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Seiner Majestät Kalif Alasîs, der gegen das Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung Ägypten und angrenzende Länder beherrschte, war es eine liebe Gewohnheit, sich abends nach der Hitze des Tages und nach den argen Beschwerden der Reichsregierung Geschichten erzählen zu lassen, und es traf sich glücklich für ihn, daß unter seinen Hofbeamten ein vorzügliches Erzählertalent war, der Sekretär und Bibliothekar, Herr Schabuschti. Dieser verstand es trefflich, die Geschichten für den Geschmack seines hohen Herrn zurechtzustutzen. Es durften gute oder schlechte Geschichten sein, sittliche oder unsittliche, nur kurzweilig mußten sie sein und möglichst pikant. Außerdem wurde die Prosa der Erzählung gern durch eingefügte geistreiche Verse von Liebe und Wein zu einem anmutigen Teppich verwebt. Was aber am bezeichnendsten für diese Unterhaltung war, und was Seine Majestät immer wieder zu hören wünschte, das war ein und derselbe Gegenstand, das war das ferne Bagdad, das Leben am Hofe der Kalifen von Bagdad. Und warum gerade Bagdad? Ein Kalif in Kairo und ein Kalif in Bagdad! Wer war denn der richtige Kalif? Es kann doch nur einen einzigen rechtmäßigen Nachfolger und Stellvertreter des Propheten auf Erden geben! –
Die einzige Quelle aller Souveränität im Islam ist die Verwandtschaft mit dem Propheten, und da er keinen Sohn hinterließ, die Verwandtschaft mit seiner Tochter Fâtime, der Gemahlin Alis. Aus dieser Ehe sind zahllose Menschen hervorgegangen, von denen manche Königsthrone eingenommen haben, manche bei den Versuchen solche zu erringen in Kerkern elendiglich umgekommen, die meisten im bürgerlichen Leben dahingegangen sind und noch gehen, in vielen Ländern durch mancherlei Privilegien ausgezeichnet. Natürlich ist diese Abstammung auch von Fälschern benutzt. Die genannten Kalifen Ägyptens heißen in der Geschichtsliteratur die Fatimiden, weil sie ihre Familie und ihre Souveränität von Fâtime, also vom Propheten ableiteten. Daß dies aber ein Schwindel war, wußte jedermann in ihrem Reich und ebenso sie selbst, indessen die Lüge ist bekanntlich ein mächtiger Faktor in der Weltgeschichte, und auf dieser Lüge war ein großes Reich aufgebaut. Das Kalifat des Alasîs war talmi, dagegen das Kalifat in Bagdad war echt, unzweifelhaft und anerkannt echt. Der Stachel der Inferiorität ließ ihn daher nicht zur Ruhe kommen, er wollte immer wieder hören, wie es denn dort bei denen in Bagdad hergehe, an ihrem Hofe, in ihren Familien, in ihrem Verkehr mit den Großen des Reiches, mit den berühmten Sängern, Sängerinnen und Tänzerinnen, bei ihren Festen, bei ihren Bauten und anderen Dingen. Es war Herrn Schabuschtis Aufgabe, diese Neugierde seines Herrn zu befriedigen. Folgen wir seinen Gedanken vom Talmi-Kalifat zum echten.
Es ist ein Unglück für die ganze Entwicklung des Islams, daß sich nicht unmittelbar nach dem Tode seines Stifters ein bestimmtes Prinzip, ein klares Gesetz, welches die Nachfolge für alle Zeiten regelte, herausgebildet hat. Zwar nennen die Muhammedaner die ersten vier Kalifen die rechtmäßigen. Wenn man aber die Art und Weise, wie sie zur Macht gelangt sind, betrachtet, kann da von Rechtmäßigkeit oder Legitimität nicht viel die Rede sein.
Unmittelbar nach Muhammeds unerwartetem Tode lief mancherlei Volk in einer Scheune zusammen, man diskutierte die Frage des Nachfolgers, und die Meinungen waren geteilt. Da kommt der große Omar angestürmt, begleitet von seinen Myrmidonen, ergreift die Hand Abu Bekrs und huldigt ihm als Kalif möglichst laut und möglichst ostentativ. Beifall und Widerspruch. Aus dieser Überrumpelung einer unregelmäßig zustande gekommenen Volksversammlung ist die Wahl des ersten Kalifen Abu Bekr hervorgegangen.
Als dann des Propheten Alter ego, Abu Bekr, zu sterben kam, ernannte er seinen Freund Omar zu seinem Nachfolger, ohne zu einer solchen Handlung irgendwie ermächtigt zu sein, weder von der Gemeinde des Islams noch durch irgendwelche Bestimmungen im Koran, noch durch entsprechende auf Muhammed zurückgehende Überlieferungen.
Omar fiel dem Dolche eines Sklaven zum Opfer. Unmittelbar vor seinem Ende hatte er noch die Kraft zu befehlen, daß die sechs angesehensten Männer des jungen Reiches in einem Hause eingeschlossen werden und einen Nachfolger wählen sollten. Ein alter Haudegen wurde mit gezücktem Schwert vor die Tür gestellt und hatte den Befehl, keinen der sechs Kurfürsten herauszulassen, bevor nicht die Wahl vollzogen war. Aus dieser merkwürdigen Wahl ging der dritte Kalif Osman hervor.
Aber auch ihm war kein besseres Ende beschieden. Er wurde von Fanatikern ermordet, und unter dem Schrecken dieser Untat wurde derjenige zum Kalifen gewählt, der dem Propheten verwandtschaftlich am nächsten gestanden hatte, sein Schwiegersohn Ali, ohne jedoch daß diese Wahl allgemeine Anerkennung fand.
Dies sind die vier rechtmäßigen Kalifen der Urgeschichte des Islams, die auch von der großen Majorität der islamischen Welt als solche anerkannt werden. Die Art und Weise, wie sie zur Macht gelangten, spottet jeder Vorstellung von Recht und Gesetz.
Und so ist es weiter gegangen. Die folgende Klasse von Kalifen konnte sich nicht auf irgendeine Verwandtschaft mit dem Propheten berufen, hat es auch nie versucht, im Gegenteil war im ganzen Islam bekannt, daß ihre Vorfahren seine heftigsten Gegner gewesen waren. Diese neuen Kalifen waren Usurpatoren. Der erste in der Reihe, Muâwija, ein Mann von großen, für seine Zeit fruchtbaren Geistesgaben, war wohlbestallter Statthalter von Syrien, als Ali eines Tages, da er frühmorgens in das Gebethaus eintreten wollte, dem Dolche eines Fanatikers erlag. Seinem Sohne Hasan, dem Enkel des Propheten, kaufte Muâwija ein etwaiges Verwandtschaftsrecht mit Geld ab, und im übrigen stabilisierte er seine Herrschaft auf die Schlagfertigkeit seiner syrischen Truppen. Mit ihm beginnt die glänzende Reihe der nach seinem Großvater Omajja so genannten Omajjadischen Kalifen, die in Damaskus und verschiedenen Schlössern in Syrien residierten. Neun Jahrzehnte lang haben sie das ungeheure Reich von Spanien bis an die Grenzen Chinas und bis tief nach Indien hinein beherrscht mit einer Machtvollkommenheit, wie sie nur selten das Los einzelner Menschen gewesen ist. Trotzdem haben sie die freiwillige Anerkennung der frommen, ihrer Religion bewußten Kreise niemals besessen, denn diese, mochten sie auch noch so verschiedener Meinung sein in betreff des Anrechts auf das Kalifat, ein Recht der Usurpation haben sie niemals anerkannt. Freilich waren die sehr weltlich gesinnten Herrscher in Damaskus immer stark genug, die Anerkennung jener Kreise zu erzwingen. Immerhin aber ist nicht zu leugnen, daß dies Kalifat in den stets wiederkehrenden Kämpfen gegen die in Babylonien angesiedelten frondierenden Kreise verblutet ist, abgesehen von solchen Elementen der Zersetzung, deren Wirkung in der Geschichte der meisten orientalischen Dynastien verfolgt werden kann. Auf einige bedeutende Persönlichkeiten, welche eine Herrschaft gründen und einrichten, folgen im Purpur geborene Nullen. Die fürstliche Familie wächst ins ungemessene, durch ihre eigenen Leute, ihre Sklaven und Freigelassenen, will sie das Reich regieren, alle Macht und allen Reichtum an sich reißen. Neid und Haß zwischen den einzelnen Zweigen des Herrscherhauses lockert das Gefüge der Herrschaft. Der Streit um die Thronfolge ist an der Tagesordnung, und wie so oft glaubt der Nachfolger die gerade entgegengesetzte Politik von derjenigen seines Vorgängers einschlagen zu sollen, wodurch tiefgehende Erschütterungen unvermeidlich sind. So offenbaren sich die Schwächen des Reiches, die Risse in den Mauern seiner Herrschaft, durch welche die Feinde dann einzudringen vermögen.
Mit dem Jahr 752 war die Schicksalsuhr der damascenischen Herrlichkeit, des Omajjadischen Kalifats abgelaufen. Neue Thronforderer erscheinen auf der Szene. Ein drittes Kalifengeschlecht beginnt seinen historischen Lauf, und diese Kalifen waren echt, d. h. sie stammten zwar nicht in gerader Linie von Muhammed ab, wohl aber von seinem Großvater Abdelmuttalib durch Abbâs, der ein Bruder von Muhammeds Vater Abdallah war. Nach diesem Stammvater Abbâs heißen sie, die Kalifen von Bagdad, die Abbasiden.
Dieser Onkel Abbâs war seinem Neffen Muhammed stets ein recht schlechter Onkel gewesen. Als Muhammed ein armer Waisenknabe war, hat er sich nicht um ihn gekümmert, und als er Jemand werden wollte, hat er ihm Opposition gemacht. Als aber aus dem Waisenknaben ein allgebietender Herr geworden war und Mekka mit all seinen Feinden wehrlos zu seinen Füßen lag, da schlich sich auch der Onkel Abbâs herbei, um mit ihm seinen Frieden zu machen. Großmütig nahm ihn der Prophet auf und machte einen Strich über alles Vergangene. In der Folgezeit stellte sich der Onkel stets eng an die Seite des Neffen, und wenn große Schätze bei dem Neffen einliefen, war der Onkel stets der erste, der die Hand danach ausstreckte.
Dieser Biedermann ist der Stammvater der Kalifen von Bagdad. Er selbst starb in Medina, seine Nachkommen übersiedelten nach Damaskus, wo sie zum Teil von den Omajjaden recht schlecht behandelt wurden. Später verließen sie die Residenz der Omajjaden, die in ihnen frühzeitig Konkurrenten witterten, und ließen sich fern davon in anderen Reichsteilen nieder. In Zentralasien gewannen ihre Leute Ansehen und Anhang, bildeten eine Heeresmacht und hatten das Glück, einen großen Heerführer zu gewinnen in der Person des Abu Muslim, der, als die Omajjadenmacht zerbröckelte, ihre Heere gen Westen führte, alle Länder des Islams überrannte und das zahlreiche Geschlecht der Omajjaden verfolgte und vernichtete. Zu Kufa in Babylonien nahm der Seniorchef des Abbasidenhauses die Huldigung entgegen. Zehn Jahre später wurde die Residenz nach Bagdad verlegt. Der erste neue Kalif hieß Abulabbâs der Schlächter, so genannt wegen der Furchtbarkeit, mit der er alles vertilgte, was mit der früheren Dynastie irgendwie in Zusammenhang gestanden hatte, und Rache nahm für alles, was seine Vorfahren von ihnen erduldet hatten.
Aus der langen Reihe der abbasidischen Kalifen von 752-1258 ist kein anderer Name in weitere Kreise gedrungen als der des Harun Alraschîd, d.i. Aron der Rechtgeleitete, durch die Erzählungen von 1001 Nacht, im übrigen ohne viel Verdienst und Würdigkeit von seiner Seite. Mehr Anspruch auf Beachtung hätte z. B. Mansûr, der zweite in der Reihe, und Mamûn, ein Sohn Haruns, beide nicht etwa wegen hervorragender moralischer Eigenschaften, wohl aber deshalb, weil sie zu den mächtigsten Herrschergestalten der orientalischen Geschichte zählen, letzterer auch wegen seiner Beziehungen zur Literatur, speziell zu der Übertragung griechischer Literatur in das Arabische.
Auf den gewaltigen ersten Aufschwung des abbasidischen Kalifats, auf das goldene Zeitalter ihrer Herrlichkeit folgte Niedergang und schleichender Marasmus. Anstatt kräftiger Persönlichkeiten nahmen Puppen den Thron ein, Spielzeuge in fremden Händen. Bald beherrschten die Obersten der Prätorianer den Hof, mächtige Hausmeier rissen die Verwaltung an sich, und in den Provinzen machten sich erfolgreiche Statthalter mehr oder weniger unabhängig, so daß in den Händen der Abbasiden kaum viel mehr übrigblieb als das – ich möchte sagen – klerikale Ansehen. Sie waren und blieben die Nachkommen des Propheten, die Träger des höchsten geistlichen Ansehens, was aber die wirklichen Machthaber nicht verhinderte, sie nach Beheben abzusetzen und umzubringen, denn die sacra familia war so zahlreich, daß stets ein Ersatz zur Stelle war. Seitdem die Mongolen im Jahr 1258 Bagdad gestürmt und den letzten abbasidischen Kalifen getötet haben, ist für den orthodoxen Islam das Kalifat erloschen. Was von da an noch in der Geschichte des Islams als Kalifat aufgetreten, ist Farce oder Lüge. Die späteren Machthaber in den verschiedenen Ländern des Islams sind staatsrechtlich Sultane, d. h. weltliche Machthaber, denen die geistige Weihe der direkten Abstammung von Muhammed, dem Sendboten Gottes, fehlt.
Wollten wir uns mit der gesamten staatsrechtlichen Entwicklung des Islams beschäftigen, müßten wir nun der Aliden gedenken, der Nachkommen von Ali und seiner Frau Fâtime, der: Tochter Muhammeds. Auch diese haben vielfach versucht, auf der Basis ihrer Verwandtschaft ein Kalifat zu gründen, was ihnen auch in einzelnen Ländern des Islams gelungen ist, aber niemals in dem Umfange wie den Omajjaden und Abbasiden. Es hat wohl alidische Kalifate z. B. in Marokko, in Indien gegeben, aber niemals ein solches, das von der gesamten Islamwelt anerkannt worden wäre. Ein solches pseudoalidisches Kalifat bestand auch in Ägypten, zu dessen Inhaber – Alasîs – und seinem Geschichtenerzähler Schabuschti wir nunmehr zurückkehren.
Was uns in diesen Erzählungen entgegentritt, ist das Bagdad des achten und neunten christlichen Jahrhunderts, damals wohl die größte Stadt der Welt, das Zentrum aller Macht und alles Reichtums. Alle Völker Asiens und Afrikas strömten dort zusammen, alle Waren, alle Kostbarkeiten. Durch ein weitverbreitetes Netz von Kanälen wurde der Verkehr vermittelt. Das Weichbild der Stadt nahm einen großen Raum ein, in ihm ragten zahlreiche Schlösser und Paläste von großen Dimensionen und luxuriöser Bauart hervor, die Residenzen der Kalifen, der Prinzen ihres Hauses und ihrer Großen. Neben den in neuer Pracht strahlenden Moscheen gab es alternde christliche Kirchen und Klöster. In den Bazaren kulminierte der Handel einer weiten Welt, und in den Moscheehöfen und öffentlichen Lehranstalten sammelten sich die Wißbegierigen aus allen Ländern des Islams, denn Bagdad war nicht bloß das Zentrum der Politik und des Handels, sondern auch das Zentrum der Wissenschaft. Und in weitem Kreise um die Stadt herum lagen anmutige Vororte, die von den Bagdadern an Fest- und anderen Tagen zu Ausflügen und jeder Art von Erholung und Erheiterung besucht wurden.
Die Bevölkerung der Stadt setzte sich zusammen aus freien Einheimischen, freien Fremden, unter denen Persisch redende Personen aus den östlichen Provinzen ein großes Kontingent stellten, und aus Hunderttausenden von Unfreien oder Sklaven, die als Kriegsgefangene dorthin gekommen waren. So besaßen die Kalifen, die Prinzen und die Großen im Reich Tausende und Zehntausende von solchen Hörigen, die zum Teil ihre Landgüter bearbeiteten, zum Teil in losem Zusammenhang mit ihren Herren irgendwo ein Geschäft ausübten, von dessen Erträgnis sie einen gewissen Teil ihren Herren ablieferten. Unter diesen Unfreien nahmen nun Sänger, Sängerinnen und Tänzerinnen eine merkwürdig hervorragende Stellung ein. Von den freien Künsten tritt die Malerei in jener Menschheit ganz in den Hintergrund, die Porträtmalerei war von den Theologen verpönt, und die Sitte, sich beliebte Gedichtbücher von Künstlerhand ausschmücken zu lassen, ist erst später aufgekommen und in Indien und Persien zur Blüte gelangt. Was die Baukunst in Bagdad geleistet hat, bin ich geneigt sehr hoch anzuschlagen, aber die Werke der Meister dieser Kunst sind verloren, verschollen. Um so größer ist nun aber die Rolle, welche Poesie und Musik, Gesang und Tanz in jenen Zeiten gespielt haben. Bis zur Ekstase, bis zur Selbstvergessenheit konnten Gesang und Tanz die Menschen begeistern. So war es damals, und so ist es jetzt. Berühmte Sängerinnen, wenn auch unfrei, spielten in den Palästen der Fürsten und Großen die Rolle von großen Damen, sie gehörten zur Oberschicht der Gesellschaft, große Reichtümer flössen ihnen zu, hoch und niedrig buhlte um ihre Gunst. Die großen Feste der Kalifen und ihres Anhanges waren nicht möglich, ohne daß solche Künstler und Künstlerinnen geladen wurden, und in den Verzeichnissen der zu Hofe geladenen Gäste erscheinen sie pari passu neben Prinzen, Generalen und Ministern. Eine gewisse Schöngeistigkeit herrschte in den oberen Schichten der Gesellschaft, Kalifen, Prinzen und andere hochgestellten Personen korrespondierten mit Künstlern und Künstlerinnen, und zwar mit Vorliebe in Versen.
Die arabischen Chroniken, wissen viel von Bagdad und seinem Kalifat zu erzählen, von Thronwechsel und Fürstenmord, von Krieg und Frieden und Revolutionen, lassen uns aber nur selten einen Blick in das Innere der Paläste und Häuser werfen. Wie es im Familienkreise der Kalifen, im Verkehr zwischen den einzelnen Zweigen des regierenden Hauses zugegangen, wie sie mit Frauen und Kindern gelebt, wie sie mit ihren Vertrauten, ihren mächtigsten Helfern verkehrt, womit sie sich beschäftigt und unterhalten haben, auf solche Dinge pflegen die Chroniken nicht einzugehen. Um so willkommener ist daher das Skizzenbüchlein des ägyptischen Erzählers Schabuschti, in dem er uns allerlei Einblicke in eine unbekannte Welt gewährt, Schlaglichter über die Intimitäten des großen Bagdad. Daß aber seine Schilderung von dem Leben der Bagdader Großen in Saus und Braus mit Weib, Wein und Gesang in schrankenloser Freiheit, um nicht zu sagen Frechheit, eine einseitige ist, darf nicht verhehlt werden. Daneben ging der offizielle Islam einher, der z. B. den Genuß von Wein und anderen berauschenden Getränken verbot. Während der ersten Jahrzehnte der Abbasidenherrschaft herrschte ein etwas freierer Geist in der theologischen Spekulation, der aber dann einer finsteren Reaktion Platz machte, die eine Richtung so intolerant wie die andere, so daß es an Ketzergerichten und Ketzerverurteilungen nicht gefehlt hat. Und Kalifen, die nach Schabuschti mit Sängerinnen tändelten, unterschrieben Bluturteile gegen Personen, deren Ansichten der herrschenden Hof- und Staatstheologie nicht genehm waren. Also auf der einen Seite Bigotterie, das Herauskehren von Dogma und Gesetz gegenüber den Millionen, und auf der anderen Seite im Innern der Paläste der Regierenden ein freches Sichhinwegsetzen über Gesetz und Sitte!
Das Geschichtenbuch Schabuschtis ist nur in einer einzigen Handschrift der Staatsbibliothek zu Berlin erhalten. Außer den von mir herangezogenen Geschichtchen findet sich noch einiges andere darin, das aber mit dem Geschmack unserer Zeit nicht vereinbar ist. Die drei Frauengeschichten dieser Sammlung gehen nicht auf Schabuschti zurück, sie werden als Skizzen weiblicher Charaktere aus der Urzeit des Islams dem Leser hoffentlich willkommen sein.
Berlin, 22. Februar 1920
Eduard Sachau