Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich war nur drei Tage von zu Hause weggewesen, fand aber die Meinen krank, als ich wiederkam. Es war eine seltsame, unerklärliche Krankheit, die sie ergriffen hatte: der Vater wie die Kinder hatten kleine Geschwüre an den Beinen. Daran war gewiß nur diese fluchwürdige Wohnung, in der fortwährend ein widerlicher Geruch herrschte, schuld, und die zu verlassen uns unsere Armut hinderte.
Ich behielt meine Gedanken für mich, um Leopold nicht zu erschrecken, aber wie ich mich hinaussehnte aus diesem verpesteten Kerker, wie ich Tag und Nacht nur darüber sann, woher ich die Mittel schaffen könnte, uns zu befreien!
Mir selbst ging es auch nicht gut. Das aber hatte seinen besonderen Grund. Ich war blühend gesund und frisch von Ecsed zurückgekommen, doch das änderte sich bald.
Wir ließen unser Essen aus dem Gasthause holen, und da es nicht gerade billig war, nur das allernotwendigste. Es reichte kaum für den gesunden Appetit meines Mannes, der Kinder und der Magd. Ich saß bei diesen Mahlzeiten mit geheimer Todesangst im Herzen, es möchte eins meiner Lieben nicht gesättigt vom Tische aufstehen. Hätte ich schon deshalb nichts essen können, so hatte ich überdies noch einen Trick gefunden, mit dem ich meinen knurrenden Magen zum Schweigen brachte.
Eines Tages bemerkte Leopold während eines Spazierganges vor der Türe einer Krämerei ein Fäßchen mit grobem, schwerem Käse, wie ihn Bauern und Arbeiter essen. Er wünschte solchen Käse zu haben, und ich kaufte ein Fäßchen.
Ich brauchte eine Stunde vor dem Mittagessen nur ein klein wenig von diesem Käse zu essen, um mir den Magen vollständig zuzuschnüren und mich tatsächlich in die Unmöglichkeit zu versetzen, irgendwas zu genießen.
Hunger war mir ja ein gewohntes Gefühl, hatte ich mich doch schon im Mutterleibe darin üben können. Auch achtete mein Mann bei Tisch nicht auf andere, wenn er aber doch hier und da bemerkte, daß ich nichts aß, schützte ich mein altes Magenleiden vor, und damit gab er sich um so leichter zufrieden, als ich schlecht genug aussah.
Nachteiliger als auf meinen Körper, obgleich ich mich ziemlich kraftlos fühlte, wirkten diese Hungermonate auf meinen Geist. Ich war gedrückt und mutlos, und der Wunsch, wir möchten alle sterben, da das Leben so hart für uns war, verließ mich fast nie mehr.
Am 16. Jänner 1881 schrieb mein Mann an seinen Bruder:
»Aus London erhielt ich dieser Tage einige Bogen aus einem Werk über ausländische Literatur, in dem ich glänzend behandelt werde; aus Kopenhagen das Ersuchen, an der ersten dänischen Revue mitzuarbeiten, und zugleich die Mitteilung, daß mein ›Vermächtnis Kains‹ dänisch erschienen ist und großen Erfolg hatte; aus Belgrad die Nachricht, daß in kurzem mein ›Vermächtnis Kains‹ dort in serbischer Übersetzung von Body erscheinen wird.
Auch der italienische Literarhistoriker Gubernatis hat mich in seiner ›Bibliographie der Gegenwart‹ sehr anerkennend besprochen, und ebenso Glaser in der Pariser ›Biographie des Contemporains‹.
Ich wäre schon zufrieden, wenn ich etwas weniger Ehre und mehr Geld hätte.
Um einen neuen großen Roman zu schreiben, müßte ich mindestens ein halbes Jahr gedeckt sein, was ich leider nicht erreichen kann. Ich habe in den letzten Jahren durch den Konflikt mit Froben, die Bankrotte von Krüger, Hartknoch, Günther große Verluste erlitten, die ich heute noch fühle, auch bin ich nicht gesund genug, um immer so arbeiten zu können, wie ich es gerne möchte.
Das ist ja eben das Fatale, daß ich bei meiner Art Arbeit so sehr auf eine gute Stimmung angewiesen bin.«
Und später schreibt er:
»Wie mir die deutsche Zeitung in Porto Allegre schreibt, wird dort in Brasilien im August der erste Teil ›Vermächtnis Kains‹ erscheinen.
Im Herbst wird eine englische Übersetzung von Hastings des zweiten Teils ›Vermächtnis Kains‹ und eine dänische meiner ›Judengeschichten‹ erscheinen.
Angerer schreibt mir, daß unsere Operette ›Die Wächter der Moral‹ noch im Juli in Karlsbad und im August in Prag gegeben wird. In Berlin hat das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater dieselbe angenommen und will sie im Herbst geben.
Aus der ›Illustratione‹ geht hervor, daß das ›Vermächtnis Kains‹ bereits erschienen ist.
Ich glaube aber jetzt schon an alles, nur an keine großen pekuniären Erfolge. An Ehre und Ruhm fehlt es mir wahrlich nicht, außer Goethe und Heine ist kein deutscher Autor bei allen Nationen so geschätzt und gelesen, wie ich, und dabei weiß ich oft nicht, wovon ich den nächsten Tag leben soll.
Vorzüglich ist an der Misere die deutsche Presse und der deutsche Buchhandel schuld: früher wurde der deutsche Autor nur schlecht gezahlt, jetzt wird er noch überdies bei jeder Gelegenheit geprellt.
Ich habe vor kurzem zwei Einladungen erhalten, die eine nach Schloß Tanneberg in Thüringen, die andere nach Ingolstadt. Die letztere kam von zwei Fürsten, Vettern des Grafen O'donell, mit dem wir in Budapest viel verkehrt.
Es wäre hübsch, wenn ich da oder dort ein Asyl für den Winter fände, ich könnte dann einige große Sachen schreiben und mich rangieren.«
Es war natürlich, daß wir in solcher Lage nicht nur neue Bekanntschaften vermieden, sondern auch unseren alten vorsichtig aus dem Wege gingen.
Ganz umgehen ließ sich dies trotz aller Vorsicht nicht, zu viele suchten sich uns zu nähern, und waren es Personen, die Leopolds Neugierde und Interesse erregten, dann drängte er selbst danach, die Bekanntschaft zu machen. Zu diesen neuen Bekannten gehörten der Gelehrte Schwarcs Juley und Graf und Gräfin O'donell.
In einer Nacht hörte ich meinen Mann Licht machen.
»Was hast du?« frug ich in dem Glauben, er sei unwohl. Er saß aufrecht im Bett und blickte mit bleichem, schreckensstarrem Gesicht zu mir herüber. Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, wie er sich vergebens anstrengte, zu sprechen, aber keinen Laut hervorbrachte. Entsetzt sprang ich aus dem Bett und ging zu ihm.
»Um Gotteswillen, was ist dir?«
»Ich hatte einen furchtbaren Traum«, sagte er endlich. »Mir träumte, ich hätte einem Bischof gebeichtet ... das bedeutet Tod ... ich bin ganz sicher.«
Er blätterte in seinem Traumbuch und zeigte mir die Stelle.
Ja, da stand es: »Einem Bischof beichten, zeigt bevorstehenden Tod an.« Er starrte mich an. Offenbar erwartete er, daß ich, wie sonst bei solchen Gelegenheiten, mich gegen das Furchtbare wehrte, ihn überzeugte, daß ich nicht daran glaubte und ihn selbst dadurch wankend machte und Mut gab.
Nichts von dem konnte ich ihm mehr geben. Stumpf, gleichgültig saß ich da, nur mit dem einen bitteren Gefühl im Herzen, daß er es wahrlich genug sein lassen könnte mit der traurigen Wirklichkeit, und uns nicht noch mit seinen lächerlich-grauenhaften Phantasien zu quälen brauchte. Der Tod! hätte er nur ahnen können, wie ich ihn oft unter Schmerzenstränen herbeiwünschte, wie er meine einzige Hoffnung war, aus unser aller Leiden herauszukommen.
Wie hätte ich ihm den Trost geben können!
Da ich beharrlich schwieg, sagte er:
»Jeder Augenblick kann jetzt mein letzter sein ... ich darf keine Minute verlieren, um in meinen Papieren nur etwas Ordnung zu machen und Verfügungen aufzuschreiben, damit du nur halbwegs weißt, was du zu tun hast, wenn ich nicht mehr bin.«
Ich mußte ihm die Lampe anzünden, und er setzte sich an seinen Schreibtisch.
Lang war diese Nacht, und bleiern schlichen die Stunden hin. Manchmal unterbrach Leopold das Schweigen durch Bemerkungen über das, was ich nach seinem Tode tun sollte, seine Schriften betreffend, und an wen ich mich hilfesuchend wenden müßte.
Endlich kam der Tag, das Erwachen der Kinder, das Mädchen mit dem Frühstück, und das Leben nahm uns wieder auf.
Es schien, als ob das Abfassen der »letzten Verfügungen« die Todesgedanken selbst verdrängt hätten, denn mittags aß Leopold mit gutem Appetit; und obgleich er noch immer bleich und ernst war, so kam er mir doch viel ruhiger vor, als am Morgen.
Am Nachmittag drängte ich ihn, mit mir auszugehen, und er tat es. Da am Abend der Tod noch immer nicht gekommen war, traf ich Vorbereitungen, um uns eine ruhige Nacht zu sichern, indem ich unter dem Vorwande, daß ich mich schwach fühle, vom Restaurant im Hause eine Flasche Wein und Kuchen holen ließ. Wir tranken alle davon, auch die Kinder bekamen einen Tropfen zu ihrem Kuchen, und darüber wurden sie so fröhlich, daß sie Leopold verführten, mit ihnen zu spielen, was er bald so eifrig tat, als habe er völlig vergessen, daß er sterben sollte.
Als wir zu Bett gingen, lebte er noch, und am nächsten Morgen stand er noch immer lebend auf.
Das überraschte ihn. Sollte das Traumbuch sich geirrt haben?
Jedenfalls fing er an, seine Papiere wieder einzuräumen. Als er auch am kommenden Abend noch immer nicht tot war, wurde von der Sache nicht weiter gesprochen.
Von jener Zeit an wandte ich den Kopf oder ging zur Türe hinaus, wenn ich ihn mit seinem Traumbuch beschäftigt sah und merkte, daß er mich für die Orakelsprüche zu interessieren versuchen wollte.
Gräfin O'donell gab einen Kinderball und lud die unsrigen dazu ein. Es war nicht daran zu denken, alle drei dahin zu führen; allein mein Mann wäre zu unglücklich gewesen, wenn er seinem Sascha – und sich selbst – die Freude hätte versagen müssen.
Wir saßen und überlegten, wie wir es machen, wie hoch sich die Ausgaben dafür stellen würden. Ich hatte Seidenreste, aus denen ich leicht ein Kostüm herstellen konnte, dafür war also kein Geld nötig. Nur der Wagen zur Hin- und Rückfahrt mußte bezahlt werden, und das waren gewiß fünf Gulden. Fünf Gulden für einen Ball, das war nicht viel und doch in diesem Augenblick eine schier unerschwingliche Summe für unsere Kasse.
Ich mochte wohl ein recht bedenkliches Gesicht gemacht haben, denn ich merkte, daß Leopold, der mich gespannt ansah und meine Entscheidung erwartete, schon die Hoffnung verlor und bereit schien, dem Vergnügen zu entsagen; da entschied ich, daß sie beide auf den Ball gehen sollten.
Ich tat es noch mehr um des Vaters als des Kindes willen, denn er brauchte wohl eine Freude und eine Zerstreuung, die ein wenig Sonnenschein in seinen von Arbeit und Sorgen gedrückten Geist brachte.
Ob wohl je ein junges Mädchen, das sich auf seinen ersten Ball begibt, glückstrahlender aussehen konnte als Leopold, als ihm die Magd sein reizend schönes Kind, in eine Pelzjacke von mir warm gehüllt, die Treppe hinunter zum Wagen trug?
Und was waren alle literarischen Triumphe gegen den, den er diese Nacht mit seinem Liebling erlebte! Fast bis zu Tränen bewegt, erzählte er mir, nachdem sie wieder heimgekommen, wie sein kleiner Prinz sich so ruhig und sicher unter all den aristokratischen Kindern bewegte, und wie dieses maßvolle Betragen mit seiner zarten Schönheit harmonierte und allgemein bewundert wurde.
Und als dann der Kleine, nach einem langen und gesunden Schlaf, seinen Geschwistern von all dem Herrlichen, das er erlebt, berichtete, diese ihn umstanden und aufmerksam zuhörten und die genossenen Freuden gleichsam nachgenossen, ohne eine Spur von Neid oder Bedauern, nicht mit dabei gewesen zu sein, da bekam auch ich meinen Anteil an der allgemeinen Freude, und so empfindlich mir auch der Abgang der fünf Gulden war, so schienen sie mir doch ein nur geringer Preis für so viel Glück.
Als Frau v. Korsan Leopold davon sprach, das Schwarcs Juley seine Bekanntschaft zu machen wünsche und eine Zusammenkunft verabredet wurde, hob sie zum Schluß den Finger gegen ihn auf und fügte lächelnd hinzu: »Aber du weißt, Leopold, du mußt dich darauf gefaßt machen, daß Schwarcs deiner Frau den Hof machen wird. Er verliebt sich in alle Frauen, die er kennt – aber große Gefahr ist dabei nicht; er ist ja so kurzsichtig, daß er nicht einmal weiß, wie die aussieht, die er grade anbetet.«
Schwarcs Juley war ein ältlicher Mann, von solchem Umfange, daß er sich nur schwer und immer schnaufend und schwitzend bewegte. Er war ganz kahlköpfig, und sein Gesicht so breit, rund und voll, daß seine kleinen öligen Augen ganz darin verschwanden; seine Kurzsichtigkeit zwang ihn, die Personen, mit welchen er sprach, immer ganz nahe anzusehen, was unverschämt aussah und belästigte. Frau v. Korsan hatte uns gesagt, daß er mit einer ungeheuer reichen Gräfin verheiratet war, die ihm, als sie starb, ihr ganzes Vermögen hinterlassen. Immer, wenn ich Schwarcs sah, mußte ich an die tote Gräfin denken, die ich mir nicht recht vorzustellen vermochte. –
Schwarcs kam öfter zu uns und einmal gingen wir zu ihm. Er hatte meinen Mann gebeten, einen Abend bei ihm zu verbringen, und ausdrücklich hinzugefügt, daß es ihn sehr freuen würde, wenn ich mitkäme.
Da er nur den Winter in der Stadt verbrachte, den Sommer aber auf seinen Gütern lebte, wohnte er im Hotel – der Bequemlichkeit halber, wie er sagte.
Noch niemals war ich von einer Gesellschaft so krank und elend heimgekommen als von dieser.
Es war ein bescheidenes kleines Zimmer, in dem uns Schwarcs empfing, und voller Zigarrenrauch; denn es waren noch einige Herren da und alle rauchten. Wohl frug man mich, ob ich es gestatte, aber da rief mein Mann gleich:
»Aber ich bitte Sie! meine Frau raucht ja selbst.«
Ich ergab mich, obgleich ich wußte, daß es schlecht enden würde.
Man sprach sehr lebhaft, lachte viel und trank Wein dazu. Einer der Herrn erzählte Geschichten von der Kaiserin Elisabeth, die er von seiner Nichte, Fräulein Ferency, wußte, die Vorleserin der Kaiserin war.
Es war eine Gemeinheit, derlei in Gegenwart einer Frau zu erzählen, und ich würde diese Ansicht wohl auch zu erkennen gegeben haben, wäre ich nicht schon halberstickt und wie gelähmt von all dem Rauch gewesen. Mit pochenden Schläfen, brennenden Augen, Krampf im Magen saß ich da und wagte nicht den Mund aufzutun aus Furcht, noch mehr Rauch einzuatmen.
Niemand merkte, wie elend es mir war, und Stunde auf Stunde verrann. Erst gegen Mitternacht endete die Qual, der ein Tag schwerer Kopfschmerzen folgte.
Es war ein kalter, aber sonniger Februartag. Ich hatte die Kinder gleich nach Tisch mit dem Mädchen ausgeschickt. Um selbst etwas frische Luft zu bekommen, hatte ich mir einen Stuhl auf den Tisch gestellt, war hinaufgestiegen, öffnete das Fenster und blieb dort sitzen, während Leopold auf seinem Bette lag und schlief. Zwar kam kein Sonnenstrahl bis an mein Fenster, aber auf dem Dache gegenüber lag ein heller Streifen, an dem erfreute ich mich; bald verschwand auch dieser, die Freude war vorüber, die düstern Gedanken kamen wieder und die nagenden Sorgen.
Schon den zweiten Monat schuldeten wir Miete und Kost; in einigen Tagen sollte ich der Magd den Lohn zahlen, und ich hatte kaum Geld genug für die nötigsten täglichen Ausgaben.
Leopold ging nur noch aus, wenn es dunkel war, so heruntergekommen war er in seinen Kleidern; alles an ihm war schadhaft, zerfranst und fadenscheinig. Mir preßte es das Herz zusammen, wenn ich ihn so auf die Straße gehen sah, und ich war froh, als er endlich selbst fand, daß er lieber nur noch abends ausgehen werde.
»Komm doch von da herunter ... du wirst dich noch erkälten«, sagte mein Mann, der erwacht war.
»Nein, komm du lieber herauf, es ist eine gute Luft hier.«
Er zog seinen Winterrock an, wickelte sich ein Tuch um den Hals, setzte den Hut auf, hob einen Stuhl auf den Tisch und kletterte herauf.
Der Photograph Kalma hatte eine Aufnahme von mir gemacht, die er uns diesen Morgen geschickt hatte.
Zuerst hatte ich mich auf den Bildern selbst nicht erkannt, und nur schwer konnte ich glauben, daß ich so aussehe – wie eine Schwindsüchtige.
Jetzt nahm Leopold diese Photographien wieder zur Hand, und sie betrachtend sagte er:
»Es ist merkwürdig, wie du abgemagert bist, seit wir in Budapest sind – die Stadtluft tut dir entschieden nicht gut ... Und diese verfluchte Wohnung! ... Wir gehen hier noch alle zugrunde ... Wenn ich nur wüßte, wie wir aus dieser Lage herauskommen ... Da liegen für mehrere hundert Gulden druckfertige Manuskripte ... ich kann sie nicht anbringen ... nur Wertloses findet leicht Absatz ... Und ich sehne mich förmlich danach, wieder einmal eine Novelle für das ›Vermächtnis Kains‹ zu schreiben! ... Es schadet auch meinem Ruf, wenn so lange nichts von mir erscheint, das wieder Aufsehen macht ... und ich bin es auch müde, immer nur diese blöden Feuilletons zu schreiben. – Weißt du, ich habe an etwas gedacht ... wenn das gelingen könnte, wären wir für immer aus allen Kalamitäten heraus. Wenn von all den reichen Gutsbesitzern, die wir kennen gelernt haben, einer auf die Idee käme, uns für ein halbes Jahr zu sich einzuladen ... Ohne Geldsorgen würde ich Ruhe und Stimmung finden, könnte entweder einen großen Roman schreiben, der mir gleich eine bedeutende Summe einbrächte, oder an meinem ›Vermächtnis Kains‹ weiterarbeiten ... Denn so, wie es jetzt geht, kommen wir nicht heraus, aber immer tiefer hinein ins Elend ... Würden wir während sechs Monate alle Honorare, die eingehen, zurücklegen können, das heißt, nur die Schulden in Graz davon bezahlen, so könnten wir in die Lage kommen, wieder irgendwo, in schöner Gegend, in einer kleinen Stadt mit guten Schulen, einen festen Wohnsitz zu nehmen und uns nach und nach ganz zu rangieren ...«
»Wer soll uns einladen?«
»Ja, das ist's eben. Ich habe wohl jemanden im Auge, der es leicht könnte ... auch sehr dazu geneigt scheint ... es hinge nur von dir ab –«
»Wer?«
»Schwarcs Juley. Es ist zweifellos, daß er in dich verliebt ist ... Er ist reich, Witwer, hat keine Kinder, also auf niemanden Rücksichten zu nehmen ... und würde sich alle Finger ablecken, wenn er dich bekäme ... und wenn das der Fall wäre, dann würde er es ja selbst wünschen, dich in seiner Nähe zu haben ... die Einladung wäre sicher ... Was meinst du?«
Ich »meinte«, daß er recht habe und ich es tun sollte.
Ich war über seinen Plan weder sehr erstaunt, noch sehr entrüstet. Noch während Alexander Groß zu uns kam, hatte er von mir verlangt, ich solle diesen fragen, ob er uns nicht 200 Gulden leihen wolle.
Das und gewisse Reden, die er mir gehalten, hatten nach und nach den Verdacht in mir erregt, daß seine »Phantasien« diese Wendung nehmen würden. –
Ich hatte viel darüber nachgedacht und war zu einer ruhigen Auffassung und Erwägung meiner Lage gekommen.
»Wenn deine Söhne erwachsen sind, wirst du noch eine hübsche Mutter sein und sie lehren, was Liebe ist«, hatte er einmal zu mir gesagt.
Wie sollte ich mit dem Manne über Dinge streiten, welche er nicht ahnte?
Schon lange brütete ich über dem Gedanken, Sacher-Masoch mit den Kindern zu verlassen; wie sehr ich aber auch alles überlegte, ich sah die Möglichkeit, ihn auszuführen, nicht, ohne die Kinder dem größten Elend auszusetzen. Wollte ich meine Kinder nicht der Leib und Seele zerfressenden Armut preisgeben, in der ich meine eigene Jugend verbrachte – mußte ich bleiben, wo ich war.
Und wie hätte ich hoffen dürfen, daß er mir Sascha geben würde – die beiden anderen kamen für ihn nicht in Betracht – und gerade dieses Kind war das zarteste von allen und der aufmerksamsten Pflege bedürftig!
Nachdem alle Illusionen abgetan waren, handelte es sich für mich nur noch um die Existenz der Kinder – und dafür war ich alles zu tun bereit.
Und warum hätte ich für die Existenz meiner Kinder nicht tun sollen, was ich für die Ausschweifungen meines Mannes bereits getan hatte?
Vielleicht hätte ich zu Gericht gehen und Schutz gegen den Mann verlangen können; vielleicht gibt es ein solches Gesetz – ich weiß es nicht –, wenn es der Fall ist und es hätte mich »geschützt«, so wäre gerade das der rascheste und sicherste Weg zu unser aller Untergang gewesen. –
Noch einen anderen Ausweg gab es: mich und die Kinder zu töten. Aber dazu hatte ich nicht das Herz, – wenigstens so lange nicht, als ich noch ein Opfer für sie bringen konnte ... Vielleicht würde ich gerade in diesem letzten, schwersten Opfer den Mut dazu finden – – – – – »und wer am meisten liebt, wird sich am tiefsten demütigen.«
Eine heftige Halsentzündung war das unmittelbare und blieb das einzige Resultat einer Zusammenkunft mit Schwarcs Juley.
Die Krankheit tat mir wohl.
Während ich so dalag und mein Mann mich angstvoll pflegte, sann ich über das Geschehene nach und suchte Milderungsgründe für seine Schuld.
Wenn es dafür überhaupt welche gab, fand ich sie auch.
Sacher-Masoch war stets unermüdlich und freudig bei der Arbeit; er hatte für sich nur die bescheidensten Bedürfnisse; er verdiente auch ziemlich viel Geld, das aber zum großen Teil von alten Schulden verschlungen wurde; auch hingen sich stets Leute an ihn, eine Art literarischer Auswuchs, von welchen er sich halb aus Gutmütigkeit, halb aus Eitelkeit ausbeuten ließ; viele seiner Übersetzer betrogen ihn, ebenso Zeitungen und Verleger, was wieder zu Prozessen führte, deren Kosten weit über unsere Mittel gingen.
Ein merkwürdiges Mißgeschick verfolgte die Unternehmungen, auf welche er die meisten Hoffnungen gesetzt.
Am 11. Mai 1877 schrieb Kapellmeister Karl Millöcker an ihn:
»Wäre mir das Glück auch in bezug auf gute Librettos immer hold gewesen, so würde ich sogar eine ziemlich exklusive Stellung einnehmen. Dieses Glück zu suchen, erlaube ich mir, deshalb mich an Euer Wohlgeboren zu wenden, dessen Werke bereits Weltruf genießen, dessen Name einen Klang in der modernen deutschen Literatur besitzt wie kein zweiter, mit dem höflichen Ersuchen, ob Euer Wohlgeboren geneigt wären, mir ein Libretto zu verfassen.
Sollten Euer Wohlgeboren auf meinen höflichen Vorschlag eingehen, so würde ich in bezug auf den pekuniären Teil die weitgehendsten Zugeständnisse machen.« –
Mein Mann machte sich sofort an die Arbeit.
Es kam zu nichts, als zu Zeit- und Geldverlust. Als das Szenarium fertig war, wies Millöcker Sacher-Masoch damit an Direktor Steiner, dieser aber hatte eben Konkurs angesagt. –
Auch für das Libretto zur Operette, die Angerer komponierte, erhielt Sacher-Masoch keinen Heller.
Ein anderer hätte den Mut verloren, er verlor ihn nicht. Ging ihm eine Hoffnung unter, tauchten dafür schon zwei andere wieder auf.
Daß er jetzt, wo wir im äußersten Elend waren, verzagte und sich nach Hilfe umsah, war nicht zu verwundern; daß er diese Hilfe von dort erwartete, wo er sie am wenigsten hätte suchen dürfen, das hing eben mit dem Fehlen jedes sittlichen Empfindens bei ihm zusammen. Kann man aber einen Menschen für diesen Mangel – diesen Geburtsfehler könnte man beinahe sagen – verantwortlich machen? Den gemeinen Mann wohl nicht – aber den, wie Sacher-Masoch, höchst gebildeten –?
»Alles verstehen, heißt alles verzeihen.« Verstehen könnt ich es, aber bis zur Verzeihung kam ich nicht.
Die Leiden dieses Winters schienen kein Ende nehmen zu wollen. Der Kaiser hatte meinem Manne die Strafe von acht Tagen auf vier herabgesetzt. Auch diese wollte er nicht abbüßen. Nur der Gedanke daran regte ihn schon so auf, daß er wie verrückt herumlief.
Vor allem handelte es sich darum, zu wissen, ob Ungarn ihn an Österreich ausliefern würde, falls ein solches Verlangen gestellt werden sollte. Ich mußte direkt zum Justizminister gehen und danach fragen.
Ich ging also hin, wurde sehr freundlich empfangen und trug meine Sache vor.
Zuerst lächelte der Minister und meinte, Sacher-Masoch solle die Strafe lieber annehmen, so eine Art »Märtyrertum« stehe politischen und literarischen Männern sehr gut an. Auch werde das »Gefängnis« den Betreffenden recht komfortabel gemacht. Dann wurde er etwas ernster und fügte hinzu, daß, falls eine Auslieferung verlangt würde – was höchst unwahrscheinlich sei –, er ihr Folge geben müsse, allein er sei überzeugt, daß Sacher-Masoch vorher davon erfahren würde, um dann in aller Ruhe Ungarn verlassen zu können – wenn er wirklich dabei bliebe, diese vier Tage nicht »brummen« zu wollen.
Danach hatte Leopold so gut wie nichts zu fürchten, trotzdem war er ganz unglücklich über den Bescheid.
Noch immer standen die vier Arresttage drohend am Horizont. Es gab nur ein Mittel, dem zu entgehen: Fort aus Österreich-Ungarn, ins Ausland!
Er hatte bereits einen Plan, um das nötige Geld dafür zu schaffen: ich sollte an Herrn Bruno Bauer nach Tischnowitz schreiben – er war doch in mich verliebt – und ihn bitten, uns 500 Gulden zu leihen, er, Sacher-Masoch, würde sie von dem Honorar seines nächsten großen Romans zurückzahlen.
Ich schrieb den Brief, und postwendend kam das Geld aus Tischnowitz.
Einige Tage später verließen wir Budapest.
Wir gingen nach Heubach, einem Dorfe bei Passau, dicht an der österreichischen Grenze. Dort mieteten wir in einer Mühle zwei Zimmer mit der Aussicht auf Wald, Feld und Wiesen – ein Paradies nach unserem winterlichen Gefängnis. Wenn wir einige Minuten den Bach hinauf über eine Brücke gingen, waren wir in Österreich; dort befand sich ein nettes Wirtshaus, in dem wir unsere Mahlzeiten nahmen. So kam es, daß wir immer zwischen Österreich und Bayern hin und her gingen. Das amüsierte meinen Mann, aber es beunruhigte ihn auch. Die Furcht vor der »Gefangenschaft« saß ihm noch in den Nerven: wenn ihn die Gendarmen einmal beim Essen packen würden! An besonders nervösen Tagen sah er hinter jedem Baum eine Uniform, in der ein Mann steckte, der auf ihn lauerte; und ehe er einen Spaziergang antrat, erkundigte er sich genau nach der Grenzlinie, um mit keinem Fuß den gefahrvollen Boden zu berühren.
Wochen erquickender Ruhe kamen für mich. Mehrere Monate lagen vor mir ohne Nahrungssorgen; und das allein wirkte schon kräftigend auf mich. Erst jetzt wo ich ausruhte, erkannte ich, wie abgehetzt ich war, und erst jetzt, wo ich mich wieder satt essen konnte, wie sehr ich die vielen Monate gehungert hatte.
Aber jetzt war es ja vorbei – wenigstens für einige Zeit. –
Ich wünschte, diese Zeilen möchten Herrn Bruno Bauer unter die Augen kommen und er möchte die ganze Wärme meines Dankes für seine Freundschaft aus ihnen fühlen.
Meine Erlebnisse in Budapest wurden nach und nach zu Schatten, die dahinschwanden wie Gespenster im hellen Mittagslicht. Ich fühlte mich wieder stark und fest in mir selbst, als hätten jene schrecklichen Dinge meine Seele nie berührt. Es war, als ob das Leben mich von mir selbst immer mehr befreite, gleichsam mich über dasselbe emporhob.
Wir lebten jetzt wieder das einfache stille Dorfleben, das mir so sehr zusagte und das ich immer hätte leben mögen. Auch meines Mannes begehrliche Phantasie kam jetzt etwas zur Ruhe – sie schrumpfte gleichsam ein, weil sie keine äußeren Anknüpfungspunkte fand. Allein an ein wahrhaftes Ausruhen war an seiner Seite nicht zu denken, und ich erwartete es auch nicht. Immer wieder versuchte er mir die Seele auszusaugen, um sich zu bereichern. Nun aber war es anders geworden mit mir – ich wehrte mich gegen die Vergewaltigung und in diesem Kampf erstarkte ich. Es war jetzt etwas Verschwiegenes, Entlegenes in mir; ich war abseits, jenseits von ihm – und ein Abgrund zwischen uns, über den ihn keine Brücke zu mir führte; dort war ich allein im Zwiegespräch mit meiner Seele, die mir ihre Geheimnisse enthüllte. Davon merkte er nichts.
Nur eins fiel ihm auf und ärgerte ihn: ich interessierte mich nicht mehr für seine Arbeiten – ich las sie nicht mehr.
Auch bei Sascha fand er in diesen schönen Frühlingstagen mit seiner Art zu lieben kein Glück.
Schon lange hatte ich mit Schmerz beobachtet, wie die Liebe zwischen Vater und Kind immer krankhafter, ja überspannt wurde; Sacher-Masoch war nur glücklich, wenn er den Kleinen in Extase sah, wozu ihm meist seine eingebildeten Krankheiten, die eine stete angstvolle Sorge für das Kind waren, einen Vorwand gaben. Dann spiegelte sich seine Eitelkeit in dieser überschwenglichen Liebe und er blickte mit einer Art schadenfrohen Stolzes auf mich und die beiden andern Kinder, die wir von solcher höchsten Seligkeit ausgeschlossen waren.
Diese Gefühlsexzesse mußten seelisch und körperlich nachteilig auf das Kind wirken, und ich war sehr froh, als es jetzt in Heubach viele Stunden, ja halbe Tage lang, sich mit seinen Geschwistern draußen im Freien herumtrieb und darüber vergaß, daß drinnen im Hause sein heißgeliebter Papa vielleicht von Todesfurcht gequält nach ihm ausschaute und die Ärmchen vermißte, die sich sonst in solchen Momenten so herzinnig um den Hals des eingebildeten Sterbenden legten und ihm unter zärtlichen Küssen und angstvollen Tränen die bösen Geister verscheuchten.
Einmal aus dieser schwülen Atmosphäre heraus, fand das Kind seinen natürlichen Frohsinn wieder und seine Gesundheit kräftigte sich zusehends.
Es kamen Regentage.
Es war bei den ganz durchweichten Wegen an Ausgehen nicht zu denken. Das waren immer schlimme Stunden für mich. Die Einsamkeit der Wohnung ertrug der Dämon an meiner Seite nur schwer; er verlangte nach Betätigung und fand er diese nicht, wie hier in der Abgeschiedenheit des Dorfes, dann mußte er sich wenigstens mit Reden Luft machen, in der Erwartung auf etwas Kommendes, oder in der Erinnerung an Vergangenes.
Gewöhnlich ließ ich ihn reden und dachte an anderes.
Diesmal horchte ich auf das was er sagte.
Er war in dem, was er mir bisher von seinen Beziehungen zu Frauen erzählt hatte, immer sehr vorsichtig gewesen und wußte seine Darstellung so einzurichten, daß er aus all den Geschichten als ein Opfer seines Vertrauens und Edelmuts hervorging.
In den ersten Jahren meiner Ehe glaubte ich alles was er mir sagte. – Was ich damals von ihm dachte, gründete sich nur auf Voraussetzungen, und die waren ihm alle günstig. – Jetzt hatte ich die Erfahrung für mich ... das schärfte mein Gehör und ich hörte aus dem Gesagten mehr Wahrheit heraus als er ahnte – und als ihm lieb gewesen wäre.
Es war immer aufgefallen, daß mein Mann sehr selten und dann auch nur flüchtig von Frau v. K... sprach und gerade von ihr, deren Schönheit mich als Kind ganz trunken gemacht, hätte ich gern mehr gewußt – alles, was in der »Geschiedenen Frau« Wahrheit war.
Jetzt an diesem Regentag fing er plötzlich von ihr zu sprechen an.
Es war in der Zeit, da ihn die Macht ihrer Schönheit wie ein »Knutenschlag« getroffen und sie sich, verführt von dem beginnenden Ruf des jungen Dichters und der großen Zukunft, die man ihm prophezeite, bewegen ließ, Mann und Kinder zu verlassen, um ihm zu folgen.
Tag und Nacht dachte er nur daran, sie in die Lage zu bringen, ihm untreu zu werden – von seinen geheimen Wünschen aber wagte er ihr nichts zu sagen.
Sie war keine leidenschaftliche Frau und nahm das Verhältnis zu ihm sehr ernst. Er konnte also nur auf einen Zufall rechnen. –
»Warst du denn nicht eifersüchtig, da du sie so sehr liebtest?«
»Nein. Eifersüchtig war ich nie auf eine Frau, die ich besaß. Hätte ich gesehen, daß ein anderer sie hatte und ich nicht, dann wäre ich wohl wütend gewesen. – Aber wenn zwei sich aus derselben Schüssel gut und reichlich satt essen können, brauchen sie sich doch nicht zu beneiden. –«
Damals war Erzherzog Heinrich eben Brigadegeneral in Graz geworden. Wie allen Fremden war auch ihm die schöne Frau v. K... im Theater und auf der Promenade aufgefallen und er hatte versucht, sich ihr zu nähern.
Sacher-Masoch war wie auf Kohlen. Ein Erzherzog! Einen solchen Griechen hätte er kaum zu träumen gewagt.
Jemand mußte dem Prinzen einen Wink gegeben haben, denn er zog sich bald wieder zurück. Sacher-Masoch hatte in Graz den Ruf eines sehr unbequemen Gegners, und so hohe Herren müssen in solchen Dingen Krakehl vermeiden.
Bald nachher trat der Prinz in Beziehungen zu der Sängerin Fräulein Hoffmann und war damit für die Pläne Sacher-Masochs aufgegeben.
Das Verhältnis hatte schon ein Jahr gedauert, als Sacher-Masoch einen polnischen Grafen kennen lernte, den er Frau v. K. vorstellte.
Hier wurde die Erzählung meines Mannes zwar etwas dunkel, allein dank meiner eigenen Erfahrungen war es mir nicht allzu schwer, mich zurecht zu finden.
Der polnische Graf hatte weniger Bedenken als der kaiserliche Prinz und nahm das ihm gleichsam Gebotene an. Auch war Frau v. K... im Laufe der Jahre immer mehr mit den Träumen Sacher-Masochs vertraut geworden – und hatte sich hineingefunden.
Zufällig befand sich Sacher-Masoch eines Tages im Bureau seines Vaters auf der Polizeidirektion, als diesem eben von einem Beamten ein Steckbrief vorgelesen wurde, der einem wegen Diebstahls aus Lemberg flüchtig gewordenen Apothekergehilfen, dessen Spuren nach Graz führten, nachgesandt worden war. Als »besondere Kennzeichen« gab der Steckbrief gewisse Merkmale einer bösen Krankheit an.
Zug für Zug glaubte Sacher-Masoch in dem Gesuchten seinen polnischen Grafen zu erkennen.
Und Frau v. K... war bereits seit Wochen in ärztlicher Behandlung!
Entrüstet über solche Gemeinheit eilte Sacher-Masoch zu dem Polen, um ihn zur Rede zu stellen, fand ihn aber nicht – er fand ihn überhaupt nie wieder.
Frau v. K... hatte sich in der Geschichte zu sehr kompromittiert ... und auch die Krankheit ... kurz, der Dichter fand, daß er am besten tue, das Verhältnis aufzulösen.
Dann schrieb er »Die geschiedene Frau«, die er auch »Die Passionsgeschichte eines Idealisten« nannte.
Nach Frau v. K... wurde das Experiment mit Frau v. P... erneuert. Der erste Versuch mit dem damaligen türkischen Gesandten in Wien ging fehl. Man reiste nach Italien; zuerst nach Venedig, dann nach Florenz, am liebsten wäre man gleich nach Konstantinopel gegangen; allein bis dahin reichte das Geld der Liebenden nicht; im Süden konnte man eher auf verständnisvolles Eingehen hoffen. Es ging auch viel besser – nicht so wie er es geträumt hatte, aber darf man denn vom Leben eine volle Verwirklichung seiner Träume erwarten?
Um ganz in der Rolle eines Sklaven zu bleiben, wurde Sacher-Masoch für die Welt der Bediente der hübschen Frau, mit der er reiste. Er hatte sich aus seinem polnischen Nationalkostüm eine Livree zurecht gemacht, fuhr dritter Klasse, wenn Sie erste fuhr, schleppte das Gepäck von und zu den Wagen, saß neben dem Kutscher auf dem Bock, begleitete seine Herrin bei ihren Besuchen und wartete auf sie im Vorzimmer mit den andern Dienern.
Frau v. P... hatte den Schauspieler Salvini zu ihrem Partner in der Partie erwählt. Es kam zu köstlichen Szenen zwischen den dreien. Salvini, der von den geheimen Beweggründen, die ihn zu dem Spiel geladen, keine Ahnung hatte, meinte, das Ganze sei nichts weiter als ein galantes Abenteuer mehr in seinem Leben, fühlte sich aber durch die beständige Anwesenheit des sonderbaren Dieners der geliebten Frau sehr belästigt und ließ sich einmal, als dieser wieder gerade in einem interessanten Moment ins Zimmer kam, zu einem heftigen Ausfall gegen ihn hinreißen.
Sacher-Masoch war entzückt: gerade so wollte er ja den, der sein Herr werden sollte; und als dann der Schauspieler ging und er ihm im Vorzimmer in seinen Pelz half, beugte er sich rasch herab auf seine Hand und küßte sie. Ein anderes Mal: Frau v. P... saß wieder mit dem Italiener zusammen, als Sacher-Masoch ins Zimmer kam, um Holz in den Kamin nachzulegen. Jetzt verlor Salvini die Geduld und frug Frau P... französisch, zu was sie denn diesen polnischen Bauernlümmel da mit sich herumführe, es müßte ihr doch viel angenehmer sein, eine weibliche und geschulte Bedienung zu haben. Trotz seines Ärgers gab Salvini dem »polnischen Lümmel« fleißig Trinkgelder. –
Neben diesen glücklichen gab es in der Bedientenlaufbahn Sacher-Masochs auch peinliche Momente.
Es kam ein Tag, an dem ihn seine Gebieterin ausgeschickt hatte, um Öl und Milch einzukaufen. In einer Hand die Ölflasche, in der andern die Milchkanne, kam er die Straße herauf, als sein Studienfreund, der junge Fürst Raoul Wonde auf ihn zukam und ihn erkennend ausrief:
»Na, Sacher, geht die Schriftstellerei nicht mehr und bist hier Laufbursche geworden?«
Sacher-Masoch rettete sich nur dadurch, daß er den Freund verständnislos anstarrte, was diesen an ein Verkennen glauben machen sollte.
Nachdem Salvini der Glücklichste von dreien gewesen, trat er eine Gastspielreise irgendwohin an.
Hier stockte die Erzählung meines Mannes wieder.
»Was kam dann?« frug ich.
»Dann packte ich meinen Koffer und reiste ab.«
»Warum das?«
»Ach, diese Frauen haben ja alle keinen Charakter ... nur Launen. Mich kann eine Frau zu Tode martern, das wird mich nur glücklich machen ... aber sekieren lasse ich mich nicht ... Ich hab sie einfach sitzen lassen.«
Im dumpfen Schmerz zog sich mir das Herz zusammen.
So wird er auch dich eines Tages »sitzen lassen«, sagte mir eine innere Stimme.
Der Sommer ging seinem Ende zu. Wir mußten daran denken, wohin wir uns den Winter wenden wollten, was geschehen sollte.
Am liebsten wären wir auf dem Lande geblieben, allein die Kinder brauchten jetzt Schulen, und da war es das beste, gleich in eine größere Stadt zu ziehen mit höheren Schulen und dort zu bleiben. Der Plan war gut, aber die Mittel zur Ausführung fehlten.
Sacher-Masoch hatte immer gewünscht, bei einem Blatte eine Stellung zu finden, die ihm sein Auskommen sicherte und zugleich erlaubte, nebenher sein »Vermächtnis Kains« zu vollenden. Die Not des letzten Winters hatte den alten Wunsch wieder in den Vordergrund gedrängt. Eine derartige Stellung konnte er nur bei einer großen, ernsten Revue finden. Warum nicht selbst eine gründen? Ein Verleger dafür würde sich wohl finden lassen.
Es fand sich ein solcher in dem Eigentümer der Druckerei und des Verlags Greßner & Schramm (Dr. Lionel Baumgärtner) in Leipzig.
Anfangs September 1881 gingen wir nach Leipzig, und am 1. Oktober erschien das erste Heft von »Auf der Höhe«.
Das Unternehmen begann unter den glücklichsten Voraussetzungen. Dr. Baumgärtner war ein noch ganz junger Mann, der sich eben erst etabliert hatte. Er ging mit sehr viel Eifer und Lust an das Geschäft, und da er reich und bereit war, dem Unternehmen Opfer zu bringen, bot auch die Geldfrage keine Schwierigkeiten.
Ein schönes und endlich! auch sorgenfreies Leben, voll Arbeit, aber auch voll geistiger Anregung, begann jetzt für mich.
Zwischen uns und Dr. Baumgärtner hatte sich bald ein schönes freundschaftliches Verhältnis gebildet. Manchen Abend saß er bei uns im traulichen Geplauder. Er gehörte dem Leipziger Millionen-Clan an: wie alle, die zu uns kamen, meinte auch er, unsere enge Häuslichkeit schließe ein wahres und tiefes Glück ein. – Das wärmte sein dort etwas erkaltetes Herz, die Schatten, die bereits auf sein junges Leben gefallen waren, verblaßten, es wurde wieder licht hinter dem Dunkel – darin lag der Grund seiner Freundschaft mit uns.
In den ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Leipzig beschlich mich manchmal die Hoffnung, daß es vielleicht doch noch anders, besser werden würde zwischen mir und meinem Manne. Mit der Gründung der Revue war ihm ein lang gehegter heißer Wunsch erfüllt. Er hatte ein großes Organ für sich, das er ganz nach seinem Willen lenken, in dem er alle seine literarischen Pläne verwirklichen konnte. Von allen Seiten beglückwünschte man ihn zu dem Unternehmen, und die berühmtesten Namen auf allen Gebieten scharten sich als Mitarbeiter um ihn. Ja, ich hoffte, daß jetzt mit Hilfe der äußeren Umstände eine Zeit der Ruhe, des Aufatmens für mich gekommen sei, daß die neue und glückliche Lage, in der wir lebten, in dem Manne, der nun einmal, wie er mir einst schrieb, »mein Schicksal« geworden war, den bösen Geist bändigen werde.
Trotz seiner anstrengenden literarischen und redaktionellen Arbeiten hatte mein Mann Zeit gefunden, zu bemerken, daß Dr. Baumgärtner »rasend« in mich verliebt sei.
Dr. Baumgärtner hatte in seiner offenen vertrauenden Art zu meinem Manne einige Bemerkungen über mich gemacht, und diese waren an der unheilvollen Entdeckung schuld. Daß sie, dem Ehemann gemacht, jeden Hintergedanken ausschlossen – so feine Unterschiede machte Sacher-Masoch nicht.
Dr. Baumgärtner war in mich verliebt, und diese günstige Situation sollte ausgenützt werden.
Anfangs hörte ich gar nicht hin, wenn er mir davon sprach. Allein er ließ sehr bald durchblicken, daß das Gedeihen der Revue von mir abhinge, das heißt, daß er nicht nur Arbeit, sondern auch Vergnügen dabei haben wolle, daß ich ihm dieses Vergnügen schaffen müsse, wenn mir an unserer Existenz wirklich etwas liege.
Obgleich ich ihn für fähig hielt, alles zu riskieren, um seinen Willen durchzusetzen, bekam er von mir auf alle derartigen Vorschläge ein kaltes und starres »Nein«.
Alle Freude an dem Umgang mit Dr. Baumgärtner war mir verdorben.
»Sie sollten sich verheiraten, Dr. Lionel«, sagte in einer abendlichen Plauderstunde mein Mann zu unserm Verleger. »Ein liebes, braves Weib, das ist doch das Glücklichste, was es geben kann ... da bekommt das Leben Inhalt ... und wenn dann erst Kinder kommen ... wie reich fühlt man sich.«
Dr. Baumgärtner ging in die Falle.
In einfacher Herzlichkeit erwiderte er:
»Wenn ich eine Frau finden würde, wie die Ihre, ich würde es mir keine Sekunde überlegen, selbst wenn sie, wie jener Glückliche im Märchen, kein Hemd am Leibe hätte.«
Während er das sagte, hatte er sich zu mir gewandt und mich mit glücklichem Lächeln voll und fest angeblickt.
Eine tiefe, aber zugleich wehmütige Freude machte mein Herz schneller schlagen; wußte ich doch, daß der Tag kommen würde, wo ich auch diese Freundschaft, wie so vieles andere, verlieren würde. –
Kaum hatte sich diesen Abend die Türe hinter Dr. Baumgärtner geschlossen, als mein Mann in ein Triumphgeschrei ausbrach.
Durch die Revue waren wir in lebhaften Verkehr gekommen mit allen Geistesgrößen der Gegenwart. Von unserer kleinen bescheidenen Wohnung gingen geistige Fäden aus, die in der ganzen zivilisierten Welt Anknüpfungspunkte fanden und uns immer wieder neue Gedanken und Ideen zuführten. So stand ich mitten in einem regen Geistesleben, das mir zum Segen wurde, weil es mir den Blick, für die Geschicke der Menschheit, das Streben bedeutender Männer öffnete und dadurch wieder mich belehrte, wie wenig wichtig mein eigenes kleines Frauenschicksal sei.
Unter den vielen Angeboten, die wir für die Redaktion erhielten, befand sich ein Offert von einem Fräulein Hulda Meister aus Pasewalk. Sie bot sich als Übersetzerin an und zwar für mehrere Sprachen. Wir machten einen Versuch mit ihr, und da dieser gelang, wurde sie engagiert.
Sie war ein kleines, bereits stark verblühtes, aber wie es schien, noch recht anspruchsvolles Geschöpf. Ihre zimperlichen Manieren, ihr vornehm feinsollendes Getue, ihre aufdringliche Koketterie reizte zur Ungeduld. Aber sie war als Übersetzerin sehr zu gebrauchen, und das war die Hauptsache.
Es kamen damals auch viele Franzosen zu uns. Saint-Saëns war dagewesen, Professor Seailles, Madame Adam, die Herausgeberin der Nouvelle Revue und die Freundin Gambettas, hatte uns ihren Besuch von Petersburg aus, wo sie in politischer Mission weilte, angezeigt. Jetzt schrieb uns, es war anfangs Januar 1882, ein Herr Armand aus Nürnberg, er habe sich dort einer Dürer-Studie halber aufgehalten, möchte, ehe er nach Frankreich zurückkehre, Sacher-Masoch seine Bewunderung aussprechen, und meldete uns seinen Besuch für die nächsten Tage an.
Herr Armand kam, und wir fanden in ihm einen ungewöhnlich sympathischen Menschen. Er war noch jung, aber schon sehr stark, was ihn älter aussehen machte und ihm eine gewisse Schwere gab. Er sprach ganz einfach, und alles, was er sagte, schien so gradeweg vom Herzen zu kommen, daß man sich ganz warm von seinen Worten berührt fühlte. Von sich selbst sprach er nicht direkt, verstand es aber geschickt, hier und da in die Unterhaltung Bemerkungen einzuschieben, die ihn beleuchten oder das andeuten sollten, was er über sich nicht aussprechen mochte.
Als er ging, frug er, ob er wiederkommen dürfe.
Leopold war von ihm entzückt.
»Was für ein reizender Mensch!« rief er. »Die Franzosen! Wie leicht man sich mit ihnen versteht!«
Als ich am andern Morgen in den Salon kam, stand dort ein großer Strauß wunderbarer Rosen, den mir Herr Armand gesandt hatte.
Herr Armand blieb in Leipzig, und Dr. Baumgärtner reiste ab. Er ließ uns nur sagen, Geschäfte riefen ihn für einige Wochen nach Wien, und ohne von uns weiter Abschied zu nehmen, war er abgefahren.
Er war in der letzten Zeit immer weniger zu uns gekommen und schließlich ganz weggeblieben.
Diese plötzliche Abreise, und für so lange Zeit, beunruhigte mich. Es mußte etwas vorgefallen sein.
Schon seit Wochen war mein Mann gegen mich verstimmt. Früher hatte er in solchen Momenten zu arbeiten aufgehört; das konnte er jetzt nicht. Mit der Revue hatte er Pflichten gegen Dritte übernommen und fremde Interessen zu wahren, und wenn er mir auch andeutete, daß er die Lust daran bald verlieren werde, so mußte er doch weiter dafür tätig sein.
Hatte er vielleicht, was er mir so oft gedroht, getan, und Dr. Baumgärtner selbst eine Andeutung gemacht?
Das Blut stieg mir zu Kopf und ich zitterte vor Scham und Zorn bei dem Gedanken an diese Möglichkeit.
Wenn ich mir vorstellte, wie er so gar kein Verständnis für den ernsten und reinen Charakter Dr. Baumgärtners hatte, ganz blind war für das feine Empfindungsleben des jungen Mannes – dann mußte ich mir mit Entsetzen gestehen, daß er die Schmach vielleicht auf sich geladen, und fürchten, daß die plötzliche Abreise Baumgärtners einer Flucht vor der schmerzlichen und schamvollen Enttäuschung, die wir für ihn waren, gleichkam.
Denn wie hätte Dr. Baumgärtner vermuten können, daß ich nicht in geistiger Gemeinschaft mit meinem Manne lebe? –
An die Stelle des abwesenden Dr. Baumgärtners sollte jetzt Herr Armand treten. –
Ein Franzose! Das sei ein ganz anderer Geist. Der würde nicht vor Entsetzen aufschreien, wenn man ihm sagt, daß ein Dichter etwas Originalität in sein Verhältnis zum Weibe lege. Und dabei versicherte er mich seiner Liebe, »nie habe er mich mehr geliebt als jetzt«.
Eine andere Liebe umgab mich nun. Nicht in großen Worten drückte sie sich aus, sondern in unablässiger Fürsorge für mein Wohl. Mit dem Instinkt des Herzens erriet Armand meine Wünsche, noch ehe sie mir selbst zum Bewußtsein kamen, und erfüllte sie, wie sich die Wunder im Märchen erfüllen. Oft sah ich diese Liebe im Geheimen leiden, weil sie in mein Leben nicht tiefer eindringen konnte, und doch ahnte, daß es da Rauhes und Schmerzliches gab, dem gegenüber sie machtlos war.
Und wenn dann zwei gute dunkle Augen angstvoll forschend und fragend auf mich schauten, da war es mir, wie es einem Wanderer sein mag, wenn er nach langem weitem Weg in Wind und Sturm und grausiger Nacht plötzlich in ein helles, warmes Heim tritt, in dem er von seinen Mühen ausruhen kann.
Das war mir neu und fremd. Lange wollte ich nicht daran glauben. Als ich es aber glauben mußte, da beklagte ich, daß diese Liebe so spät – zu spät – gekommen. Und grade weil sie mir so zukunftslos schien, gab ich mich ihr hin und freute mich ihrer, wie man sich im Winter eines flüchtigen Sonnenstrahls freut, von dem man weiß, daß ihm bald wieder Kälte und Dunkel folgen werden. –
Noch in anderer Richtung unterschied sich die Liebe Armands von der meines Mannes: dieser zog mich hinab in die Tiefe, wo seine Leidenschaften hausten; jener hob mich empor in lichte Höhen; für ihn war ich das Beste, Schönste, Heiligste, das ihm das Leben bieten konnte; ein teurer Schatz, den er angstvoll bewahren und hüten wollte.
Er ahnte nicht, wie sein Glaube an mich, seine reine und edle Liebe mich grade jetzt, wo ich so schwer gegen die schmachvollen Pläne meines Mannes kämpfen mußte, stützte und kräftigte.
Denn wenn mir auch die Meinung der Welt gleichgültig war, die Meinung derer, die mir nahe standen, die ich selbst wertschätzte, war es mir nicht. Was Armand von mir hielt, war mir Trost und Freude – ebenso wie es mich quälte, daß Dr. Baumgartner schlecht von mir denken mußte ... damals und noch lange Jahre nachher.
Und wie arg trieb es jetzt mein Mann! Er war wie besessen vom Bösen. Unablässig drängte er, doch endlich mit Armand »ernst« zu machen.
So besudelte er das Bild, das ich von Armands Liebe in mir trug, und machte mir jede Stunde zur marternden Pein.
Und kein Gedanke, keine Ahnung stieg in ihm auf, daß er an seinem eigenen Untergang arbeitete.
Da liegt ein Brief vor mir, den er am 8. Januar 1869 von Meran aus an seinen Bruder geschrieben hatte:
»Lieber Karl!
Je mehr der Novellen-Zyklus über die ›Liebe der Geschlechter‹ seinem Abschluß nahte, um so ungenügender erschien mir sein Titel ›Das Hohelied der Liebe‹. Im Suchen nach einem Titel kam ich am 6. Dezember zu dem Gedanken, diesem Zyklus nicht bloß einen zweiten über das ›Eigentum‹ folgen zu lassen, sondern das ganze Menschendasein – so weit es dem Dichter möglich – in einem großen Novellen-Zyklus zur Darstellung zu bringen. Seitdem habe ich die Sache weiter ausgetragen; auf Spaziergängen, auf der malerischen Ruine der Zenoburg, in Dämmerstunden wuchsen Idee und Stoff heran. Mancher ältere Entwurf rankte sich von selbst in das neue Gebäude, manches ganz Neue schoß auf, manches auch blieb noch im Keime, aber ich bin so weit fertig, daß ich Dir den Plan mitteilen kann. Nur sprich mit niemand davon, ich bin mißtrauisch, seitdem Kürnberger mich so vielfach bestohlen hat.
Ich teile Dir den Plan deshalb schon detailliert mit, weil ich im besten Falle drei bis vier Jahre zur Ausführung desselben brauche. Ist es mir nicht gegönnt, das groß angelegte Werk zu vollenden, so ist es ein Vermächtnis für Dich und Du kannst es in meinem Sinne zu Ende führen. Der ganze Novellen-Zyklus wird den Titel: ›Das Vermächtnis Kains‹ führen.
Als Prolog wird eine Novelle unter dem Titel ›Das Vermächtnis Kains‹ die Aufgabe haben, die Ideen des ganzen Werkes zu entwickeln. Als das Vermächtnis Kains erscheinen: Die Liebe der Geschlechter – Das Eigentum – Der Staat – Der Krieg – Die Arbeit – Der Tod. – Eine der Hauptideen dieses Zyklus ist, daß die Menschheit erst dann glücklich sein wird, wenn die sittlichen Gesetze der Gesellschaft auch im Staatsleben Geltung haben werden und sogenannte ›große Fürsten‹, große Generale und große Diplomaten ebensogut wie heutzutage Mörder, Räuber, Fälscher und Betrüger auf dem Galgen oder im Zuchthaus enden werden.
Im Staat: das Elend und die Wirtschaft der absoluten Monarchie; die Lügenhaftigkeit des Konstitutionalismus; Rettung durch Demokratie, Vereinigte Staaten von Europa; gemeinsame Gesetzgebung.
Der Krieg: die Furcht vor dem Kriege, die Rekrutierung, das Elend der stehenden Heere, Brand, Plünderung, Notzucht, Hungersnot, Leichenraub. Die allgemeine Wehrpflicht bereitet die allgemeine Entwaffnung vor.
Die Arbeit: sie ist ein freiwilliger Tribut an das Dasein, überwindet momentan dessen Gefahren und macht den Menschen dadurch froh. Der Reiche wird seine Bedürfnisse einschränken, um so wenig als möglich arbeiten zu müssen. Die Gesellschaft dagegen muß durch Ausrottung der Müßiggänger, jener, die auf Kosten anderer leben, durch gerechte Verteilung auf alle ihre Glieder dahin streben, die Arbeit einzelner Klassen und die Arbeit im allgemeinen zu vermindern.
Als Epilog schließt das Ganze eine Novelle: ›Die heilige Nacht‹. Die Geburt Christi, Jesus Christus nicht der Sohn Gottes, sondern Jesus Christus der Mensch auf dem Kreuze bleibt das ewige Symbol der Erlösung durch die Entäußerung des Egoismus; die Menschenliebe, Christus, der Mensch ohne Geschlechtsliebe, ohne Eigentum, ohne Vaterland, ohne Streit, ohne Arbeit, der freiwillig stirbt, personifiziert die Idee der Menschheit, und in diesem Sinne tönt jedem das mahnende Wort: ›Du sollst das Kreuz der Menschheit auf Dich nehmen.‹
Dies eine flüchtige Skizze. Der Plan selbst ist bereits weit gediehen, eine Fülle von Gedanken, Geschichten, Gestalten strömt zu. Sobald, was ich unter der Feder habe, beendet ist, gehe ich an die Ausführung des ›Vermächtnis Kains‹, und unternehme nichts Neues, ehe es vollendet.
Wird es mir aber gegönnt sein, die großen Gedanken desselben, welche mich begeistern und erheben, auch auszuführen?
Diese Frage beschäftigt mich immer wieder, aber sie bleibt auch ein ewiger Trieb zum Schaffen.«
Nur ein kleiner Teil des großen Plans wurde ausgeführt. Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach. Seine moralische Kraft reichte nicht aus, um sein Talent bis ans Ende zu stützen, zu geleiten, und ohne ernste Moral können große Gedanken nicht zu Taten werden.
Das sonderbare Gebaren meines Mannes, der immer ging, wenn Armand kam, mußte diesem auffallen. Ich aber wollte keinen Schatten zwischen uns, und entschloß mich, Armand zu sagen, wie es zwischen mir und meinem Manne stand.
Er war starr. Das sollte er von Sacher-Masoch glauben? Plötzlich wurde er nachdenklich und sah mich mit gespannter Aufmerksamkeit an.
Eine lange – lange Minute verrann.
Dann setzte er sich zu mir, zog mich an sich, hob meinen in glühend heißer Scham tief herabgesunkenen Kopf auf, bedeckte ihn schützend mit seinen großen breiten Händen und sagte:
»Wanda, komm mit mir, willst du? Verlaß deinen Mann ... ich nehme dich mit allen deinen Kindern, und behalte dich das ganze Leben. Du sollst so glücklich sein, wie es noch nie eine Frau war ... ich will nichts anderes tun, als nur dich glücklich machen. Und die Kinder werde ich besser lieben als er, sie besser erziehen und besser für ihre Zukunft sorgen. Laß dich scheiden, damit wir heiraten können, und wenn das nicht geht, werden wir auch ohne Heirat glücklich sein – nur verlaß ihn und sei ganz mein.«
Es gibt Augenblicke so voll unbeschreiblicher Glückseligkeit, daß sie Jahrhunderte von Leiden aufzuwiegen scheinen.
Dieser war ein solcher.
Nachdem Dr. Baumgärtner von seiner Reise zurückgekehrt war, schrieb er an Sacher-Masoch, daß er »Auf der Höhe« nicht mehr weiter verlegen wolle.
Schreckensbleich reichte mir mein Mann den Brief. Ich hatte es vorausgesehen, und doch schlug auch mir jetzt das Herz. Da lagen jetzt alle Hoffnungen auf eine schöne Zukunft zertrümmert im Kot. –
Da er mit Dr. Baumgärtner keinen Vertrag gemacht hatte, konnte er nichts dagegen tun. Ganz verzweifelt war er darüber, daß schon das nächste Heft der Revue nicht mehr bei Greßner & Schramm erscheinen sollte. Wie sollte er augenblicklich einen anderen Verleger dafür finden? Er war ganz verwirrt, und wie betäubt von dem Schlage starrte er mich nur immer an, als erwartete er von mir Hilfe. Aber ich hatte ihm nichts mehr zu geben. Wohl trug ich auch mein Teil an dem Unglück, aber ich trug es nicht mehr mit ihm; so trennte sich das einzige Gemeinsame, das zwischen uns war: unsere Sorgen; und jeder blieb mit seiner Last allein.
Als Armand am Abend kam, merkte er gleich, daß etwas Ernstes bei uns vorgefallen sein mußte. Sacher-Masoch ließ ihn nicht lange in Ungewißheit und zeigte ihm Dr. Baumgärtners Brief.
Es schien mir, als ob Armand mehr angenehm als peinlich von dieser Wendung berührt wäre.
Er hatte bei uns einen jungen Verleger, Ernst Morgenstern, der einige Sachen meines Mannes verlegt hatte, kennen gelernt und sich mit ihm befreundet. Jetzt sagte er, wir sollten uns nicht weiter beunruhigen, er wolle gleich zu Morgenstern, sich mit ihm besprechen, sie würden zusammen die Revue übernehmen. Und er ging.
Daß Armand und Morgenstern die Revue übernehmen könnten, der Gedanke brachte bei meinem Manne einen vollständigen Stimmungswechsel hervor. Mit großen Schritten ging er im Zimmer hin und her, und sagte in ganz erhabenem Ton: »Daß ich daran nicht gedacht habe! Für die zwei jungen Leute ist es ja eine glänzende Zukunft: Morgenstern als Verleger, und Armand als Mitherausgeber einer so bedeutenden Revue! Es ist auch ganz natürlich, daß Armand Gelegenheit sucht, sich uns fester anzuschließen, denn er scheint dich in sehr ernster Weise zu lieben, und da muß ihm doch daran liegen, in unserer Nähe bleiben zu können. Jetzt werde ich aber einen festen bindenden Vertrag machen, denn das soll mir nicht mehr passieren, daß mich ein Verleger so einfach sitzen lassen kann wie Baumgärtner.«
Armand und Morgenstern übernahmen die Revue. Sacher-Masoch hatte sich noch günstigere Bedingungen ausgemacht, als sie Greßner & Schramm gewährten – und vertragsmäßig dazu.
Jetzt hatten sich die Umstände doch so gefügt, daß sein Plan in Erfüllung ging, und er in der Revue »machen konnte, was er wollte«.
Überzeugt, daß ich bereits die Geliebte Armands war, fühlte er sich ganz Herr der Situation – jetzt waren wir ganz in seiner Hand.
Er irrte sich. Ich war nicht Armands Geliebte – war es nie – nicht in seinem Sinne.
Sacher-Masoch wünschte, ich, Armand und Morgenstern sollten im Interesse der Revue nach Berlin und Hamburg reisen. Von der Notwendigkeit dieser Reise nicht sehr überzeugt, wenigstens was meine Person betraf, weigerte ich mich, sie zu machen. Sacher-Masoch aber bestand auf seinem Willen und ich gab nach.
Es war Mitte März, als wir die Reise antraten.
Um die Kinder besorgt, hatte ich Fräulein Hulda Meister gebeten, während meiner Abwesenheit nach ihnen zu sehen und auch mich im Hause ein wenig zu vertreten. Sie versprach es.
Auf der Rückreise, wir waren nur acht Tage weg gewesen, kam im Coupé die Rede auf Fräulein Meister. Armand und Morgenstern konnten sie nicht ausstehen, und machten, wie immer wenn sie von ihr sprachen, ihrem Groll gegen sie Luft. »Sie ist giftig«, sagte Morgenstern, »man muß ihr nicht zu nahe kommen.« Und »wir müssen sie um jeden Preis los werden, sie muß aus der Redaktion hinaus«, fügte Armand bei.
Mein Mann hatte in der letzten Zeit sehr viel auf seine Übersetzerin gehalten und sie gegen ihre Ankläger verteidigt. Er nannte sie »seine rechte Hand« und versicherte, daß er ohne sie gar nicht zurechtkommen könnte. In Rücksicht darauf verteidigte ich sie. So tat ich auch jetzt. Das ärgerte die beiden und sie platzten heraus: ob ich denn blind sei, die Meister sei seit langem die Maitresse meines Mannes.
Was ich von der Treue meines Mannes zu halten hatte, wußte ich, aber daß er an diesem verwelkten, lächerlichen, altjüngferlichen Geschöpf Gefallen finden sollte, das machte mich lachen. –
Jetzt bereuten die beiden Männer, es mir gesagt zu haben und schwiegen.
Aber da fiel es mir ein, daß mir mein Mann in einem seiner Briefe mitgeteilt hatte, Fräulein Meister habe einen prachtvollen Pelz bekommen.
Im März einen Pelz! dachte ich und vergaß es wieder.
Dieser Pelz war ein Verdachtsmoment. Aber das war ja zu dumm! Die Hulda Meister! Nein, ich wollte lieber nicht daran denken.
Zu Hause fand ich Sascha mit verbundenem Kopf im Bett. Voll Schrecken frug ich, was es sei.
»Nichts«, sagte mein Mann, »er ist auf der Straße gefallen, es hat aber nichts zu bedeuten.«
Ich fühlte mich seltsam unbehaglich in meinem Hause, alles wehte mich frostig an; ich sah mich um, aber es war alles wie früher – und doch anders.
Ich hatte ein braves treues Mädchen, Zenzi, aus Passau mitgebracht. Ich machte ihr Vorwürfe, daß sie die Kinder auf die Straße gelassen, was sie, wie sie wohl wußte, nicht durfte. Sie antwortete nicht. Ich war ärgerlich und heftig. Nun gestand sie unter Tränen, was geschehen war.
Fräulein Meister hatte meine Bitte, mich zu vertreten, wörtlich genommen, sich in meinem Zimmer ganz eingerichtet, meine Wäsche und Kleider getragen, und nachts in meinem Bett neben meinem Mann geschlafen. Um tagsüber von den Kindern nicht gestört zu werden, wurden sie auf die Straße geschickt; so kam es zu dem Unfall.
Es war die Zeit, wo Fräulein Meister kommen sollte. Ich schloß die Türe, die vom Salon ins Schlafzimmer führte ab und steckte den Schlüssel zu mir.
Jetzt läutete es. Zierlich und fein tänzelte die Pasewalkerin herein. Mein Mann, der etwas ahnen mochte, saß wie versteinert. Ich rief die Magd und ließ sie in Gegenwart beider wiederholen, was sie mir gesagt. Keiner wagte zu widersprechen. Nachdem ich das Mädchen hinausgelassen, verschloß ich die Salontüre, griff nach der Peitsche, die ich mir schon vorher zur Hand gelegt hatte, und schlug das Fräulein so stark und so lange, als meine Kräfte reichten. Sie sprang von einer Ecke des Zimmers in die andere, fortwährend schreiend: »Aber, Herr Doktor, verteidigen Sie mich doch! Aber, Herr Doktor, schützen Sie mich doch!« Doch diese Rufe fanden kein Echo im Herzen meines Mannes, er war und blieb versteinert.
Nachdem ich mich müde geschlagen, schloß ich die Türe auf und stieß meine »Vertreterin« hinaus.
Nun war ich auch mit meinem Manne fertig.
Noch in dieser Stunde ließ ich sein Bett und alle seine Sachen in ein anderes Zimmer schaffen und alle Pelzjacken und Peitschen dazu. –
Frei! Befreit von der zehnjährigen Qual ... wieder mir selbst angehören, ich selbst sein dürfen ... nie wieder eine Pelzjacke anziehen, nie mehr eine Peitsche zur Hand nehmen ... und kein Wort mehr von der »Venus im Pelz« sprechen hören!
Wie eine schwere Rüstung, die ich so viele Jahre getragen, die mich eingeengt, mich an jeder natürlichen Bewegung gehemmt, mich zu verkrüppeln gedroht, fiel die Last von mir und ich mußte mich einen Augenblick hinsetzen, um die Freude dieses Augenblicks, die Genugtuung, daß ich es getan hatte, ganz und in Ruhe genießen zu können.
Am andern Morgen schrieb Fräulein Meister an Sacher-Masoch:
»Leipzig, 22. 3. 82.
Hochgeehrter Herr! Nachdem, was mir heute in Ihrem Hause widerfahren ist, werden Sie es begreiflich finden, wenn ich meine Stellung in der Redaktion aufgebe. Ich werde die Sachen, die ich für das Maiheft noch zu liefern habe, erst beenden und dann nach Hause zurückkehren oder nach Berlin und bitte ich Sie, das mir zuständige Honorar dorthin zu senden.
Von Berlin aus werde ich dann die nötigen Schritte tun, um mir auf gerichtlichem Wege Genugtuung für die mir widerfahrene Beleidigung zu verschaffen.
Hochachtungsvoll Hulda Meister.«
Auf die »gerichtlichen Schritte« warte ich noch heute.
Im April mieteten wir in der Nähe Leipzigs, in Knauthain, ein kleines Landhäuschen und zogen dahin.
Ich wußte wohl, daß Sacher-Masoch keinen Annäherungsversuch an mich wagen würde, allein ich hatte nicht mit seiner Bosheit und slawischen Tücke gerechnet. Sein Verhältnis zu Fräulein Meister bestand weiter und gleichzeitig mit diesem hatte er eines mit einer in Leipzig sehr gekannten Frau Jenny Marr. Die beiden Damen arbeiteten nach demselben Ziele: ihn von mir zu trennen, um meine Stelle einzunehmen. Er würde es auch wohl getan haben, hätte er sich nicht sagen müssen, daß eine Trennung von mir auch eine Trennung von Armand bedeutete, das heißt, von einer reichlich fließenden Geldquelle. Er aber brauchte jetzt viel Geld, um all die Pelze anzuschaffen, die er für sein neues Liebesglück so dringend nötig hatte.
Um sich für diesen Zwang schadlos zu halten und vielleicht auch von meiner Ruhe und Gleichgültigkeit gereizt, rächte er sich an mir, indem er mich in raffinierter Weise zu quälen suchte. Am liebsten setzte er mich in Gegenwart der Kinder herunter, denn hier war er ganz sicher mir Schmerz zu bereiten. Sascha entzog er mir vollständig. Oft nahm er das Kind mit nach Leipzig zu den Besuchen, die er seinen Maitressen machte. Ich mußte es geschehen lassen.
Auch Armand verfolgte er mit den ausgesuchtesten Chikanen. Wenn dieser nur die leiseste Bemerkung über die maßlosen Kosten der Revue zu machen wagte, drohte er ihm »Auf der Höhe« ganz aufzugeben und mit seiner Frau und den Kindern Leipzig zu verlassen; oder er deutete ihm an, daß er sich ruhig zu verhalten habe, sonst würde er von seinem ehelichen Rechte Gebrauch machen und ihm die Türe weisen. –
Im Winter bezogen wir in der Elsterstraße in Leipzig eine große Wohnung, die Armand schön hatte möblieren lassen.
Am 1. Januar 1883 feierte Sacher-Masoch sein 25jähriges Schriftstellerjubiläum. Armand hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um es so glänzend als möglich zu gestalten – und sich darüber in Schulden gestürzt.
Madame Adam schrieb mir, daß sie das Kreuz der Ehrenlegion für meinen Mann erhalten habe; noch von anderen Staaten erhielt er Orden, und das Haus war den Tag so voll von Geschenken und Gratulanten, daß mir ganz schwindlig wurde.
Am 27. Januar, dem Vorabend von Sacher-Masochs Geburtstag, fand bei uns ein großes Diner statt und am 29. Januar kam er morgens in mein Zimmer und teilte mir mit, daß er eben seine Sachen habe fortbringen lassen, und auch die Saschas, denn sie zögen beide von mir weg. Übrigens könne ich noch zwischen ihm und Armand wählen – aber meinen Liebhaber dulde er nicht mehr.
Armand war in Geldschwierigkeiten gekommen und konnte die sich immer wieder erneuernden Geldforderungen Sacher-Masochs nicht mehr befriedigen.
Er hatte sich um Geld an seine Familie gewandt, und man hatte ihm versprochen, eine große Summe, ich glaube 100 000 Frs. für die Revue hergeben zu wollen. Sein Vater war deshalb nach Leipzig gekommen und hatte das selbst Sacher-Masoch versichert. Dieser aber war ungeduldig, das Geld kam nicht schnell genug; und in einem Anfall schlechter Laune schrieb er an Armands Vater, daß er »Auf der Höhe« überhaupt aufgeben werde. Die Familie, die das Unternehmen für ein sehr ernstes und Sacher-Masoch für einen ganz reellen Mann gehalten, wurde stutzig und schloß ihr Geld wieder in ihre sicheren Kassen. Sacher-Masoch hatte sich in sein eigenes Fleisch gebissen – das sollten wir büßen.
Ich ließ ihn ziehen.
Ich zahlte meinen beiden Dienstboten den Lohn und bat sie, sofort das Haus zu verlassen.
Als Mitschi und Lina von der Schule heimkamen, war ich bereits allein. Sie sahen das halbgeleerte Zimmer, die Stelle, wo Saschas Bett gestanden, sein Spielzeug war nicht mehr da, und er selbst von der Schule nicht zurück, kein Dienstmädchen war im Hause und Mama stand selbst am Herd, um ihr Mittagessen zu kochen. Wie viele Warum? Wozu? mögen in ihren kleinen braven Herzen aufgestiegen sein, für die ihr Kinderverstand keine Antwort fand, und die doch so schmerzend tief in ihr junges Leben eingegriffen. Scheu und ängstlich schmiegten sie sich aneinander, als suchte eins beim andern Schutz vor unbekanntem Unheil, doch keine Frage wagten sie an mich zu richten, nur ihre Blicke folgten mir überallhin, wie die treuer Hunde, die die Spur ihres Herrn zu verlieren fürchten. Lina war zwölf Jahre alt – sie mochte wohl schon über Vieles Gedanken haben. Wie gern hätte ich diese gekannt, doch sie hat mir nie ihr Herz eröffnet, und ich habe nie verschlossene Türen eingedrückt.
An einem Tage kam auch Lina nicht mehr aus der Schule heim. –
Nun waren wir beide allein, ich und mein schwarzer Bub. Um ihn brauchte ich nicht besorgt zu sein: je mehr die andern von mir abfielen, um so fester klammerte er sich an mich und um so glücklicher war er, denn jetzt hatte er endlich seine Mama ganz für sich allein.
Einige Wochen nachher war Sascha erkrankt und sein Vater ließ mich fragen, ob ich ihn nehmen wollte.
Ob ich wollte!
Und als man mir dann das Kind brachte, schlang es seine Arme um mich, küßte mich mit seinen fieberheißen Lippen und sagte:
»O, mein Mütterchen!«
Der Kinder wegen mußte Ordnung in unsere Verhältnisse kommen. Ich ging zu dem Rechtsanwalt Dr. Broda und bat ihn, sich meiner anzunehmen. Er tat es gern und mit aufrichtiger Wärme. In einer Unterredung, die er mit Sacher-Masoch hatte, sah dieser sein Unrecht ein, versprach alles – und hielt nichts.
Ich mußte die große Wohnung, die nicht mehr bezahlt wurde, verlassen. Sobald Sascha wieder gesund war, bezog ich mit den Kindern in Böhlitz-Ehrenberg eine kleine Sommerwohnung mit Garten.
Schon hoffte ich, daß sich die Dinge jetzt so gestalten würden, wie ich es am ehrlichsten wünschte, daß ich den Mann los geworden und die Kinder behalten konnte.
In furchtbarer Weise wurde ich aus meinem Irrtum gerissen.
Es war am Morgen, die Knaben spielten im Garten, ich nahm jeden Tag um diese Stunde ein kaltes Bad, als ich einen Wagen vorfahren hörte. In der Meinung, Armand sende mir eine Botschaft, lugte ich durch die Spalten der geschlossenen Fensterbalken. Ich sah, wie der Sekretär meines Mannes im Vorgarten Sascha seinem Vater über den Zaun hinüberreichte, nachsprang und alle drei auch schon wieder wegfuhren.
Die Füße verließen mich und ich knickte zusammen. Aber ich wollte nicht ohnmächtig werden, ich mußte meine Kraft behalten, um schnell handeln zu können.
Gewiß war die Frau, bei der ich wohnte, im Einverständnis, sonst würden die beiden für ihren Raub nicht gerade den Moment haben wählen können, wo ich im Bade war; als sie aber jetzt meinen wahnsinnigen Schrei hörte und mich vom Schreck gelähmt am Boden liegen fand, da, glaube ich, bedauerte sie den Streich, zu dem sie offenbar die Hand geboten.
Mit ihrer Hilfe zog ich mich an und fuhr zu Dr. Broda.
Doch wie ich ihm das Vorgefallene erzählen wollte, kamen mir statt Worte nur Tränen – Tränen.
Ich wußte im voraus, daß er nicht helfen konnte, daß es kein Gesetz gibt, das dem einen oder andern der Eltern erlaubt, die Kinder zu behalten, solange darüber nicht ein Prozeß stattgefunden habe und ein richterliches Urteil gefällt worden.
Wenn es aber für eine Mutter in solcher Lage überhaupt einen Trost geben kann, so fand ich ihn in der warmen Anteilnahme meines Anwalts. –
Was mich völlig zerschmetterte, war das ganz bestimmte Gefühl, daß das Kind für mich verloren war.
Sacher-Masoch hatte es mir schon ein paarmal entführt und wiedergebracht; ich hätte das auch jetzt hoffen können, aber nicht der leiseste Lichtstrahl einer solchen Hoffnung fiel in meinen verzweifelten Geist; hätte ich mein geliebtes Kind im Sarge vor mir gesehen, würde ich nicht fester an seinen ewigen Verlust haben glauben können.
Ohne bewußten Willen, ohne zu denken, als ob meine Füße allein mich führten, schlug ich den Weg zu Armands Wohnung ein.
Doch brachte mir auch meine Zuflucht zu ihm keinen Trost und keine Hilfe. Wohl gab er mir mitleidige Tränen und Worte der Hoffnung und des Friedens, mein Herz aber, das nur nach meinem Kinde schrie, konnte jetzt nichts andres fassen, nichts begreifen; die Zukunft schien mir wie mit einer Mauer abgeschlossen und Frieden nur noch im Grabe möglich.
Da stachelte er meine in Schrecken und Gram erlahmte Energie dadurch wieder auf, daß er mir die Wahrscheinlichkeit nahelegte, Sacher-Masoch werde aus purer Lust, mir Leiden zu bereiten, mir auch noch Mitschi nehmen.
In der Verzweiflung um das verlorene hatte ich das mir gebliebene Kind vergessen.
In jagender Hast fuhren wir nach Böhlitz-Ehrenberg, gepeitscht von der Furcht, Mitschi nicht mehr zu finden.
Er war noch da. Wir packten seine Sachen in den Wagen, und Armand, der ihn bei sich behalten wollte, fuhr mit ihm nach Leipzig.
Jeden Tag ging ich jetzt nach der Stadt, hin zur Schule, die Sascha besuchte. Was wollte ich da? Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte ich nur die kurze Zeit, die ich noch in Leipzig sein würde – denn jetzt war es beschlossene Sache, nicht hier zu bleiben –, ihm so nahe als möglich sein. Vielleicht war es auch ein letzter schwacher Schimmer von Hoffnung, durch irgendeinen Zufall mein teures Kind wieder zu bekommen. Hinter einer Mauer verborgen, sah ich ihn kommen, immer vom Sekretär oder seinem Vater begleitet, lachend, plaudernd und glücklich. Zuweilen ging er ahnungslos so nahe an mir vorüber, daß ich meinte, er müsse das laute Schlagen meines Herzens hören, und ich erstaunt war, daß die heiße Liebe und Sehnsucht, die von mir zu ihm ging, ihn nicht erreichte, seine harmlose Heiterkeit nicht zu berühren vermochte. Ein unvernünftiges, egoistisches, aber schneidendes Weh trieb mir dann die Tränen in die Augen, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte und nur noch sein frisches, klares Stimmchen wie ein Silberglöckchen in der Ferne verklingen hörte.
Lange Stunden ging ich um das Haus herum und suchte zu erraten, hinter welchen Fenstern sein Klassenzimmer war, und da überkam mich der Gedanke, hinaufzugehen, direkt in die Klasse, und mir zu holen, was mein war, mein Kind. Ich würde es wohl getan haben, hätte mich nicht die Furcht, daß mir sein Herz jetzt abgewandt sei und es der Mutter vielleicht nicht mehr folgen wolle, abgehalten. Ich aber hatte mir aus der Freiheit in der Liebe ein Gesetz gemacht, das auch für meine Kinder zu Recht bestehen sollte – von einer Liebe, die Pflicht ist, sollten sie nie von mir hören.
Viel habe ich in meiner zehnjährigen Ehe mit Sacher-Masoch gelitten, aber was es auch war an äußeren Sorgen, innerer Knechtung und seelischer Sklaverei, es hat mich nicht gebrochen und zerfloß in nichts gegenüber dem maßlosen Schmerz, der mir von diesem heißgeliebten Kinde kam.
Ich ging und schloß mich ein mit meinem Gram.
Wohl gab es auch jetzt noch Augenblicke, wo sich meine Natur aufbäumte vor diesem Übermaß von Leiden, wo ich mich aufraffen, mich selbst wiederfinden wollte. Vergebens. Mein Leben wurzelte in der Liebe zu meinen Kindern – hatte ich diese nicht, war mein Lebensnerv durchschnitten. Ich glaube, es war Mitte Juni, als ich mit Mitschi Leipzig verließ. Armand sollte uns den nächsten Tag folgen.
Wir machten in dem ersten französischen Städtchen in der Schweiz, Neuveville, das am Bielersee gelegen, Halt.
Es war spät in der Nacht, als wir ankamen. Früh am andern Morgen ging ich mit Mitschi hinunter an den See. Es war da etwas wie die Idee eines Parkes. Ein kleines Viereck, umgeben von alten schönen Bänken.
Wenn Mitschi mit mir allein war, spielte er nie und sprach auch fast nicht. Es war, als ob er den Atem anhielt, um das selige Gefühl, bei der Mutter zu sein, ganz zu genießen. So saß er auch jetzt stumm neben mir.
Es war hier dunkel, kühl und köstlich einsam. In gedankenlosem Genießen sah ich auf das anmutige Landschaftsbild, den leise atmenden See mit seinem sanften Wellenspiel, die grünen Ufer drüben von Erlach, die wie ein blühender Strauß aus dem See aufsteigende Insel Saint-Pierre, in der Ferne überragt von hohen dunkeln Bergen, und diese wieder von in der Sonne glänzenden Zacken und Spitzen, die vielleicht nur Wolkengebilde, vielleicht auch die Höhen der Berner Alpen waren.
Plötzlich stand Armand mit erregter Miene vor uns.
»Was ist?«
»Wie ich da her komme«, sagte er bewegt, »und dich mit dem Kinde habe sitzen sehen, so allein und still und so fremd in dieser Umgebung, da fühlte ich so recht deine Lage, wie verloren und verlassen du jetzt bist, und ihr beide tatet mir so leid ... furchtbar leid ... Da hab' ich mir geschworen, daß ich mein ganzes Leben daran setzen will, dich und das Kind glücklich zu machen ... Und schau, wie das sonderbar ist: so weh es mir tut, dich so zu sehen, so macht doch wieder dein Unglück mein Glück ... jetzt hast du keinen Menschen mehr, der sich um dich kümmert, als mich ... verstehst du, wie mich das glücklich macht: dich allein haben ...«
Ruhig und still flossen die Tage hin; hier und da von Stürmen unterbrochen, veranlaßt von Armands Eifersuchtsanfällen. Sie kamen wie eine Krankheit, und wie an einer solchen litt er daran. Sie schufen nur Leiden und aufregende bittere Stunden. Er war eifersüchtig auf die Sonne, die mich beschien, die Wand meines Zimmers, die mich anblickte. War ein solcher Anfall vorüber, dann bat er unter Weinen und Schluchzen, ihm zu verzeihen. Ich verzieh ihm auch, aber in solchen Augenblicken fühlte ich mein Herz gegen ihn erkaltet; das blieb ihm nicht verborgen und vermehrte seine Reue und seinen Schmerz.
Anstatt wie sonst traulich zusammen zu sitzen, wichen wir uns aus.
O, das Zerfleischen dessen, was einem am teuersten ist, wie furchtbar rächt es sich am eigenen Glück!
Wieder machte ich die Erfahrung, daß es nicht wahr ist, daß Mann und Weib in der Liebe eins werden. Aus zwei Verschiedenen kann auch mit dem besten Willen kein Ganzes werden.
Und es ist gut, daß es so ist.
Die Einsamkeit unseres tiefinnersten Lebens soll uns heilig sein, kein andres soll über seine Schwelle; denn nur in dieser Einsamkeit findet und erhält sich das eigene Selbst – echt und stark – und das ist doch wohl die Hauptsache: daß jeder bleibt, was er ist: ein ganzer Mensch.
Wir wohnten in Neuveville im »Falken«, einem ruhigen, stillen Gasthof, der von einer Witwe, Frau Keller, einer lieben, herzensguten Frau, musterhaft geführt wurde.
Armand beschäftigte sich viel und voll Eifer mit der Erziehung Mitschis, den er wie ein eigenes Kind liebte. Er machte mit ihm seine Schulaufgaben durch, lehrte ihn Französisch, vor allem aber ein Mann zu sein, über physische Schmerzen nie zu klagen, niemals Furcht zu zeigen, jeder Gefahr ruhig ins Gesicht zu sehen und immer wahr zu sein. Das Seelenleben des Kindes rein zu erhalten, darauf richtete er unablässig seine Aufmerksamkeit, und dabei verfuhr er so zart und taktvoll wie eine Frau. Mitschi lohnte es ihm durch tiefe Zuneigung, beide waren bald die besten Kameraden, und da sie auch lustige Patrone waren, hatten sie stets die Köpfe voller Späße.
Nur wenn das Wort Mutter fiel, da wurden sie ernst. »Mutter« war für das Kind, als ob man »Gott« gesagt hätte. Alles trat zurück, wo die Mutter war. Die Mutter! Die Mutter! Wie erzitterte sein Kinderherz in Angst und Sorge um sie, wie forschend blickte er zuerst sie an, wenn er zur Türe hereinkam; war sie noch, wie er sie verlassen? Hatte ihr kein Windhauch ein Haar gekrümmt, während er nicht da war? Hatte man ihm nichts von ihr genommen? Ihr kein Weh zugefügt?
Oh, Mutter, Mutter! ... Welch schmerzhaft-seliges Glück! In der Qual dieser Liebe fanden sich die beiden. Oft nahm ihn Armand auf, legte ihn zärtlich an seine Brust und liebkoste ihn, als wolle er ihm danken für die Liebe, die er für mich hatte. Dann brachte er ihn mir und befahl ihm:
»Küß unsere Mutter!« Und der Mund des Kindes streifte meine Wange, heiß und flüchtig, wie in Schrecken.
* * *