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Aus den Erörterungen des vorhergehenden Absatzes könnte der Schein entstehen, als dürften wir der Philosophie als Wissenschaft nur ein Verhältnis zum Wissen und zur Einzelwissenschaft zugestehen, als wollten wir es für hinlänglich genügend bezeichnen, ihr Wesen als Wissenschaft mit eigentümlichen, durch die Aufgaben der Einzelwissenschaften niemals aufzuhebenden Problemen nur vom Wissen und von der Einzelwissenschaft aus zu verstehen. Da es im Wesen des erkennenden Geistes notwendig liegt, Philosophie als Wissenschaft zu betreiben, weil dies zur Einheit des Erkannten und zu Erkennenden führt, so darf man die Philosophie als ein objektives Bedürfnis des Geistes oder mit anderen Worten als ein objektives Bedürfnis der Vernunft bezeichnen, dem – allerdings in verschiedenem Grade – alle die Wesen unterliegen, die vom erkennenden Geiste erfüllt sind. Sollte es richtig sein, daß erkennende Wesen Menschen sind, daß es im Wesen des Menschen gelegen ist, wenn auch in verschiedenen Graden, sich dem Erkenntnisziele zu nähern, so dürfen wir sagen, daß Philosophie ein objektives Bedürfnis der Menschheit ist, das wir in wechselseitigem Verhältnis zu den mannigfachen subjektiven Bedürfnissen der Menschen als vorhanden erleben. Es würde dieses objektive Bedürfnis immer bedeuten, vom Besonderen zum Allgemeinen aufzusteigen, um in höherer Einheitformung die unübersehbare Mannigfaltigkeit des Erkannten zu fassen und zu begreifen und diesen Prozeß prinzipiell fortzusetzen, bis das letzte allgemeine Prinzip der Besonderung erkannt, geschaut oder gewußt ist. Die Gegensätzlichkeit der von der Philosophie eingeschlagenen und historisch festzustellenden Wege ist gegen dieses allgemeine Schema der Philosophie keine Einwendung. Denn auch dort, wo das höchste Prinzip gewaltsam gesetzt und die aus ihm fließenden Besonderungen postuliert werden, um von dort aus die Einzelformung des Geistes zu verstehen oder abzuleiten, muß prinzipiell der Weg der Abstraktion zuvor eingeschlagen sein, um die Idee der Einheit in der Mannigfaltigkeit repräsentiert zu sehen.
Es darf nun aber trotz des engen Verhältnisses, das die Philosophie zur Wissenschaft hat, nicht der Anschein erregt werden – damit würden wir die ewig junge Kraft der Philosophie und die ganze Lebendigkeit der an sie gestellten Forderungen abschwächen – als sei Philosophie als Wissenschaft nur allein vom Wissen aus zu erfassen und nur vom Wissenden begehrt. Die Gegenüberstellung von Wissen, Wissenschaft und Philosophie ist nur ein Schritt, um die Philosophie in ihrem eigenen Werte zu erkennen. Die Wissenschaft ist doch auch nur ein Moment, das innerhalb der Fülle des lebendigen Lebens steht, zu der viele Lebendige sich hinneigen, der aber auch viele fernbleiben; sie mag wohl der Philosophie Grenzen ziehen und Probleme geben, den Aufstieg des philosophischen Denkens begreiflich machen, nicht aber alle Ansprüche erklären und rechtfertigen, die von der Philosophie selbst erhoben worden sind und die zu allen Zeiten an die Philosophie gestellt werden. Unter diesen Ansprüchen befinden sich viele, die, wenn wir die Geschichte der geistigen Entwicklung der Völker betrachten, mit großem Unrecht erhoben und mit noch mehr Unrecht von denen, die Philosophen zu sein vorgaben, zu erfüllen unternommen wurden.
Treten wir, um von dieser Lebensseite dem Wesen der Philosophie näherzukommen, in Gedanken wieder zurück in das große, nach tausend Richtungen bewegte, von uns als solches erlebte Chaos. Lassen wir uns von der ganzen Fülle der Gegensätzlichkeiten der in uns lebendig empfundenen Stimmungen, Gefühle, Hoffnungen, Verzweiflungen, des Wissens, der Freiheit und der Befangenheit leiten! Vergessen wir nicht, daß wir unserem Empfinden nach durch buntbewegte Welten gehen, daß wir unserem durch Wissen und Erkennen nicht bestimmten und nicht verkürzten Erleben nach hineinzuschauen glauben müssen, selbst ewig bewegt, in eine scheinbar hin und her bewegte Mannigfaltigkeit von Eigenwelten. Unendliche Erlebnisse, Pläne, Vorsätze, Ermattungen, Enttäuschungen und Freuden, und in diesem allen ein lebendiges Sehnen über das Chaos hinauszukommen zu einem festen und selbstgewissen Punkt! Wie der Steuermann in alten Zeiten nach den Sternen auszublicken suchte, um sich des Weges durch eine endlose See zu vergewissern, so schauen zahllose Menschen – nicht nur als Wissen begehrende, sondern als fühlende Menschen – aus dem Leben aufwärts, eine Richtung, ein Ziel zu finden. Und wie der Steuermann in unseren Tagen an der Magnetnadel und manchen anderen technischen Werkzeugen objektive Mittel gefunden hat, die ihn sicher über die Meere führen, so suchen die Menschen nach einem Werkzeug, das sie sicher durch ein unendlich bewegtes Leben hindurchbringe. Auch dieses Suchen ist oftmals nur die Eigentümlichkeit des Geistes, zur Einheit innerhalb der Mannigfaltigkeit zu kommen, die wie ein dunkler vorwärtstreibender Drang sich fühlbar macht und zum Wissen, zur Erkenntnistat wird, oftmals aber nur das subjektive Bedürfnis, eine Stütze, eine Führung oder gar nur eine Krücke durch ein in dieser Gegensätzlichkeit unsicheres und unruhiges Leben zu haben.
Es gibt im Umkreise des Gesamtlebens der Menschen mannigfache Mittel, die diesem Bedürfnis gut oder schlecht entsprechen, die dem Leben einen oftmals allerdings nur äußeren Halt zu geben geeignet sind. Dazu gehört an erster Stelle der Beruf und die zufällige Beschäftigung, die, je mehr sie das ganze Fühlen und Denken des Menschen einnimmt, umso tauglicher ist, dem Leben den gewünschten Halt zu verschaffen. Da ist die Gesellschaft und das staatliche Zusammenleben in Sitte, Form und Gesetz ein reicher Schatz, um lebensfähige Wege vorzuschreiben und Lebensziele zu stecken. Da erstehen aus Ämtern, aus Erwerbszweigen, aus gemeinschaftlichen Lebensinteressen Verbindlichkeiten, die mehr oder weniger verpflichtend das Einzelleben an die Allgemeinheit binden und in ihr untergehen lassen. Da hat der Soldat seine Soldatenehre, die ihn hinwegbringt über die Probleme eines oft gegensätzlich bewegten Fühlens, da hat der Beamte sein ihm von der Gesamtheit vorgeschriebenes Amt und seine Standespflicht. Da herrschen unter einem großen Teil der Menschen der Erwerb und seine Bedingungen zur Erhaltung der sinnlichen Existenz als leitendes Prinzip alles Handelns und Denkens. Da erringen sich gewisse Gefühle und Instinkte eine unbedingte Macht über die Mannigfaltigkeit der Lebensansprüche. In der Tradition, in der Sitte, im Gesetz erhärten sich Anschauungen, die sich fortpflanzen als Lebensdirektiven von Generation zu Generation. Da ist die Religion und der in der Kirche festgewordene Glaubenssatz für Millionen das starke Seil, an dem das schwanke Lebensfahrzeug angebunden wird. Tausende und Abertausende lassen die eigene, immer wieder hervorbrechende Stimme nach einem für alle Lebenslagen geltenden Zielpunkte gewaltsam zum Schweigen kommen, froh, irgendwo einen festen Grund gefunden zu haben, an den sie anlegen können. Aber Tausende suchen auch fortgesetzt innerhalb der Lebendigkeit des menschlichen Lebens nicht allein mit dem Verstande, sondern vor allen Dingen mit der Totalität ihres Fühlens nach diesem Einheitsgrunde, auf den sie das Leben bauen möchten. Man hat dieses in tausendfältiger Weise und aus unendlich vielen Quellen mitten aus dem heißen Strome des Lebens kommende Sehnen den Drang nach Weltanschauung genannt. Es gibt viele, die auch noch heute glauben, das Wesen der Philosophie bestehe darin, diesen Drang nach Weltanschauung zu stillen, eine Weltanschauung, die für alle Menschen gilt und allen Menschen hilft, zu suchen.
Wenn wir uns auf historischen Boden begäben, innerhalb der Geschichte der geistigen Entwicklung der Völker nachfragten, wie weit die Philosophie oder dasjenige, was man in steter Rücksicht auf Wissenschaftlichkeit Philosophie genannt hat, diesem Drange nach Weltanschauungsbefriedigung stattgegeben, so würden wir in der eigentümlichsten Weise darüber belehrt, mit welchem Rechte der Anspruch erhoben werden durfte, Philosophie zur Weltanschauungsbildnerin zu machen. Bleiben wir dabei, uns diesen Anspruch aus den Begriffen »Weltanschauung« und »Philosophie« zu verdeutlichen. – Es leuchtet ein, daß das Bedürfnis nach einer Welt- und Lebensanschauung ein unendlich mannigfaltiges ist, und daß es wegen der verschiedenen Intensität und wegen der verschiedenen aus mannigfaltigen Erlebniswelten heraus gestellten Fragen auch mannigfaltige Antworten geben muß. Es ist selbstverständlich, daß es bei den unendlich differenzierten Lebensverhältnissen, bei der Unübersehbarkeit der durch jedes einzelne lebende Wesen abgeteilten Lebensstandpunkte unendlich viele, von diesen verschiedenen Standpunkten aus berechtigte Lebensanschauungen geben muß. Das Sehnen nach einem gewissen Lebensziele, nach einer für die Dauer des zeitlichen Lebens ausreichenden Weltanschauung ist ein Sehnen aus tausend verschiedenen Welten. Das die Welt und das Leben von einem festen Standpunkte aus Anschauenwollen ist wechselvoll, wie die Standpunkte selbst, von denen aus man die Mannigfaltigkeit der Welt und alle ihre Möglichkeiten gewissermaßen zusammenschaut. Jeder Einzelne bedarf – so will es scheinen – einer anderen, von anderen Lebenszentren unterschiedenen Lebensanschauung, weil sein Leben andere Momente zu vereinigen, zusammenzuschauen zwingt. Die Lebens- und Weltanschauung eines jeden wird, wie dieses Wort schon allein so trefflich ausdrückt, aus dem Leben und aus dem Weltverhältnis und nur in seltenen Fällen aus dem Wissen der Menschen geboren. So hat der Bauer, wenn er mutig und kräftig durchs Leben geht, notgedrungen eine andere in sich gefestigte Lebensanschauung als der Städter, der Seemann eine andere als der Landbewohner. So pflegen große Berufsklassen in sich eine Weltanschauung, die sich niemals und keineswegs mit einer anderen vertauschen läßt. Der Beamte, der im unbedingten Dienstverhältnis zum Staate steht, wird eine andere Lebensanschauung betätigen und aus dieser Lebensanschauung eine andere Lebensform schaffen als der Kaufmann, der weiter über die Welt blickt. Die Politik trennt die Menschengruppen eines Volkes oftmals nach verschiedenen Lebensinteressen, meistens nach Lebensanschauungen. So erleben wir in unserer Zeit und in unserem Volke, daß diese Lebensanschauungen fast durchweg mit ökonomischen Interessen verbunden und durchsetzt sind. Ganze Völker und ganze Rassen repräsentieren in sich eine in Jahrtausenden ihres Bestandes nur immer fester gewordene unerschütterliche Lebens- und Weltanschauung, die als unbewußt herrschend erst vom späten Historiker abzulösen und in Formeln zu bringen ist. Welt- und Lebensanschauungen stoßen hart aufeinander im Kampfe der Völker untereinander, und es ist meistens nicht entscheidend, ob äußere Machtmittel und durch Überlegungen und Wissenskombinationen hergestellte Künstlichkeiten bereit liegen, sondern ob der Lebensanschauungskern der Völker noch kräftig und neue Werte aus sich gebärend besteht. Oftmals verbinden sich diese Lebensanschauungen der Völker oder formen sich glücklich oder unglücklich mit religiösen Systemen, deren Strahlen gleichsam über die ganze Menschheit fallen wollen, die ebenso fest Wurzel fassen und unausrottbar werden wie lebensanschauungsmäßige Überzeugungen im Leben des Einzelnen allen Überlegungen zum Trotz und allen Überredungen des Verstandes entgegen fest bleiben. In allen kritischen Lebenslagen des Einzelnen, der Völker und der Menschheitsgruppen brechen durch alle verstandesmäßigen Berechnungen elementar als vorhandene Kräfte die Lebensanschauungselemente hervor und reißen blind das Kartengebäude einer erlernten und erdachten Außenkultur zusammen. Tausend Millionen von Lebens- und Weltanschauungen leben in der gegenwärtigen Welt und Millionen sind mit ihren Trägern und Schöpfern untergegangen. Ob diese Weltanschauungen richtig oder falsch gewesen sind, scheint eine schiefe Frage zu sein, ob sie kräftig, wirksam und Werte schaffend gewesen, darüber entscheidet die Geschichte. Griechenland mit seiner die höchsten Formen der Kunst erschaffenden Lebensanschauung, Rom und Persien mit ihren die Völker mit Machtfaktoren beherrschenden Weltansicht sind niedergesunken, ihre Lebensanschauungen haben sich als schaffende, aber nicht als dauernde Prinzipien der Lebensgestaltung bewährt. Massen von Lebensanschauungen stehen gegenwärtig im Lebenskämpfe miteinander. Sollte es wirklich Aufgabe der Philosophie als einer Wissenschaft sein, Welt- und Lebensanschauungen zu formen?
Wir dürfen uns bei der Beantwortung dieser Frage nicht durch die lebhaften Ansprüche an eine Weltanschauungssynthese oder auch die mannigfachen Versuche verleiten lassen, die angestellt worden sind, dem Weltanschauungsbedürfnis Genüge zu leisten, Versuche die man oftmals mit dem Namen Philosophie belegt hat. Unserer begrifflichen Voraussetzung, daß Philosophie Wissenschaft sein muß und sein wolle, dürfte nach der begrifflichen Darlegung dessen, was Weltanschauung ist und Weltanschauung geben soll, schon allein der Anspruch an die Philosophie, eine Welt- und Lebensansicht zu formen, widersprechen; denn eine Wissenschaft hat allgemeine, von allen Erkennenden anzuerkennende Resultate zu erzielen, gleichgültig dagegen, ob sie damit Lebensbedürfnisse befriedige oder nicht, die aus einer anderen Sphäre menschlicher Funktionen stammen als der Wille zu erkennen. Es liegt, wenn wir uns den Anspruch auf Lebensanschauung deutlich machen, doch gerade im Wesen dieses Begriffes, daß eine Mannigfaltigkeit, ja eine Gegensätzlichkeit von Antworten und nicht eine Antwort gefordert wird. Philosophie und Weltanschauungsforderung scheinen in ihrer begrifflichen Klarheit völlig kontradiktorischer Art zu sein; der von der Philosophie zu erfüllende Anspruch liegt ganz in der Sphäre des Wissens, der an die Weltanschauungslehre erhobene Anspruch stammt aus der dunklen verworrenen Sphäre des in sich chaotischen Lebens.
Auch ohne ausdrücklich auf die Geschichte der Philosophie zurückzugreifen, die vielfach, ja fast immer Philosophie und Weltanschauungsformung in einem engen Zusammenhang zeigt, eröffnet uns die genaue Betrachtung der beiden offenbar gegensätzlichen Begriffe auch die Einsicht in ihre wahre Verwandtschaft oder, besser gesagt, in ihre Wechselbeziehung. Bleiben wir deshalb, um nicht durch die Tatsachen der Geschichte irre zu werden und einen oftmals erfüllten Anspruch für einen durch einen Rechtsgrund legitimierten zu nehmen, dabei, die Verschiedenartigkeit der beiden Begriffe Weltanschauung und Philosophie klarzustellen. Die Philosophie als Wissenschaft repräsentiert den Anspruch, daß es Resultate und Tendenzen des erkennenden Geistes gibt, die allgemein und notwendig für alles menschliche Erkennen gelten. Besteht dieser Anspruch nicht zu Recht, dann gibt es weder Wissenschaft noch Philosophie. Das unerschütterliche Zeichen aber, daß dieser Anspruch, worauf er auch immer sich stützen mag, zu Recht ist, liegt in der Sprache, als dem Mittel der Verständigung der wissenden und erkennenden Menschen, in der Mathematik und in der Naturwissenschaft, als Inventarien geltender Wissenssätze. – Die Weltanschauungsansprüche dagegen wollen, daß die Totalität der Gefühls- und Lebensansprüche auf eine Formel gebracht, ausdrückbar und mitteilbar gemacht werden, daß es für alle die Welt – von welchem Standpunkte nur immer – anschauende Menschen ein Schema der Anschauung, eine Form der Synthese mannigfacher, prinzipiell und graduell verschiedener Elemente gibt. Wer Weltanschauung begehrt, verlangt eine Befriedigung seiner gesamten Lebensfunktionen, wer Philosophie will, fordert eine letzte Einheit seiner Erkenntnisfunktionen. Wer Lebensanschauung will, strebt nach einer Synthese, einer, sei es gefühlsmäßigen oder verstandesmäßigen, Verschmelzung aller die Mannigfaltigkeit seines Lebens bestimmenden Faktoren und Gründe, nach einem Einklang, einer Harmonie, einer Symphonie all der Gegensätzlichkeiten in ihm, einem Zusammenstimmen der gewollten und nicht gewollten Tendenzen seines Lebens. Wer Philosophie will, muß ein Wissen wollen, ein Niederbeugen des einzelnen innerhalb der Sphäre seines individuellen Lebens auftauchenden Erlebniselementes unter ein Wissen, das die gesamte Mannigfaltigkeit seines Lebens als Moment, als Element in die Gesamtheit möglicher Erlebniselemente einstellt, in eine Theorie des Wissens. Wer Weltanschauung sucht, will Leben, wer Philosophie will, begehrt Wissen. Wer Wissen will, dem dient die Sprache, die sich in Schemata bewegt, als Ausdrucksmittel; Leben aber und Lebensziele werden nur mit Not und Gewalt unter die sprachliche Form gebracht.
Die Geschichte der geistigen Entwicklung lehrt uns, daß Philosophie sich dort, wo sie sich ihres Wesens bewußt war, eine Wissenschaft zu sein, allgemeingültiges Wissen auszudrücken, sich der Sprache als einziges Ausdrucksmittels bediente, Weltanschauungsformung aber eine unübersehbare Mannigfaltigkeit der Ausdrucksmittel für sich in Anspruch genommen hat, um nicht nur zum Verstände, sondern zum Erlebnisvermögen der Menschen zu sprechen. Es braucht dabei zunächst nur an die religiösen Systeme erinnert zu werden, die nebeneinander bestehen und nebeneinander sich ausbauen, sich Stätten schufen, in denen Millionen in symbolischer Form Weltanschauung und Lebensziele verkündigt wurden. Die religiöse Handlung scheint sich nur dort, wo sie von ihrer Religiösität eingebüßt hat, die zu der Totalität der menschlichen Strebungen spricht, irrtümlicherweise zum Worte, zum Satze und zum begrifflichen Urteil zu drängen. Denken wir an das gewaltige Chaos religiöser Stimmungen, religiöser Weihe und religiösen Gebetes, in das Tausende ihr eignes Chaos hineintragen, um es erfaßt, aufgelöst, zur höheren Form gehoben zu sehen, kein Wissen, keine Philosophie kann diese, mit allen Mitteln der religiösen Formung sich gestaltende und sich Macht erringende Weltanschauung ersetzen, wie sehr auch der Weltanschauungstrieb erlahmend sich durch Wissensschein täuschen mag. – Denken wir, um Beispiele für Weltanschauungsformen zu bekommen, an die Musik, die große Gestalterin von Gefühlselementen! – Hinter allen großen Musikschöpfungen steht im letzten Grunde eine Weltanschauung, die in Tönen, in Klängen, in Akkorden, in Liedern, in Symphonien, in Opern sich verkündigt. Große Parteien gruppieren sich um die Musikschöpfer, die nicht zum wenigsten Weltanschauungsparteien sind. Ganze Stufenleitern von Weltanschauungsmotiven leben in der Musik, von der völligen Abgekehrtheit vom sinnlichen Leben abwärts bis zur Preisung und Vergötterung niedriger und gemeiner Triebe. Wir sehen die Musik seltsam mit der Sprache verbunden, teils, um sie auch den Musikunverständigen verständlich zu machen, teils, um ergänzend das auszudrücken, was eindeutig, vielleicht nur durch Worte zu übertragen ist. – Denken wir, wenn wir uns die Mannigfaltigkeit der Ausdrucksmittel für Weltanschauungen klar machen wollen, an die großen Dichtungen der Weltgeschichte: Wie unendlich weit war der Mensch und Dichter Goethe vom Philosophen entfernt, wie töricht und sinnlos ist es, von Goethes Philosophie zu sprechen, und wie mächtig formen sich dagegen in allen seinen großen Dichtungen Weltanschauungselemente; wie gewaltig ersteht beispielsweise im »Faust« das ganze »Unaussprechliche« einer Weltanschauung, die in alle Sphären des Sinnens, des Fühlens, des Träumens und des Erlebens greifen muß, um die unüberwindliche Gegensätzlichkeit des Lebens symbolisch deutlich zu machen. – Wir sehen und erleben in der Schaubühne, die die großen und kleinen Dichtungen mit Leben auszustatten weiß, eine Bildnerin und Verkünderin von Weltanschauung, und wir können die ganze Größe oder Schwäche der Zeit messen an dem Geiste, der hier lebendig gemacht und hier begehrt wird. – Jenseits all dieser Weltanschauungsformung steht die Philosophie. Nicht ausgeschlossen ist es natürlich, daß, wie in allen Handlungen und Einrichtungen des Einzelnen und eines Volkes sich eine Weltanschauung offenbart und verwirklicht, sich auch in der Art und Weise, wie die philosophischen Probleme gestellt und gelöst werden, denen sich der Einzelne oder ein Volk mit immer frischem Bemühen zuwendet, Weltanschauungselemente kundtun. – Sollte es trotz der Verschiedenheit von Weltanschauungsformung und Philosophie die Aufgabe der Philosophie sein, Weltanschauung zu geben, dann würde die Philosophie sich in diese Aufgabe mit zahllosen anderen Schöpfungen des menschlichen Geistes teilen; es könnte also keineswegs ihre spezifische Aufgabe darin bestehen; diese könnte vielmehr nur in der Art und Weise gefunden werden, wie die Philosophie, im Gegensatz zur Dichtung, Musik usw., Weltanschauung gibt und formt. Ist Philosophie, wie wir es voraussetzen müssen, Wissenschaft, so kann sie Weltanschauung nur in Wissensformen geben, sie wird nur das an der Weltanschauung oder den möglichen Weltanschauungen begreifen, was Wissen, das heißt allgemeingültig geformtes Erlebnis werden kann. Philosophie könnte den Anspruch auf Weltanschauung nur soweit erfüllen, als dies durch Wissenschaft möglich ist.
Die Beziehungen der Philosophie als eine notwendige Wissenschaft zur Weltanschauung, als dem Resultate eines in tausend Formen vorhandenen Bedürfnisses der Menschheit, sind nach diesen Erwägungen doppelter Natur. Erstens wird die Form des Wissens oder die Tendenz des Wissens, die wir spezifisch als Wesen der Philosophie repräsentiert sahen, wie an allen zum Wissen gelangenden Erlebnissen auch an der Tatsache und der Mannigfaltigkeit der erlebten und feststellbaren oder festgestellten Welterlebnisse oder Weltanschauungsformen ansetzen, um diese zum Wissen, zum Bewußtsein zu erheben. Zweitens liegt es im Begriff der Philosophie, das Gewußte unter die letzten Prinzipien der Einheit des Wissens zu bringen. Sie wird also gegenüber den Weltanschauungsformungen ein System des Wissens vom Gewußten oder ein System des Wissens vom Wissen selbst zu erstreben haben und so über alle Weltanschauung hinaus zu einem Weltwissen zu gelangen versuchen.
Die Aufgabe der Philosophie als einer notwendigen Wissenschaft in bezug auf die erstere Tendenz ist folgende: Sie hat in allen Formen des Lebens und der Kultur, die sich darin verborgen haltenden, zur Tat gewordenen Weltanschauungselemente festzustellen, indem sie von der Einzelheit der Handlung, der Tat, zum subjektiven Grunde des Handelns aufzusteigen versucht. Die Mannigfaltigkeit des zur Tat Werdenden mündet dann gleichsam in einem subjektiven Grunde, und diesen subjektiven Grund finden und begreifen, heißt zum Einheitsgrunde der lebendigen Mannigfaltigkeit aufsteigen. Auf diese Weise entstehen die zahlreichen, mit vollem Recht »philosophisch« genannten Untersuchungen über die Weltanschauung gewisser Zeitepochen, gewisser Kulturströmungen, gewisser Kulturträger, gleichsam um über die Gegensätzlichkeit der einzelnen Leistungen oder Leistungskomplexe zum Prinzip der Leistung oder des Leistens aufzusteigen. Gegenstand der Philosophie sind von hier aus u. a. die Weltanschauungen der großen Schöpfer auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft; die Feststellung der Weltanschauung beispielsweise der Malerei zu gewissen Zeiten, der Dichtkunst, der Politik, der Mode usw. sind Resultate dieser eigenartig gerichteten philosophischen Einzelarbeit. Die Philosophie nimmt von hier aus gesehen den Charakter einer kritisch-historischen Wissenschaft von den einzelnen weltanschaulichen Synthesen an und verzichtet, mit der Feststellung des in diesen Weltanschauungssynthesen Gemeinsamen beschäftigt, auf systematische Eigenschöpfung, um sich zunächst der ganzen reichen Fülle historischer Gegebenheit zuzuwenden. Von hier aus wird die unübersehbare Fülle philosophischer Kleinarbeit begreiflich, die in diesem Sinne fast bei jeder Kulturtat, bei jeder größeren Leistung, bei jedem philosophischen Systeme ansetzt und die kleinen Steine sammelt, um aus ihnen in sich abgeschlossene Weltanschauungen aufzubauen und sichtbar zu machen. Diese Richtung innerhalb der Philosophie, die mannigfache Wege ermöglichte, ist eine Geburt der Neuzeit insofern, als die Geschichtswissenschaft – ein moderner Wissenszweig – mit all ihren methodischen Forschungsmitteln schon gearbeitet haben muß, ehe die Philosophie mit ihrer abstrahierenden Tätigkeit einsetzen kann. Das Prinzip dieser philosophischen Arbeit ist nicht das Auffinden der absoluten Einheit der erlebten Mannigfaltigkeit, nicht die Feststellung eines Gesamtprinzipes, sondern die Feststellung der unendlichen subjektiven Differenzierung zur Erklärung und Deutlichmachung einzelner Mannigfaltigkeitszentren. Philosophie im eigentlichsten Sinne des Wortes und Weltanschauungsformung sind hier in einer engen sachlichen Beziehung, zwar keineswegs so miteinander verbunden, daß Philosophie Weltanschauung bildet oder begründet, sondern subjektive Weltanschauungsformung als Prinzip der Schöpfung feststellt. Die Philosophie bricht gleichsam ihr Prinzip nach einer Strecke des Weges ab, indem sie sich selbst durch eine weltanschauungsmäßige Überzeugung bindet, nämlich, daß nicht die absolute Einheit, sondern nur relative Einheit das letzte mögliche Prinzip wissenschaftlicher Deutung der vorgefundenen Mannigfaltigkeit sei.
Der Weg jedoch der Philosophie als einer historisch-kritischen Wissenschaft von den einzelnen weltanschaulichen Synthesen birgt in sich, obwohl die Tendenz der Philosophie darin abgebrochen erscheint, die allgemeine Tendenz zur absoluten Einheit, zum Aufstieg von der subjektiven Formung weltanschaulicher Elemente zu der Erhebung dieser Elemente in höchste Einheiten. Der Gang von der Feststellung der Weltanschauung einzelner Geister zu der Formulierung der Weltanschauung von Gruppen, von Leistungen, von Zeitströmungen, von Völkern, von Volksgruppen ist insofern ein Aufstieg von der niederen Weltanschauungsform zu einer höheren, als sich zeigen lassen wird, daß sich die einzelne Subjektivität eingliedert in höhere Komplexe, oder daß die Weltanschauung von Gruppen in der Weltanschauung Einzelner repräsentiert ist. So ist die Weltanschauung Friedrich v. Schlegels zugleich, wenn auch die subjektiv spezifizierte, Weltanschauung der älteren Romantik; die Weltanschauung der älteren Romantik aber, die zunächst nur die Glieder der älteren romantischen Schule von ihrer weltanschaulichen Seite begreift, ist zugleich unserem wissenschaftlichen Erkennen nach ein Element der Weltanschauung des deutschen Volkes auf einer bestimmten Stufe seiner Entwicklung usw. So ist die Philosophie Kants ein Moment, in dem Bruchteile seiner Weltanschauung fortleben, die Weltanschauung Kants zugleich eine subjektivierte Form der Weltanschauung im Zeitalter der Aufklärung und des Rationalismus. Der Rationalismus aber ist nicht nur ein philosophisches, sondern auch ein weltanschauliches Element der nachkantischen Zeit und zugleich der Grund, auf dem sich die gegensätzliche Weltanschauung der Romantik aufbaut. – Die Richtung innerhalb der Philosophie, die sich zur Aufgabe setzt, aus der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen die Elemente zu Weltanschauungssynthesen zu finden, hat also Mittel und Wege, den Aufstieg von der Mannigfaltigkeit der Weltanschauungsformen zu höheren, die einzelnen Weltanschauungen als Elemente begreifenden Formen zu gehen. Die Weltanschauungsbildungen geben unter diesem Gesichtspunkte der Philosophie ebenso, wie die Erlebnisse und das Wissen, einen Anlaß, den Prozeß des Wissens auf den Weg, wenn auch begrenzter relativer Einheitlichkeit zu führen, Weltanschauungssynthesen nach ihrer inneren Struktur, nach ihrem Prinzip zu erkennen und in höhere Weltanschauungsformen einzugliedern. Mit diesem Bestreben, das sich namentlich in der modernen philosophischen Arbeit zeigt, und, wie gesagt, einen systematischen Verzicht bedeutet, wird die Philosophie, wenn auch nur in ganz bestimmter Art, dem Bedürfnis dienen können, Weltanschauungen zu bekommen, sie wird sie nicht schaffen und gleichsam als Norm hinsetzen, sondern sie als treibende Prinzipien in der Hervorbringung der Mannigfaltigkeit zu wissen und zu erkennen versuchen. –
In schrofferen Gegensatz aber wird die Philosophie zu dem Bedürfnis nach einer Weltanschauung dort treten, wo sie sich frei macht von der weltanschauungsmäßigen Überzeugung, daß die letzten Gründe der Mannigfaltigkeit in mehr oder weniger differenzierten subjektiven Schaffenszentren liegen, dort, wo sie nach dem oben besprochenen zweiten Verhältnis nicht nur Weltanschauungssynthese ist, sondern zum Weltwissen strebt. Gegenüber der Tendenz, die wir als spezifisch philosophisch erkannten, aus der Mannigfaltigkeit des Wissens und des Gewußten zur Einheit des Wissens zu kommen, verschwindet nicht nur das allgemeine, sondern auch das subjektive Weltanschauungsbedürfnis des zum Weltwissen strebenden Philosophen. Das Wissen von den Gründen der in bunter Mannigfaltigkeit erlebten Welt kann zu der Überzeugung führen, daß eine Weltanschauung, eine auf festen subjektiven Gründen aufgebaute Weltansicht völlig gleichgültig, irrelevant, ja hindernd für die Erlangung des als letzten Zweck erkannten Sinnes des menschlichen Lebens ist. Man denke nur an die Zeiten des Kampfes von Weltwissen und religiöser Weltanschauung, von Philosophie und Kirche, aus dem nicht etwa nur aus purer Furcht die Einsicht den Ausgang erschuf, daß es eine doppelte Wahrheit, eine für das Leben zureichende und eine für das Wissen geltende, geben müsse. Wer wollte mit Ernsthaftigkeit die Hegelsche oder die Kantische » Philosophie« mit ihrer im Leben der Philosophen lebendig gewordenen Weltanschauung gleichsetzen! Die Hingabe an den Erkenntnistrieb, an das Weltwissen, ist oft genug mit dem Verzicht auf eine selbständig erbaute Weltanschauung verbunden gewesen: das Wissen von den Prinzipien des Geschehens oder des Wissens ist oftmals der Grund, das eigene kleine Leben bewußt und behutsam durch die Wellen des wirklichen unmittelbar erlebten, jenseits von Wissen und Nichtwissen stehenden Lebens hindurchzusteuern, nicht auszuschauen nach den fernen Sternen eines das einzelne Leben verschwinden lassenden Wissens, sondern acht zu geben auf die Klippen und Riffe in der unmittelbaren Nähe. – Wir können gerade in unserer Zeit, wo sich auch auf dem Gebiete der Philosophie die Probleme spezialisieren, ein intensiveres Sichbeschäftigen mit den Wissensproblemen der Philosophie, ein eifriges Sichabmühen mit Einzelproblemen feststellen, die von der Mannigfaltigkeit des Wissens und der Wissenschaften zu den Prinzipien des Wissens zu führen scheinen, daneben aber gerade bei den »Philosophen« eine unleugbare Kleinheit des Lebens und der Weltanschauung, eine gewisse Jämmerlichkeit in der Wertung äußerer Werte des Lebens konstatieren. Es ist nicht zu übersehen, daß die Philosophie auch bei dieser Kleinarbeit Philosophie bleibt, und, wenn sie nicht das zu geben vermag, was jenseits ihres Begriffes liegt, nämlich Weltanschauung, so ist das kein Vorwurf gegen die Philosophie als solche. Die Philosophie bekommt gerade in unserer Zeit mit Recht den Charakter einer objektiven Wissenschaft, die sogar anfängt, die Mathematik nachahmend, eigene, die sprachlichen Schemata an Eindeutigkeit übertreffende Zeichen zu erfinden. Diese vor allen Dingen in Italien gegenwärtig durch die Schule von Peano, in Frankreich durch Louis Coutorat, in England durch Bertrand Russel vertretene Bestrebung ist zweifellos eine Entwicklungsform, die im Wesen und im Begriffe der Philosophie liegt, wenn vielleicht auch in der Art der Ausführung falsche Nachahmungen und Anleihen bei anderen Wissenschaften zutage treten. –
Gegen diese klare und begrifflich einwandfreie Scheidung von »Philosophie« und »Weltanschauung« erhebt sich der Hinweis auf die Geschichte der Philosophie, die vielen zu lehren scheint, daß alle großen Systematiker, alle Philosophen, die die Gesamtheit philosophischer Probleme zu umspannen wußten, auch eine große, in sich abgerundete Weltanschauung gehabt haben. Wer wollte leugnen, daß sich hinter den Systemen von Platon, Aristoteles, Spinoza, Kant, Hegel, Rousseau usw. eine große Weltanschauung verborgen hält, die klar hervortritt aus der Lebensführung dieser Männer! Gewiß ist dies der Fall. Aber, so müssen wir dagegen fragen: wer könnte bestreiten, daß sich bei unseren großen Dichtern, Musikern, Malern, Politikern, Staatsmännern, ebenfalls in ihren Leistungen eine große Lebens- und Weltanschauung lebendig erweist? Nicht die Größe oder Fundamentalität der Weltanschauung hat der große philosophische Systematiker vor dem großen Künstler, Politiker und Staatsmann voraus, sondern höchstens das unterscheidet ihn von jenen, daß er seine Weltanschauung in seine Philosophie einfließen ließ, während jene die ihrige in ihre Leistung einführten. Auch die kleinen Künstler, die fleißigen, betriebsamen Schöpfer von Kleinarbeit, nehmen teil am Begriffe des Künstlers, auch die kleinen emsigen, kurzsichtigen, auf die Masse und deren Instinkte wirkenden Politiker sind Politiker, wie die kleinen eifrigen, Begriffe spaltenden Philosophen Philosophen sind. Die Größe von Goethes Kunst und von Kants Philosophie muß sich aus dem Begriffe der Kunst und dem Begriffe der Philosophie selbst begreiflich machen lasten, wenn das nicht nur relative und subjektive Begriffe sind. Der Ursprung, die Geburt von Goethes Kunst und Kants Philosophie konnte vielleicht nur in einem großen Lebensgrunde liegen, nur große Menschen scheinen uns, wenn wir die Geschichte der Völker betrachten, Großes geleistet zu haben und Großes leisten zu können. Der Wert ihrer Leistung aber liegt nicht in dem Ursprung der Leistung, sondern im Wesen der Leistung.
Die allgemeine Erfahrung, daß große Leistung nur aus großem Lebensgrunde kommen kann, können wir unserem Erleben begreiflich machen, wenn wir bedenken, daß alle Kunst, alle Wissenschaft und damit auch alle Philosophie Werte zu schaffen versuchen, die nach zeitloser Gültigkeit, nicht nach zeitlicher, zufälliger Bewertung streben. Die große Kunst, die das zu allen Zeiten Schöne zu erschaffen und die Philosophie, die das zu allen Zeiten Wahre zu erkennen sucht, stellen beide zwischen dem Schöpfer oder Träger der Idee und der Leistung eine Beziehung her und rücken ihr auf die Leistung abgestelltes Leben an die Grenze von Werten, die jenseits des Umkreises derer liegt, die in den täglichen Bedürfnissen und Kleinlichkeiten ihr Leben verbringen. Wir können uns denken, daß alle wahrhaft großen Künstler und Philosophen ihr Leben gleichsam ganz in die Sphäre ihrer für die Zeitlosigkeit geschaffenen Leistungen schieben und damit ihrem eigenen Leben einen zeitlosen Schimmer geben. Dies aber gilt, wie wir sehen, keineswegs vom Philosophen allein, sondern in gleich hohem Maße vom Künstler, Religionsstifter und vom Staatsmann. Es ist kein spezifisches Merkmal des großen Philosophen, eine große Weltanschauung zu haben, sondern nur eine ihm mit anderen Schaffenden gemeinsame Eigenschaft, die sich umso schärfer auszuprägen scheint, je intensiver die Hingabe an die philosophischen Probleme stattfindet, je größer der zu beherrschende Umkreis philosophischer Probleme ist. Aus dem Begriffe der Philosophie und aus dem Begriffe der Kunst können wir die uns vom Leben gegebene Tatsache, daß mit großer Philosophie und großer Kunst auch große Menschlichkeit verbunden ist, nicht verstehen. Wir erleben das nur und müssen uns anderweitig außerhalb des Begriffes der Kunst und des Begriffes der Philosophie diese Tatsache verständlich zu machen suchen. Wir erleben es, daß hinter aller Größe der Kunst, der Philosophie, der Politik usw. die Größe von Menschen steht, wir erleben es, daß in Zeiten, wo Künstlichkeit Kunst, philosophische Emsigkeit Philosophie, politische Kleinheit Politik heißen, auch große Menschen nicht hervortreten. Die Philosophie fordert Leistungen und zwar Leistungen wissenschaftlicher Natur; diese Leistungen müssen an sich, d. h. aus ihrem Prinzip zu erklären sein. Wenn in den großen Systemen der Philosophie sich eine große Weltanschauung der hinter ihnen stehenden Philosophen birgt, darf man nicht glauben, daß diese Weltanschauung der Grund ihrer Geltung gewesen ist: Beides, Philosophie und Weltanschauung, sind völlig verschiedene Dinge und haben verschiedene sachliche Gründe.
Was also die Philosophie in ihrem reinsten Sinne den mannigfachen Ansprüchen des Lebens nach einer Weltanschauung einzig und allein geben kann, ist die wissenschaftliche Vollendung des auf Wissen gerichteten Erkennens. Schafft sie durch dieses Wissen Weltanschauungselemente, dann ist das ein Ertrag, der ihr nicht spezifisch angehört. Sie kann durch ihr Wesen, den Grund der Einheit des Erkennens immer höher zu suchen, dem Bestreben nach Weltanschauung Wege weisen, indem sie das Denken, wenn es nach Weltanschauung sucht, vor schnellen Entschlüssel: und frühzeitigen Verallgemeinerungen bewahrt. Das Wesen der Philosophie aber ist im Gegensatz zu allen Weltanschauungsansprüchen Wissenschaft, Einheit des Wissens, Erkenntnis der Gründe der Mannigfaltigkeit, des Seins, des Erlebens und des Wissens. In ihrer Vollendung wird sie Weltweisheit oder Weltwissen sein und über allen, jenseits aller subjektiven weltanschaulichen Synthesen stehen, die selbst alle nur Gründe für sie sind, zur absoluten Einheit des Wissens aufzusteigen.