Joseph Roth
Die Flucht ohne Ende
Joseph Roth

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XXXIII

Tunda bekam einen dicken Brief, endlich den ersten Brief von Baranowicz.

Er hatte einige Umwege gemacht, war von Berlin zu Georg gegangen, es war ein weitgewanderter Brief, drei Monate hatte er gebraucht. Es schien, daß er unterwegs zugenommen hatte.

Baranowicz dankte für das Geld, er war bereit, es zurückzuschicken und noch etwas dazu. Denn er hatte glänzende Geschäfte gemacht, einen Teil seines Grundstückes hatte ihm der Staat abgekauft, die Erde enthielt kostbare Minerale. Man sprach von Platin. Außerdem würde in einem halben Jahre eine neue wissenschaftliche Expedition abgehen, mit Baranowicz als Führer durch die Taiga. Hätte Tunda Lust, so könnte er mitkommen. Baranowicz hatte schon Vorschuß für allerhand Ausrüstungen bekommen.

Dann kam ein Abschnitt, der Tunda ein wenig überraschte. Er lautete:

»Fast hätte ich das Wichtigste vergessen:

Vor zwei Monaten kam eine Frau bei mir an, es taute schon, und die Tage wurden länger, eine Frau wie ein Vogel. Sie stellte sich als meine Schwägerin vor, sie kam vom Kaukasus her, mit vielen Pelzen und Deiner Photographie als Beweis, drei Wochen hatte sie gebraucht. Ein Pelzhändler aus Omsk brachte sie, Du hättest ihr Geld geschickt, sagte sie. Und zu mir kam sie, weil ich ihr einziger Verwandter in der Welt wäre – und ihr Onkel, ein Töpfer, sei gestorben.

Sie heißt Alja und ist den größten Teil des Tages stumm.

Ich lasse sie wohnen, mache ihr ein Bett, und so lebt sie neben mir. Wir sprechen selten, und ich frage sie nicht, was sie ohne Dich machen wird. Sie spricht sehr schlecht russisch, wenn sie überhaupt den Mund aufmacht.

Wenn ich mich recht darauf verstehe, ist sie schön.

Ich kann ihr auch Geld geben, wenn Du willst, daß sie zu Dir kommt. Ich kann sie aber auch behalten. Mir ist es gleich! Schreibe mir, Irkutsk postlagernd. Jeden Monat holt Isaak Gorin, der Grammophonhändler, meine Post ab.

Ich hab ihm auch ein Grammophon abgekauft, und die Frau, die Deine Frau zu sein angibt, hört gern zu. Manchmal weint sie auch. Vielleicht weint sie um Dich, denke ich so – und dann können mir auch die Tränen kommen.

Jekaterina Pawlowna wollte ich schon einmal zu mir holen, aber sie geht nicht. Sie hat Geld erspart. Sie will nicht unter Wölfen sterben, sagt sie, sondern in der Stadt, unter Menschen.«

 

Tunda konnte also zurückkehren – zu Baranowicz, von dem er fortgegangen war, Irene zu suchen.

Er konnte zurückkehren. Seine Frau erwartete ihn schon.

Er sah das Gehöft seines Bruders, die zwei Hunde, Barin und Jegor, den großen kupfernen Kessel, in dem das Fleisch kochte, die Felle der Elentiere auf dem tiefen Bett, er hörte den Schlag der Uhr und das leise Ächzen, das sie vor jedem Schlag ausstieß, und das harte Klopfen der Rabenschnäbel auf dem Fensterbrett.

Aber er hatte keine Sehnsucht nach der Taiga. Hier, so schien es ihm, war sein Platz und sein Untergang. Er lebte vom Geruch der Fäulnis, und er nährte sich von dem Moder, er atmete den Staub der zerfallenden Häuser und lauschte mit Entzücken dem Gesang der Holzwürmer.

Er behält die Photographie Irenes, wie er sie jahrelang getragen hat. Sie liegt auf seiner Brust. Er geht mit ihr durch die Straßen. Auf dem Platz vor der Madeleine bleibt er stehen und sieht in die Rue Royale.

Damals traf ich Tunda.


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