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Fünfter Abschnitt.
Die Einteilung der Philosophie.

Aus den Erörterungen über das Wesen der Philosophie und die Besonderheit der philosophischen Methode wird ohne weiteres ersichtlich, daß alle erlebbare Mannigfaltigkeit Gegenstand, Inhalt, Aufgabe der Philosophie in ihrem ganzen Umfange werden muß und werden kann. Was die Einzelwissenschaften leisten, um das Erleben zum Wissen zu bringen, sind nur Vorstufen für die Erkenntnisresultate, zu denen der Geist im philosophischen Spekulieren vorzudringen bestrebt sein muß. Die Einzelwissenschaften grenzen innerhalb der unübersehbaren Mannigfaltigkeit vermöge der Besonderheit und Bedingtheit ihrer Methoden für sich Erkenntnisgebiete ab, sie bestimmen eindeutig die Art und Weise, unter der mit ganz bestimmten Erkenntniszwecken die erlebte Mannigfaltigkeit zum Wissen umgeschaffen wird. So behandelt jede Einzelwissenschaft, obwohl sie ihre Methode in dem ganzen Umkreise der erlebten Welt ohne Unterschied zur Geltung zu bringen sucht, doch in der Tat nur einen Ausschnitt aus der Totalität der Erscheinungen. Für die Behandlung aber dieses von ihrer Methode beherrschten und umgrenzten Ausschnittes der Erscheinungswelt hat jede Einzelwissenschaft eine ihren Erkenntniszwecken entsprechende Einteilung ihres Wissensgebietes. Dabei hat sie notgedrungen mit der Begrenztheit der menschlichen wissenschaftlichen Betätigung zu rechnen und den Gesichtspunkt im Auge zu behalten, daß trotz dieser Begrenztheit nach Möglichkeit vom Einzelnen das ganze Gebiet ihrer Erkenntnisse wenigstens im Prinzip erfaßt werde.

So finden wir in der Mathematik seit Anbeginn propädeutische Teile, die der Zerlegung des Gesamtgebietes in Arithmetik und Geometrie vorausgehen. Und nach Feststellung der letzten Axiome, Grundanschauungen und Begriffe zerfällt die Geometrie sowohl wie die Arithmetik in besondere Teile, von deren jedem aus die Rückkehr zu allen anderen möglich und notwendig ist. Grundlegend ist bei dieser Einteilung die Abgrenzung der reinen Mathematik von der angewandten; die reine Mathematik verfährt ohne Rücksicht auf eine in der Erfahrung mögliche Anwendung mathematischer Prinzipien, die angewandte Mathematik, beispielsweise in der Astrologie, zieht die besonderen Bedingungen der Erfahrung mit hinein in ihre Spekulationen. – Der Naturwissenschaftler zerteilt, genötigt durch die Grenzen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten, durch die besonderen Bedingungen, unter denen der Einzelforscher steht, das ganze Gebiet der von ihm zu erkennenden Natur in Einzelgebiete, die alle durch ihre Methode miteinander zusammenhängen, nur in der Richtung ihrer besonderen Ergebnisse auseinandergehen. Auch der Naturwissenschaftler stellt gewisse Einzelgebiete in das Zentrum aller naturwissenschaftlichen Einzelforschung und läßt andere mehr an der Peripherie des naturwissenschaftlichen Umkreises erscheinen. – So zerlegt der Geschichtswissenschaftler das große Gebiet menschlicher Betätigungen zum Teil willkürlich, zum Teil mit Rücksicht auf das Ganze der Geschichte in viele Sondergebiete, denen er allen einen propädeutischen Teil über die besonderen Forschungsmittel der Geschichte vorausschicken muß. Der Geschichtswissenschaftler spricht aus Zweckmäßigkeitsgründen von »Altertum«, »Mittelalter«, »Neuzeit« der Menschengeschichte, sich dessen wohl bewußt, daß die Grenzen dieser Zeitalter ineinander überfließen und daß das nur Hilfsmittel sind, die Aufgaben der Forschung einzuteilen und der Erkenntnismöglichkeit der Einzelforscher anzupassen. Immer wird der Geschichtswissenschaftler, wenn er notgedrungen auf die Kenntnis aller Einzeltatsachen der Geschichte verzichten muß, dies Schema der Einteilung benutzen, um in das Zentrum der Forschung hineinzukommen und stets von der Einzelforschung aus eine Rückkehr zum Ganzen der Geschichte zu ermöglichen. – Die zweckmäßige Einteilung der Wissenschaften entspringt also dem Bedürfnis, erstens von irgendeinem Punkte aus in den Mittelpunkt des Spezialwissens zu gelangen und zweitens, auch in der Einzelforscherarbeit den möglichen prinzipiellen Überblick, den Zusammenhang mit dem Ganzen nicht zu verlieren. –

Genau ebenso steht es mit der Philosophie. Auch sie bedarf bei der Fülle ihrer Aufgaben einer zweckmäßigen, ihrem Wesen entsprechenden Verteilung ihrer Probleme auf Einzelgebiete, von denen aus jederzeit die Rückkehr zu den Grundprinzipien des philosophischen Denkens möglich ist, in denen jederzeit die Einheit der Philosophie dokumentiert ist. Das spezifisch Philosophische müßte in allen diesen Einzelgebieten sichtbar und stets die Idee der Ganzheit, der Einheit des philosophischen Denkens tätig bleiben. Diese Einteilung des Gesamtgebietes der Philosophie kann nun entweder willkürlich oder prinzipiell, systematischer Natur, aus dem Begriffe der Philosophie entnommen, sein.

Die zufällig-willkürliche Einteilung der Gesamtprobleme der Philosophie geht von dem richtigen Gedanken aus, daß das Wesen der Philosophie darin besteht, sich auf alles Erlebbare in der von uns besprochenen doppelten Weise zu beziehen. Sie behauptet deshalb, daß es prinzipiell gleichgültig ist, bei welchem Punkte der erlebbaren Mannigfaltigkeit das philosophische Denken beginnt. Das erlebbare Gesamtgebiet der Philosophie zerfällt von diesem Gesichtspunkte aus in unendlich viele Teile, in denen ausschließlich die Methode der philosophischen Betrachtung das prinzipiell alle einzelnen Teile vereinigende Band ist. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es ohne Bedeutung, mit welchem Einzelgebiete der Einzelforscher seine philosophische Arbeit anhebt, ob mit der Logik, der Philosophie des Erkennens und Denkens, der Ethik, der Geschichtsphilosophie, der Rechts- oder Naturphilosophie. Der Grund der willkürlichen Einteilung liegt nicht im Begriffe der Philosophie, sondern im Inhalte, auf den sich die philosophische Spekulation bezieht. Hinter dieser willkürlichen Einteilung der Philosophie steht sichtbar die philosophische Ansicht selbst, daß sich das philosophische Denken selbständig und individuell von den erlebten Einzelmannigfaltigkeiten aus hinbewegt auf das allgemeine philosophische Zentrum. –

Wichtiger und bedeutsamer, um die philosophische Forschertätigkeit in ihrem Fortgange zu sichern und vor subjektiven Willkürlichkeiten zu bewahren, sind fast alle, wenn auch gegensätzlichen, sich widerstreitenden Versuche systematischer Natur, das Gesamtgebiet der Philosophie einzuteilen und einen bestimmten, notwendigen Fortgang von den Kernproblemen zu der Fülle der an der Peripherie liegenden philosophischen Einzelprobleme festzustellen. Es ist nicht schwer einzusehen, daß schon in diesen Versuchen einer Einteilung der Philosophie philosophische Resultate, bestimmte philosophische Ansichten und Einsichten mitsprechen, die über einen allgemeinen Begriff der Philosophie weit hinausgehend philosophische Erkenntnisse mit in die Wagschale werfen. Ist doch schon allein die Einteilung der erlebbaren Mannigfaltigkeit in Erlebnisinhalt und Erlebnisform, in äußere und innere, in geformte und erst zu formende Welt eine Einteilung, die, so nah sie dem Erleben selbst steht, keineswegs auf allgemein zugestandenen Einsichten beruht.

Wir dürfen uns natürlich hier nicht damit aufhalten, die Fülle der in der Geschichte der Philosophie aufgetauchten Versuche einer zweckmäßigen Einteilung der Philosophie zur Kritik heranzuziehen oder auch nur darstellend zu entwickeln, so interessant dies bei einer historischen Betrachtung philosophischer Lösungsversuche sein könnte und so sehr dies selbst zur Illustration einer bestimmten möglichen Einteilung beitragen würde. Wir müssen im Gegenteile selbständig versuchen, in dem allgemeinsten Begriff vom Wesen der Philosophie, wie wir ihn uns verständlich gemacht haben, Einteilungsgründe zu entdecken, die geeignet sind, uns in die Mitte philosophischen Denkens und in jedes Einzelgebiet philosophischer Reflexion hineinzuführen. Nur einen einzigen von den in der Geschichte der Philosophie am häufigsten und fruchtbarsten verwandten Einteilungsversuchen wollen wir uns aus einem ganz besonderen Grunde deutlich machen. Wir werden daraus sehen, daß die Einteilung der Philosophie in Sondergebiete zunächst eine Zweckmäßigkeitsfrage ist. Dann aber wird uns das besondere Beispiel die wichtige Einsicht bringen, wie wenig die philosophische Forscherarbeit berührt wird, durch die sachlichen Gründe, auf denen sie sich willkürlich oder unwillkürlich aufbaut. Oder klarer ausgedrückt: Die von uns hervorzuhebende Einteilung beruht auf Einsichten, Erkenntnisresultaten der Psychologie; diese Tatsache soll Anlaß für uns sein, uns klar zu machen, wie wenig die methodische Forschertätigkeit der Philosophie, mag sie sich auch über der Psychologie aufbauen, dadurch von der psychologischen Methode berührt wird.

a) Zufällige Einteilungsgründe der Philosophie.

Philosophie und Psychologie.

Die Psychologie als die Wissenschaft von den feststellbaren Äußerungen des menschlichen Seelenlebens teilt die seelischen Vermögen ein in Denken, Fühlen und Wollen. Diese drei Seelenvermögen, Erkenntnis- oder Denkvermögen, Gefühl und Wille sind schon in der Vorstellung des Altertums lebendig und spielen in den philosophischen Diskussionen eine erhebliche Rolle. Auf diesem Grundrisse der Psychologie über die Seelenvermögen baut sich unter anderen das ganze Kantische System auf, das sich bewußt und ausdrücklich von aller für die Philosophie behaupteten psychologischen Methode frei macht und gerade nach den spezifischen Merkmalen philosophisch exakten Denkens gegenüber dem psychologischen Denken sucht. Auf dem Denkvermögen beruht nach der Psychologie alles Wahrnehmen und Erkennen als Ursache, auf das Willensvermögen gründet sich alles Handeln, ob es unbewußt oder nach gewußten Gründen geschieht, und auf dem Gefühl steht alles Werten von der schlichten unbewußten, instinktiven Ablehnung und Anerkenntnis bis zur ästhetischen Schätzung in Kunst und Kunstkritik. Diese Dreiteilung der menschlichen Psyche in Einzelvermögen nach den meßbaren Äußerungen, immer wieder von neuem belebt und als geltend für die Psychologie behauptet und für die Philosophie als Grund der Einleitung ihres Forschungsgebietes dienend, ist häufig im Laufe der Geschichte der Philosophie, beispielsweise auch gerade von Kant in den Mittelpunkt einer prinzipiellen philosophischen Untersuchung gerückt worden. Es kam dabei darauf an, diese Dreiteilung nicht nur als festgestellte, sondern als notwendige im Begriffe der Seele oder im Begriffe der nach allgemeiner Geltung hinstrebenden menschlichen Daseinsform liegend zu finden, diese Dreiteilung aus einem Prinzip, aus Gründen der Vernunft, abzuleiten. So hat Kant an vielen Stellen seiner Werke versucht, seine Fundamentaleinteilung aller geltenden Urteile in die Gebiete der theoretischen Vernunft, der praktischen Vernunft und der Urteilskraft aus einem Begriffe der Vernunft überhaupt zu begründen und so der psychologischen Basis seines Systemes nachträglich eine prinzipielle Berechtigung zu verschaffen. Gleichviel aber, ob es Kant oder irgendeinem anderen Philosophen gelungen sein mag, diese prinzipiell-philosophische Deutung zu vollziehen oder nicht, für die philosophische Geltung der auf dieser Einteilung aufgebauten philosophischen Erkenntnisse ist das völlig gleichgültig. Denn, wie es für das Wesen eines greifbaren Gegenstandes irrelevant ist, ob ich ihn mit einem Messer oder sonst einem Werkzeug zerteile, dies nichts an seinem Wesen ändert, so ist es auch für das Wesen der Philosophie ganz nebensächlich, ob ich ihr Gebiet mit psychologischen oder anderen Mitteln zerschneide. Die Einteilung der Philosophie mit Hilfe der psychologischen Einsichten hat sich durchaus als ein glücklicher Weg bewährt, sich im Gebiete der Philosophie zurechtzufinden und von einem Punkte zum anderen zu kommen, innerhalb der Philosophie Gebiete, Problemgruppen von gewissem Umfang zweckmäßig abzutrennen.

Von diesem psychologischen Grunde aus hat die Philosophie drei große Hauptgebiete, nämlich die Logik, als die philosophische Wissenschaft von den Denkformen und Denkresultaten, die Ethik oder Moralphilosophie, als die philosophische Disziplin von den Willensfunktionen als Gründen des Handelns, und die Ästhetik oder Kunstphilosophie, als die philosophische Spezialwissenschaft von den Formen und Funktionen des Gefühls, soweit es sich in Wertung und Darstellung von Werten ausdrückt. Über der Dreiteilung der Psychologie erheben sich neben den drei philosophischen Disziplinen auch ebensoviel psychologische Wissenschaften, nämlich eine Psychologie des Denkens, eine Willenspsychologie, die sich oftmals mit der Pädagogik, oftmals ebenso glücklich mit der Psychopathologie, der Wissenschaft von den krankhaften Zuständen der Seele verbindet, und die Gefühlspsychologie. Um die drei Hauptgebiete der Philosophie nach dieser Einteilung, die in sich wiederum in eine Reihe von Einzelgebieten zerfallen, gruppieren sich dann, je nach der philosophischen Einsicht der einzelnen Denker, in verschiedener Weise die Spezialgebiete der Philosophie: An die allgemeine Logik schließt sich die Logik der einzelnen Wissenschaften, an die Ethik die Rechts-, Sozial- und Wirtschafts- sowie die Religionsphilosophie, an die allgemeine Ästhetik reihen sich die mannigfachen Einzeldisziplinen über besondere Kunstformen.

Diese oft glücklich verwandte Einteilung der Philosophie auf dem Grundriß der psychologischen Feststellungen hat den Nachteil, die Beziehung der Hauptgebiete der Philosophie untereinander undeutlich zu lassen. Sie stellt gleichsam die drei Hauptgebiete der Philosophie nebeneinander als drei Gebäude des Wissens, die auf besonderen Prinzipien aufgebaut sind, ohne deutlich werden zu lassen, worin die Gemeinsamkeit besteht. Sie hat außerdem den oftmals fühlbar gewordenen Mangel, die Abhängigkeit der Philosophie von der Psychologie vorzutäuschen. Gerade aber die methodische und sachliche Unabhängigkeit von Philosophie und Psychologie muß man sich, um weitverbreitete Irrtümer und Unklarheiten zu vermeiden, ganz klar gemacht haben, und einsehen, daß die in der erwähnten Einteilung dokumentierte Abhängigkeit nur eine zufällige und keine sachlich begründete oder gar für die Philosophie notwendige ist. Die erwähnte aus der Psychologie entnommene Einteilung der Philosophie soll deshalb an dieser Stelle ein Anlaß sein, uns den Unterschied von Philosophie und Psychologie deutlich vor Augen zu führen, ehe wir uns nach einem Einteilungsgrunde der Philosophie umsehen, der sich aus dem Wesen der Philosophie selbst entwickeln läßt.

Daß die Tatsache des Aufbaues philosophischer Erkenntnisse auf einem von der Psychologie gezeichneten Grundriß der Mannigfaltigkeit kein Beweis dafür ist, daß damit die Philosophie in ihrem Forschungsfortschritt an die Psychologie gebunden ist, das erhellt ja schon allein aus der Erörterung des Begriffs und des Wissens der Philosophie, aus der ersichtlich wurde, daß alle Resultate wissenschaftlicher Forschung Grund für die philosophische Spekulation sein können und müssen, ihre Methode anzusetzen und zu spezifisch philosophischen Resultaten über die Ergebnisse der Einzelforschung hinaus zu gelangen. Wenn also wirklich die Philosophie bei den Ergebnissen der Psychologie ansetzt, so tut sie nichts anderes, als sie in bezug auf jede andere Einzelwissenschaft tun könnte und tun wird. Die Erwähnung des psychologischen Grundrisses der Philosophie als eines weitverbreiteten und oft glücklich angewandten Einteilungsprinzipes ist also nur ein zufälliger, kein notwendiger Anlaß, den über die Psychologie herrschenden Irrtümern, soweit sie die Philosophie bedrohen, vorzubeugen. Innerhalb der Sammlung von »Katechismen der Philosophie« hat Fr. Kirchner in einem »Katechismus der Psychologie« die Probleme der Psychologie ausführlich behandelt. – Ein gewisser Grad äußerer Notwendigkeit, sich den Unterschied zwischen Philosophie und Psychologie deutlich zu machen, erwächst erst aus der Tatsache, daß gerade in unserer Zeit der Streit über das Anrecht der Psychologie, als philosophische Wissenschaft zu gelten, lebhaft geführt wird. Dieser Streit, zum Teil eine bloß akademische Frage, die Stellung der Psychologie im System der Universitätswissenschaften betreffend, ist dort, wo er die prinzipielle Seite der Sache faßt, dadurch verursacht, daß sowohl die Philosophie wie auch die Psychologie gegenwärtig bedeutsame Entwicklungsstufen betreten haben.

Worin besteht denn wohl das Wesen der psychologischen Methode? Warum kann die Psychologie mit ihren Erkenntnismitteln und Erkenntniszielen niemals den Anspruch erheben, philosophische Resultate zutage zu fördern? Ist die Psychologie eine Wissenschaft, die neben den drei großen Einzelwissenschaftsgruppen: Mathematik, Naturwissenschaft und Geschichtswissenschaft steht, oder hat sie sich einem dieser Gebiete einzuordnen? Das ist nach den vorausgegangenen Erörterungen über das Wesen der Philosophie und den Kern der einzelwissenschaftlichen Methoden mit kurzen Worten festzustellen.

Die Psychologie untersucht das Seelenleben, die psychischen Funktionen, und zwar nach ihren Äußerungen, um meßbare Verhältnisse zwischen den Funktionen selbst einerseits und den Wirkungen dieser Funktionen andererseits festzustellen. Ihr Gegenstand, ihr Erkenntnisgebiet, ist das Seelenleben lebender Wesen, gleichviel ob Mensch oder Tier, zum Zwecke der Auffindung geltender bestimmter, sich immer wiederholender kausaler Zusammenhänge. Die Psychologie sucht nach psychischen Gesetzen. Alle ihre Experimente zielen darauf ab, feststellbare, psychische Äußerungen als notwendig bedingt und verursacht durch andere oder durch körperliche Erscheinungen zu erkennen. Die Psychologie betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, besondere geistige Eigenarten, etwa ihrer Beziehung auf wertvolle Leistungen wegen, zu beschreiben, sondern sie sucht im normalen und abnormalen Verlauf des Seelenlebens nach feststehenden bestimmten Gesetzen. Die Psychologie ist also eine naturwissenschaftliche Disziplin im eigentlichsten Sinne des Wortes mit besonderem eng zu umgrenzenden Erkenntnisgebiet.

Sie steht auf der gleichen Basis wie beispielsweise die organische Chemie, die Biologie, die vergleichende Anatomie usw. Ihre Experimente, Theorien und Hypothesen sind als naturwissenschaftliche Resultate wertvoll und Stoff und Ausgangspunkt für viele andere, auch nichtpsychologische Untersuchungen. Philosophie aber verhält sich zu Psychologie, als der Naturwissenschaft des Geisteslebens, wie sich die Philosophie zu jedem anderen Gebiete des Wissens verhält. – Was die Psychologie so oft mit vollem Unrecht hat den Anspruch erheben lassen, sie sei Philosophie und könne die an die Philosophie gestellten Ansprüche erfüllen, beruht vornehmlich auf drei Gründen, einem historischen, einem rein äußerlich-zweckmäßigen, einem sachlichen, im Wesen der philosophischen Interessen und dem Wesen der menschlichen Erkenntnis liegenden.

Der historische Grund besteht in folgendem: Alle Einzelwissenschaften haben sich, wie wir früher besprachen, aus der ursprünglichen Wissenschaft, der Philosophie, historisch entwickelt. Sie sind selbständig geworden mit dem Moment, wo sie durch feste Methoden und bestimmte Erkenntnisgründe, bestimmte Erkenntnisziele für sich abgrenzten. So war alle Naturerkenntnis ursprünglich Naturphilosophie, bevor sie zur Naturwissenschaft im eigentlichen methodischen Sinne wurde, alles historische Wissen war gleichzeitig Geschichtsphilosophie, bevor zwischen Geschichtsphilosophie und einfachem chronistischen Nacherzählen eine mit bestimmten Methoden arbeitende Geschichtswissenschaft trat, die ganz bestimmte Grenzen einzuhalten bemüht sein muß. Ebenso steht und stand es mit der Psychologie, die erst in neueren Zeiten begonnen hat, ihre Methode klar zu entwickeln und der Art sich bewußt zu werden, wie sie das Geistesleben betrachtet und in den Mittelpunkt einer exakten Untersuchung rückt. Erst mit diesem Momente wird ihre selbständige Stellung im Bereich naturwissenschaftlicher Forschung deutlich und ihre Ablösung aus dem Mutterschoße der Philosophie definitiv.

Der zweite, äußerlich zweckmäßige Grund der Verwechslung der Philosophie mit der Psychologie liegt in der zufälligen Schematisierung der Wissenschaften zum Zwecke der Unterbringung im Lehrplane der wissenschaftlichen Anstalten. Die Psychologie, die sich erst im 19. Jahrhundert auf eigene Füße zu stellen und wesentliche Resultate exakter Natur zu zeitigen beginnt, mußte doch irgendwo untergebracht werden. Vor allen Dingen ihrer eigenen Ansprüche wegen, eine Geisteswissenschaft zu sein, schien es zweckmäßig, trotz ihrer naturwissenschaftlichen Forschungsart und trotz ihrer Ansprüche auf experimental-psychologische Laboratorien, sie in der » facultas artium literarum«, der philosophischen Fakultät unterzubringen. Verwunderlich genug aber muß es erscheinen, wenn heutzutage noch, wo man sich über das Wesen der Psychologie selbst unter den Psychologen klar ist, die Psychologie, um Boden auf den Universitäten zu gewinnen, sich in die eigentlichen philosophischen Lehrstühle hineindrängt und so innerhalb des akademischen Lehrbetriebes der ältesten aller Wissenschaften den ohnedies nicht sehr reichlichen Platz versperrt. Merkwürdiger-, aber doch auch begreiflicherweise hat dieser zufällig äußerliche Grund der Unterbringung der Psychologie innerhalb der akademischen Wissenschaften dazu beigetragen, das Wesen der Psychologie und das Wesen der Philosophie auch in prinzipiellen Untersuchungen darüber zusammenzuwerfen und damit auf rein wissenschaftlichem Gebiet Irrungen hervorgerufen die schon bedauerlich genug innerhalb der Organisation der Wissenschaften sind.

Der dritte Grund endlich für die Verwechslung von Philosophie und Psychologie ist ein sachlicher, ein im Wesen der philosophischen Interessen selbst liegender. Wie wir sahen, hat die Philosophie als erkennende Wissenschaft über die besonderen Bedingungen des Lebens, des Erkennens, des Urteilens usw. zum unbedingten Wesen eines erkennenden, lebendigen Geistes an sich aufzusteigen. Unmittelbar erlebt aber wird alles Erleben, alles Erkennen, alles Fühlen und Wollen unter den besonderen menschlichen und subjektiven Bedingungen. Über diese subjektiven, natürlichen und unnatürlichen Bedingungen, soweit sie unter bestimmte kausale Gesetze passen, soweit sie mit naturwissenschaftlicher Begriffsbildung zu fassen sind, handelt die Psychologie. Notwendigerweise ist es für den Philosophen von großem Interesse, auch die besonderen Bedingungen zu kennen, da er ja nur vom Besonderen aufsteigen kann zu den allgemeinsten Prinzipien, die Besonderheiten zu sehen, die den erkennenden, wollenden, fühlenden Geist von seinem Prinzip abziehen und ihn subjektiv spezifizieren. Aber die Feststellung dieser besonderen Verhältnisse ist eben nicht Philosophie und keineswegs Aufgabe des philosophischen Denkens. So gibt die Psychologie interessante Belehrungen über die psychologischen Gründe sittlicher oder unsittlicher Anschauungen und Handlungen, auf die der Moralphilosoph wohl aufzumerken hat, um darin das Prinzip der Moral lebendig zu sehen. Der Historiker beschreibt, mit allen historischen Mitteln suchend, die besonderen sittlichen Verhältnisse der Menschen und einzelner Völker, es werden seine Darstellungen dem Ethiker Stoff, Anregung und Belege für das von ihm geforderte mögliche Allgemeinbewußtsein letzter sittlicher Grundsätze sein; er wird nach der Tendenz zur letzten einheitlichen Sittlichkeit innerhalb der ihm von beiden Einzelwissenschaftlern gegebenen Dokumente forschen. Der Psychologe also betrachtet dort, wo er den Menschen in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Betrachtungen stellt, die spezifisch menschlich-psychischen Phänomene unter anderen Gesichtspunkten – nämlich nach ihrer kausalen Bedingtheit – als der Philosoph, der in ihnen nach den Gründen einer unbedingten Geltung und Einheit sucht. Es besteht also tatsächlich eine gewisse Verwandtschaft der philosophischen Probleme dort, wo sie sich speziell um das menschliche Geistesleben drehen, mit der psychologischen Wissenschaft, die eben dieses Geistesleben in die Mitte der Betrachtung rückt. Beide suchen in diesem Geistesleben und seinen Äußerungen nach Gründen für die aus dem Geistesleben kommenden Gestaltungen, der Psychologe nach den zeitlich, kausal zu beschreibenden Zusammenhängen zwischen Funktion und Leistung, der Philosoph nach den möglichen zeitlosen Gründen geltender Werte, die in einem menschlichen Geistesleben überhaupt und dessen Schöpfungen sichtbar werden. So sucht der Philosoph, der das Erkenntnisurteil als das Resultat der Erkenntnistätigkeit ins Auge faßt, nicht das Zustandekommen, sondern die Gründe der Geltung festzustellen, den Psychologen dagegen interessiert der ursächliche Zusammenhang aufweisbarer Funktionen. So betrachtet der Philosoph die Gesamtheit ethischer Urteile als Repräsentanten eines möglichen überall identischen moralischen Bewußtseins, der Psychologe dagegen stellt im einzelnen sittlichen Urteile den ursächlichen Zusammenhang zwischen subjektiver Funktion und Urteilshandlung fest. Der Philosoph wird dem Psychologen dankbar sein müssen, daß er ihn auf die besonderen Bedingungen eines von ihm postulierten allgemeinen Geistes hinführt und ihn immer wieder von neuem veranlaßt, seine Abstraktionen zu revidieren, der Psychologe dagegen kann mit den Resultaten der Philosophie nichts für seine Zwecke anfangen. Gerade die Beziehung der Philosophie und der Psychologie auf den gleichen Gegenstand und zwar beide Male nicht in dem Sinne, diesen nach seinen Ergebnissen zu beschreiben, sondern in seinen Gründen, Bedingungen und Ursachen zu erfassen, legt die Verwechslung von Philosophie und Psychologie so außerordentlich nahe und nötigt, sich die beiden völlig verschiedenen Betrachtungsarten ganz deutlich zu machen.

b) Systematische Einteilungsgründe der Philosophie.

Die historische Erinnerung daran, daß für die Einteilung des Gesamtgebietes der Philosophie oftmals glücklich und ohne damit die Grenzen von Philosophie und Psychologie zu verwischen, die psychologische Unterscheidung von Erkenntnisvermögen, Gefühl und Willensvermögen gegolten hat, war Anlaß, den Unterschied beider Wissenschaften vor Augen zu führen. Wir kehren zu der Frage nach den Einteilungsgründen der Philosophie zurück, die nicht, wie die psychologischen anderswoher, sondern aus dem Begriffe, dem Wesen der Philosophie selbst entnommen sind.

Wie wir festzustellen versuchten, ist Philosophie Wissenschaft und als solche auf Erkenntnisse von Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit gerichtet, sie ist aber zugleich die Wissenschaft, die vom Bedingten des Lebens oder des Wissens zum Unbedingten aufzusteigen sucht. Die Schwierigkeit der Philosophie bestand, wie wir sahen, zum großen Teil darin, daß sie nicht einfach auf einem als geltend angenommenen, feststehenden Grund aufbauen kann, sondern diesen Grund selbst, als die Bedingung aller Erkenntnisse zu untersuchen, zur Gewißheit zu bringen hat. Es muß deshalb die erste und vornehmste Aufgabe aller Philosophie sein, das Erkennen selbst nach seinen letzten Gründen, Bedingungen und möglichen Folgerungen zu untersuchen, das Prinzip oder die Summe der Prinzipien deutlich zu machen, auf das sich alles Philosophieren und alles Wissen als letzten Rechtsgrund bezieht. In diesem Sinne macht die Philosophie das Erkennen und Denken zu ihrem Gegenstande und ist in ihrem ersten und vornehmsten Geschäft Logik und Erkenntnistheorie, Wissenschaft von den für alles Denken und Erkennen geltenden Grundsätzen und Formen.

Die Logik, als die Lehre vom Erkennen und Denken behandelt die möglichen Gründe und Funktionen, in denen sich allgemeingültiges Denken und Erkennen konstituiert, die Bedingungen und Regeln des Denkens und Erkennens, an die alles Denken und Erkennen abgesehen von dem besonderen Inhalt der Erkenntnis gebunden ist, wenn es zur allgemeingültigen Formung gelangen will. Bei der Entscheidung der Frage, wie das Denken zum Erkennen werden kann, wie sich der zu erkennende Inhalt zu den Formen des erkennenden Bewußtseins verhält, scheiden sich die logischen und erkenntnistheoretischen Standpunkte in unendlich viele Richtungen. Nach welcher Richtung aber auch diese Wege führen mögen, es bleibt die Grundaufgabe der Philosophie, sich vor der Lösung besonderer Fragen über die allgemeinen Tatsachen des Denkens und Erkennens überhaupt klar zu sein, denn in allen philosophischen Sätzen wiederholt die Philosophie die von ihr als geltend anerkannten Formen und Prinzipien des Erkennens. Da sich alle Behauptungen der Einzelwissenschaften und alle Sätze der Einzeldisziplinen der Philosophie auf dem in der allgemeinen Logik geschaffenen Fundament der Erkenntnis aufbauen, wird die allgemeine Logik das Fundament aller allgemeinen und aller besonderen Erkenntnis der Philosophie und der Wissenschaft überhaupt sein. Die Logik und Erkenntnistheorie steht also am Anfang aller philosophischen Spekulation.

Diesen Gedanken von der unbedingten im Begriffe der Philosophie begründeten Vorherrschaft der Logik finden wir mit allem Nachdruck und aller klaren Bestimmtheit vornehmlich in der Richtung der Philosophie vertreten, in der die Einsicht zur prinzipiellen Entscheidung gelangt ist, daß Philosophie als Wissenschaft sich auf sicheren Erkenntnisprinzipien aufbauen muß, daß ohne diese sicheren Erkenntnisprinzipien alle Philosophie nur eilt Dichten und subjektives Spekulieren ist. Es ist die immer stärker ausgeprägte Gewißheit des von Kant begründeten philosophischen Kritizismus, dessen Haupttendenz die ist, mit den Bedingungen und Formen des Denkens auch die Grenzen der menschlichen Erkenntnis festzulegen. Kant selbst ging in den Jahren seiner selbständigen, sich von der Leibnitz-Wolffschen Schulmetaphysik freimachenden Entwicklung, wie sich aus seinen Briefen feststellen läßt, unzweifelhaft zunächst auf die Lösung moralphilosophischer Probleme aus. Dieser Lösung ethischer Probleme aber stellte sich die zur absoluten Gewißheit werdende Einsicht entgegen, daß erst die allgemeinste Frage gelöst werden müsse: Was kann ich überhaupt erkennen? Wie ist Erkenntnis überhaupt möglich? ehe die Untersuchung der Spezialfrage unternommen werden konnte: Was kann ich über Sittlichkeit wissen? Wie ist Ethik als Wissenschaft oder wie sind ethische Prinzipien mit dem Anspruch auf allgemeine und notwendige Geltung möglich? Erst hieß es für Kant nach dieser kritischen Besinnung auf das Wesen alles Erkennens, sich darüber im klaren zu sein, auf welchen Gründen alles in Urteilen sich ausdrückende Wissen beruht, ehe die andere Frage in den Vordergrund geschoben werden konnte, auf welchen Gründen moralisches, ästhetisches und sonstiges Urteilen beruht. Diese von Kant zur philosophischen Gewißheit gebrachte Einsicht ist in der modernen Spekulation teilweise dahin überspannt worden, daß die Philosophie überhaupt nur für die Untersuchung der Gründe des Denkens und Erkennens, sonst aber für nichts verantwortlich gemacht wird, daß Philosophie ganz und gar und nichts anderes als Erkenntnislehre, d. h. Logik sei. Diese Ansicht aber ist eine systematisch philosophische, über deren Begründung wir im Rahmen einer Einführung in die Philosophie überhaupt nichts zu entscheiden haben. Wir wissen, daß die Philosophie in der ganzen unübersehbaren Mannigfaltigkeit des Lebens und Wissens nach den letzten, zum Wissen zu bringenden Gründen der Einheit und der Geltung zu fragen hat. Sie hat dies zu tun auf die Gefahr hin, solche Gründe der Einheit zu negieren und deren Grundlosigkeit einzusehen. Es wäre deshalb wohl eine Beeinträchtigung der eigentlich philosophischen Aufgaben, wollte man sich vor aller Philosophie dafür entscheiden, daß nur das Erkennen Gegenstand der Philosophie ist. Soviel aber dürfen wir für eine durch den Kantischen Kritizismus erhärtete Einsicht nehmen, daß in allen Teilen der Philosophie die Frage nach den Gründen der Geltung behaupteter Sätze überhaupt gelöst sein muß, ehe nach den besonderen Gründen besonderer Urteile gefragt oder aus besonderen Erkenntnisinhalten besondere Werturteile als geltend behauptet werden. Der Logiker also, der nach den Gründen der Geltung einzelwissenschaftlicher Urteile zu forschen und der Ethiker, der die in Behauptungen oder Taten dokumentierten ethischen Urteile zu kritisieren, der Ästhetiker, der über behaupteten oder gestalteten Schönheitswert zu richten beginnt, werden stets Beziehung nehmen müssen auf die Gründe der Geltung des Denkens und des Erkennens, des Behauptens und des Urteilens überhaupt, wie sie die allgemeine Logik aufstellt.

Damit ergibt sich aus dem Wesen der Philosophie ein zweiter Einteilungsgrund für ihr Gesamtgebiet. Wenn das Wesen der Philosophie darin besteht, zu den Einheitsgründen des Erlebens und des Wissens aufzusteigen, um diese zum Bewußtsein zu bringen, und sie sich dabei stetig auf die in der allgemeinen Logik festgelegten Prinzipien zu berufen hat, so muß sie für jedes Einzelgebiet des philosophischen Denkens die Gründe der Spezifikation logischer Prinzipien darzutun unternehmen. Mit anderen Worten: dort wo in Behauptungen, in Urteilen, in Gestaltungen mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung geltende Gründe hervortreten, da wird die Philosophie die besondere Art geltender und das Urteil bestimmender Gründe zu prüfen haben, um in ihnen die Spezifikation der in der reinen Logik aufgestellten logischen Gesetze überhaupt zu finden. So wird sie bei der Untersuchung moralischer Wertungen, moralischer Urteile und Behauptungen, von einer Logik des moralischen Urteiles, bei der Untersuchung ästhetischer Wertungen von einer Logik des ästhetischen Urteiles anheben müssen, bevor sie sich mit der Feststellung besonderer moralischer oder ästhetischer Werte beschäftigen kann. Die Logik des moralischen, ästhetischen, religionsphilosophischen, geschichts- und rechtsphilosophischen Urteiles wird einer Ethik, Ästhetik, Religions-, Geschichts- und Rechtsphilosophie ebenso vorausgehen müssen, wie die Logik des Erkenntnisurteiles überhaupt der Logik der Einzelwissenschaften. Dabei spielt die Frage zunächst keine Rolle, ob der Grund der Einzelwertung im erkennenden, im denkenden, erlebenden, fühlenden Individuum gelegen ist oder jenseits dieses in einer vom Subjekt zu erfassenden, zu erlebenden Welt. Weil die Logik die Grundbedingungen alles Denkens überhaupt, die Gründe der möglichen allgemeinen Geltung des Denkens feststellt, ohne die Beziehung des Denkens auf besondere Inhalte, auf bestimmte Gegenstände zu beachten, die Denkformen als einen möglichen Inhalt des Denkens formend betrachtet, nennt man diesen Teil der Philosophie den formalen oder allgemeinen im Gegensatz zu einem inhaltlichen, besondere Erfahrungselemente berücksichtigenden. Überall also, wo sich die Philosophie mit ihrer besonderen Methode auf Erkenntnisse, auf Behauptungen, auf lebendige Gestaltungen bezieht, die mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung auftreten, um diesen Anspruch zu prüfen und die besonderen Gründe der Geltung festzustellen, wird sie einen reinen, formalen, allgemeinen und einen empirischen, inhaltlichen, besonderen Teil haben. Der Behandlung der in der Wirklichkeit geltenden, in Recht und Sitte ausgedrückten besonderen moralischen Prinzipien wird eine Logik des moralischen Urteiles vorausgehen, die die Art der in einem möglichen allgemeingültigen, moralischen Urteile auftretenden notwendigen Prinzipien erwägt, um diese Prinzipien dann in einem besonderen Teil als Tendenzen zur Sittlichkeit wiederzuerkennen. Der formale Teil also aller philosophischen Einzelspekulation kümmert sich nicht darum, daß die gesuchten Prinzipien nur Abstraktionen sind, während der besondere Teil sich der ganzen Lebendigkeit der unübersehbaren Mannigfaltigkeit bewußt wird und die Fülle der Bedingungen zugleich mit den reinen, formalen, allgemeinen Gründen erwägt.

Auch diese Scheidung eines reinen, formalen, allgemeinen von einem empirischen, besonderen Teile der Gesamtphilosophie und aller ihrer Einzelgebiete ist klassisch geworden durch den Kantischen Kritizismus. Ihr geht als einzige unerörterte Annahme die Ansicht voraus, daß Philosophie ihrem Begriffe und Wesen nach Wissenschaft ist und sein muß. Kants Hauptwerke, in denen sich der kritische Idealismus darstellt, die »Kritik der reinen Vernunft«, die »Kritik der praktischen Vernunft« und die »Kritik der Urteilskraft« sind nichts anderes als Abhandlungen über die formalen Prinzipien der drei von ihm unterschiedenen Arten möglicher allgemeiner, notwendig anzuerkennender Urteile. Die »Kritik der reinen Vernunft« handelt von den formalen Prinzipien des Denkens und Erkennens überhaupt, die »Kritik der praktischen Vernunft« von den formalen Prinzipien des moralischen Urteilens und die »Kritik der Urteilskraft« in ihren spezifisch kritischen Teilen von den Prinzipien des ästhetischen Urteilens überhaupt. Diesen drei Kritiken der formalen oder wie Kant sagt der transzendentalen Prinzipien des Urteilens schließen sich die Untersuchungen über die Prinzipien des besonderen Urteilens an, der »Kritik der reinen oder theoretischen Vernunft«, die »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft«, der »Kritik der praktischen Vernunft«, die »Metaphysischen Anfangsgründe der Rechts- und Tugendlehre«, den kritischen Teilen der »Kritik der Urteilskraft« die besonderen Untersuchungen über die möglichen Arten ästhetischer Werte. Dies alles diene nur als Beispiel einer aus dem allgemeinen Begriffe der Philosophie konsequent gefolgerten Einteilung der Philosophie.

Über diese Unterscheidung hinaus in formale und empirische Teile der philosophischen Untersuchungen läßt sich aus dem allgemeinen Begriffe der Philosophie als Wissenschaft keine weitere Einteilung herauspressen: es kann insbesondere allein aus dem Begriffe der Philosophie nicht gefolgert werden, auf welche Inhalte der unübersehbaren Mannigfaltigkeit sich das philosophische Denken zu beziehen hat. Ebensowenig läßt sich die Mannigfaltigkeit, von der die Philosophie anhebt, aus dem Begriffe der Philosophie ableiten, sondern jegliche, erlebbare Mannigfaltigkeit ist Aufgabe des philosophischen Denkens. Die unübersehbare Mannigfaltigkeit, von der aus die Philosophie zu den letzten Gründen der Einheit aufsteigen muß, ist selbst der unendliche Grund der Spezifikation der philosophischen Prinzipien und jeder einzelne vom Erleben oder vom Wissen umgrenzte Teil dieser Mannigfaltigkeit gibt gleichsam das Gerüst für ein Spezialgebiet der Gesamtphilosophie. Man spricht deshalb mit Recht vor allen Dingen in der gegenwärtigen Philosophie, wo das Denken mehr als früher auf die erlebbaren Einzelheiten gerichtet ist, nicht nur von Spezialgebieten der Philosophie, die ihren Anfang nehmen von großen, in den Einzelwissenschaften geformten Wissensgebieten, sondern man hängt die Bezeichnung »Philosophie« an viele Einzelerscheinungen der erlebten Welt. Die Schematisierung der Philosophie in Logik, Ethik und Ästhetik ist deshalb vielfach als eine künstliche und unvollkommene oder, wie man sagt, als eine Einteilung a priori aufgegeben und zu einer zufälligen Zusammenfassung philosophischer Probleme geworden. Neben Logik, Ethik und Ästhetik stehen danach vor aller speziell philosophischen Entscheidung gleichwertig Religions-, Rechts-, Geschichts-, Kultur-, Naturphilosophie usw. Diese Koordination philosophischer Problemgebiete, deren Konstituierung an irgendeinem Punkte der unübersehbaren Mannigfaltigkeit beginnt, läßt sich auf keine Weise in ein Verhältnis der Subordination umwandeln. Nur das eine steht aus dem Begriffe der Philosophie folgend fest, daß sie immer an erste Stelle die allgemeine Logik als die Prinzipienlehre des Erkennens überhaupt setzen muß, gleichzeitig als Legitimation der in jedem einzelnen philosophischen System geltend gemachten Grundsätze und der auf jedem Einzelgebiet als geltend aufzustellenden Gründe der Einheit. Die Logik wird notgedrungen jedesmal den allgemeinen Grundriß des Denkens entwerfen müssen, um die Prinzipien an die Hand zu geben, auf das sich alles besondere Denken zu stützen hat. –

Diese geltenden Prinzipien werden stets über oder jenseits der wahrnehmbaren, erlebbaren, von der Psychologie deutlich zu machenden Gründe oder Ursachen des Denkens stehend und geltend zu denken sein. Nennt man die an die zeitlich kausale Betrachtung gebundene, dem Ich fremd gegenüberstehende, vom Naturwissenschaftler erfaßte Welt » Natur schlechthin«, so werden die Prinzipien der Einheit, in denen die zur Erkenntnis gelangte Natur ihren Grund hat, notwendig unabhängig von der Natur, jenseits der Natur gedacht. Diese Geltungssphäre, als Grund für alle Naturerkenntnis, auf der alle Physik als System erlebter und erlebbarer Mannigfaltigkeit beruht, kann man mit gutem Grunde, wenn auch zunächst nur in negativem Sinne hyperphysisch oder metaphysisch nennen. In diesem Sinne ist alle philosophische Wissenschaft Metaphysik. Metaphysik ist nur ein anderer Name für Philosophie als Wissenschaft von den letzten Einheitsgründen.

Metaphysisch in diesem Sinne sind alle von der Philosophie aufspürbaren geltenden Gründe, auf denen sich das Erleben und das Wissen aufbauen, zu denen Erleben und Wissen hinstreben mögen. Die eigentliche Wissenschaft von den Einheitsgründen des Wissens ist, wie wir sahen, die Logik oder Prinzipienlehre des Erkennens überhaupt. Metaphysik als Wissenschaft im reinsten Sinne wird nichts anderes sein können als eben diese Prinzipienlehre, nur ausdrücklich benannt nach dem eigentlichen Wesen der Geltungsgründe, nämlich, daß sie nicht innerhalb der erlebbaren Natur oder innerhalb der naturwissenschaftlichen Welt, sondern als Grund vor aller Natur, aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis liegen. Damit aber, daß sie Gründe der Einheit oder Geltung sind, dürfen sie nicht etwa als Ursachen des zeitlichen Daseins genommen werden, denn, wie wir sahen, ist zeitliche Ursächlichkeit der besondere Grund, auf dem die Naturwissenschaft steht, der erst von der Philosophie zu untersuchen und nach seinen »metaphysischen Anfangsgründen« zu werten ist.

Es bedarf, um sich des Wesens und des eigentlichen Sinnes metaphysischer Spekulationen wohl bewußt zu werden, der kritischen Erinnerung daran, daß alle Philosophie ein Aufstieg von der erlebbaren und erlebten Mannigfaltigkeit, eine am menschlichen Erleben sich erhebende Tätigkeit des menschlichen Geistes ist. Alle Metaphysik als Wissenschaft von den letzten Gründen muß sich darüber im klaren bleiben, daß sie an dem Seile, an dem festen Zentrum der erlebbaren Mannigfaltigkeit hängt und daß sie nur zu den Gründen dieser erlebbaren Mannigfaltigkeit, nicht aber zu Gründen einer über allem Erleben gedachten oder zu denkenden Mannigfaltigkeit gelangen kann. Eben der besondere Ruhm der Philosophie, daß sie Wissenschaft, die wissenschaftlichste Wissenschaft ist, ist auch notgedrungen ihre Grenze, ihre eigene Bedingung nach der metaphysischen Seite hin. Dort, wo die menschliche Spekulation vergißt, daß sie nur Geltungsgründe für die erlebbare Mannigfaltigkeit sucht und nicht Erklärungsgründe einer schon allein dem Begriffe nach jenseits aller Erlebbarkeit liegenden Welt, ist Metaphysik nur ein bloßes Phantasma des Geistes und hat mit Philosophie ebensowenig zu tun, als subjektive Weltanschauung mit Wissenschaft.

So ist es beispielsweise wohl denkbar als Resultat philosophischer Spekulation, daß, wie es die Religion lehrt, ein Gott als metaphysisches Prinzip der Weltschöpfung und des Daseins aller erlebbaren Mannigfaltigkeit gedacht wird. Philosophisch ist die Setzung dieses Prinzipes aber nur dann, wenn es mit steter Beziehung auf die allgemeine und notwendige logische Anerkennung geprüft wird. Für die Philosophie als Wissenschaft fällt dieses göttliche Prinzip der Weltdeutung, wenn die Folgerungen daraus die Gründe des Denkens und des Wissens aufheben und negieren. Aber mag es auch begründbar sein, Gott im religiösen Sinne als Prinzip des Erkennens und des Erlebens zu setzen, es ließe sich niemals wissenschaftlich rechtfertigen, die für das aus dem göttlichen Wesen abfließende Denken und das Erleben geltenden Bestimmungen ohne weiteres auf das göttliche Prinzip selbst zu übertragen. Mit anderen Worten: die für die Folgen aus einem geltenden Prinzip geltenden Bestimmungen können nicht für das Grundprinzip selbst gesetzt werden. Was für den Umkreis unseres Erlebens und unseres vom Erleben aufsteigenden Wissens gilt und aus einem Prinzip abgeleitet worden, kann nicht wiederum für das Grundprinzip selbst angenommen werden. Wenn also Erfahrungsgesetze und moralische Verbindlichkeiten für den Umkreis der denkenden und erlebenden Menschen gelten und sich diese Geltung aus einem göttlichen Prinzip deduzieren läßt, so bleibt es eine metaphysische Täuschung, nun mit den Erklärungsgründen der erlebten und erlebbaren Welt den Grund dieser Welt, den metaphysischen Grund selbst besetzen zu wollen, d. h. in unserem Beispiel: Gott mit den für Menschen und die zu erklärende Welt möglicherweise geltenden Bestimmungen beschreiben zu wollen.

So ist, wie wir gesehen haben, das Anschauungs- und Größenbewußtsein der Grund der Geltung aller mathematischen Wahrheiten. Das mögliche Anschauungs- und Größenbewußtsein, das in der mathematischen Erkenntnis sichtbar wird, läßt sich aber nicht wieder umgekehrt mit mathematischen Gesetzen fassen. Aus dem Prinzip fließen die Gründe der Geltung, der Grund der Geltung selbst aber ist nur ein Moment, das in den geltenden Wahrheiten als konstantes Moment festzustellen ist. So mag es eine philosophische Wahrheit sein – wir stellen eine Hypothese als Beispiel hin – daß ein Gott Grund aller möglichen Zusammenhänge, aller Erfahrungsgesetze ist. Unter diesen befindet sich, wie wir sahen, auch das für das ganze Gebiet der Naturwissenschaft geltende Kausalgesetz. Damit erwächst nicht das Recht, das göttliche Prinzip selbst kausal zu begreifen, es zu spalten durch die Übertragung der von ihm abfließenden Bestimmungen auf es selbst.

Die vielberühmte Metaphysik ist also entweder nur ein anderer Name für das Wesen aller Philosophie und speziell für den Teil der Philosophie, den wir Logik oder Prinzipienlehre nannten, oder sie ist eine pure Spielart des Denkens, im besten Falle ein Trost für die nach Deutungsmöglichkeiten vergeblich herumirrende Weltanschauungsbedürftigkeit, die die mühsam gefundenen Prinzipien wieder durcheinanderwirft und den Boden verläßt, auf dem Falles Erkennen und damit alle Philosophie notwendig erwächst, die erlebbare und dem Denken aufgegebene Mannigfaltigkeit.

Wir müssen, uns das Wesen der Philosophie als Wissenschaft deutlich vor Augen haltend, bedenken, daß alle Philosophie nach den metaphysischen Anfangsgründen alles Erlebens, alles Wissens, alles Erlebten und Gewußten zu forschen hat. Ohne »Metaphysik«, die ihrem Namen nach nichts anderes bedeutet als eben die Beschreibung des gesuchten letzten Grundes der Einheit nach seinen negativen Bestimmungen in Beziehung auf die erlebbare Welt, gibt es keine Philosophie, hat es niemals welche gegeben und wird niemals eine sein. Alle prahlenden Behauptungen einer metaphysikfreien Philosophie sind Täuschungen, vornehmlich Selbsttäuschungen. Wenn Kant, dessen Lehre so oft als das Beispiel einer metaphysikfreien Philosophie angeführt wird, in seinem kritischen Hauptwerke mit der Metaphysik » aufräumte«, wie er sich rühmte und wie man ihm so oft nachspricht, so machte er in der Tat nur einer auf irrigen Gründen sich aufbauenden und die Prinzipien verwirrenden Metaphysik ein Ende. Alsdann öffnete er durch die »kritische Besinnung« auf das Wesen und die Grenzen alles Erkennens dem wahren metaphysischen Streben von neuem die Tore. Die Metaphysik ist, wie wir sehen, kein besonderer Teil der Philosophie, sondern das Substantielle aller Philosophie selbst, das am klarsten und reinsten in ihren eigentlich formalen Teilen zutage tritt. –

Es ergibt sich also folgende Einteilung der Gesamtphilosophie: Den Anfang bildet die Metaphysik als Logik und Prinzipienlehre des Erkennens und Erlebens. Den zweiten Teil machen die sich aus der unübersehbaren Mannigfaltigkeit aufbauenden Gebiete aus, am zweckmäßigsten, aber nicht aus systematischen Erwägungen geordnet nach historischen Gesichtspunkten: An der Spitze stehen dann die alten Gebiete der Philosophie: Ethik, Ästhetik, Religions- und Naturphilosophie, ihnen folgend, teils in ihnen wurzelnd, die neueren: Geschichts-, Kultur-, Rechts- und Sozialphilosophie. Dazu kommt die ganze Fülle der von der unübersehbaren Mannigfaltigkeit aus sich formenden Einzelprobleme: Philosophie der Liebe, der Freundschaft, des Krieges, des Friedens usw. Jede dieser Problemgruppen wird einen logischen oder metaphysischen und einen empirischen oder besonderen Teil haben. In dem letzteren wird die ganze Lebendigkeit in der Wirklichkeit vorhandener Bestimmungen in der Vereinigung mit den im metaphysischen Teil dargetanen Prinzipien widerstrahlen. Auf diese Weise zerfällt die Ethik von vornherein in einen Teil, den man die »Logik des ethischen Urteils« nennen wird, und in einen zweiten, der die Geltung der moralischen Prinzipien unter den besonderen Bedingungen des menschlichen Handelns darzutun hat. Über dieses Schema hinaus bedarf es beim Eintritt in das Gebiet der Philosophie keiner weiteren Orientierungen: neue Einteilungsgründe liegen in den besonderen Problemstellungen philosophischer Spezialgebiete.


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