Joseph Roth
Die Geschichte von der 1002. Nacht
Joseph Roth

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XXXII

Diesmal hatte der Kapellmeister Nechwal von der Regimentskapelle der Hoch- und Deutschmeister kaum drei Tage Zeit, die persische Nationalhymne mit seinen Leuten ordentlich einzuüben. So plötzlich war der Befehl gekommen. Man übte also auch außerhalb der Dienststunden.

Der Tag, an dem die persische Majestät anlangte, war ein gütiger blauer Frühlingstag; einer jener Wiener Frühlingstage, von denen das kindliche Gemüt der Bevölkerung annahm, daß lediglich ihre Stadt imstande wäre, dergleichen hervorzubringen. Die vorgeschriebenen drei Ehrenkompanien, eine am Perron aufgestellt, die zwei anderen vor dem Bahnhof Spalier bildend, vor der Menge der Neugierigen, der Jubelwütigen und der Beflissenen, sahen in ihren blauen Uniformen wie ein integraler ärarischer Bestandteil des spezifischen Wiener Frühlings aus. Es war ein Frühlingstag ähnlich jenem weit zurückliegenden, an dem der Schah zum erstenmal nach Wien gekommen war; so ähnlich wie ein später geborener Bruder dem ältern.

Diesmal hatte den Schah nicht die Unruhe des Blutes nach dem Okzident gebracht, auch nicht die Neugier und kein rätselhaftes Verlangen nach Abwechslung. Seit einigen Monaten nämlich lebte er in einer vollkommenen Seligkeit mit einer neu angekauften vierzehnjährigen Inderin Jalmana Kahinderi, einem Geschöpf aus Sanftheit und Wonne, ein braunes Reh, ein gutes Tier von den fernen Ufern des Ganges. Sie allein hatte der Schah diesmal mitgenommen und ihretwegen allein auch den Obereunuchen. Es war längst ein neuer Großwesir vorhanden (den früheren hatte seine Majestät aus plötzlichem Unwillen in eine mediokre Pension geschickt). Aber der Adjutant war der gleiche geblieben; es war immer noch der leichtlebige Kirilida Pajidzani, Liebling des Schahs geworden im Laufe der Jahre und, verhältnismäßig noch jung, dennoch befördert zum General mit dem Honorartitel eines Kommandanten der gesamten Reiterei.

Der arme Taittinger freilich lag seit zehn Tagen im Grabe, und die Würmer nagten schon an seinem Sarg. Statt seiner war ein anderer Kavallerie-Offizier, diesmal ein Ulane, zur besonderen Verwendung nach Wien versetzt, ein Pole namens Stanislaus Zaborski, der seinen Dienst ernster nahm, sei es auch nur, um den Herrschaften zu beweisen, daß der Ruf der polnischen Unzuverlässigkeit keineswegs berechtigt sei. Der Oberleutnant Zaborski stand auch nicht wie einst der charmante Taittinger im Bahnhofsrestaurant am Büfett, sondern auf dem Perron neben dem Güterwagen. Das Gepäck war diesmal auch ordnungsgemäß angekommen. Er stellte sich ordnungsgemäß Seiner Exzellenz dem Adjutanten des Großwesirs, dem General Kirilida Pajidzani, vor. Pajidzani, an dessen Schläfen und dünnen Koteletten schon mattes Silber schimmerte, entsann sich des lustigen Rittmeisters Taittinger und fragte, ob der noch in Wien geblieben sei. »Exzellenz«, erwiderte der Oberleutnant Zaborski, »der Herr Rittmeister ist vor zehn Tagen plötzlich gestorben!« Pajidzani hatte ein oberflächliches Herz und ein hartes Gemüt, aber auch Angst vor dem Tod, besonders vor einem plötzlichen. Er sagte: »Der Herr Rittmeister war doch noch jung?« – und dachte gleichzeitig daran, daß er selbst noch jung war. – »Es war ein plötzlicher Tod, Exzellenz!« wiederholte Zaborski.

»Herzschlag?« insistierte Pajidzani. »Nein, Exzellenz!« – »Also Selbstmord?« – Zaborski antwortete nicht. Pajidzani atmete auf.

Seit einigen Jahren unterhielt Pajidzani mit dem Obereunuchen beinahe brüderliche Beziehungen. Beide hatten sie eifrig daran gearbeitet, den Großwesir unmöglich zu machen. Es gelang ihnen, nun waren sie auf Tod und Leben Verbündete. Pajidzani war zwar nicht Großwesir geworden, aber immerhin General. Der Obereunuch hatte den harmlosen Kirilida Pajidzani gerngewonnen. Es war ein Mann nach seinem Herzen. Ungefährlich, hörig, leichtfertig, hilflos manchmal und für jeden Rat dankbar; gelegentlich ein williges Werkzeug. Ein vorzüglicher Freund!

Zwei Tage schon nach ihrer Ankunft schlenderten beide in europäischem Zivil durch die hellen Frühlingsstraßen. Sie betrachteten die bunten Läden, kauften sinnlose Dinge ein, Spazierstöcke, Operngucker, Stiefel, Westen und Panamahüte, Regenschirme und Hosenträger, Pistolen, Munition, Jagdmesser, Brieftaschen und Lederkoffer. Als sie durch die Kärntner Straße kamen, blieb der Obereunuch gebannt, verblüfft, beinahe erschrocken vor dem Schaufenster des Hoflieferanten Gwendl stehen. Auf einem breiten dunkelblauen Kissen aus Samt leuchteten opalen wie eine Hagelwolke, weiß wie der Schnee auf den Gipfeln der heimatlichen Berge und bläulichrosa zugleich wie ein gewitterschwangerer Himmel drei Reihen schwerer großer Perlen, die dem Eunuchen vertraut waren wie Schwestern. Unvergleichlich war sein Blick für Edelsteine. Rubine, Smaragde, Saphire, Perlen, die er einmal mit der Hand, ja einmal nur mit den Augen betastet hatte, konnte er niemals vergessen. Diese Perlen – er wußte, woher sie kamen. Diese Perlen hat er einmal auf Befehl seines Herrn in ein bestimmtes Haus gebracht. »Du hast mir gestern«, sagte der Obereunuch zum General, ohne den Blick von den Perlen zu lösen, »von dem Dragoneroffizier erzählt, der sich das Leben genommen hat!« – »Ja«, sagte Pajidzani. – »Nun, das ist ganz gut!« sagte der Obereunuch. »Komm mit! Du mußt dolmetschen! Ich will den Händler drin sprechen.«

Sie gingen in den Laden, sie verlangten den Besitzer. Der General nannte Rang und Namen. Der Hofjuwelier Gwendl kam würdig die steile Treppe herunter.

»Wir sind vom Gefolge Seiner Majestät des Schahs«, sagte der Obereunuch. – Und der General übersetzte. »Woher stammen die Perlen in Ihrem Schaufenster?«

Gwendl antwortete, der Wahrheit gemäß, daß er sie zuerst vom Bankhaus Efrussi erhalten, nach Amsterdam verkauft habe. Jetzt waren sie ihm wieder in Kommission zurückgegeben worden. »Was kosten sie?« fragte der Obereunuch – und Pajidzani übersetzte. »Zweihunderttausend Gulden!« sagte Gwendl. »Ich werde sie zurückkaufen«, sagte der Eunuch. Er zog einen schweren blauen Lederbeutel, löste langsam die dicken Schnüre, die den Beutelhals umschlangen, und schüttete den Inhalt auf den Tisch, lauter goldene Reindln. Es waren fünfzigtausend Gulden. Er verlangte, daß die Perlen morgen für ihn bereitgelegt würden und daß sie sofort, im gleichen Augenblick noch, aus dem Schaufenster verschwänden. Er brauchte die Bestätigung nicht, die Gwendl zu schreiben sich anschickte. Er sah den Zettel eine Sekunde an, zerriß ihn und ließ die weißen Papierschnitzel auf die rötlichen Dukaten niederfallen. »Morgen um diese Zeit bin ich hier!« sagte der Obereunuch – Pajidzani übersetzte es.

»Warum hast du das getan?« fragte der General.

»Ich liebe diese Perlen!« antwortete der Obereunuch.

Pajidzani blieb an der Ecke der Kärntner Straße und des Stephansplatzes stehen. Hier lehnte eine große, hölzerne Plakatwand. Eine bunte, von persischen Fähnchen eingerahmte rote Inschrift auf schwarzem Grunde lautete:

»Der Schah, Seine Majestät, der Herr der gläubigen Perser und Anbeter Mohammeds in Naturähnlichkeit. – Der Harem von Teheran. – Die Geheimnisse des Orients. – Alles im ›Großen Welt-Bioscop-Theater‹ Prater-Hauptallee!«

»Fahren wir!« sagte Pajidzani.


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