Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wo bleibt da die stille, klare Harmonie des Geistes, das sanfte, tiefselige Genießen der übersinnlichen Schönheit des anderen, die allein ein wahres, unsterbliches Glück gewähren kann?
Wir forschten nicht nach Anatol, wir dachten nicht einmal daran. Leopold hatte alles Interesse an ihm in dem Augenblick verloren, da er in ihm nicht mehr den Griechen sehen konnte. Und dann war unser Leben viel zu bewegt, vielleicht auch häuslich zu glücklich, vor allem zu voll, als daß es für müßige Neugierde Raum gelassen hätte.
Ein Zufall brachte uns nach Jahren beinahe Gewißheit über die Person Anatols.
Im Jahre 1881 verbrachten wir einen Teil des Sommers auf dem Dorfe Heubach in der Umgebung von Passau. Dort lernten wir Dr. Grandauer kennen. Er war Arzt, praktizierte jedoch nicht, war aber am Hoftheater in München als Regisseur angestellt. Er war ein großer Kunstkenner und Forscher, und wir verbrachten viele angenehme Stunden mit dem geist- und gemütvollen Mann.
Eines Tages in einem Gespräch über Kunst erzählte er uns, was alles in den bayrischen Königsschlössern vorhanden ist, kam dabei auf die Kunstrichtung des Königs Ludwig II, von da auf die Seltsamkeiten desselben, die er vom Standpunkt des Arztes beurteilte, sprach von dem Verhältnis des Königs zu Richard Wagner, von ihrem seltsamen Briefwechsel, der Scheu des Königs vor dem Verkehr mit Menschen, seiner Abkehr von den Frauen, dem Suchen der Einsamkeit, dem leidenschaftlichen, nie befriedigten Sehnen nach einer idealeren Ausgestaltung des Lebens.
Wir lauschten gespannt auf alles, was Dr. Grandauer erzählte –, es klang uns so bekannt – wir schauten uns an, und ein Name schwebte auf unseren Lippen: Anatol.
Als der Doktor eine Pause machte, frug ich auf gut Glück:
»Und wer ist der kleine verwachsene Mann, der, wie man erzählt, der Freund des Königs ist?«
»Ach, Sie meinen wohl den Prinzen Alexander von Oranien, den ältesten Sohn des Königs von Holland? Ein armer Schlucker, der.«
Paul!
Wieder nach Jahren, als ich in Paris lebte, verkehrte ich dort mit Personen, die den Bruder des Prinzen von Oranien, den »Prinz Citron«, der in Paris seiner Armut wegen diesen Spottnamen hatte, genau gekannt haben; von diesen erfuhr ich, daß der holländische Thronerbe ein ganz einsames, abgeschiedenes Leben geführt, sich nur mit Kunst und Literatur beschäftigt habe, und einsam, verlassen und vergessen gestorben sei.
Der einsam Verstorbene – Paul – und der königliche Schwärmer, der auf der Suche nach dem Ideal auf Irrwege geraten, die ihn in den Starnberger See geführt haben – Anatol. »Das Leben wird vorübergehen ... was liegt daran, leben oder sterben ...«
Ich machte eine interessante Bekanntschaft; die der Dichterin Margarethe Halm.
Leopold hatte mir schon viel von ihr erzählt, wie er sie durch Briefwechsel kennen gelernt, wie zwischen ihnen von Liebe die Rede war, und wie dann nichts, oder so viel wie nichts daraus geworden. Ich fühlte kein großes Verlangen nach dieser Bekanntschaft; doch seit wir in der Stadt wohnten und Kapf öfter mit Büchern zu ihr geschickt worden war, ließ sie uns durch diesen wiederholt bitten, sie zu besuchen; sie selbst, ließ sie sagen, wäre schon gekommen, aber sie gehe im Winter nicht aus. Ich wollte nicht, daß sie glauben sollte, ich hätte besondere Gründe, sie nicht kennen zu lernen, und so ging ich eines Tages mit Leopold zu ihr.
Margarethe Halm führte ein seltsames Leben: im Sommer ging sie nicht aus, weil es zu heiß, im Herbst, weil es zu kühl, und im Winter, weil es zu kalt war – auch macht die Kälte häßlich. Der »Empfang« fand in ihrem Schlafzimmer statt, das recht eng und in dem das mit weißen Mullvorhängen verhüllte Bett gleichsam die pièce de résistance war. Die kleine rundliche Frau sah trotz ihrer 44 Jahre noch frisch und hübsch genug aus. Sie trug ein schwarzes Samtkleid, das gewiß einmal in seinen jungen Tagen ein Hofkleid gewesen sein mußte, denn es hatte eine ungeheure Schleppe, die sich in dem kleinen Zimmer recht beengt und gar nicht an ihrem Platz fühlen mochte. Ihr schwarzes Haar, das drei Tage in der Woche in Wickeln schmachten mußte, war jetzt frei und »flutete« ihr in graziösen Wellen über den Rücken; darüber hatte sie ein Stück von einem alten weißen Vorhang in der Art gesteckt, wie man es bei Römerinnen auf Bildern sieht; das sah interessant und äußerst stilvoll aus.
Man sprach von Liebe, ein Thema, das die Dichterin wunderbar beherrschte. Sie hatte darüber weltbewegende Ideen, die wir mit Staunen vernahmen. So sagte sie:
»Die Menschheit von heute ist vertiert, es muß ein neues Geschlecht kommen, ein menschlich-göttliches, und das kann nur entstehen durch die Verbindung eines reinen Weibes mit einem reinen Manne. Ich werde die Stammutter dieser neuen Menschheit sein. Mein lieber Sacher, Sie haben keine Ahnung, was für erhabene, göttliche Dinge sich in diesem kleinen Zimmer, in dem Sie jetzt sitzen, erfüllen werden.«
»Oh!« machte Leopold erschüttert.
»Seit zehn Jahren bereite ich mich durch ein reines, entsagungsvolles Leben auf das große Werk vor. Wie Christus in die Wüste gegangen, um sich durch Fasten und Gebet zu reinigen und zu erheben, so habe ich diese zehn Jahre in Keuschheit und geistiger Sammlung gelebt. Eine Wiedergeburt hat sich in mir vollzogen; wie die Jungfrau Maria erwarte ich in heiliger Keuschheit das Erscheinen des reinen Jünglings, der mit mir den ersten Gott-Menschen zeugen wird.«
Ganz überwältigt schaute ich auf die Stammutter des neuen Menschengeschlechts, und auch sie blickte mich mit ihren unruhigen dunklen Augen an. Plötzlich sagte sie zu mir:
»Glauben Sie ... ist Kapf rein?«
»Reinlich, meinen Sie?« frug ich. Sie wandte sich von mir ab und meinem Manne zu.
»Manchmal frage ich mich, ob Kapf der Auserwählte ist? Er sagt zwar, er habe noch keinen Umgang mit Frauen gehabt – und das kann ich beinahe glauben, nach der Art, wie er sich benimmt. Was halten Sie von ihm? Halten Sie ihn für eine göttliche Mission geeignet?«
»O ja«, sagte mein Mann. »So was steckt in ihm.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Na, das sieht doch jeder gleich, daß das kein gewöhnlicher Mensch ist. Einer genialen Frau, wie Sie, wird es leicht gelingen, alles, was in ihm schlummert, zur Reife zu bringen.«
»Ja, nicht wahr?« Sie wurde aber doch etwas nachdenklich.
Dann entwickelte sie uns ihre Pläne über das, was sie »die Menschwerdung des göttlichen Funkens« nannte, und wir kamen aus dem Erstaunen nicht heraus.
Wir bereuten den Besuch nicht; er war lehrreich und brachte uns über manches Aufklärung.
Letzteres betraf Kapf. Mein Mann hatte die Wahrheit gesagt, wenn er zu Frau Halm meinte, jeder müsse Kapf gleich ansehen, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei. Er war es schon seit einiger Zeit nicht mehr. Als der junge Buchhändler von Berlin zu uns kam, sah er in seinem Äußeren ganz vernünftig aus; bald aber änderte sich das. Er ließ sich sein Haar, das er bisher kurz geschnitten getragen, wachsen, bis es ihm, wie bei der Dichterin, über den Rücken »flutete«. Da es aber nicht fein und weich, sondern hart und struppig war, stand es ihm vom Kopfe ab, was ihm ein ebenso lächerliches wie verrücktes Aussehen gab. Er trug nur noch Krawatten von hellen, zarten Farben zu tief ausgeschnittenen Westen und stets eine Blume im Knopfloch.
Als der Sommer kam, fügte er zu diesem Aufputz noch Fächer und Sonnenschirm. Wenn er so angetan, ein winziges Hütchen auf den ungeheuren Haarbusch gedrückt, auf seinen langen Stelzbeinen durch die Straßen wackelte, war er das Entzücken der Gassenbuben, die mit Steinen nach ihm schmissen, und die Freude aller Vorübergehenden.
Dieses Bemühen, sich ein ästhetisches Aussehen zu geben, erklärte sich uns jetzt durch die hohe Aufgabe, die ihm die Stammutter des neuen Menschengeschlechts zugedacht.
Dagegen wurde eine andre Eigentümlichkeit unsres Sekretärs durch seine Beziehungen zur Halm nicht aufgeklärt, ja gerade dadurch noch unklarer.
Kapf war ein Verehrer Schopenhauers und verabscheute die Frauen. Als ehrlicher und mutiger Mann machte er aus seinen Gefühlen für das Geschlecht mit den langen Haaren und dem kurzen Verstand kein Hehl, – und betrug sich danach. Selbstverständlich machte Frau Halm eine Ausnahme von ihr sprach er nur mit angehaltenem Atem und zitternder Verehrung.
Aber da kam das Unverständliche. Er haßte die Weiber, und verehrte Frau Halm – im Zimmer aber, neben dem Fenster, wo sein Tisch stand, hatte er sich eine Ecke eingerichtet, deren Wände dicht und hoch hinauf mit Photographien schöner Knaben bedeckt waren.
Es war, als ob wir aus den Beziehungen zu seltsamen Menschen gar nicht herauskommen sollten.
Ich suchte eine Französin zur Konversation. Unser Buchhändler empfahl mir eine Pariserin, Madame Marie, die dreimal die Woche kam. Sie hatte den echt französischen Typus: klein, lebhaft, graziös, mit gelbem trockenem Gesicht, prachtvollen Augen und dunklen Haaren. Sie war noch jung und stets mit jener ausgesuchten Einfachheit gekleidet, von der nur die Pariserin das Geheimnis kennt.
Wir lasen zusammen französische Romane und besprachen dann das Gelesene. Sie war ohne Bildung. Umso erstaunlicher war es, wie gut sie sich hielt. Ein Geheimnis schien sie zu umgeben. Ich frug sie, wie sie nach Graz gekommen, und sie erzählte mir, daß sie sich während des Kommune-Aufstandes kompromittiert habe, und in Gefahr war, wie so viele Kommunards arretiert und deportiert zu werden, als sie ein deutscher Offizier rettete, dessen Frau sie später wurde. Ihr Mann, ein Adliger, dessen reiche Familie in Dresden wohne, mußte sich von ihr trennen, da er ganz von seiner Familie abhängig sei, diese aber von der Heirat mit der Französin nichts wissen wolle. Und dann sagte sie mir, daß sie seit zwei Jahren mit einem jungen Mädchen, das Verkäuferin in der Parfümerie »Lnyr« sei, zusammen lebe, daß sie sich sehr liebten und sehr glücklich seien. Etwas Warmes, beinahe Leidenschaftliches zitterte in ihrem Ton, als sie das sagte.
Bald merkte ich denselben warmen Ton, wenn sie zu mir sprach, und es wiederholte sich, was ich mit Frau X... in Bruck erlebt hatte. Jetzt aber war ich gewarnt und richtete zwischen ihr und mir gewisse Schranken auf, die sie klug genug war zu respektieren. Dadurch blieb unser Verkehr nicht nur möglich, sondern er bekam auch etwas Belustigendes für mich, denn die kleine Französin war sehr drollig anzuschauen in ihrer Verliebtheit und in dem Zwang, den sie ihrer Lebhaftigkeit antun mußte, um nicht zu viel davon merken zu lassen. Ich zog die Sache ins Scherzhafte, was mir erlaubte, ihr meine Meinung darüber durchblicken zu lassen, worüber sie ganz und gar trostlos zu sein schien.
Plötzlich blieb meine Französin zwei Lektionen weg. Dann kam sie ganz niedergeschlagen und verstört und erzählte mir, ihre Freundin, die wohl gemerkt habe, wie sehr sie mich liebe, habe aus Eifersucht einen Selbstmordversuch gemacht, der sie dem Tode nahe gebracht, sie liege noch schwer krank darnieder und werde wahrscheinlich nie wieder ganz gesund werden. Sie sei nur gekommen, sagte sie, um sich von mir zu verabschieden, denn es täte ihr furchtbar leid um ihre Freundin, die sie doch so sehr liebe, und sie möchte ihr keinen so schweren Kummer mehr machen.
Sie war ganz zerknirscht und sagte das so einfach, so gut und treu, daß ich selbst ganz gerührt wurde und beinahe geneigt war, den beiden ihre seltsame Liebe zu verzeihen.
Noch ehe meine Beziehungen zu Madame Marie so tragisch endeten, hatten wir zwei neue Bekanntschaften ähnlicher Natur gemacht.
Zwei junge Mädchen, die eine Tochter eines hohen Justizbeamten, die andre die eines hohen Militärs, waren damals in Graz wegen der zärtlichen Freundschaft, die sie verband, in aller Munde. Noch während wir in Bruck lebten, hatten wir von ihnen gehört und jetzt trafen wir sie manchmal auf der Straße. Eines Tages schrieben sie an uns und baten, unsre Bekanntschaft machen zu dürfen. Leopold antwortete ihnen sehr freundlich und sie kamen.
Nora, die ältere von den beiden, war groß und stark. An ihrer Art sich zu kleiden sah man, daß sie bemüht war, sich ein männliches Aussehen zu geben, was ihr nicht recht gelang. Ihr reiches blondes Haar, das sie wohl kurz geschnitten trug, ihre vollen schönen Formen ließen keine Täuschung zu.
Die andere, Mignon, war ein Traum, ein lebendig gewordenes Märchen. Sie war viel kleiner als Nora, zart und schön gebaut und voll Anmut. Über dem schlanken, von keinem Mieder eingeengten Leib, über der hohen jungfräulichen Brust, wiegte sich auf zartem Halse ein Kopf mit blassem, stillem, ernstem Gesicht, in dem zwei schöne dunkle Augen sich hinter halbgeschlossenen Lidern bargen. Alles an ihr war gedämpft, zurückgehalten: ein angstvolles Lauschen auf die Rätsel des Lebens.
Ein mächtiges Gefühlsleben schien in dem zarten Körper zu wogen und ihn aufzureiben.
Nora erzählte, ihre beiderseitigen Eltern hätten sie trennen wollen und es auch getan. Darauf erkrankte Mignon schwer. Als die besorgten Eltern ihr Kind dem Tode nahe sahen, baten sie Nora, zu ihrer Freundin zu gehen, die sterbend nach ihr verlangt hatte.
Nora ging – und Mignon wurde gesund.
»Und deshalb«, schloß Nora ihre Erzählung, »gehört sie mir, denn mir verdankt sie ihr Leben.«
Da schlug Mignon ihre schönen Augen ganz auf und sah mit dem tiefen, ernsten Blick einer liebenden Frau und dem sanften glücklichen Lächeln eines Kindes auf die andere, die sie leidenschaftlich an sich zog und küßte.
Aber Nora war in ihrer Liebe nicht treu – vielleicht kam daher die sinnende Trauer in Mignons bleichem Antlitz.
Ein burleskes Drama, das Nora mit Margarethe Halm hatte und das sie uns selbst erzählte, war ein Beweis ihrer Flatterhaftigkeit. Sie hatte die Dichterin kennengelernt und diese mit ihr von ihren Ideen über ein neues Menschengeschlecht gesprochen. Die Stammutter, die es drängte, ihr großes Werk zu erfüllen, hatte sich bald in die Idee verrannt, Nora sei der ihr von Gott gesandte Jüngling, mit dem sie die erlösende Tat vorzunehmen habe. Ich glaube, daß Nora, halb aus Vergnügen an ihrer männlichen Rolle, halb zum Spaß, das Feuer geschürt haben mag, bis es ihr selbst zu heiß dabei wurde, und sie sich bei der armen Närrin nicht mehr blicken ließ.
Aber Nora hatte mit »Auserwählten« noch keine Erfahrungen gemacht, sie wußte noch nicht, wie zäh diese an ihrer »göttlichen Aufgabe« festhalten. Da sie nicht mehr zur Halm ging, kam diese zu ihr.
Eines Tages stürmten die Dienstleute aufgeregt herein und meldeten, eine Hochzeit sei im Hause, ein Hochzeitswagen stehe vor der Türe und die Braut käme eben die Treppen herauf. Man lief hinaus, um die Braut zu sehen, und sah sie auch. Sie stieg die Stufen hinauf – etwas mühselig und schnaufend, aber in schönem weißem Atlaskleid, Schleier und Myrten, einen Korb herrlicher Blumen in der Hand, die sie auf ihren Weg ausstreute.
Wo wird sie hingehen? An welcher Tür wird sie anhalten?
Nora wartete nicht, bis das entschieden war. Ihr ahnte etwas Furchtbares. Sie floh in die entfernteste, dunkelste Ecke der Wohnung, den Dienstleuten einschärfend, man solle sagen, wenn man nach ihr fragen würde, daß sie verreist, sehr weit verreist sei und nicht sobald zurückkommen werde. Draußen aber stand die »Braut« und läutete an der wieder fest verschlossenen Türe. Sie läutete mit einer rührenden Ausdauer. Und da sich unterdes, durch den Hochzeitswagen und die einsam aufsteigende Braut angezogen, noch mehr Hausbewohner eingefunden, hatten sich Treppen und Gänge mit einem Publikum gefüllt, das voll Spannung der Dinge harrte, die da kommen sollten. Endlich öffnete sich die Türe und ein Diener erschien, der die Braut ungeschickt und roh abwies.
Traurig und enttäuscht kehrte die Stammutter heim; und mit der Erneuerung des Menschengeschlechts war's vorläufig noch nichts.
Die Mädchen kamen viel zu uns. Nora erklärte, Mignon möchte sich im Schriftstellern versuchen, habe aber keinen Mut. Leopold ermutigte sie und sagte ihr, er sei überzeugt, daß sie Talent habe, er wolle ihr helfen und ihre Sachen empfehlen. Das erinnerte mich an die Zeit, wo er dasselbe mir gesagt.
Mignon schrieb, er versandte das, was sie geschrieben, und es wurde gedruckt – genau so wie bei mir.
Im Sommer machten wir Ausflüge mit den Mädchen. Wie gern wäre Kapf mit dabei gewesen. Er haßte zwar die Frauen, doch gegenüber der Lust, sich mit schönen, eleganten Mädchen in den Straßen zu zeigen, hielt sein Haß nicht stand. Er tat uns sehr leid, aber wir nahmen ihn doch nicht mit; es sah wahrhaftig zu lächerlich aus.
Nora, die wußte, daß er in der »Rosengruft«, so nannte die Halm ihr Zimmer, ihr Nachfolger geworden war, hieß ihn nur noch den »Götterjüngling« und das wurde er auch für uns. Er nahm es ruhig an und sah darin keinen Spott: er hatte sich unter dem Halmschen Einfluß wunderbar entwickelt. Etwas jedoch schadete ihm in seinem göttlichen Beruf: er wurde dick. Von Berlin war er schmal und lang wie ein Windhund gekommen, jetzt verschwand das Wenige das er von einer Nase hatte, völlig zwischen den aufgetriebenen Wangen. Das beschauliche Leben behagte ihm, auch die österreichische Küche, zu der er sich auf langen Spaziergängen den Appetit holte. Er gab sogar selbst zu, daß ihm der Aufenthalt in Graz gut bekam; für ihn hatten schöne Promenaden, Lesen, Besuch der Theater viel Reiz, das war doch was andres, als in Berlin den ganzen Tag in der »Bude« stecken.
Wie mich das freute!
Trotz des lebhaften Verkehrs mit den Mädchen war das Verhältnis zwischen uns kein warmes. Ich hatte bald bemerkt, daß nicht Sympathie, sondern ein Spezialinteresse sie zu uns geführt: Mignon wollte in die Literatur »lanziert« werden; dazu war Sacher-Masoch gut. Sie waren mißtrauisch und wenn dieses Mißtrauen auch unter dem persönlichen Einfluß abgeschwächt wurde, so verschwand es doch nie ganz.
Ich war darüber weder erstaunt noch konnte ich es ihnen übel nehmen: Sacher-Masoch hatte von jeher dem Klatsch in der Stadt fleißig Stoff geliefert, und es geschahen gerade jetzt wieder Dinge, die zu Mißtrauen Anlaß gaben.
Denn was sollte man von mir denken, wenn man erfuhr, daß ich allein die Maskenbälle besuchte und poste restante-Briefe abholte, immer um den Griechen zu finden. Wir wohnten zu eng, als daß Kapf und die Magd nichts davon bemerkt hätten. Ich fühlte in der Luft, die mich umgab, Mißachtung – sah wie man den »lieben armen Herrn Doktor« bedauerte und in mir seine unwürdige und treulose Frau sah.
Um Kapfs Meinung kümmerte ich mich nicht viel, die meiner Magd ging mir näher. Sie war ein liebes und treues Mädchen, eine aufopfernde Wärterin für die Kinder, ich hatte bis dahin nicht nur ihre Achtung, sondern auch ihre Liebe besessen, und gerade deshalb, weil sie sich in mir getäuscht zu haben glaubte, fing sie mich jetzt beinahe zu hassen an.
Ich mußte sie entlassen, so schmerzlich es mir auch war.
Als ich mit Tränen in den Augen am Fenster stand und ihr nachsah, wie sie mit ihrem Koffer die Straße hinunterging, nachdem sie noch vorher die Kinder unter Schluchzen zärtlich geküßt, von mir aber ohne mir die Hand zu reichen, ohne Gruß gegangen war, da dachte ich mir, wie viele gute und liebe Menschen werden sich noch so wie diese Magd von mir wenden, weil ich scheine, was ich nicht bin. –
Im April 1878 schrieb uns Kathrin Strebinger von Genf, aus ihrer Heirat mit Rochefort werde wahrscheinlich nichts werden, seine Freunde seien entsetzt darüber, daß er ein Mädchen deutscher Abstammung – ihr Vater war ein Bayer – zur Frau nehmen wolle, und hatten ihm vorgestellt, daß er in diesem Falle nicht nur den Gedanken, je Präsident der Republik zu werden, aufgeben müsse, sondern auch noch seine führende Stellung in seiner Partei verlieren würde. Sie begreife, schrieb sie, diese Gründe und da sie es vorziehe, lieber den Präsidenten Rochefort zum Freund zu haben, als den in Mißkredit gekommenen Journalisten Rochefort zum Mann, habe sie gegen die Auflösung ihrer Verlobung nichts. Sie würde aber dann nicht in Genf bleiben und es vorziehen, in unserer Nähe zu leben.
Im Mai erhielten wir ein Telegramm, das uns ihre Ankunft anzeigte.
Wir standen auf dem Perron, den Zug erwartend, der sie bringen sollte, als ich etwas abseits italienische Auswanderer bemerkte und von ihrem lebhaften Treiben angezogen, mich ihnen näherte. Beim Hereinkommen des Zuges wollte ich wieder zu Leopold zurück, wurde aber von dem Strom der Ankommenden zurückgedrängt. Da sah ich, wie sich ein junges, schlankes, elegantes Mädchen kühn und sicher aus einem Wagen erster Klasse neigte, mit den Blicken jemanden zu suchen schien und dann mit einem freudigen »Ah« die Stufen herabsprang und auf Leopold zueilte, der ihr bereits entgegen ging. Sie reichte und schüttelte ihm beide Hände und küßte ihn auf den Mund.
Jetzt blieb ich absichtlich zurück, um zu beobachten was weiter geschehen würde.
Kathrin hatte einen Bahnbediensteten beauftragt, ihr Handgepäck aus dem Waggon zu holen und ihm ihren Gepäckschein gegeben, dann gingen sie, lebhaft sprechend, dem Ausgang zu. Durch ein Fenster im Wartesaal sah ich, wie sie in einen Wagen stiegen, wie das Gepäck auf einem andern verladen wurde und beide Wagen abfuhren.
Ich war entschieden nicht mehr vorhanden. Nicht ein einzigesmal sah sich mein Mann nach mir um – ich war für ihn in die dunkelsten Tiefen der Vergessenheit gesunken. So beeilte ich mich nicht sehr mit der Rückkehr nach Hause.
Als ich ins Zimmer trat, empfing mich Leopold mit dem Ruf:
»Ah, da bist du ja! Wo warst du denn? Wir haben dich überall gesucht.«
Die Begrüßung mit Kathrin ersparte es mir, ihm zu antworten. Sie schüttelte mir die Hände und küßte mich, wie sie es mit ihm getan. Da sie wohl wußte, es war gelogen, daß sie mich gesucht, so kam es mir vor, als erwartete sie mit Vergnügen ein kleines Scharmützel zwischen mir und meinem Mann, ja sie ließ mir sogar im Gespräch Zeit dazu. Ich machte jedoch keinen Gebrauch davon. Das schien sie zu überraschen. –
Sie aß mit uns zu Nacht und fuhr erst gegen Mitternacht in ihr Hotel.
Da wir du zueinander sagten, waren wir gleich vertraut, auch gab sie sich einfach und zwanglos. Sie erzählte von Rochefort, seinen Kindern, seinem Leben im Exil, seinen politischen Freunden und was sie von ihm erwarteten. Sie bewunderte und bespöttelte ihn gleichzeitig. Von Liebe für ihn sah ich nichts, wohl aber von einer sehr richtigen Abschätzung seiner Bedeutung und der Vorteile, die es habe, ihm nahe zu stehen.
Sie war kürzlich einige Wochen in Paris gewesen, und hatte, von Rochefort empfohlen, die Direktoren der größten Blätter kennen gelernt; sie kannte die neue Literatur, alle literarischen Cliquen und Klatschereien. Buloz hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, den sie zurückgewiesen und den er seitdem brieflich wieder erneuert habe. Als ich ihr bemerkte, daß die Frau des Herausgebers der »Revue des deux Mondes« keine üble Stellung in Paris haben müsse, sagte sie, Buloz sei ein imbécile und sie würde nicht vierundzwanzig Stunden mit ihm leben können.
Sie gefiel mir sehr. Wie sie Dinge und Menschen beurteilte, zeugte von raffiniert modernem Geist – dem Geist Rocheforts, in reiche junge Erde gepflanzt.
Daß ein solches Mädchen ganz aus dem Rahmen herausging, in dem man diese sonst zu sehen gewohnt ist, war natürlich. Sie hatte auch nichts Anerzogenes an sich, sie war ganz sie selbst und gab sich ganz so wie sie war. Dazu kam noch das Fesselnde ihrer Erscheinung, die zuerst durch ihre außerordentliche Eleganz auffiel. Aber auch diese Eleganz war keine erlernte, absichtliche, sie war in ihr, wie in einem jungen edlen Pferd, das sich nicht anders als schön halten und bewegen kann. Mit ihren schmalen Hüften und breiten Schultern war ihr Körper von so geschmeidiger Kraft, als habe sie nicht Knochen, sondern Stahl im Leibe.
Sie hatte sehr schönes dunkelblondes Haar und braune, nicht sehr große, aber lebhaft glänzende Augen und eine feine gerade Nase mit immer zuckenden Flügeln; ihr Mund mit der ein wenig vorgeschobenen Unterlippe war vielleicht etwas grob, aber auch in ihm lag Charakter wie in allem an ihr.
Sie trug an dem Tage ein graues Reisekleid, an dem ich nicht wußte, was ich mehr bewundern sollte, seine Eleganz oder seine Einfachheit.
Am nächsten Tag trafen Nora und Mignon mit Kathrin bei uns zusammen.
Nora überlegte sich die Sache nicht lange und verliebte sich sofort in Kathrin. Diese war darüber sehr belustigt und kam ihrem neuen Kurmacher ermutigend entgegen.
Mignon aber saß ganz bleich und wie in Schmerz erstarrt da; stumm blickte sie durch ihre halbgeschlossenen Lider auf diese neue Untreue ihrer Freundin.
Kathrin wünschte ein oder zwei möblierte Zimmer in einem Privathause zu mieten und Nora half ihr sie suchen.
Der armen kleinen Mignon ging's heute, wie's mir gestern gegangen: sie war nicht mehr vorhanden.
Kathrin mietete bei Frau v. C..., Witwe eines hohen Militärs, die mit ihren Töchtern und ihrem Sohne, der Hauptmann im Generalstab war, zusammen lebte, ein Zimmer und bezog es noch am selben Tage.
Nora half ihr sich in ihrem neuen Heim einrichten und verließ sie erst um Mitternacht.
Einige Tage nach der Ankunft Kathrins gab Leopold ihr zu Ehren ein großes Krebsenessen in Judendorf und wir wanderten alle, auch die Kinder, hinaus in den Wald.
Es war ein schöner glücklicher Tag. Mein Mann fühlte sich zwischen den drei schönen originellen Mädchen so frisch und munter wie ein Fisch im Wasser. Es war gewiß Mignon, die ihn am meisten interessierte, denn auf allen unsern gemeinschaftlichen Spaziergängen war sie es, mit der er sich am liebsten unterhielt, und das war ja natürlich, da er in ihr ein bedeutendes Talent entdeckt hatte, das er bilden und entwickeln wollte; wenn er also immer etwas abseits von uns anderen mit ihr ging oder saß, so war's, um in den ernsten Gesprächen, die er mit ihr führte, nicht gestört zu werden.
Ich merkte auch, daß er schon seit einiger Zeit weniger von dem alten Thema sprach, und diese Ruhepause in der mich sonst immer bedrängenden Qual tat mir wohl und ich glaubte, sie dem zerstreuenden Einfluß der Mädchen danken zu müssen.
Wenn ich die beiden jetzt auf den dunklen stillen Waldpfaden im ernsten Gespräch hingehen sah, Mignon in ihrer schwermütigen, reinen, züchtigen Schönheit und meinen Dichter mit einem Ausdruck beinahe erhabener Trauer im Gesicht, der mir an ihm ganz neu war, da freute ich mich, daß sie beide in der Literatur eine Ablenkung gefunden hatten von ihren Verirrungen in anderer Richtung. –
Ein von diesen ganz verschiedenes Paar war Nora und Kathrin. Nora hatte an dem Tage ganz den Mann herausgekehrt und spielte so ernst und so meisterhaft den Galan, daß sie, ohne den fatalen Frauenrock, den sie trug und der sie lächerlich machte, ganz gut hätte für einen schönen Jüngling gelten können. Sie rauchte große dicke Zigarren während sie für Kathrin kleine feine Zigaretten drehte, sie trug ihr ihren Schirm und reichte ihr bei allen schwierigen Stellen am Wege die Hand, schlug mit ihrem Stock die Zweige von den Bäumen, die den Durchgang hinderten, oder lag der Länge nach hingestreckt auf dem Bauch und schwärmte die Angebetete an, die weich gebettet vor ihr im Moose saß.
Da ich sah, daß die große Welt, mit sich selbst beschäftigt wie sie war, mich entbehren konnte, wandte ich mich meiner kleinen zu, die, berauscht von der Waldluft, vor Freude wie toll geworden waren.
Ich ließ ihnen einen Tisch in den Wald bringen, und da bekamen sie Milch, Pfannkuchen und große herrliche Erdbeeren mit süßem Rahm. Es war ein Fest für sie, wie sie noch keines erlebt hatten, und einer der schönsten Tage im Leben ihrer Mutter.
Nachdem die Kleinen abgefüttert waren, kam die Reihe an die Großen. Judendorf war berühmt durch die ungewöhnlich großen, köstlichen Krebse, die man dort aß, und es verdiente an dem Tage seinen Ruf mehr als je.
Kathrin machte große Augen; so schöne Krebse hatte sie noch nie gesehen, und noch in derselben Stunde ließ sie durch die Wirtin eine Kiste davon verpacken und nach Genf an Rochefort senden.
In der prächtigsten Stimmung leerten wir eine Schüssel nach der andern; die Mädchen waren charmant, Leopold geistreich, kein Mißton störte das Vergnügen, das ebenso fröhlich endete als es begonnen hatte.
Um so erstaunter waren wir, in den folgenden Tagen weder Nora noch Mignon bei uns zu sehen. Kathrin kam zwar, aber auch nur für Augenblicke. Sie sagte, Nora sei immer bei ihr und sie könne gar nicht von ihr loskommen.
Das dauerte vielleicht eine Woche, dann hörte plötzlich aller Verkehr zwischen den beiden auf. Kathrin erklärte etwas übellaunig ihren Bruch mit Nora durch eine Erkrankung Mignons, die die Freundin nicht mehr von sich lasse. Sie liebte Mignon nicht, sie nannte sie »une poseuse«, sagte, sie sei sentimental, und sentimentale Leute seien dumme Leute.
Wir haben die beiden Mädchen nie wieder gesehen und nie erfahren, was ihr Verschwinden eigentlich veranlaßt hat. Der Verkehr mit Nora und Mignon hatte Sacher-Masoch zu seiner »Gottesmutter« angeregt. –
Lange Zeit nachher, in einem Augenblick, da Kathrin Grund zu haben glaubte, sich über meinen Mann zu ärgern und ich diesen zu entschuldigen suchte, sagte sie mir:
»Du hast keinen Anlaß ihn zu verteidigen, denn er ist auch gegen dich falsch genug.« Ich wollte wissen, wo sie hinzielte und erwiderte:
»Nein, das ist er nicht.« Da platzte sie heraus:
»So, er ist es nicht! Was ist es denn dann, wenn er an Mignon schreibt, daß er die tiefste und aufrichtigste Liebe für sie habe, mit dir sehr unglücklich sei, sich von dir trennen wolle, und ihr vorschlägt, mit ihm zu fliehen. Sie würden nach Deutschland gehen, dort protestantisch werden und heiraten, nachdem er von dir geschieden worden. Ihre materielle Lage werde jedenfalls eine gesicherte sein, denn er werde dann eine Stellung, die man ihm angeboten, annehmen. Das findest du nicht falsch? Mit dir tut er, als ob er ohne dich keinen Tag leben könne, und dabei denkt er nur daran, dich zu verlassen. Nora hat mir die Briefe gezeigt, ich habe alles selbst gelesen – und das kann ich dir sagen, daß ihn die beiden Mädchen gründlich hassen.«
An dem was sie von der Stellung gesagt, erkannte ich, daß sie wahr sprach; denn wegen einer solchen Stellung war Leopold wirklich in Unterhandlung gewesen, und davon wußten nur er und ich.
Was sollte ich tun? Es war zu nichts gekommen, eine abgetane Sache, und ich wußte ja doch schon längst, wessen mein genialer Mann fähig war. Ich wollte mich darüber nicht mehr ärgern und auch ihm kein Wort sagen. Zu ändern war nichts, ich mußte ihn nehmen, wie er war, und im Grunde, sagte ich mir, ist er doch ein guter und braver Mann. All das sind Phantastereien, die aus dem Drang, das Leben romanhaft und dramatisch zu gestalten, entstehen, was bei seinem Beruf ganz natürlich ist; daß er aber das, was er in seinen Briefen an Frauen so leicht plante, auch wirklich ausführen, mich und die Kinder verlassen könnte, das glaubte ich nicht, und in dieser Überzeugung fand ich Kraft und Ruhe. –
Bitter empfand ich eigentlich nur, daß wir uns durch all den Unsinn fortwährend kompromittierten.
Daß mir Kathrin diese Mitteilung so spät und in einem Augenblick zorniger Aufwallung gegen Leopold machte, war mir ein Beweis, daß sie mich rücksichtsvoller behandelte als andere; denn den Leuten unangenehme Dinge zu sagen, war ihr ein Vergnügen, das sie gern warm genoß.
Kathrin wohnte nicht lange bei Frau v. C... Sie war dort zu sehr en famille, was ihr nicht paßte. Sie mietete in der Beethovenstraße in der Villa der Baronin P... zwei Parterrezimmer.
Kathrinens Auftreten, ihre elegante Erscheinung, ihr fremdartiges Wesen, mußte in Graz Aufsehen machen. Auch erweckte sie den Eindruck reich zu sein, war es vielleicht auch; jedenfalls war sie erst vor kurzem volljährig geworden, hatte das Vermögen ihrer verstorbenen Mutter ausgezahlt bekommen und verstand, ihr Geld mit viel Schick auszugeben.
Sie mietete sich einen eleganten zweisitzigen Landauer und wenn sie in diesem durch die Straßen fuhr, guckten die Leute neugierig und interessiert nach der feinen »Französin«. Erschien sie mit uns im Theater, flüsterten die Frauen, und die Männer richteten ihre Gläser nach unserer Loge.
Sie fand das sehr nach ihrem Geschmack, und tat alles, um das Interesse an ihr noch mehr anzuregen. So ließ sie sich manchmal selbstgekaufte Blumen oder selbstaufgegebene Telegramme ins Theater bringen, und sie spielte beim Empfange derselben so meisterlich die Erstaunte und Überraschte, daß wir fest daran glaubten, bis sie uns eines Tages lachend gestand, woher die Sendungen kamen.
Sie nahm auch Reitunterricht und war bald so weit, ausreiten zu können.
Prächtig sah sie aus zu Pferde; in ihrem eleganten Reitkleid mit dem runden Männerhut auf dem blonden Kopf, ihrer elastischen Gestalt, der schönen geraden Haltung, saß sie so fest und sicher im Sattel, als hätte sie nicht erst seit einigen Wochen, sondern ihr ganzes Leben Reitsport getrieben.
Oft begleitete sie Hauptmann C... auf ihren Ausritten. Er war ein eleganter Offizier, trotz seiner Jugend bereits Hauptmann im Generalstab, also ein angemessenerer Begleiter für sie, als ihr Reitlehrer. Auch standen dem Hauptmann Pferde zur Verfügung, was ihre Ausritte ganz kostenlos für sie machte.
Ich staunte sie nur so an. Wie sie das Leben leicht nahm und, indem sie ihm eine Nase drehte, über alle seine Schwierigkeiten hinwegkam! Ebenso erstaunlich war es, wie sie alles Lügen- und Flausenhafte, Unwahre, Dumme und Gemeine rasch erkannte und mit ihrem Haß verfolgte – oder, wenn es ihr paßte, zu ihren Zwecken ausnützte.
Da war die Baronin P..., die einen ausgelebten verschuldeten Sohn hatte, mit dem sie nichts anzufangen wußte: Wenn die Französin, die da unten ihre schlecht möblierten Zimmer zu einem unverschämt hohen Preis gemietet, vielleicht Lust hätte, Baronin zu werden, könnte man den Sohn an sie los werden. –
So kam es, daß Kathrin eines Tages die Ehre wurde, von der Frau Baronin zu einem Tee geladen zu werden – um sich auf den Zahn fühlen zu lassen. Aber der Zahn, den die alte Dame befühlen wollte, war klein und scharf und biß fest zu, sowie sie nur dran rührte.
Nein, die Baronin war noch nicht geboren, die bei Kathrin Strebinger etwas herausfühlen konnte, das diese nicht fühlen lassen wollte.
Mutter und Sohn wurden ihr so lästig, daß sie sie beide nur noch »les punaises« nannte.
Wenn Kathrin guter Laune war, und das war sie stets, wenn sie mit mir allein war, konnte sie ungemein amüsant sein. Sie sprach ziemlich gut deutsch; manchmal aber fehlten ihr doch Worte, dann setzte sie französische an ihre Stelle, die den deutschen nicht immer entsprachen; oft auch mischte sie ihr Deutsch mit ganzen französischen Sätzen; eine besondere Vorliebe hatte sie für gewisse österreichische Volksausdrücke, deren sie sich bald zu bedienen wußte, die sie aber so drollig aussprach, daß man lachen mußte; und dann lachte sie lustig mit.
Sie ist seit langem tot. Rochefort erzählte mir in Paris, daß sie während einer Fahrt nach Amerika auf dem Schiffe gestorben und ins Meer versenkt wurde. Sie hatte sich von ihrer Familie ganz losgetrennt und niemanden hinterlassen, der ihr nahestand. – Wenn ich von ihr erzähle, wie sie war, sie in ihrer Originalität schildere, so vergehe ich mich gegen keinen, gegen sie aber am wenigsten. Denn wäre sie nicht gestorben und stünde sie jetzt hinter mir und läse, was ich über sie schreibe, so würde sie mir die Feder aus der Hand nehmen und sagen:
»Nein, du bist nicht wahr«, und sie würde sich hinsetzen und sich selbst mit den schwärzesten Farben malen, denn Kathrin Strebinger hat von ihren dunklen Seiten selbst das größte Aufheben gemacht – über ihre guten aber geschwiegen.
Wie soll man sich dieses seltsame Mädchen erklären?
Ihr Vater war Schullehrer in Bayern gewesen, dann nach Morges gegangen, hatte dort eine Sekte gegründet in Verbindung mit einer Schule, die er leitete. Sein frommes Unternehmen brachte ihm gute Einnahmen und eine reiche, aber brustkranke Frau. Sie bekamen ein Kind, Kathrin, dann starb die Mutter.
Der Witwer sperrte sich in seine Kapelle, betete und fastete drei Tage und drei Nächte. Dann erschien er wieder und sah sich nach einer anderen Frau um. Er bekam auch bald eine und diese war noch reicher als die erste, und nicht krank.
So wuchs Kathrin auf, zwischen einem frommen Vater und einer fremden Mutter, zwischen Schulstunden und Bibellesen, Predigten und Strafen. Bald glaubte der Vater zu bemerken, daß seine Tochter nicht auf dem Wege des Heils war. Um ihr den bösen Geist auszutreiben und sie Demut zu lehren, nahm er sie in strenge Zucht.
Sie rächte sich dafür, indem sie die tollsten Streiche beging, über die sich die ganze Gemeinde entsetzte, und die sein Erziehungssystem doch in Mißkredit zu bringen drohten.
Er veranstaltete in der Kapelle allgemeine Gebete zur Errettung seiner mißratenen Tochter, denen Kathrin beiwohnen mußte.
Der böse Geist aber wurde nicht nur nicht ausgetrieben, sondern er erstarkte immer mehr in Haß.
Mit neunzehn Jahren wurde sie volljährig, man mußte ihr das Vermögen ihrer Mutter ausliefern und sie verließ sofort das Vaterhaus und kehrte nie mehr dahin zurück.
Sie zog nach Genf, wohnte dort in einer eleganten Pension und trat jetzt alles mit Füßen, was man ihr als Religion, Moral und Anstand durch Hunger, Schläge und Lieblosigkeiten aller Art eingezüchtigt hatte.
Da lernte sie Rochefort kennen. In seiner Schule bekam sie den letzten Schliff und bald war die Schülerin dem Meister überlegen. –
Gleich auf ihre erste Übersetzung hin bot ihr Buloz an, bei der »Revue des deux Mondes« eine feste Stellung als Übersetzerin anzunehmen. Sie aber folgte nur ihrer unersättlichen Gier nach den Genüssen des Lebens, ihrer sie immer treibenden Neugierde, von der sie sich ohne Rücksicht auf irgend etwas oder irgendwen führen ließ.
Was sie uns von ihren Streichen erzählte, war so arg, daß wir kein Wort davon glaubten – bis das, was sie gleichsam unter unsern Augen tat, für die Wahrheit des Erzählten eintrat. Sie log nie, aber war grausam boshaft. Es machte ihr zum Beispiel ein besonderes Vergnügen, den Leuten unangenehme Dinge zu sagen, allein diese Dinge waren immer wahr: mit einer Lüge jemanden zu ärgern, wäre ihr wie eine unwürdige Kampfweise erschienen.
Um den maßlosen Geiz ihres Vaters zu illustrieren, hatte sie erzählt, er trage seit mehr als zwanzig Jahren dasselbe Paar Pantoffeln; war eine Filzsohle abgetreten, dann nähte er selbst eine neue auf die alte, und so all die Jahre, die Kathrin im Hause lebte; schließlich wurden die Pantoffeln von all den Sohlen so hoch, daß er wie auf einem Kothurn einherging. Die Tinte für sich und seine Schule machte er aus Ruß und Wasser und diese Schmiere verkaufte er an die Kinder, die sich und ihre Schulsachen damit beschmutzten.
Ich glaubte es nicht, bis ich eines Tages einen Brief von Herrn Strebinger erhielt, dessen Adresse ganz verschmiert aussah, und nach dessen Lesung es meine Hände auch waren.
Eine Geschichte, an die zu glauben ich mich entschieden weigerte, deren Bestätigung ich aber viele Jahre später erhielt, war folgende:
In der Pension, in der Kathrin in Genf lebte, wohnte auch ein junges russisches Ehepaar, Fürst X... und seine Frau. Die junge Fürstin war wegen ihrer kranken Brust von den Ärzten für den Winter nach Montreux geschickt worden. Nachdem sie sich dort erholt hatte, kam das Paar, ehe es nach Rußland zurückkehrte, für einige Wochen nach Genf, wo Kathrin mit ihnen bekannt wurde. Man sprach in der Pension viel von den jungen Eheleuten wegen der rührenden und zärtlichen Liebe, die sie für einander hatten.
Diese Liebe reizte die Neugierde Kathrins. Sollte es möglich sein, daß ein Mann seine Frau wirklich liebe, das heißt, im gegebenen Fall keine Untreue gegen sie begehen würde? Darüber wollte sie Gewißheit haben. Nach ihrer Meinung war nichts Gutes in der menschlichen Natur, und wo es sich zeigte, war es etwas Gekünsteltes, Angelerntes, das keine ernste Prüfung aushielt.
Sie machte das Experiment – und ihre Theorie siegte.
Der Russe gab auf dem See ein Nachtfest, zu dem auch Kathrin geladen war. Sie wußte so geschickt zu manövrieren, daß es ihr gelang, mit dem Fürsten in demselben Kahn zu fahren. Das war die Hauptsache: der Rest war für sie nur noch eine Spielerei.
Am nächsten Tage trafen sie sich in einem Hotel. Bei dieser Gelegenheit verlor Kathrin einen schönen originellen Kamm, den ihr Rochefort geschenkt hatte. Dummheit oder Bosheit spielte denselben der Fürstin in die Hände mit der Angabe, wie und wo er gefunden wurde.
Die junge Frau kannte Kathrins Kamm und konnte über das Vorgefallene keine Zweifel haben.
Rochefort saß und schrieb an seinem Artikel, als die Türe aufging, und die Fürstin, den Kamm in der Hand, und ganz entstellt vor Aufregung hereinkam. Sie öffnete den Mund und wollte sprechen, aber statt der Worte stürzte ihr ein Blutstrom über die Lippen und sie sank zu Boden.
Man legte sie auf Rocheforts Bett und da starb sie auch.
Das hatte Kathrin erzählt.
Lange Zeit nachher, nach einem Diner bei Rochefort, kam die Rede auf »Jenny«, so nannte er Kathrin, und um mir und Leopold zu zeigen, wie sehr »canaille« sie war, erzählte er uns die Geschichte, genau wie wir sie schon kannten.
Ich frug damals Kathrin, ob es ihr denn nicht nachträglich um die junge Frau leid getan habe. Sie sagte ja, es habe ihr leid getan und tue ihr noch leid, allein sie würde dasselbe doch wieder tun, weil sie keine Illusionen über Männer und Liebe haben will – jetzt habe sie keine mehr und diese Erfahrung sei mit dem etwas verfrühten Tod einer Schwindsüchtigen nicht zu teuer erkauft.
»Und dann«, setzte sie hinzu, »wenn du gesehen hättest, wie grauenhaft schön es war, als man die Leiche in die Pension brachte ... und dann die Szene mit Rochefort ... wie er mich eine Mörderin nannte ... Ich bin froh, das erlebt zu haben. Man muß das Leben immer peitschen, jagen, sonst rostet es ein, erstickt in Banalität.«
* * *