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19. Die Hundeschlacht vor der Pulverkirche

Port Burwell (Hudsonstraße).

Als wir nach Burwell kamen, war ich ein wenig arktismüde. Wir hatten jetzt eine ganze Reihe von Plätzen angelaufen. Freilich war jeder anders gewesen als die vorherigen, und auch die Eskimos hatten in jedem einzelnen Hafen wieder etwas Neues und Besonderes geboten, aber ich meinte, nun müsse Schluß sein, und Burwell, unser letzter Hafen an der Hudsonstraße, könne nichts Neues mehr bieten.

So hatte ich mich in der Kabine zur Arbeit niedergelassen, als mein Reisekamerad hereinstürzte: »Jetzt mußt du aber an Deck kommen, wir fuhren durch einen herrlichen Fjord.«

»Fjord? – Der wird auch nicht viel anders sein als Lake Harbour!« – Aber ich kam doch an Deck. Es war der Mühe wert. Wir schwammen zwischen lauter Felsen, nach allen Seiten zweigten Buchten und Fjorde ab. Am Ende eines dieser Fjorde erhob sich ein einsames Missionskirchlein. Die schmale Wasserschlucht, an deren Ende es lag, zweigte von der Bucht, die wir durchfuhren, nach dem Meer ab, und über das Dach des Kirchleins hinweg sah man die offene See.

Das Kirchlein lag einsam zwischen den Felsen

Die Bucht und die Fjorde waren blau und unbewegt, und so war der Himmel darüber. Es war Sommer, richtiger herrlich warmer Sommer, Polarsommer, wie wir ihn in so vielen Expeditionsberichten aus der Arktis beschrieben gelesen, aber noch nie erlebt hatten.

Die Polizeistation von Lake Harbour

Mit einem Schlage war alle Müdigkeit und Übersättigung fort, und voller Begeisterung fuhren wir an Land. Es war beinahe wie eine Entdeckungsfahrt. Wir kamen durch einen ganz engen, schmalen Sund, fast eine Klamm. An ihrem Ende lagen der Hudsonbai-Kompanie-Posten und die Polizeistation friedlich beieinander in einem engen, windgeschützten Tal.

Uns lockte das einsame Missionskirchlein zwischen Fjord und Meer, und so fingen wir an, über Kuppen und Klippen zu klettern. Überall zwischen den Felsen wurzelten ein wenig Grün, Moose, Gras und zarte, unglaublich zarte Blumen.

Unglaublich zarte Blumen

Schließlich landeten wir an einem tiefblauen Teich. In seinem klaren Wasser spiegelten sich die Felsen und breite Streifen weißer Blüten. Sie standen so dicht, daß sie wie ein Band wirkten, das über den Stein gespannt oder ein weißseidener Schleier, der über ihn gebreitet ist. Aber es war keine Blüte, sondern es waren die weißen Flocken der »nordischen Baumwolle«, deren weißer Flaum im Wasser nochmals aufleuchtete.

Die letzten Moskitos umschwirrten uns. Glücklicherweise war der Sommer bereits so weit vorgeschritten, daß wir unter dieser wahren Pest und Plage des nordischen Sommers kaum mehr zu leiden hatten. Gerade das Gefühl, daß dies wohl der letzte schöne, warme Tag sein würde, der uns noch vergönnt war, ließ ihn uns so tief genießen.

Der Weg zu unserm Kirchlein erwies sich als gar nicht so einfach, eigentlich war es gar kein Weg, sondern nur ein weg- und stegloses Klettern über die Felsen. Es war wie in Lake Harbour; über Land gibt es keinerlei Verbindung, die Straße ist im Sommer das Wasser, im Winter das Eis. Schließlich war der Weiterweg überhaupt durch eine Schlucht gesperrt, deren Steilwand nicht so ganz einfach zu erklettern war. Ich ließ daher meinen Reisekameraden und Ralph auf dem sonnigen Felsen zurück und setzte meinen Weg allein fort. Ich weiß selbst nicht, warum mich das Kirchlein so anzog. Es lag so einsam und weltverloren zwischen den Felsen, so romantisch und geheimnisvoll zwischen Fjord und Meer, daß ich es unbedingt sehen mußte.

Wie ich näher kam, zeigte sich, daß das Kirchlein gar nicht so klein war. Es wirkte eher wie ein Hospiz mit angebauter Kapelle. Darum herum standen Schuppen und Zelte, und auf der Bucht, deren klares Wasser den letzten Stein auf dem Grund erkennen ließ, schwammen zwei Segelboote.


Eskimohunde

Ein paar Hunde näherten sich, beschnupperten mich und hefteten sich an meine Fersen. Wie ich weiterschritt, kamen immer mehr Hunde zwischen den Felsen und Zelten heran, und alle folgten mir, so daß ich schließlich von einer ganzen Hundemeute begleitet war.

Das seltsame war, daß alle Zelte leer standen. Fallen und Geräte lagen herum, Fleisch und Fisch. Aber kein menschliches Wesen war zu sehen, nicht das kleinste Kind. Die Bewohner hatten sie restlos verlassen. Die Hunde starrten mich mit großen, fragenden Augen an, als hätten sie lange keinen Menschen gesehen, und als seien sie im Zweifel, ob sie mich als Eindringling oder als neuen Herrn ansehen sollten.

Ich muß sagen, ich habe die Polarhunde gern. Es sind ungewöhnlich kräftige, schöne Tiere mit prächtigem Pelz und herrlichem Gebiß. Der Wolf, von dem sie abstammen, tritt allerdings noch stark in Erscheinung, wenn sie zornig sind und ihre mächtigen Gebisse entblößen. Es gibt böse Geschichten von ihrer Gefährlichkeit. Ich hatte sie von dieser Seite noch nicht kennengelernt. Aber es wurde mir doch ein wenig unheimlich, als immer mehr Hunde ankamen und sie mich immer dichter umdrängten. Trotzdem schritt ich der Kirche oder dem Hospiz oder was immer es sein mochte, zu.

Ich fand das Gebäude leer und verlassen. Die Türen waren verschlossen, die Fenster zum Teil zerbrochen, zum Teil mit Brettern vernagelt. Durch die Öffnungen sah man, daß alle Räume leer standen. Abgerissene Tapeten hingen herunter, und der Fußboden faulte bereits zum Teil.

Zum Schluß kam ich an die eigentliche Kirche, die im rückwärtigen Teil des Gebäudes lag, gegen das Meer zu. Auch sie war völlig ausgeräumt, und nichts deutete mehr auf die Zwecke, denen sie einst gedient hatte. Dagegen stand ein Stapel Kisten darin. Wie die Anschriften erkennen ließen, enthielten sie Pulver und Patronen.

Die Hunde hatten mich von Fenster zu Fenster begleitet und waren langsam immer ungemütlicher geworden, so daß ich ganz froh war, als ich den Rückzug antreten konnte. Sie folgten mir bis zu genau der gleichen Stelle, an der sie mich begrüßt hatten.

Während ich weiterschritt, schien zwischen ihnen eine Meinungsverschiedenheit auszubrechen, augenscheinlich darüber, wie man sich mir gegenüber zu verhalten habe. Zwei besonders starke, große Hunde standen sich gegenüber und führten den Disput mit Knurren und Bellen. Langsam gingen sie aufeinander zu, und nun war es seltsam, wie mit einem Schlage die Hunde sich in zwei Parteien teilten. Eine Zeitlang war alles wildes Gekläff, nun herrschte plötzlich Totenstille. Man hörte nur das böse Knurren der beiden Führer. Die übrigen Hunde ordneten sich hinter ihnen – genau in Schlachtlinie muß man sagen. Wie zwei dichte Schützenschwärme gingen sie langsam gegeneinander vor, bis der eine der beiden Leithunde vorsprang.

In der nächsten Sekunde hatten die beiden sich ineinander verbissen, die zwei feindlichen Parteien stürzten aufeinander, und es war nur noch ein wildes Durcheinander sich beißender und übereinander wälzender Hundeleiber. Ich stand einen Steinwurf weit entfernt und bückte mich für den Notfall rasch nach einigen handfesten Wurfgeschossen. Aber die Hunde kümmerten sich nicht um mich, so wütend waren sie mit der Austragung ihrer eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Schließlich hörte das wilde Toben auf. Die erregten Haufen lösten sich voneinander. Nur da und dort stand noch ein besonders Erbitterter über seinem Gegner wie ein Ringkämpfer und biß dem Unterlegenen die Schnauze zusammen. Das wütende Kampfgeheul verstummte, und nur das Winseln der Verwundeten, die hinkend mit eingezogenen Schwänzen das Weite suchten, füllte die Luft.

Als ich zum Landeplatz des Kompanie-Postens kam, wurden aus den Booten gerade mächtige Fellballen ausgeladen.

»Was sollen die denn hier?« fragte ich einen der jungen Leute.

»Na, wir werden die kostbaren Felle doch nicht auf die gefährliche Fahrt ins Eis hinauf mitnehmen!« antwortete der, »keine Versicherung würde dafür das Risiko übernehmen. Wir laden hier alles aus und laden es auf der Rückreise wieder ein, wenn – wir heil wieder zurückkommen.«

Wir fuhren auf die »Nascopie« zurück. Also wurde es langsam Ernst mit der Arktis.

An der Reling stand der Bischof. Bei seinem Anblick fiel mir die »Pulverkirche« wieder ein.

»Sie gehörte den Mährischen Brüdern«, gab er mir bereitwillig Auskunft. »Deren Mission war die älteste in Labrador. Sie besaßen alte Rechte und auf Grund deren ein Pelzhandelsmonopol, mit dessen Erträgnissen sie ihre Mission finanzierten. Als der Krieg ausbrach, nahm man es ihnen. Die Hudson's Bay Company trat an Stelle der Mission. So wurde die Kirche zum Pulvermagazin.

»Ich sah den Abzug der Brüder«, schloß der Bischof. »Ich habe niemals in meinem Leben alte, reife Männer so erschütternd schluchzen gehört.«


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