vor ihm zu kompromittieren, an Dich.

Es ist mir unverständlich, wie in einer Ehrenangelegenheit meine persönliche Anwesenheit erforderlich sein soll, da, wenn es auf meinen Rat ankommt, dieser ja auch brieflich, wie jede andre Hilfe, wenn sie mir überhaupt möglich ist, geleistet werden kann. Leopold wird übrigens auch einen Freund in Leipzig haben, der ihm an der Seite stehen wird, wobei ich selbstverständlich nicht annehmen kann, daß Leopold in seinen alten Tagen noch Ehrenhändel im früheren Sinne ausgleichen will.

Ich kann mich, liebe Wanda, ohne zwingenden Grund nicht plötzlich von Graz entfernen, da ich keinen geeigneten Stellvertreter in meiner Kanzlei besitze, und die mir anvertrauten, meist sehr wichtigen Geschäfte nicht im Stich lassen kann. Auch einem Freund kann ich über Nacht, vielleicht auf unbestimmte Zeit, die Leitung meiner Kanzlei nicht überlassen, da hierzu mehrere Tage Vorbereitung gehören. Du wirst einsehen, daß ich meine, noch immer sehr kranke Frau nicht ohne zu wissen warum, plötzlich verlassen, eine Reise von fast eintägiger ununterbrochener Dauer antreten und den dazu erforderlichen großen Geldbetrag ausgeben kann, ohne zu wissen warum? Auch stehe ich mit 1. Juli vor einem halbjährigen Geschäftsabschlusse, der mindestens einige Tage erfordert und ohne größten Schaden für mich nicht aufgehoben werden kann.

Teile mir also umgehend genau brieflich die Sachlage mit, da es nichts gibt, was auf diesem Wege nicht mitgeteilt werden kann. Was Diskretion betrifft, so kann ich Dir die Versicherung geben, daß von wirklich kompromittierenden Angelegenheiten nicht einmal meine Frau (also kein Mensch) etwas erfahren soll, da mir Leopold zu hoch steht, um ihn preiszugeben.

Haltet die Angelegenheit so lange auf, bis ich alles genau weiß.

Mit besten Grüßen

Dein Schwager
Karl.«

Ich sandte ihm keine weiteren Erklärungen, aber 500 Mark und er kam.

Da er auch mein Gast war, konnte er nicht gut anders, als mir die »Ehre« antun, zu mir zu gehen.

Ein Wort über Seite 163.

Hier ergehen sich Herr Schlichtegroll und seine Mitarbeiterin in ihrem Judenhaß.

Ist es nicht seltsam, daß ein Antisemit zur »Ehrenrettung« Sacher-Masochs des »Juden«, wie ihn diese Herren beharrlich nannten, Bücher schreibt? Noch erstaunlicher aber ist es, daß die Meister in dasselbe Horn bläst, sie, die »Edle«, die so sehr danach geizt, als Gattin und Witwe Sacher-Masochs zu gelten, des Schriftstellers, der so viel für die Juden schrieb, der eine Vorliebe für sie hatte, der unter ihnen treue und wertvolle Freunde gefunden, Freunde, die ihn auch dann nicht fallen ließen, als ihnen schon mehr als eine Ahnung aufgegangen sein mochte, daß der Mann das Interesse, das sie ihm entgegenbrachten, nicht wert ist.

 

Seite 207 seines Buches sagt Herr Schlichtegroll:

»Nach ihrem letzten Leipziger Debüt, nach dem, wie sie sich an Alexanders Sterbelager betragen, war es mit Sachers Geduld definitiv vorbei.

Er leitete die Scheidung ein.«

Hier »irrt« sich Herr Schlichtegroll um beinahe zwei Jahre.

Etwa drei Monate nach Alexanders Tode reiste ich wieder nach Leipzig. – Ich wollte das Grab sehen und einen Stein darauf setzen lassen. Ich wünschte das mit Sacher-Masoch zusammen zu tun, und so trafen wir uns an dem Tage nach meiner Ankunft auf dem Wege nach dem Kirchhof.

Ohne Erinnerung für das Vergangene, ohne Bitterkeit im Herzen, ganz in dem Gefühl zermalmenden Schmerzes, der uns einigte, knieten wir am Grabe unsres Kindes und küßten die Erde, unter der es schlief.

Und wie hätte ich dem gebeugten Vater an meiner Seite nicht verzeihen, nicht Mitleid mit ihm haben sollen, da ich mich doch selbst so schuldig fühlte, so tief bereute!

Wie armselig kam mir vor diesem kleinen Grabe mein Hochmut vor, der nicht mehr tragen wollte, was ihm das Schicksal auferlegte, der selbstsüchtige Stolz, der sich nicht mehr beugen wollte ... die Bürde abwarf ... den Mann zu treffen glaubte ... und das Kind tötete.

Jetzt, in der schmerzenden Spannung dieser Stunde, fühlte ich das Verlangen, mich zu demütigen, das Kreuz wieder auf mich zu nehmen, den Mann im Staube um Vergebung zu bitten für alles, was er mir getan.

Noch denselben Tag reiste ich wieder ab.

Ich saß bereits im Waggon, als Sacher-Masoch auf das Trittbrett stieg, sich hereinneigte, seine Hand auf meine legte und sagte:

»Und vergiß nie, was wir uns gelobt: nur in der Erinnerung an ihn wollen wir von nun an leben, nur in dem Gedanken an ihn arbeiten und sterben und ihm auf diese Weise im Herzen der Menschen ein Denkmal setzen.«

Wir weinten beide.

So schieden wir.

 

Es gibt Schmerzen, die die Zeit heilt, und andere, die keine Ewigkeit zu lindern vermag. – Wie gewisse Wunden, von welchen das Volk sagt, wenn sie zuheilen stirbt man, so ist es mit diesen Schmerzen; nur der Tod befreit uns von ihnen.

Kalt und ruhig stehe ich heute dem Leben gegenüber, dessen Wellen und Wogen mich kaum mehr erreichen können, nur wenn der Blick nach rückwärts wandert zu jenem kleinen Grabe, das alles einschließt, was mir als Höchstes an Glück und Schmerz zuteil wurde, werden die tränenmüden Augen wieder feucht.

 

Während nach Herrn Schlichtegroll Sacher-Masoch bereits die Scheidung eingeleitet haben soll, schrieb mir dieser:

»Liebe Wanda!

Der Stein war schon in den letzten Tagen des August gesetzt, ich habe aber die Inschrift noch einfacher machen lassen, nur: Alexander – 7. September 1874-6. März 1884. An seinem Geburtstage war ich früh auf dem Kirchhofe und habe ihm Blumen und Kränze gebracht, das Grab war ganz damit bedeckt. Dann war ich den ganzen Tag allein zu Hause, niemand eingelassen, ich sah die Schriften durch, die ich von ihm habe, sein Tagebuch, seine Briefe, und dann schrieb ich eine Skizze: ›Die letzten Freunde‹ ihm zur Totenfeier.

Sie wird im November-Heft (von ›Auf der Höhe‹) erscheinen.

Ich hoffe, das Denkmal, das ich ihm setze, wird dauerhafter sein, als das von Stein.

Ich glaube Dir, daß Du es ehrlich meinst und möchte schon deshalb in Deiner Nähe leben, weil Du die Einzige bist, die mein Gefühl für Alexander begreift, und mit der ich von ihm sprechen kann; aber sobald wird das nicht sein können. Jetzt kann ich mich nicht rühren, ich weiß oft nicht, wovon wir den nächsten Tag leben sollen, dann kommen wieder ein paar Mark ein und es geht wieder weiter, aber unternehmen kann man in einer solchen Lage absolut nichts.

Küsse Mitschi von mir.

Mit herzlichen Grüßen
Leopold.«

Im Juli 1885 schrieb er mir:

»Eben kommt Dein Brief von Diessen. Ich freue mich, daß Du mit Mitschi in einer schönen gesunden Gegend bist. Ich käme gern, aber immer ist das Geld im Spiel, Du weißt ja nicht, wie ärmlich ich oft gelebt habe, was für Sorgen ich habe. Ich möchte das Kind gern von Zeit zu Zeit sehen, aber ich will kein Kind um mich haben. Jede Liebe, die ich jemand anderm zuwende, erscheint mir als eine Sünde an dem Wesen, das mich so geliebt, das alles für mich ertragen hat, heiter, geduldig und das für mich gestorben ist.

Ich hatte die Idee, mich ganz von der Welt zurückzuziehen und in ein Kloster zu gehen. Aber dann dürfte ich nichts für mich verdienen und könnte nicht für Euch sorgen. Daran ist diese Idee gescheitert.

Ich will niemand mehr lieben als ihn. Wenn ich allein bin im Walde oder abends in meinem Zimmer, ist er um mich und ich führe lange Gespräche mit ihm. Mehr brauche ich nicht.

Lies einmal die ›Letzten Freunde‹, dann wirst Du mich verstehen.

Mit herzlichen Grüßen
Leopold.«

In der Zeit, da Sacher-Masoch mir solche Briefe schrieb, hatte ihm Hulda Meister bereits ein Kind geboren und bestand der Plan, sich in Lindheim mit ihr niederzulassen.

Noch liegen mir genug Sacher-Masochs Geist charakterisierende Schriftstücke vor, allein ich glaube, daß das Gebotene hinreicht, um die »Unanfechtbarkeit« jener Dokumente zu illustrieren.

Mag es damit genug sein.

Wenn nicht Worte, aber Handlungen das Charakterbild eines Menschen geben, ist Sacher-Masoch gerichtet.

Die kleine Biene.

Herr Schlichtegroll erzählt in seinem Buche, wie Hulda Meister in Lindheim von ihrer Umgebung und ihren Freunden so genannt wurde – wohl deshalb, weil sie wie die Biene, die aus allen Blumen Honig saugt, immer emsig dabei war – und noch heute dabei ist aus allen Taschen und mit allen Mitteln Geld zu ziehen.

Unterstützt wurde sie darin von einer in solchen Dingen erfahrenen Freundin: Frau Berta [!] v. Suttner.

Kurz vor Sacher-Masochs Tode hatte Frau v. Suttner den Einfall Wie skrupellos diese Frau ihre »Einfälle« vor das Publikum bringt, wenn irgend eine Geldquelle damit eröffnet werden kann, hat sie in ihrer in Stockholm gehaltenen Rede, als sie sich dort für den Nobelpreis bedankte, in geradezu verblüffender Weise gezeigt; sie betonte da nämlich sehr eindringlich, wie großen Einfluß sie auf Nobel hatte, was wohl so verstanden werden sollte, als ob die Welt seine Friedensideen und die große Schenkung, die sie zur Folge hatten, nicht eigentlich Nobel, aber ihr zu danken habe.
Das war um so kühner von der Frau, als sie wohl vermuten kann, daß noch Menschen leben, die wissen, welch ein Roman sich einst zwischen der Avenue de Neuilly und der Avenue de Malakoff abgespielt, wie sie zu Nobel, durch ihn zu seinen Friedensideen und dadurch wieder zu Reichtum gelangt ist.
Ich werde darauf an einer anderen Stelle zurückkommen – falls sich nicht doch noch Freunde des großen Toten finden sollten, die ihn vor solchen geistigem Diebstahl zu schützen bereit sind.
, dem Dichter zu seinem sechzigsten Geburtstag eine »Ehrengabe« zu überweisen.

Die Aufforderung, sich daran zu beteiligen, ging durch alle Blätter.

Der Aufruf hatte zwar keinen Erfolg, aber Frau v. Suttner hatte sich der Welt wieder einmal in einer schönen Pose in Erinnerung gebracht – und damit war ihr Zweck an der Sache erreicht.

Einen Erfolg hatte die Bettelei doch.

Ein Herr Negro in Paris schrieb an Frau v. Suttner und bat sie, ihm über die Verhältnisse Sacher-Masochs Näheres mitzuteilen; er habe, sagte er, von einer in Paris verstorbenen österreichischen Dame, aus deren Nachlaß zwei Legate zu vergeben, die immer in Not geratenen oder arbeitsunfähig gewordenen österreichischen Schriftstellern, oder der Witwe und den Waisen eines solchen, zufallen sollten.

Man hätte annehmen können, daß Frau v. Suttner, die, wie ich bereits gesagt, als Österreicherin und Katholikin, wie als Freundin Sacher-Masochs und der Meister, die Verhältnisse genau kannte und wußte, daß die von Sacher-Masoch auf Helgoland (damals noch englisch) geschlossene Ehe mit der Meister, nach österreichischem Recht ungültig ist, wenn nicht anstands-, doch vorsichtshalber Herrn Negro über diese Dinge hätte aufklären müssen, ehe sie für die Weggabe des Legats an die Meister plädierte.

Sie tat es nicht.

Sie tat es um so weniger, als sie sich für einen argen Unterlassungsfehler meinerseits an mir zu rächen hatte. Aber das liegt weit zurück, fällt in meine Pariser Zeit und gehört auch nicht hierher.

Wie warm und geschickt sich Frau v. Suttner ihrer Lindheimer Freunde annahm, beweisen die zwei folgenden Briefe an Herrn Negro.

»Hochgeehrter Herr!

In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens teile ich Ihnen mit, daß der verdienstvolle Schriftsteller Leopold Ritter von Sacher-Masoch (Lindheim, Hessen) in der Tat erwerbsunfähig geworden ist, da er schon seit einigen Jahren halb erblindet und zudem immer leidend ist.

Auch sind seine pekuniären Verhältnisse sehr gedrückte.

Ich glaube wohl, daß die Zuwendung des Legats als Ehrengabe für den Träger eines berühmten Namens, der zugleich im Unglück ist, den Intentionen der Erblasserin entspricht. Es ist für den deutschen Schriftstellerstand sogar ehrenvoller, wenn die bewußte Summe mehr als Huldigung denn als Almosen verwendet wird, und es ist ein glücklicher Zufall, daß die 60jährige Geburtstagsfeier des ebenso berühmten als beklagenswerten Mannes die Gelegenheit bietet, das Legat auf so eklatante Weise und auf eine den Empfänger zugleich beglückende und ehrende Weise auszuzahlen.

Der Geburtstag fällt auf den 27. Jänner. Wenn Sie also im Prinzip einverstanden sind, so bin ich zu weiteren Auskünften über das Komitee, die Zahlstelle usw. gern bereit und zeichne indessen als

Ihre sehr ergebene
Bertha Freiin von Suttner.«

 

»Sehr geehrter Herr!

Ihren freundlichen Brief habe ich erhalten und Herrn S.-M. aufgefordert, das betreffende Gesuch einzusenden. Seine Frau schreibt mir, daß sie es selbst tun müßte, weil der unglückliche Dichter schwer krank daniederliegt.

Ich hoffe, daß die Erkundigungen, die Sie eingezogen haben, zugunsten S.-M.s ausgefallen sind; obwohl ich auch weiß, daß er in deutschen literarischen Kreisen wegen seiner späteren Schriften, die ein etwas gewagtes Genre hatten, nicht überall gut angeschrieben ist. Bei uns ist man viel prüder als in Frankreich (obgleich man die Franzosen sehr gern liest und bewundert), aber Dinge, welche z. B. ein Sylvester, ein Catulle Mendes u. dgl. schreiben, werden hier zwar prüdiert, würden aber einem deutschen Autor zum Verbrechen angerechnet.

Der Ruhm aber, den sich S.-M. mit seinem »Vermächtnis Kains« und seinen polnischen Novellen und vielen anderen erworben hat, bleibt immerdar ein Glanzpunkt des deutschen zeitgenössischen Schrifttums.

Das Bankhaus, welches die Eingänge für das Ehrengeschenk entgegennimmt, ist N. Czyzik, Wien, Stephansplatz.

Übrigens könnte ja der so bedeutende Betrag auch direkt vom Test.-Exekutor an den Erwählten abgehen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Ihre ergebene
Bertha v. Suttner.«

 

Nun tritt die »kleine Biene« selbst auf die Szene. Sie schreibt am 11. Januar 1895 an Herrn Negro, gibt ihm Aufklärung über die Lage in Lindheim, die eine ganz verzweifelte ist, lügt oder schweigt über die Vergangenheit Sacher-Masochs, je nachdem es ihr zweckdienlich scheint, und sagt zum Schluß:

»Und noch eins: Ich bitte, falls dieses Legat meinem Manne, resp. mir und den Kindern zufallen sollte, es in der Form zu tun, in welcher die Frau Baronin Suttner es vorgeschlagen: als Ehrengabe oder daß die Öffentlichkeit nichts davon erfährt

(Da man nicht gut annehmen kann, daß Personen, die Jammerbriefe an Zeitungen schreiben – ein solcher stand in der »Neuen freien Presse« und ging von da in fast alle österreichischen Zeitungen über – und durch ihre Freunde öffentliche Sammlungen einleiten lassen, die ihnen dadurch zufließenden Gelder aus Schamgefühl nur im geheimen empfangen wollen, liegt die Vermutung nahe, daß ich, als die nach österreichischem Gesetz legitime Frau Sacher-Masochs, und dessen einzig legitimer Sohn, mein Sohn, von dem glücklichen Zufall nichts erfahren sollten.

Darin waren die beiden Damen Suttner und Meister einig.)

 

»Lindheim, Oberhessen, 29. Januar 1895.

Hochgeehrter Herr!

Gott gebe, daß Ihr Plan gelinge!

Ja, das wäre eine wirkliche Hilfe!

Denn wenn auch mein Mann noch lebt, so ist, wie Sie aus dem Zeugnis des Arztes sehen, an eine literarische Tätigkeit nicht zu denken, und das bedeutet für uns den Hungertod in absehbarer, leider sehr absehbarer Zeit.

Mein Mann ist Sohn des usw. – – – – – –

Im Jahre 1859 machte er freiwillig den Krieg in Italien, 1864 den in Schleswig-Holstein, 1866 den in Böhmen gegen Preußen mit. Er ist usw.

Die Sammlung zugunsten meines Mannes, veranlaßt durch die Baronin Suttner, hat kein Resultat erfahren.

Gott gebe, daß Ihre Bemühungen Erfolg haben, dann hätten fünf Menschen das Leben gesichert ...«

(Viele Legenden wurden über den Kriegsruhm Sacher-Masochs von Lindheim aus in die Welt gesandt und in vielen Feuilletons zu Geld gemacht. Ganz ergreifend ist eine dieser Legenden, die von einem blutgetränkten Mantel erzählt. Auch Herr Schlichtegroll erwähnt in einem seiner mir gewidmeten Bücher, wie dem mutigen jungen Krieger, von seinem Feldherrn selbst, noch auf dem Schlachtfelde die »Tapferkeitsmedaille« an die Brust geheftet wird.

Nun hat aber Sacher-Masoch niemals beim Militär gedient.

Zweifler können sich mit einer Anfrage beim Kriegsministerium in Wien Gewißheit verschaffen.)

Am 10. September 1892, drei Jahre bevor der »Hungertod« in Lindheim drohte, schrieb Sacher-Masoch an seine Nichte:

»Liebe Irene!

Endlich komme ich dazu, Deinen lieben Brief zu beantworten. Ich hatte in der letzten Zeit noch mehr Kummer und Sorgen als sonst. Plötzlich hat sich jedoch alles zum Guten gewendet. Meine Frau hat nach dem Tode ihres Onkels eine für unsere Verhältnisse namhafte Erbschaft gemacht (80 000 Mark), und wenn das Geld auch langsam hereinkommen wird, so bin ich jetzt wenigstens der drückenden Sorgen um die Zukunft meiner Kinder enthoben ...«

 

»Lindheim, Oberhessen, 7. Februar 1895.

Ah! monsieur, ce que vous me proposez, ce n'est pas la réalité, c'est un conte bleu que vous me faites. Moi, être à l'abri de tous ces soins pécuniaires qui m'ont poursuivie depuis que je suis avec mon mari, être mise en état de donner une bonne éducation à mes enfants, c'est le paradis!

Mais, monsieur, ce n'est pas le toit qu'il me faut, ce sont les moyens pour vivre. Je veux bien travailler, mais quoi? Nous vivons ici à la campagne, pas de chemin de fer, dans une contrée parfaitement solitaire.

J'ai tâché de trouver des traductions à faire, je ne pas réussi. J'ai voulu prendre des pensionaires, la maison que j'habite est trop petite, il me faudrait de quelques milliers de marcs pour l'aggrandire, et je n'en aurais non plus parce que la campagne est trop solitaire et le chemin de fer n'y passe pas.

Faire le commerce? Je n'ai pas la veine pour cela, je suis trop honnête, trop ouverte, et disons-le, trop généreuse pour les pauvres. D'ailleurs, quel commerce pour un pauvre petit village.

Si j'étais seule, je pourrais prendre une situation quelque part, mais avec mes trois petits enfants, qui voudra de moi? Mais si vous, monsieur, vous me donneriez l'occasion de vous être utile et de garder mes enfants en même temps que moi, ah, l'idee est trop belle pour se réaliser!

Être près de Paris, pouvoir donner une bonne éducation à mes enfants, ce serait le comble!

Si vous voyez mes enfants, vous en seriez content. Ils sont beaux, sains, forts, intelligents, gentils et gais comme les pinsons. Je suis sûre, vous rajeunirez en vous associant ces trois jeunesses. Et quant à ma gratitude, je n'ai pas besoin de vous en parler. Ces quelques mots que vous venez de m'adresser, m'ont rendu la foie en un bon Dieu et à la bonté des hommes. C'est une fée bienfaitrice qui descend des cieux.

Mon mari souffre tant que je supplie Dieu de finir bientôt. Lui homme si intelligent, si spirituel, dément, ne sait plus ce qu'il parle.

Mais il a compris aujourd'hui l'immense bienfait que vous voulez nous faire. Il me dit ›Il faut lui écrire quelques mots‹. S'il est capable de le faire, il le fera.

Je m'empresserai donc de copier les documents nécessaires et de vous les envoyer légalisés par le maire de notre village.

Que Dieu vous bénisse! Mme. de Suttner n'a pas réussi à réaliser cette »Ehrengabe« la pauvre femme en est désolée. Et si vos projets échouaient, je vous en remercie quand même.

Tout à vous
Hulda de Sacher-Masoch.«

 

»Lindheim, Oberhessen, 15. Februar 1895.

Hochgeehrter Herr!

Was müssen Sie von mir denken, daß ich Ihnen bisher nicht geantwortet habe, anscheinend wenigstens. Am 6. Februar sandte ich einen Brief an Sie ab, der das Zeugnis des Magistrats zu Graz und das eines Grazer Herrn enthielt.

Am 7. Februar schrieb ich Ihnen einen dankerfüllten Brief, um dann die Zeugnisse abzuschreiben und Ihnen zu senden, da erhielt ich den ersten rekommandierten Brief an Sie aus Paris zurück – ich hatte in der furchtbaren Verwirrung und Aufregung dieser Tage statt Passy – Neuilly geschrieben. Ich weiß nun allerdings nicht, ob mein zweiter Brief an Sie angekommen ist, ein französisch geschriebener. Um nun eine zweite Verzögerung zu vermeiden, habe ich dem Directeur des bureaux de post in Neuilly geschrieben und gebeten, Ihnen den zweiten Brief zuzusenden und die vom Bürgermeister in Lindheim legalisierten Papiere dem deutschen Konsul in Paris mit der Bitte zugeschickt, Ihnen dieselben zu übergeben.

Hoffentlich werden sie diesmal nicht irre gehen.

Que Dieu vous bénisse, monsieur!

Mon mari est très faible, très souffrant, j'espère et je prie Dieu qu'il le délivre bientôt!

Veuillez m'écrire un mot pour savoir que vous pensez encore et que vous vous occupez encore de vous quatre malheureuses.

Tout à vous
Hulda de Sacher-Masoch.«

Brief des Herrn Negro an Hulda Meister:

»Verehrte Frau!

Es freut mich unendlich, daß Sie mein Anerbieten annehmen.

Aber glauben Sie wirklich, daß das Ende des Herrn v. S.-M. schon so nahe bevorsteht? Meinen Sie nicht, daß man ihn noch nach Paris bringen und daß er hier wieder gesund werden könnte? Nun, das alles muß ich ganz Ihrem Ermessen überlassen.

Fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen nur ein Dach anbiete; unter diesem Dache werden Sie alles finden, was Sie und die Ihren zum Leben nötig haben. Das Haus ist fast vollständig möbliert.

Auch ist da ein tüchtiger Gärtner, der Ihren Salon mit Blumen und Ihre Küche mit Gemüsen und Obst versorgen wird.

Wollen Sie mir, meine liebe verehrte Frau, ein Vergnügen machen? Dann senden Sie mir Ihre Photographie. Ich möchte Sie gern, vorläufig, wenigstens im Bilde um mich haben. –

Ich stelle Sie mir als echte Deutsche, blond vor und eher klein als groß, recht zart und fein und sanft. Habe ich recht?

Herr v. S.-M. ist ja ein Kenner von Frauenschönheit, seine Gattin kann nicht anders als in jeder Richtung bedeutend sein.

Ich bin überzeugt, daß Ihr Herr Gemahl recht sehr zu beneiden ist.

Er war wohl Ihre erste und einzige Liebe?

Verzeihen Sie mir all diese indiskreten Fragen und Bemerkungen – möchten Sie daraus nichts anderes ersehen, als den Wunsch, Sie recht bald um mich zu haben.

Ihr ganz ergebener
Negro.«

 

»Lindheim, Oberhessen, 28. Februar 1895.

Hochgeehrter Herr!

Verzeihen Sie, daß ich bisher noch nicht geantwortet habe.

Ihr Brief hat mich überrascht. So viel Interesse für meine Ihnen völlig fremde Person ist mir ganz unfaßbar. Es sieht aus, als ob man sich über mich lustig machen wollte, wie eine Mystifikation.

Verzeihen Sie mir, ich habe ja keine Ursache, Ihnen zu mißtrauen, aber um einen so gewagten Schritt zu tun, müßte ich doch eine Garantie von Ihrer Seite haben. Verschaffen Sie mir jene beiden Legate und wenn auch nur eins, so ist das doch eine greifbare Sache; ich weiß, daß Sie in Wirklichkeit existieren, daß es keine Conte de fée ist, wie ich Ihnen gleich geschrieben habe. Darf ich die Abschriften der Zeugnisse, die mir von Paris zurückgesendet wurden, weil ich falsch adressiert hatte, dem österreichischen Konsul übergeben? Darf er als mein Vertreter handeln? Sind Sie damit einverstanden?

Sie sagen, mein Mann könnte wieder genesen. Wie sehr wünschte ich es! – Wenn mein Mann auch nicht meine erste Liebe gewesen ist, so war er doch die Liebe, für die ich alles gewagt und geopfert habe. Und wenn ich nicht meines Mannes erste Liebe war, so hat er es mir in den letzten Jahren unseres Zusammenlebens oft genug gesagt: »Oh, daß mir noch ein solches Glück am Abend meines Lebens beschieden! Endlich mein Ideal gefunden, nach dem ich mein ganzes Leben gesucht! Warum habe ich Dich nicht 20 Jahre früher kennen gelernt, dann hätten wir doch länger zusammenleben können. Ich fühle es, ich werde nicht lange leben, Du aber mit Deiner ganzen Frische, Elastizität, Jugendlichkeit wirst sehr, sehr alt werden können und doch jung bleiben.«

Unsere Ehe war die glücklichste, die es geben kann, eine wirkliche Musterehe, und Beweis dafür sind unsere schönen, gesunden, prächtigen Kinder. Wenn Sie sie sehen, werden Sie sie lieben.

Ich habe leider keine Photographie, weder von ihnen noch von mir, dazu haben wir kein Geld gehabt. Nur vor zwei Jahren kam ein Photograph aus Straßburg hierher, und der hat mich in verschiedenen Stellungen und in dem Genre, wie es mein Mann liebt, photographiert, für meinen Mann allein mit Pelz und Peitsche. Denn wenn ich auch klein, zierlich und blond bin, so bin ich doch nicht sanft, d. h. ich bin nicht brutal, aber energisch. Und gerade diese Mischung von äußerer Zartheit und geistiger Willenskraft hat auf meinen Mann jenen Reiz ausgeübt, der ihn zu meinen Füßen geführt und ihn dort diese vielen Jahre hindurch gehalten hat.

Manche verliebte Korrespondenz hat er in jener Zeit geführt, aber ich war in jede eingeweiht und habe mich köstlich dabei unterhalten.

Diese Bilder gehören meinem Manne, neue kann ich in meiner jetzigen Lage nicht bezahlen und auch nicht machen lassen, weil ich nicht nach Frankfurt reisen kann. Wie gern hätte ich Ihnen sonst ein Bild geschickt!

Kommen Sie doch hierher. Wir könnten uns sehen und aussprechen. Mein Mann kann unmöglich solche Reise machen, höchstens in ein maison de santé. Schreiben Sie mir bald und sehen Sie zu, daß sich die Sachen bald klären.

Ihre
Hulda v. Sacher-Masoch.«

 

»Verehrte Frau!

Meine zu warm ausgesprochene Teilnahme an der mir so lebhaft geschilderten Notlage ›einer mir gänzlich fremden Person‹ hat mir wieder einmal einen bösen Streich gespielt.

Wenn Sie in meinem Anerbieten einen gewagten Schritt sehen, so wollen wir lieber annehmen, daß er nicht gemacht wurde.

Sie wünschen, daß die Sache schneller fortschreite; warum senden Sie die Papiere nicht, um die ich Sie schon vor mehr als vier Wochen ersucht habe?

Sie schreiben mir, daß Sie dieselben dem deutschen Konsul eingesandt haben – in Ihrem letzten Brief fragen Sie, ob Sie sie dem österreichischen Konsul einsenden sollen. Ich werde daraus nicht klug. Sind Sie Österreicherin oder Deutsche?

Ich habe kein Recht, die Vermittlung dieser Herren zu beanspruchen, da keiner von ihnen mein Konsul ist.

Warum sehen Sie überhaupt in der Zusendung dieser Papiere solche Schwierigkeiten?

Derartige Abschriften sind ja ganz wertlos. Senden Sie dieselben einfach wie Sie die Zeugnisse des Arztes und Bürgermeisters gesandt haben, direkt an mich, und wenn Sie eine Verzögerung vermeiden wollen – ich bin oft von Paris abwesend, auch eben erst von einer Reise zurückgekehrt – uneingeschrieben. Einfache Briefe werden mir von meinen Leuten sofort nachgesandt, rekommandierte aber werden durch die Post weiter befördert, was längere Zeit in Anspruch nimmt.

Auch muß ich Sie bitten, die Adresse genau zu schreiben, sonst werde ich Ihre Briefe überhaupt nicht mehr erhalten.

Ihr ganz ergebener
Negro.

P. S. Ich erfahre soeben von meinen Leuten, daß während meiner Abwesenheit wiederholt Personen da waren, die über mich ›Renseignements‹ verlangten. –

Ich muß annehmen, daß diese in Ihrem Auftrage gekommen sind – bitte Sie aber, derlei Schritte in Zukunft zu unterlassen.«

Es war wohl kühn von der Meister, das österreichische Konsulat in Paris mit ihrer Angelegenheit zu betrauen, aber nicht sehr klug.

Ich hatte in derselben Zeit dort zu tun. Erst glaubten die Herren, ich wäre die »Edle« aus Lindheim und sei nach Paris gekommen, um die Sache mit den Legaten persönlich zu betreiben, und sprachen mit mir darüber.

So erfuhr ich von der Sache.

Ich klärte auf und legitimierte mich.

Darauf brach das Konsulat seine Verbindung mit Lindheim ab.

Auf demselben Weg erfuhr auch Herr Negro von meiner und meines Sohnes Existenz – und auch er stellte seine Korrespondenz mit der Meister ein.

Ich glaube, daß mit dem Angeführten die Leute, die es sich förmlich zum Erwerb gemacht zu haben scheinen, mich zu beschimpfen, genügend gekennzeichnet sind.

Masochismus und Masochisten.

Der Masochismus! Die »interessante« Leidenschaft! Kapazitäten der Medizin, berühmte Psychiater haben sich in ihren Dienst gestellt und erfreuen mit ihren zahllosen Büchern das neugierig aufhorchende Publikum; die Schriftstellerwelt saugt immer wieder neue Schaffenskraft aus ihr; Zeichner und Maler haben ihr Form und Farbe gegeben und Richard Strauß hat sie in Musik gesetzt.

Das muß wohl etwas wahrhaft Großes sein, da es die hervorragenden Geister so sehr beschäftigt, denkt die Jugend und strömt zu, um der neuen Offenbarung zu lauschen – und die Macht der Suggestion feiert Triumphe.

Möge man mir, die zehn Jahre die Gattin des Mannes war, der jener geschlechtlichen Entartung seinen Namen hinterlassen, die dieses entsetzliche Übel in nächster Nähe gesehen, seine verwüstende Wirkung auf Körper und Geist, Familie und soziale Stellung beobachtete, es erdulden mußte und mit allen ihren Lebenshoffnungen daran gescheitert ist – möge man mir erlauben auch ein Wort mitzureden.

Zuerst möchte ich an die Wissenschaft die Frage richten: Hätte sie nicht besser getan, die in nichts »interessante« aber schmachvolle, entwürdigende Leidenschaft in dem Dunkel und der Vergessenheit gelassen zu haben, in der sie von jeher ein vereinsamtes, kümmerliches, schamverhülltes Dasein geführt, anstatt sie, beleuchtet von ihrem Geiste, ans Tageslicht zu ziehen, sie auszuweiten, in allen ihren widerlichen Details zu durchforschen, uns noch widerlichere verraten zu lassen und sie so einem Laien-Publikum als pikante Enthüllungen über sexuelle Vorgänge vorzusetzen?

Mit ihren Forschungen, und nur mit diesen, hat die Wissenschaft der heutigen Generation den Masochismus suggeriert, ihn zu einer Modekrankheit erhoben, die bereits in allen Ländern grassiert und Tausende und Abertausende von jungen Männern dem physischen und geistigen Verfall ausliefert.

Und was ich der Wissenschaft am meisten verarge ist, daß sie sich begnügt, das Übel zu erläutern, es bloßzulegen, ohne ein Wort über seine verderblichen Folgen, ohne Warnungsrufe an die wißbegierige Jugend, ohne festzustellen, daß der Masochismus den Mann zum charakter- und gewissenlosen Schwächling, zum erbärmlichen, verächtlichen Menschen, macht.

Wenn die Wissenschaft nicht helfen kann, dann möge sie doch lieber schweigen – für die große Öffentlichkeit wenigstens.

 

Gewiß hat Sacher-Masoch den Masochismus in die Literatur eingeführt, doch ihm kann man das kaum übelnehmen; er war in seinem innersten Wesen zu sehr Asiate und zu wenig Europäer, um, wie etwa J. J. Rousseau, das Schmachvolle seines Leidens zu erkennen, zu verbergen und zu bekämpfen.

Er wußte nichts davon, daß er es vor allem sich selbst schuldig war, die Frau, die seinen Namen trug, die die Mutter seines Kindes war, von den Ausgeburten seiner unreinen Phantasie fernzuhalten; nichts von dem Stolz und der Scham des Kulturweibes; nichts von der Heiligkeit des Familienlebens – von der ehrfurchtgebietenden Unschuld des Kindes.

Aber wenn auch in seinen Schriften die grausame Frau immer wiederkehrt, epidemisch ist der Masochismus erst durch die Namen der Gelehrten geworden, die ihn immer eifriger zu ihrem Studium heranziehen.

Und die Gelehrten sind es auch, die den Masochismus zu dem gemacht haben, was er heute ist – etwas, an das Sacher-Masoch selbst gewiß nie im Traum gedacht hat.

Denn bei ihm handelte es sich nur um eine herzlose, herrschsüchtige Frau – heute ist das masochistische Ideal, ein schmutziges, scheußliches Ungeheuer.

 

Noch einen anderen Unterschied gibt es zwischen Sacher-Masoch und den Masochisten:

Sacher-Masoch war der Mann seiner Phantasie; was er sich an Qualen und Grausamkeiten von dem Weibe erträumte, sehnte er sich in der Wirklichkeit auch zu erdulden – und erduldete es; während seine Nachfolger nur ihre Einbildung mit grausamen Vorstellungen erhitzen, sich mit der Erzählung abscheulicher Szenen begnügen, und nicht einmal den Versuch wagen würden, ihren Rücken einem Peitschenhiebe auszusetzen.

Sie sind – ich habe keine einzige Ausnahme gefunden – feige, charakterlose, geistig versumpfte Individuen.

 

Für sie ist das Wichtigste die Lektüre – darum das üppige Emporschießen der masochistischen Literatur, von deren Verbreitung sich der unbefangene Leser keine Vorstellung macht.

Es gibt Verleger, die sich nur damit befassen, und Schriftsteller, die nichts anderes schreiben – und es ist immer dasselbe Buch, das diese schreiben und jene verlegen.

Denn das ist das Armselige an den Erscheinungen dieser Literatur, daß sie sich immer in demselben Kreis bewegt – den Kreis, den ihnen Sacher-Masoch durch seine Schriften, die Psychiater und Ärzte durch ihre Studien über die »Krankheit« angezeigt haben, und daß keiner etwas Neues und Originelles darüber zu sagen weiß.

* * *


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