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Du bist ja mein Glück, mein Stern, zu dem ich jetzt noch aufblicke in heiligen Schauern, der aber bald zu mir herabkommen wird, ein Gott in schöner Menschengestalt, denn Du bist schön, Anatol, ich weiß es, vielleicht nicht, was die Menschen schön nennen, aber von jener übersinnlichen Schönheit, mit der die Seele allein ein Menschenantlitz zu verklären mag. Du bist zu gleicher Zeit schön wie das Märchen, wie die Flamme des Prometheus, wie die Musik der Sphären, wie das verschleierte Bild zu Sais.
In heiliger Liebe
Dein
Leopold.«
Das irritierte Anatol. Warum persönlichen Verkehr bei geistiger Liebe? Er suchte auszuweichen, war aber der Beredsamkeit Leopolds nicht gewachsen. Dieser trieb ihn immer mehr in die Enge, und endlich nach langem Zögern und beinahe mit einem Schrei der Verzweiflung willigte Anatol in eine Zusammenkunft, und nur unter der Bedingung, daß sich Leopold verpflichtete, auf das Pünktlichste allen Vorschriften zu folgen, die er ihm geben würde. Es war augenscheinlich, daß der Briefschreiber von einer Indiskretion viel zu fürchten hatte – und sie fürchtete.
Selbstverständlich nahm Leopold jede Bedingung an.
Die Begegnung sollte in Bruck stattfinden.
Die Wahl des Ortes, in dem wir so lange gelebt, den wir erst kürzlich verlassen, in dem Sacher-Masoch von jedermann gekannt war, wo ihm ein Zufall, für den er nicht hätte verantwortlich gemacht werden können, die Person seines Freundes hätte verraten können, war mir ein Beweis mehr, daß Anatol von unseren Verhältnissen nichts wußte. –
An einem furchtbar kalten Dezembertag reiste mein Mann ab. Es war ihm der Zug angegeben worden, den er nehmen sollte; im Hotel »Bernauer« sollte er wohnen. In einem vollständig dunklen Zimmer mit verhängten Fenstern und mit gewissenhaft verbundenen Augen warten, bis um Mitternacht drei Schläge an seiner Türe vernehmbar werden; erst auf den dritten Schlag solle er »Herein!« rufen, jedoch ohne sich vom Platze zu rühren.
Solche Vorsichtsmaßregeln waren nur bei einer Frau verständlich; bei einem Manne würden sie lächerlich erschienen sein.
So nahm denn mein Mann zärtlich Abschied von mir – in der festen Überzeugung, daß er die folgende Nacht mit einer schönen Frau verbringen werde.
Ich schlief diese selbe Nacht merkwürdig ruhig.
Ich glaubte nicht das Recht zu haben, meinem Manne ein so schönes und interessantes Abenteuer durch kleinliche Bedenken zu verleiden. Einmal so weit, hatte ich auch die Kraft, alle weiteren Reflektionen darüber zu unterdrücken. Und dann war Leopold in dieser Sache, das Geschlecht seiner neuen Bekanntschaft ausgenommen, ganz ehrlich mit mir gewesen ein sehr mildernder Umstand für das, was jetzt in Bruck vorging.
Am folgenden Tag kam er wieder heim – noch ebenso irritiert, ebenso im Unklaren über die Person Anatols, wie bei seiner Abreise.
Er erzählte mir darüber folgendes:
Er war nach seiner Ankunft in Bruck gleich in das Hotel »Bernauer« gegangen, hatte zu Nacht gegessen, sich dann ein Zimmer geben lassen und da gewartet. Bald brachte man ihm einen Brief Anatols: drei eng beschriebene Bogen: ein Angstschrei wegen des Schrittes, den er zu tun im Begriffe war, die zitternde Freude vor der Zusammenkunft und die bleiche Furcht vor ihren Folgen.
Die letzten Zweifel, die Leopold über das Geschlecht der Person, die er erwartete, noch haben konnte, schwanden vor diesem Brief dahin. So schrieb nur ein Weib, und zwar ein hochstehendes Weib, das die geringste Indiskretion in eine furchtbare Lage bringen konnte. Der Brief war so flehend, so verzweifelt, es schien so vieles und Ernstes in Gefahr zu sein, daß Leopold einen Augenblick, von Mitleid ergriffen, zugleich auch vor der Verantwortung erschreckend, daran dachte, sich zurückzuziehen, und bedauerte, daß er Anatol von diesem Wunsche nicht benachrichtigen konnte, da er, seiner Verpflichtung gemäß, nicht nach ihm fragen durfte. So blieb ihm nichts übrig, als die Dinge herankommen zu lassen. In den langen Stunden des Wartens schwächte sich auch dieser Eindruck wieder ab, die Lust nach der schönen Unbekannten überzog das Mitleid, und als Mitternacht herannahte und er die Vorhänge schloß, sich die Augen verband und in höchster Spannung die letzten Minuten verrinnen sah, war's mit dem festen Entschluß, das Glück, das ihm das Schicksal in den Schoß warf, zu ergreifen und festzuhalten. –
Nachdem der letzte Schlag der zwölften Stunde verklungen war, hörte Leopold schwere Schritte, die die Treppe heraufkamen und sich seinem Zimmer näherten. Überzeugt, daß ihm ein Hotelbediensteter wieder eine Nachricht bringe, und zwar eine, die seinen Erwartungen entgegen sei, war er schon im Begriff, die Binde von den Augen zu nehmen, als die drei leisen, vorsichtigen Schläge an der Türe erklangen, genau so, wie sie ihm angezeigt worden waren.
Er rief »Herein!«, vernahm, wie die Türe aufging und dieselben schweren Schritte ins Zimmer kamen.
Also doch ein Mann!
Während mein Mann ein Gefühl der Enttäuschung zu überwinden suchte, sagte eine wunderbar klangvolle, aber von tiefer Bewegung bebende Stimme:
»Leopold, wo bist du? Führe mich, ich sehe nichts.«
Mein Mann nahm seine Hand und führte ihn an den Diwan, auf dem sie beide Platz nahmen.
»Gestehe«, sagte dieselbe Stimme, »daß du ein Weib erwartet hast?«
Die Verwirrung, die im Geiste Leopolds durch die nicht mehr erwartete Erscheinung eines Mannes entstanden war, war rasch wieder verschwunden; er hatte die Möglichkeit, daß es ein Mann sei, genau erwogen, und hatte für beide Fälle feststehende Pläne: war's eine Frau, dann war sie die Venus im Pelz, war's ein Mann, dann war es der Grieche. – Und obgleich es ihm in der ersten Sekunde wirklich leid tat, daß es keine Frau war, weil seine Phantasie sich nur noch mit einer solchen beschäftigte, so war es ihm jetzt doch fast lieber, endlich den so lang gesuchten Griechen gefunden zu haben. – Er antwortete auf die Frage Anatols:
»Nach deinem letzten Brief mußte ich es fürchten; du hüllst dich förmlich in Geheimnisse!«
»Fürchten? So wärst du nicht enttäuscht?«.
Bis um vier Uhr morgens saßen die beiden Männer beisammen; Anatol nur von geistiger, körperloser Liebe sprechend, daß er noch kein Weib berührt und »rein an Leib und Seele sei«.
Aber der, der da neben Leopold saß, war kein Knabe mehr, ein noch junger Mann, ja, aber ein Mann, größer und stärker als Leopold – und noch kein Weib berührt? Was war das?
Mein Mann besaß eine gefährliche Rednergabe, die hinriß – ohne zu überzeugen, und wer ihr unbewaffnet gegenüberstand, der war verloren.
So erging es Anatol. Er war noch dazu sehr befangen und blieb es während der ganzen Dauer der Unterredung.
Leicht bemächtigte sich Leopold seines Geistes und drängte ihn Schritt für Schritt dahin, wo er ihn haben wollte. Er sagte ihm, daß er verheiratet sei, eine reizende Frau und ein engelschönes Kind habe, und wie entzückend es sei, nach fünfjähriger Ehe noch in seine Frau verliebt zu sein. Darauf sagte der andere gerührt und fast demütig:
»O, ich danke dir, du hast eine große Angst von mir genommen.« –
»Bist du schön?« frug ihn Leopold.
»Ich weiß es nicht.«
»Giltst du für schön?«
»Ich bin ein Mann, wer sollte es mir sagen?«
»Du selbst. Du bist schön, ich fühle es. Wer eine Stimme hat, wie du, muß schön sein.«
»Vielleicht würde ich dir doch nicht gefallen.«
»Du! Du bist mein Herr, mein König. Aber wenn du das fürchtest, zeige dich zuerst Wanda, meiner Frau, sie kennt mich – wenn sie mir sagt, daß ich dich sehen darf, dann ist's gewiß wahr.«
So drängte der eine und wehrte der andere ab. Die Stunde des Abschieds kam.
»Lebe wohl!« klang es von beiden. In diesem Augenblick brannte ein heißer Kuß auf meines Mannes Hand.
So schieden sie.
Mit dem ersten Zug, der nach Graz fuhr, kam Leopold zurück.
Wieder kamen und gingen Briefe. Jetzt wurde ich mit hineingezogen. Leopold sandte ihm unsere Bilder und bat um das seine. Wir wurden aber nur immer hingehalten.
Ein Briefwechsel auf so langen Umwegen ist ermüdend. Und solche Ausflüge in das grenzenlose Reich des Phantastischen sind gut für die Reichen und Müßigen; wer mit der Not des Lebens zu kämpfen hat, den reißt die Wirklichkeit bald wieder mit starkem schmerzhaftem Ruck zurück in die Welt der Sorgen und Arbeit. Selbst meines Mannes Interesse an der Sache fing an zu ermatten. Er empfand, wie diese fortwährenden Liebesversicherungen mit gleichzeitigen Beweisen von Mißtrauen verletzend für uns seien. Zwar war Mißtrauen Sacher-Masoch gegenüber sehr begreiflich, obwohl er gerade hier von der gewissenhaftesten Diskretion war; allein die Geschichte konnte doch nicht ewig so fortgehen; wir drehten uns immer in demselben Kreis herum, mir wurde schon ganz schwindlig davon. So schrieb ich Anatol in diesem Sinne: ein Entweder-Oder. Darauf kam die Entscheidung: ein Abschiedsbrief.
Ein viele Bogen langer Abschied, voll Schmerz und Trauer.
»Leopold!
Den Frieden meiner Seele, der Freundschaft stilles Glück, den heiteren Genuß des Lebens und die Freude an der ganzen übrigen Welt habe ich hingegeben für die berückende Hoffnung, an Deinem Herzen liegen zu dürfen. Und was wurde mir? – Eine Glut, eine Pein, die mich verzehrt und die Qualen der eigenen Sehnsucht ins Unendliche gesteigert, durch Deine sinnlosen Vorwürfe.
Nach langem Ringen habe ich mich aufgemacht zur schwersten, zur einzigen Tat meines Lebens. Ein heißer Schrecken überfällt mich, wenn ich daran denke, wie Du diesen Brief auffassen wirst.
Ich habe Wandas Brief gelesen, und jeder Satz hat mich durchleuchtet: ›Soll ich an die Wahrheit Deiner Liebe glauben, dann handle, handle wie ein Mann!‹ Zwei Tage lang kämpfte ich mit meiner Selbstsucht – ich habe überwunden. Zum letztenmal spreche ich zu Dir, nenne Dich Leopold, meinen Geliebten, mein höchstes, heiligstes Gut – denn Anatol sagt Dir Lebewohl.
Meine Verbindungen mit der Post sind abgebrochen, ich erhalte keine Briefe mehr, nachdem Du diesen gelesen – Du schreibst umsonst. Und nun laß Dir erklären, wie ich dazu kam.
Dein Wunsch, mich bei Dir zu haben, ist unerfüllbar. Das würde Dich immerfort peinigen, und um mir nicht wehe zu tun, würdest Du stumm leiden. Du um mich – es ist doch möglich, daß ich es nicht verdiente. – Vielleicht auch käme es, wie Wanda meint, daß Du endlich Dich losreißen würdest, dann wären wir einander verloren. So aber, wenn ich es bin, der für jetzt endet, habe ich die Gewißheit, die volle Überzeugung, daß Du mich immer lieben wirst, so wie ich Dich. Ja, Leopold, wie ich Dich! Denn ewig bin ich Dein. Und unser kurzes Glück? – Nimm es als einen schönen Traum, einen Traum vom Himmel, eine herrliche Verheißung endloser Seligkeit.
In dieser Welt der Körper gibt es keine geistige Liebe – Du selbst bist es, der diese geistige Liebe nicht ertragen kann – vielleicht auch ich.
Ich will ein Mann sein; das Recht, das die Welt an mich hat, soll ihr werden, meine Aufgabe, meine Pflichten werde ich erfüllen, und dieses Leben wird vorübergehen. Was aber kann mich dann hindern, an Deiner Seite alle Seligkeit zu genießen? Halte mich nicht für einen krankhaften Schwärmer, ich bin es nicht; aber könnte ich Dich denn lassen, ohne einen Hoffnungsstrahl, ohne Aussicht auf die Ewigkeit?
So vieles möchte ich Dir noch sagen, daß Du mich ganz verstündest. Es ist ja zum letzten Male! Aber es gehört alles Dir, mein Denken, mein Empfinden, die süßen Worte der Liebe, die mir von nun an im Herzen liegen werden, ein Schatz, den keine Hand heben kann, als die Deine. Kraft und Mut glaube ich zu besitzen, und ich bin so weich, viel zu weich für einen Mann und für so großes Entsagen.
Du kannst, Du darfst mich nicht vergessen, Leopold, nicht vergessen, daß Du mir gehörst, mein Eigentum bist, ganz und gar. Aber ich beschwöre Dich, laß den Schmerz über diese Trennung nicht Meister werden, nicht Dein großes herrliches Gemüt umdüstern, damit ich nicht umsonst so qualvoll gerungen habe. Denke, glaube, daß Wandas Prophezeiung eingetroffen wäre, und Du, abgespannt, ermüdet durch das körperliche Fernsein bei geistigem Verkehr, Dich von mir gewendet hättest.
Ich wollte Dich mir retten, darum habe ich jetzt entsagt.
Und nun behüt Dich Gott! Sei glücklich! Du hast ja Wanda, Deine Kinder, Du kannst es sein. – Ich bin allein! ... – Und dennoch schmerzhaft selig in dem Bewußtsein, Dich gefunden zu haben, Dich zu besitzen, und einst ungehindert mich Deiner Liebe freuen zu dürfen.
Und wenn Dir manchmal recht wohl ist, wenn eine süße Wehmut, eine heilige Sehnsucht Dich durchschauert, so denke, daß bei Dir ist in ewiger Liebe
Dein
Anatol.«
Einige Monate vergingen, dann kam folgender Brief:
»Leopold!
Mag es werden, wie immer, ich weiß, daß ich Dich nicht lassen will, nicht lassen kann. – Der dumme Buchhändler hat mir ein Buch von Dir geschickt, es kam mir mitten in dem Kampf zwischen Entsagen, Liebe und Verzweiflung.
Mag es werden, wie immer, ich bin Dein, Du bist mein; Du sollst mich auch bei Dir haben, nur jetzt noch nicht. Einige Monate habe noch Geduld, dann gehe ich zu Dir – für immer. Ich kann alles hingeben, alles leiden für Dich. Liebst Du mich noch? Glaubst Du noch an
Deinen
Anatol?
Tausend Küsse an Wanda.«
Und das alte Spiel mit Zögern, Unentschlossenheit und Hinhalten begann von neuem.
Mein Mann, der nur an den Griechen dachte, kam aus Spannung und Aufregung nicht heraus. Jetzt, wo ich wußte, wohin die Geschichte führen sollte, war mir leid, daß ich »mitgetan«; ich war froh gewesen, als der Bruch erfolgt war, und bedauerte jetzt, daß die Sache von neuem begann, weil ich fürchtete, sie werde ein häßliches Ende nehmen. –
Es war im Mai. Im »Thalia-Theater« fand aus einem Anlaß, dessen ich mich nicht mehr erinnere, eine besondere Vorstellung statt, als wir von Anatol ein Billett erhielten, das uns sagte, er würde das Theater besuchen, und wünsche, uns dort zu sehen.
Wir wußten nicht, daß er in Graz war.
Leopold wurde gleich ganz aufgeregt. Sascha müßte mit, Anatol sollte unser schönes Kind sehen. Die offenen Logen des Thalia-Theaters eigneten sich sehr gut zum Gesehenwerden. Anatol, den wir nicht kannten, hatte den Vorteil, uns nach unseren Bildern zu erkennen, während wir in dem dicht gefüllten Hause an ein Erkennen eines nie Gesehenen gar nicht denken konnten.
Anatol hatte einmal geschrieben, daß er dem jungen Lord Byron ähnlich sehe, und Leopold glaubte, am Eingang des Theaters, hinter einer Säule versteckt, einen Augenblick einen solchen Mann gesehen zu haben, wollte aber keinen indiskreten Blick auf ihn werfen, und ließ sich gern vom Gedränge wegschieben.
Ein seltsames Gefühl ist es, stundenlang so dazusitzen und zu wissen, daß zwei brennende Augen, die man selbst nicht sieht, unausgesetzt auf einem ruhen und jeden Zug des Gesichts mit fiebernder Neugier durchforschen.
In dieser seelischen Spionage war kein großmütiger Zug von unserem Anatol. Aber Menschen, die immer in den Wolken schweben, haben wohl nur für göttliche, aber nicht menschliche Größe Verständnis.
Ich war froh, als das Theater und damit unsere Ausstellung zu Ende war.
Am nächsten Tage kam wieder ein Brief von Anatol, der uns diesmal in das Hotel zum »Elefanten« bestellte. Dort sollten wir im Speisesaal auf Nachricht warten, denn diesmal wollte er uns sprechen.
Gehorsam der Aufforderung saßen wir abends im Speisesaal des »Elefanten«, und bald kam auch ein Diener, der Leopold bat, ihm zu dem Herrn zu folgen, der ihn erwarte.
Er blieb nicht lange weg und sagte mir, als er wiederkam, Anatol bitte mich, hinauf zu ihm zu kommen, der Diener warte draußen, um mich zu führen.
Ich ging mit dem festen Vorsatz, dem Spiel ein Ende zu machen.
Der Diener, der kein Kellner war und sehr viel »Stil« hatte, führte mich eine Treppe hinauf, durch mehrere Gänge, in einen erhellten eleganten Salon, und von da in einen anderen, der gänzlich dunkel war. Der Diener ging, und ich stand im Finstern.
»O, bitte, Wanda, komm hierher«, sagte eine weiche, zarte Stimme aus dem Dunkel.
»Bist du es, Anatol?«
»Ja.«
»Du mußt mich holen, denn ich sehe nichts.« Einen Augenblick Schweigen. Dann kamen langsam zögernde Schritte zu mir her, eine Hand suchte die meine und führte mich an einen Diwan.
Ich war sprachlos vor Überraschung!
Die Person, die an mich herangekommen war und jetzt neben mir saß, war ganz entschieden nicht der Anatol, den Leopold in Bruck gesprochen hatte; denn dieser hier war klein und, wie ich trotz der Dunkelheit wahrnehmen konnte, verwachsen, auch seine Stimme hatte den fast kindlichen Klang, wie ihn Bucklige haben, nicht tief und voll, wie die, die meinen Mann an Anatol so entzückt hatte.
Wer war nun das wieder?
Ich sprach zu ihm, aber der Arme war so befangen, daß er kaum antworten konnte.
Aus Mitleid ging ich bald wieder.
Als ich Leopold erzählte, wie ich meinen Anatol gefunden, begriff auch er nichts mehr. Der, den er vor mir gesprochen, war derselbe, wie der in Bruck: derselbe große starke Mann, dieselbe schöne tiefe Stimme.
Ich war ärgerlich, und zu Hause angekommen, schrieb ich sofort an Anatol. Ich ließ ihn glauben, daß wir von dem Austausch nichts gemerkt, und sagte, daß ich jetzt den wahren Grund seiner Weigerung, sich uns zu zeigen, kenne, daß er in seinem Äußeren läge, daß es mir leid täte, daß er nicht fühle, wie solches Mißtrauen uns verletzen müsse ... kurz, ich schrieb in diesem Sinne und sandte den Brief noch denselben Abend zur Post.
Am folgenden Tage, wir saßen nach dem Mittagessen noch alle im Speisezimmer, als es läutete und die Magd mir einen Brief brachte und sagte, ein Herr warte draußen auf Antwort.
Das Billett kam von Anatol – nein – von dem Unglücklichen, mit dem ich gestern im »Elefanten« gesprochen, und bat mich, ihn allein zu empfangen.
Da Mann, Kinder und Kapf im Speisezimmer waren, mußte ich den Besucher durch die Küche, das Kinder- und das Arbeitszimmer Leopolds in mein Zimmer führen lassen, das, wie ich schon gesagt, auch zugleich unser Empfangszimmer war.
Als ich da hinein kam, trat durch die andere Tür ein junger, kleiner, verwachsener Mann mit rötlich-blonden Haaren und jenem sanften, blassen und traurigen Gesicht, das man bei Mißgestalteten so häufig findet.
Jetzt zitterte in ihm eine unbeschreiblich schmerzliche Erregung, die seelenvollen ernsten Augen blickten mich so flehend und so angstvoll an, daß ich, von tiefem Mitleid ergriffen, auf ihn zueilte und, seine beiden Hände fassend, warme, herzliche Worte zu ihm sprach. Da fiel er vor mir auf die Knie, barg sein Gesicht in meinem Schoß, und den armen verkrüppelten Körper erschütterte ein gewaltsam zurückgehaltenes Schluchzen.
Ich legte ihm die Hände beruhigend auf das Haupt; ich weiß nicht mehr, was ich ihm sagte, aber es war gewiß gut und ehrlich, denn er tat mir in seinem maßlosen Schmerz furchtbar leid. Als er dann sein von Tränen überströmtes Antlitz wieder zu mir aufhob, lag auf ihm ein glückliches und dankbares Lächeln.
»Du verzeihst mir, Wanda, den Betrug und die Lüge, die ich an dir begangen?« frug er mit leiser Stimme, in der die Erregung noch nachzitterte.
»Ich habe dir nichts zu verzeihen – wir waren alle unehrlich.«
»Nicht du, Wanda.«
»Doch – auch ich. Wir waren es alle, und das rächt sich an uns. Wir sind eben nicht für den Himmel geschaffen, kleben zu sehr an der Erde, von der wir nicht loskommen, solange wir ihr nicht zurückgeben, was sie uns geliehen – dann erst wird die Zeit kommen für jene Liebe, von der Anatol träumt.«
Traurig ließ er den Kopf sinken.
Eine Weile schwiegen wir beide; dann nahm er meine Hände, küßte sie und sagte:
»Ich danke dir, Wanda, daß du mir erlaubt hast, Abschied von dir zu nehmen. Ich bin in diesem Augenblick zugleich der glücklichste und unglücklichste Mensch, den die Erde trägt: mein Herz jubelt, weil es dich gefunden, und es blutet, weil es dich verlassen muß. Doch so reich war diese Minute für mich, daß ich mein ganzes künftiges Leben von diesem Reichtum zehren werde. Ich reise heute nacht mit dem 11-Uhr-Zug ab. Willst du mir die Gnade tun und mit Leopold heute in das Landes-Theater kommen, damit ich euch noch bis zuletzt sehen, dieselbe Luft mit euch atmen kann? Und nach der Vorstellung werde ich in meinem Wagen im Schatten der Domkirche auf euch warten in der Hoffnung, daß ihr mir das Almosen eines letzten Händedrucks, eines Abschiedskusses nicht versagen werdet.«
Er ging, wie er gekommen.
Am Abend waren wir im Theater und nach der Vorstellung fanden wir den Wagen im Schatten der Domkirche. Bei unserer Annäherung erschien in dem herabgelassenen Fenster ein hinter einer Halblarve verborgenes Gesicht, zwei Arme streckten sich heraus, umfaßten Leopold, zogen ihn an sich, und die beiden Männer küßten sich. Darauf griffen dieselben Arme nach meinen Händen, auf denen ich heiße Lippen fühlte. Dann fiel der Maskierte schwer auf seinen Sitz zurück, das Fenster schloß sich, und der Wagen rollte weg.
Kein Wort war während der Szene gesprochen worden, und sprachlos standen wir noch da und schauten dem Rätsel nach, das dort in der dunkeln Nacht verschwand.
Wer war es? Anatol oder der Mißgestaltete? Wir wußten nichts.
Es kam wieder ein Abschiedsbrief, der in der Klage auslief, daß wir nicht verstanden hätten, geistig zu lieben, wodurch wir den Zauber zerstört – und Ähnliches. Alles in diesem Brief war dunkel, unverständlich; vielleicht war es absichtlich so, obwohl der Schreiber behauptete, sich klar und ehrlich ausgesprochen zu haben.
Wir antworteten nicht mehr.
Einige Monate nachher erhielten wir von unbekannter Hand, und ich erinnere mich auch nicht mehr von wo, ein dickes Manuskript, das das Erlebte novellenartig darstellte. Briefe von Anatol und uns waren darin, auch viel Wahres neben mancherlei Falschem.
Es war offenbar aus jenem Mißtrauen heraus geschrieben, das Anatol stets geleitet hat, und in der Absicht, uns abzulenken, auf falsche Fährte zu bringen, falls wir forschen sollten.
Wenn er das gewollt hatte, so war es nicht sehr schlau gemacht.
Die Darstellung darin war folgende: Zwei Freunde, der eine schön, reich und vornehm, der andere mißgestaltet und arm, haben die Novellen Sacher-Masochs, »Die Liebe des Plato« und »Die Ästhetik des Häßlichen«, gelesen. Der schöne und vornehme, Anatol, der von sich sagt: »Sein Gemüt war rein – ein Heiligtum von seltener wunderbarer Hoheit; er war schön: wenn er lächelte, hätte man weinen mögen vor Entzücken, und wer ihm ins Auge sehen durfte, dem war ein Blick in den Himmel vergönnt; niemand konnte ihm widerstehen, und wo er geliebt sein wollte, wurde er es.« Und an einer anderen Stelle: »Noch hatte ihn kein Weib geküßt, als seine Mutter. Er war angebetet worden und kalt geblieben; er haßte die Knechtschaft der Sinne und wollte nur mit der Seele lieben ... Sein Leben war ein unerfülltes Sehnen ...« Er war hingerissen von der »Liebe des Plato«. Den andern, den armen und mißgestalteten Paul, entzückte die »Ästhetik des Häßlichen«. Sie schrieben abwechselnd an Sacher-Masoch, und wenn dieser zu dringend nach einer Zusammenkunft verlangte, dann mußte Paul als Anatol auftreten; denn dieser wollte um keinen Preis gesehen werden.
So entstand der Betrug und wuchs groß, bis darüber der schöne Traum in Trümmer ging.
Auf einer nächtlichen Fahrt im Mondlicht im Gebirge sprechen die beiden Freunde von uns. Paul ermahnt Anatol, seine übertriebenen Forderungen an Freundschaft und Liebe aufzugeben und in einfacher, herzlicher Freundschaft mit uns zu verkehren, was uns alle glücklich machen würde. Darauf erwidert Anatol mit den ungeduldigen, ahnungsvollen Worten:
»Reizend! Ich werde einen roten Hermelinpelz anziehen und weiße Atlashosen, und Leopold wird zu meinen Füßen liegen und mich anstaunen; ich werde ihn quälen, während er mich anbetet. Den Journalisten, die ihn besuchen kommen, werde ich ›gezeigt‹ in Samt und Seide und schwellendem Pelzwerk, auf einem Diwan ruhend, und sie werden hingehen und geistreichelnde Essays schreiben. Ich werde mich ohne Zweifel in Wanda verlieben, und sie in mich, wir werden die lustigsten Komödien haben, und die blöde Welt, die nur an das Gemeine glaubt, wird von mir sagen: Er ist der Liebhaber von Mann und Frau. – Ein wunderbares Leben – nur darf ich nicht vergessen, vorerst das unbefleckte Siegel meines Vaters zu zerschlagen und meinen Stammbaum zu zerreißen.«
* * *